Futtermittel: Wie Tierhalter jetzt auf Kostensprünge und Engpässe reagieren können
Mit dem Getreide verteuern sich aufgrund des aktuellen weltpolitischen Geschehens auch Futtermittel rasant. Ein Ende der Preisspirale ist nicht abzusehen. Wir fragten Fütterungsexperten Prof. Olaf Steinhöfel, wie Tierhalter auf Kostensprünge und Engpässe reagieren können.
Das Interview führte Ralf Stephan
Bauernzeitung: Futtergetreide und Eiweißfutter sind für Tierhalter kaum noch bezahlbar. Das kam unerwartet plötzlich und scheint noch nicht zu Ende zu sein. Warum hatte diese Entwicklung bisher keiner auf dem Schirm?
Prof. Olaf Steinhöfel, Fütterungsexperte im sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG): Das hatten wahrlich nur wenige auf der Rechnung, weder den Krieg noch die Bedeutung der Ukraine für die europäische beziehungsweise gar weltweite Bereitstellung von Sonnenblumen, Raps, GVO-freiem Soja oder Weizen. Das war auch mir in diesem Ausmaß nicht bewusst. Nahezu alle Landwirte, die ich gefragt habe, sagen: „Ja, wenn wir das gewusst hätten, dann …“.
Aufgrund der nunmehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass die Lager- und Erntemengen der erwähnten Futtermittel komplett wegfallen beziehungsweise das Vorhandene vorrangig in der Ernährungssicherung der Menschen in den Krisenregionen und in den Entwicklungsländern gebraucht wird, muss von einem Totalausfall von Futtermitteln ukrainischer Herkunft in der Tierernährung ausgegangen werden. Einheimische Reserven müssen zunächst verstärkt in der Humanernährung Lücken schließen. Dies führt unweigerlich zu einer drastischen Verteuerung von Getreide, Ölsaaten sowie Proteinfuttermitteln auf dem Weltmarkt.
Pegelt sich das nach der ersten Aufregung nicht vielleicht doch auf ein erträgliches Maß ein?
Wie lange dieser Trend anhält, hängt von den Reaktionen des Marktes ab. Werden Reserven freigegeben? Welche Wege der Ernährungssicherung der Menschen werden gegangen? Welche Erntemengen sind in naher Zukunft zu erwarten? Was ist Spekulation, was ist mediale Sensationsberichterstattung? In Europa muss befürchtet werden, dass es bis zur kommenden eigenen Ernte wenig Entspannung geben wird.
Schweine- und Geflügelfütterung besonders betroffen
Inwiefern ist nun die Tierernährung betroffen?
Die Monogastrierfütterung, also die Fütterung von Schweinen und Geflügel, ist aktuell im besonderen Maße betroffen, da sie de facto ohne Konzentratveredlung nicht funktioniert. Somit hängt sie sehr stark an den Marktpreisen von Getreide, Proteinkonzentraten und Zusatzstoffen wie etwa synthetischen Aminosäuren. Zudem steht sie besonders in Konkurrenz zur Ernährungssicherung der Menschen.
Und als wäre das nicht schon problematisch genug: Auch die Hoffnungsträger der Energiewende und pflanzliche Treib- oder Schmierstoffe wie Bioethanol Methylester oder Pflanzenöle, konkurrieren hier um die Rohstoffe. Derzeit werden vom Handel und den Mühlen kaum noch Preise genannt. Der Einkauf ist nahezu zum Erliegen gekommen. Es werden so gut wie keine größeren Verträge für Einzelfuttermittel oder Mischfutter abgeschlossen. Die Verkäufe können durch Rohstoffeinkäufe nicht ausgeglichen werden, das bedeutet die Lager scheinen so gut wie leer.
Futtermittel: tierische Veredlung zum aktuellen Preisniveau wenig sinnvoll
Wie sieht es mit Alternativen wie Neben- oder Koppelprodukten als Futtermittel aus?
Alle möglichen Alternativen wie Nebenprodukte oder Trockengrobfutter gelten als ausverkauft oder befinden sich im Preis-Sog von Getreide und Proteinfuttermitteln. Erste Rechnungen zeigen, dass tierische Veredlung zum aktuellen Preisniveau wenig sinnvoll ist. Getreide erlöst mehr als der Verkauf von Veredlungsprodukten – wenn nicht die tierischen Erzeugerpreise dem Trend folgen.
Bisher sprechen wir nur von Futtermitteln. Gibt es nicht noch andere Baustellen?
Nicht nur die Kosten der Konzentratfuttermittel, sondern alle Kosten in den Betrieben tendieren aktuell nach oben. Die Düngemittelpreise sind seit Langem auf Rekordniveau, Energie- und Treibstoffpreise scheinen unaufhörlich zu steigen, der Mindestlohn soll umgesetzt werden, und auch bei Betriebsmitteln wie Saatgut, Futterzusatzstoffen, Ersatzteilen und Schmierölen zeigt alles nur in eine Richtung – steil nach oben.
Nur ein Beispiel: Für die anstehende Grobfuttererzeugung ist nach bisheriger Kalkulation eine Kostensteigerung um 15 bis 20 % zu erwarten. Welche möglichen Folgewirkungen aus Instabilität, Spekulationen oder Dominoeffekten an den Agrarmärkten entstehen, kann man nur erahnen. Zudem scheint auch die Logistikbranche Schwierigkeiten zu haben, da den Fuhrunternehmen die ukrainischen Fahrer fehlen und Hilfstransporte verständlicherweise Vorrang besitzen.
tagfertige Futterbilanzierung nutzen
Also kann man auf die Schnelle gar nichts machen?
Doch, und das ist die halbwegs gute Nachricht: Es gibt durchaus Reserven, um die Situation sicher nicht vollständig, aber zumindest etwas zu mildern. Da hilft es, sich an alte Tugenden zu erinnern. Zunächst ist da die tagfertige Futterbilanzierung zu nennen. Sie ist trotz wiederholter Erinnerungen in den vergangenen Dürrejahren noch immer nicht überall präsent. Da wird noch zu wenig exakt gewogen, gemessen, analysiert und gerechnet.
Das Handwerkzeug der Tierernährung ist hier perfekt geeignet, um auf das Gramm genau zu wissen, was gebraucht und verbraucht wird. Dabei geht es auch um die Differenz von Brutto zu Netto, das heißt um die Verluste. Es gibt nach wie vor Betriebe, welche nur knapp 50 Prozent ihrer erzeugten Silagen letztlich veredeln. Deren Futterkosten steigen dann per se auf das Doppelte. Oder anders gesagt: Sie müssen doppelt so viel Futter erzeugen, um die Hälfte für ihre Tiere übrig zu haben.
Bei der Veredlung der Futtermittel gilt es, jegliches Vorhalten zu vermeiden, auf großzügige Sicherheitszuschläge und Sonderfuttermittel zu verzichten und möglichst durch strenge Leistungsfütterung den Bedarf des Tieres optimal zu treffen. Zudem sollte auch die Bedarfsseite angepasst werden, indem man nur das Vieh füttert, das für Reproduktion und Veredlung wirklich gebraucht wird. Dies bedeutet: Nur das aufziehen, was wirklich notwendig ist.
Das klingt ja fast wie Ihre Statements in den letzten Dürrejahren. Ist die Situation nicht doch ein wenig anders als in jenen Mangelphasen?
Was erwarten Sie? Beide Phänomene haben empfindlich unsere Futterbasis betroffen und uns die Anfälligkeit unseres wohlstandsgeprägten Handelns offenbart. In beiden Fällen müssen der effiziente Umgang von Futter- und Nährstoffen sowie die Verlustminimierung helfen zu sparen.
Aber es gibt einen entscheidenden Unterschied: Die Dürre betraf zum Glück nicht die ganze Welt. In den Dürrejahren waren weniger das Getreide, die Ölfrüchte bzw. Körnerleguminosen betroffen, die gab es ausreichend an den Märkten aufgrund des weltweiten Handels, nur geringfügig preisintensiver.
Die Geflügel- und Schweinefütterung war durch die Dürre weniger bedroht. Was fehlte, war das Grobfutter, welches voluminös und wenig mobil, aber für Wiederkäuer lebensnotwendig ist. Das tat uns zwar weh, aber der weltweite Milchmarkt blieb davon nahezu unbeeindruckt.
Das scheint heute tatsächlich ganz anders zu sein.
Eindeutig. Ein wesentliches Glied in der Erzeugungskette von Agrarprodukten bricht uns nun weg. Das erzeugt eine plötzliche Lücke in der Ernährung von Mensch und Tier. Da fehlt nicht mal nur eine Ernte, da fehlt ein wesentlicher Teil des Kuchens. Für wie lange? Das weiß keiner. Irgendjemand auf der Welt wird aber die Lücke schließen müssen.
Also werden sich – wie Sie es nennen – wohlstandsgeprägte Rationen ändern müssen?
Auch in der Milcherzeugung wird ja mehr Kraft- als Grobfutter veredelt. Es wurde dazu immer betont, dass weniger Kraftfutter in der Ration Leistung kostet und somit auch bei hohen Kraftfutterkosten der Einsatz hoch bleiben sollte, um die Kostendegression zu ermöglichen. Also war „Kraftfutter raus!“ keine Option. Zunächst ist das ja auch richtig. Das ergibt schließlich der Bruch „Kosten je Kilogramm Milch“. Diese können gesenkt werden, wenn ich die Kosten senke oder/und wenn ich den Milchertrag steigere. Eine hohe Einzeltierleistung hilft somit, zunächst alle Kosten je Kilogramm Milch zu senken.
Was kann man jetzt tun? Eine Checkliste
1. Konzentrate aus der Ration nehmen:
■ höchste Grobfutterleistungen anstreben
■ Sicherheitszuschläge kappen, auf Selbstregulation der Kuh setzen
■ tierische Leistungen auf ökonomisches Optimum einstellen
■ strenge Leistungsfütterung anstreben
■ Futteraufnahme maximieren und kontrollieren
■ Grünlandfutter in der Ration maximieren, Weideoption prüfen
■ streng auf optimale Kondition füttern, Luxusfütterung ausbremsen
■ maximale Pansenleistung ausschöpfen, Pansengesundheit sichern
■ Lock- und Sonderfuttermittel raus oder auf Minimum setzen
■ strenge Kontrolle des Fütterungserfolges und Rationskorrektur
2. Tagfertige Übersicht über Vorrat und Betriebsmittel:
■ Erzeugung, Lagerung, Verbrauch genau dokumentieren
■ strategische und standortbezogene Futterbedarfsplanung
■ Betriebsmittel- und Technikeinsatz auf das Nötige zurückfahren
3. Futterverluste streng minimieren:
■ instabilem Futter schnellstens die Luft entziehen oder trocknen
■ aerobe Stabilität sichern
■ mechanische Verluste (vom Feld zum Trog) minimieren
■ Restfutter nachnutzen und Anfall reduzieren
■ auf höchste Futtermittelhygiene (Verderb, Verschmutzung) achten
4. Futtermittelkunde schärfen:
■ Alternativen kennenlernen und hinterfragen
■ durch Futtermittelanalytik Futterwert kennen und optimal einsetzen
■ regelmäßige Rationsoptimierung unter Beachtung von Restriktionen
■ Möglichkeiten zur Futteraufbereitung hinterfragen
5. Nur das nötige Vieh füttern:
■ Bestand an vorhandene Futtermittel anpassen (Jungrinder, Mastrinder, Mutterkühe)
■ Zwischentragezeiten hochsetzen, Persistenz sichern
■ nur aufziehen, was wirklich zur Reproduktion benötigt wird
Und diese Rechnung geht nun nicht mehr auf?
Wenn die Kosten so hoch steigen, dass die Leistung den Anstieg nicht mehr abfangen kann, macht diese Gesetzmäßigkeit wenig Sinn. Für Futtermittelkosten ist dieser Punkt derzeit erreicht. Hier sollte betriebsindividuell genau gerechnet werden, ob Konzentrate sinnvollerweise teilweise oder ganz aus der Ration zu nehmen sind und die tierische Leistung zurückzufahren ist.
Potenzial dafür bietet in vielen Fällen vor allem der Altmelkerbereich. Dort wird in vielen Betrieben oft über Bedarf versorgt. Die Erlöse, also Erzeugerpreise für Milch, Fleisch und Eier, werden sich ja kurz- oder mittelfristig der Kostensteigerung anpassen und hier abfedern helfen.
Also ist Grobfuttermilch die Botschaft?
Egal was man rechnet, die zukünftige Milchproduktion sollte dringend auf Grobfuttermilch umgestellt werden. Die wichtigste Basis dafür ist – wie sollte es anders sein –, höchste Grobfutterqualitäten zu erzeugen und einzusetzen. Ziel ist es, die Grobfutterleistung zu steigern und dadurch den Kraftfuttereinsatz schrittweise zu minimieren.
Dauergrünlandaufwuchs konsequent zu nutzen, ist dabei eine wichtige Option. Grünlandaufwüchse besitzen die geringste Konkurrenz zu alternativen Nutzungsoptionen und zum Ackerland. Es ist jedoch zu beachten, dass Grünlandnutzung zum Teil arbeits- und energieaufwendig, verlustanfällig und von der Düngung her anspruchsvoll ist. Teilweise wird hier der schlechte Düngezustand aus vergangenen Jahren zum Verhängnis. Es gilt zu rechnen, wie viel Düngeaufwand zu welchem Ertrag und zu welchen Futterkosten führt, um hier sicheres Handeln zu begründen.
Aber Wirtschaftsdünger könnten doch jetzt helfen und aus ihrer ungeliebten Rolle zum Wertstoff mutieren?
Das ist wahrlich eine neue Entwicklung. Wer hätte gedacht, dass Wirtschaftsdünger mancherorts knapp werden und nennenswerte Erlöse erzielen. Leider beißt sich die Katze dabei etwas in den Schwanz. Die aktuell dringend angeratene Minimierung der Nährstoffüberschüsse in der tierischen Veredelung macht die Wirtschaftsdünger auch nährstoffärmer. Manch einer argumentierte mir gegenüber durchaus: Wir halten lieber etwas vor, dann reduzieren wir das Risiko in der Tierernährung und werten die Gülle auf. Das ist jedoch aufgrund der enormen Verluste an Stickstoff und Phosphor bei der Veredlung und angesichts der Beeinträchtigung der Tiergesundheit kontraproduktiv. Dann sollte derjenige lieber gleich mit den überschüssigen Futtermitteln düngen.
In der bekannten Rubrik „Aktueller Futterrat“ werden wir in der folgenden Zeit auf die besondere Situation bezogene Tipps für Tierhalter geben. Dafür nutzen wir gern auch Ihre Ideen und Erfahrungen sowie Kurzbeiträge aus Beratung, Praxis und angewandter Forschung. Ihre Zuschriften bitte an diese E-Mail-Adresse: bauernzeitung@bauernzeitung.de