„Fläminger Weideschwein“: Team mit Freiluftdrang
Anja Koch ist eine von drei Verwegenen im Land Brandenburg, die sich der Freilandhaltung von Schweinen verschrieben haben. Seit drei Jahren führt sie ihren 30-Hektar-Biobetrieb „Fläminger Weideschwein“ mit etwa 60 Tieren. Klug in ASP-Zeiten?
Von Jutta Heise
Haustürbefragung: Hattet ihr in den letzten drei Tagen Schweinekontakt? Natürlich nicht! Also Hygieneverordnung weiter befolgen, rein in den weißen Ganzkörperschutzanzug, der dich bei jedem Windzug in ein Michelin-Frauchen verwandelt, wadenhohe Überzieher auf die Schuhe, Seuchenmatte.
Anja Koch wechselt vor dem Betreten und nach dem Verlassen der Anlage die komplette Kleidung, einen ausgedienten Bauwagen als Schleuse nutzend, um ihre Tiere zu versorgen. Von der Afrikanischen Schweinepest ist der Landkreis Potsdam-Mittelmark, in dem wir uns bewegen, bisher verschont geblieben. Gerade deshalb wäre Lockermachen verheerend.
„Fläminger Weideschwein“: Reichlich Platz zum Wühlen und Buddeln in Rotation
Los geht’s ins Freilandschweine-Hüttendorf – von einem 1,70 m hohen Zaun zum Schutz vor dem ASP-Überträger Wildschwein umgeben. Die 30-ha-Anlage ist in Parzellen geteilt. Jeder der 14 Zuchtsauen, die Anja Koch alle beim Vornamen ruft, samt ihren Ferkeln sowie den beiden Zuchtebern stehen 500 m2 zur Verfügung – viel Platz zum Wühlen und Buddeln in Rotation: Freilandschweine brauchen Grünes, Kräuter, reichlich davon.
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Regelmäßiger Wechsel zwischen Schweineweide und Ackerbau
Ist eine Fläche abgegrast, was etwa vier bis sechs Wochen dauert, werden die Tiere umgesetzt. Die verlassene Parzelle wird von Anja Kochs GbR-Partner Johannes Alt, Biobetrieb SteinReich, bearbeitet und wieder mit Futterpflanzen oder Getreide bestellt, ein regelmäßiger Wechsel zwischen Schweineweide und Ackerbau. „Der Weidebau“, sagt Anja Koch, „ist eine der zeitaufwendigsten Arbeiten bei der Freilandhaltung.“
Die Tiere, eine Kreuzung zwischen Duroc- und Sattelschweinen, robust und so gut wie jeder Witterung trotzend, werden zweimal am Tag zusätzlich gefüttert – an versetzbaren Futterstellen: Der Fläminger Sandboden gibt nicht doll was her. Aufwuchs zur Verwertung ist schon von Natur eher dürftig. Die diesjährige Frühjahrstrockenheit tat ein Übriges. Normalerweise liefern Ökobetriebe der Region die Futterkomponenten, die vor Ort von einer mobilen Futtermühle geschrotet werden. Doch die ist seit Wochen defekt, Ersatzteile nicht lieferbar. „Das Fertigfutter ist schlechter“, mault Anja. Dazu muss täglich zweimal Frischwasser in die Suhlen und Tränken. Sauen brauchen, zur Erinnerung, während der Säugezeit bis zu 40 l am Tag.
Bildergalerie „Fläminger Weideschwein“
Freilandschwein geeigneter Rasse trotzt auch Minus-Temperaturen
Mindestens einmal pro Woche gibt es neue Einstreu in die Hütten. Die igluähnlichen Behausungen werden in der kühleren Jahreszeit durch die Körperwärme der Tiere aufgeheizt. Ein Freilandschwein geeigneter Rasse hält so auch Minus-Temperaturen aus.
Nach der Geburt werden zwei Impfungen verabreicht, gegen Circoviren, Mykoplasmen. Seit sie den Betrieb vor drei Jahren übernahm, sind dadurch ausgelöste Krankheiten kein einziges Mal aufgetreten, auch Wurmbefall ist äußerst selten. Die männlichen Ferkel werden – nach Biorichtlinien – unter Vollnarkose kastriert. Auch kommt es schon mal vor, dass eine Sau etwa nach dem Wurf (zweimal im Jahr mit durchschnittlich zehn Ferkeln) stirbt, eine Amme nicht greifbar ist. Dann versorgt Anja die Kleinen mit Milch.
Freiland-Schweinehaltung: Wie alles begann
Wir passieren die Gruppe der Absetzer. Sie bleiben zehn Wochen bei der Sau, sind dann für zwei bis drei Wochen in einem separaten Bereich untergebracht, werden dort mit Ohrmarken versehen und mit einem Gewicht von 25 bis 28 kg an regionale Mäster verkauft.
Duroc-Eber Kuno, vier Jahre alt und eine Erscheinung, verzieht sich in die Hütte, nachdem er uns wahrgenommen hat. Kein Interesse! Weil wir den imposanten Erzeuger dennoch begrüßen möchten, legen wir einen Stopp ein und fragen bei Anja Koch nach: Was hat die gebürtige Hessin dazu getrieben, sich auf die Freiland-Schweinehaltung zu verlegen, noch dazu im Brandenburgischen? Immerhin, dass sie einige Jahre vor ihrem Umstieg in diese Branche als Physiotherapeutin in Potsdam arbeitete, hat man schon mal gehört.
Den Grund für ihre Hinwendung zum Borstenvieh formuliert sie so: Es sei die Verbindung zur Erde, zu den Tieren gewesen, die Befriedigung, die daraus erwächst, „draußen zu arbeiten“. Wenn dann die Gelegenheit kommt, eine Vision in Realität umzumünzen – Zauderer, Feiglinge, Tagträumer muss man alle nennen, die da nicht zugreifen.
Zunächst Ausbildung zur Landwirtin, die ersten zwei Jahre in ihrer Heimat, das dritte Jahr auf Gut Schmerwitz. Der Bioland-Betrieb in Wiesenburg, der seinerzeit noch Schweine hielt, ist nur eine Station auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Es folgen Stippvisiten mit Erkenntnisgewinn auf Schweizer Höfen und hiesigen Landwirtschaftsbetrieben, bevor sie in den Fläming zurückkehrt. Macht ihren Meister bei Johannes Alt, der da bereits seinen Biobetrieb gegründet hat, sowie bei – Bernd Schulz. Dieser Landwirt –fachlich gewieft, umtriebig, allem Neuen aufgeschlossen, amüsanter Erzähler – ist, wir erlauben uns ein großes Wort, so etwas wie der Nestor der Freilandhaltung von Schweinen hierzulande. Damals spielt er bereits mit dem Gedanken, seine Anlage hier, bei Bad Belzig, einem Nachfolger zu übergeben.
100 % eigene Nachzucht
Anja Koch wagt es und übernimmt 2019 den Betrieb. Flächengröße und Equipment sind unverändert, aber: „Im ersten Jahr habe ich nur Ferkelproduktion betrieben, dann den Bestand komplett umgestellt. Bernds Hybridsauen waren mir zu anspruchsvoll.“ Jetzt verweist sie auf 100 % eigene Nachzucht. Nicht mehr im Hochsommer wird abgeferkelt, sondern im Herbst und im Frühjahr.
Ihr Ziel, nur ein Ferkel Verlust pro Wurf zu akzeptieren, erreicht sie fast immer. Bernd Schulz verlegt sich seitdem voll auf seine Backschweinpartys, ist auf Wochenmärkten oder in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg präsent.
Freilandhaltung allein im Nebenerwerb trägt sich nicht
Doch der Mann wäre nicht der, der er ist, würde er seiner Nachfolgerin nicht auch mit seinen Erfahrungen und mehr zur Seite stehen. Nicht nur, dass die junge Frau so etwas wie ein adoptiertes Familienmitglied ist, Schulz hat sie überdies als Eventmanagerin für Veranstaltungen auf seinem Hof in Gömnigk engagiert und ermöglicht ihr damit ein kleines, aber festes Einkommen.
Die Freilandhaltung allein, die sie bisher im Nebenerwerb betreibt, trage sich nicht. „Sie wird meiner Meinung nach der Natur der Schweine am meisten gerecht, doch wird sie eine Nische bleiben“, so Anja. Der Betrieb ist biozertifiziert. Alles, was von zwei Fleischern der Region für ihre Marke „Fläminger Weideschwein“ verarbeitet wird, etwa Rot- und Leberwurst im Glas, Salami, ist es nicht. Allein die Kosten bei den Ökokontrollen könne sie nicht stemmen. Auch dass bis ins letzte Kräutlein alle Zutaten aus ökologischem Anbau stammen müssten, ist schwer zu realisieren.
Viel Bewegung verleiht Fleisch besonderen Geschmack
Einige Schweine werden lebend verkauft, geschlachtet wird im Durchschnitt eins pro Monat; einige kann sie hin und wieder an „meinekleinefarm“ liefern, eine Onlineplattform, die kleinbäuerliche Betriebe und traditionelles Metzgerhandwerk unterstützt. Manch Freiländer wird bei Bernd Schulz zum Backschwein. In einem separaten Teil des Schulzschen Anwesens hat sie ihren Hofladen eingerichtet.
Viel Bewegung, reichlich Grünfutter machen das Fleisch der Tiere sehr zart und verleihen ihm einen besonderen Geschmack, speziell weil das Fett sich verstärkt in den Muskeln befindet.
In Corona-Zeiten sei der Umsatz mehr als erfreulich gewesen, so Anja Koch. Inzwischen ist er wieder gesunken. Die hohen Inflationsraten, der Ukrainekrieg haben die Kauflust angekratzt.
Stallpflicht wäre das Aus für den Betrieb
Die Fachwelt debattiert derweil anderes. Viele Schweinehalter sehen das Übertragungsrisiko von ASP durch Freiland- auf Hausschweinbestände als viel zu hoch an. Träte so ein Fall ein, dürften im Umkreis von zehn Kilometern keine Schweine mehr transportiert und besamt werden. Deshalb fordern manche ein Verbot der Freilandhaltung, wie es etwa in Hessen bereits gilt. Koch hält mit den vorgegebenen Hygiene- und Schutzmaßnahmen dagegen, die, penibel befolgt, zu greifen scheinen. Eine Stallpflicht wäre letztlich das Aus für ihren Betrieb „Fläminger Weideschwein“.
Wer sich an die Freilandhaltung wage, müsse nicht nur täglich viel Kraft investieren, sondern auch einen langen Atem haben, weiß Anja. Und Momente wie letzten Winter überstehen, wo die Temperatur zwischen Heiligabend und erstem Weihnachtsfeiertag von plus zehn Grad tags auf minus neun in der Nacht sank. „Der Trecker ist nicht mehr angesprungen. Wasserzufahren war unmöglich. Mit Schubkarre und Kannen bin ich zu den Tieren gerobbt. Du hast ja eine Verantwortung.“ Wir hören Herzblut blubbern.
Bei hundert Freilandschweinen sei die rote Linie beim „Fläminger Weideschwein“ erreicht, weil vor allem das Umkoppeln Grenzen setze, bekräftigt Anja noch mal. Mehr würde zulasten des Tierwohls gehen, ein No-Go. Also musst du Weiteres in deinem Portfolio haben.
Mit Agroforst in die Zukunft
Hühnerhaltung mit der Zweinutzungsrasse Les Bleus in einem mobilen Stall gegenüber der Schweineanlage hat der Habicht gestoppt. Nach wie vor bietet sie Führungen an für alle, die gewillt sind, die Hygienevorschriften diszipliniert einzuhalten. Von gemäßigtem Interesse ist das Schweine-Leasing: Du kaufst ein drei Monate altes, 25 kg schweres Schwein für einen einmaligen Festpreis, entrichtest einen monatlichen Betrag für Futter etc. bestimmst den Termin des Schlachtens und die Art der Verarbeitung selbst.
Im Trend liegt sie mit der Vermietung von ein, zwei Camper-Standplätzen am Feldrand. Wir verlassen Anja Koch vom „Fläminger Weideschwein“ nicht, ohne nach ihren Plänen zu fragen, seien sie auch noch Visionen. „Mir schwebt eine Umgestaltung der Freilandfläche vor, mit Agroforststreifen, auf der einen Seite Hühner, auf der anderen Schweine.“ Dazu würde sie Gemüseanbau reinkombinieren (auf diesem Gebiet hat sie auch Erfahrungen gesammelt), damit mehr Kreislaufwirtschaft stattfindet. „Ich muss den Betrieb vervielfältigen.“