Neue TierschutztransportVO

Kälbertransport: Vierzehn Tage später auf Tour

Tierschutztransportverordnung: Kälber dürfen ab September 2022 erst ab dem 28. Tag transportiert werden. Das bringt Probleme in räumliche und zeitliche Kapazitäten bei variierenden Kälbergewichten. (c) Fritz Dietrich
Tierhaltung
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Die Wogen schlugen hoch. Viele Rinderhalter waren entrüstet über die veränderte Tierschutztransportverordnung. Grund dafür war vor allem die fehlende Einbeziehung des Berufsstandes in die Entscheidungsfindung.

Von Dr. Ilka Steinhöfel,
Sächsisches Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie in Zusammenarbeit mit der Online-Schulung Kälberschule der Tierklinik für Fortpflanzung, Freie Universität Berlin (kaelberschule.de)

Die inhaltlichen Änderungen sind sicher gut gemeint. Viel Verständnis gilt der Transportregelung bei hohen Außentemperaturen. Im Fall der Transportfähigkeit von Kälbern erst ab dem 28. Lebenstag (TierschTrVO, §10, Abs. 4) greifen die Verordnungsänderungen aber sehr empfindlich in die bestehenden Strukturen der Kälberhaltung in den Milchviehbetrieben ein (Bauernzeitung 28/2021)und laufen damit Gefahr, nicht unbedingt von Vorteil für die Kälber zu sein. Was bedeutet es nun, wenn die Kälber statt nach frühestens 14 Tagen erst nach frühestens 28 Tagen den Milchviehbetrieb verlassen dürfen?

Kälbertransport: Bester Start für Kälber

Ausgehend von den physiologischen und immunologischen Voraussetzungen kann man davon ausgehen, dass ein Kalb im Alter von 28 bis 42 Tagen robuster ist, es besser verkraftet, transportiert und umgestallt zu werden, als ein Kalb im Alter von 14 bis 28 Tagen.

Doch nicht nur das Alter entscheidet, ob ein Kalb mit zunehmendem Alter eine bessere Immunität entwickeln kann und stabiler wird. Dies hängt von sehr vielen Bedingungen im Vorfeld ab, z. B. der Vorbereitung der Kühe auf die Kalbung, den hygienischen Bedingungen zur Kalbung und nicht zuletzt von der Kolostrumversorgung der Kälber und dem Infektionsrisiko in den ersten Lebenstagen. Nur das Transportalter um 14 Tage nach hinten zu verlegen, ohne die betrieblichen Strukturen zu berücksichtigen, ist zu einfach gedacht und wird der biologischen Komplexität der Entwicklung der Kälber und ihres Immunsystems nicht gerecht.

Erhöhter Platzbedarf

Die Haltungszeit für die zum Verkauf vorgesehenen Kälber verdoppelt sich. Damit erhöht sich auch der Platzbedarf für ihre Haltung. Während die Verkaufskälber jetzt mit wöchentlicher Abholung im Schnitt 18 (14 – 21) Tage, bei 14-täglicher Abholung 21 (14 – 28) Tage auf dem Mutterbetrieb verbringen, werden es nach Inkrafttreten der neuen Regelung mindestens 32 (28–35) bzw. 35 (28 – 42) Tage sein.

Für eine Herde mit 500 Milchkühen mit circa zehn Abkalbungen pro Woche und wöchentlicher Abholung der Kälber zum Verkauf sowie Leerstandzeiten von mindestens sieben Tagen werden aktuell 20 Einzelhaltungsplätze für diese Kälber benötigt. Der Platzbedarf kann betriebsindividuell je nach Abkalberate, Einsatz von gesextem Sperma und dem Anteil an Mastanpaarungen variieren. Nach Änderung der Verordnung müssen in unserem Beispiel dann 31 Plätze bereitgestellt werden. Für die 14 Tage längere Haltungszeit entstehen damit Mehrkosten für die Investition in elf zusätzliche Haltungsplätze.

Kälbertransport: 28 Tage Kost und Logis

Dazu kommen die Kosten für den täglichen Futteraufwand (rund zehn Liter Tränkmilch, Kraft- und Raufutter, Wasser), Arbeitszeit für das Füttern, Säubern des Tränkgeschirrs, Tierkontrolle und gegebenenfalls Behandlung kranker Kälber sowie einer Umstallung entweder für die zwischenzeitlich notwendige Entmistung der Einzelbox oder für den Wechsel in eine Gruppenbox, eventuell auch noch das Anlernen an ein zweites Tränkverfahren. Die laufenden Kosten erhöhen sich damit um circa 50 – 70 Euro pro Kalb.

Kälberflaschen
(c) Fritz Dietrich

Was Nutzer der „Kälberschule“ sagten

Aktuell werden wieder Kurse der „Online-Schulung Kälberschule (kaelberschule.de)“ angeboten. Das Organisationsteam der FU Berlin hat diese Gelegenheit genutzt, die Teilnehmer zu befragen, wie sie aktuell die Haltung und den Verkauf der Mastkälber auf den Betrieben handhaben, welche Sorgen sie mit der neuen Verordnung plagen und welche Chancen sie sehen.

Im Folgenden eine vorläufige Auswertung:
Nahezu die Hälfte der Teilnehmer der Befragung verkauft ihre Mastkälber aktuell im Alter von 14 bis 20 Tagen, ein weiteres Viertel in der vierten Lebenswoche. Bei 18 % der Teilnehmer waren die Kälber bei Verkauf schon jetzt älter als 28 Tage. Erstaunlich ist, dass zwei Drittel der Befragten angaben, dass schwere Kälber aus der Milchviehhaltung schon jetzt besser bezahlt würden als leichte. Die Preise für schwarzbunte Kälber schwankten zwischen 50 und 150 €. Mehrfach wurden Preise von 6 €/kg genannt.

Mehr als 80 % der Befragten sehen der neuen Regelung eher skeptisch entgegen. Die größten Sorgen gelten dem fehlenden Platz und damit dem Risiko, die strengen Umweltauflagen, aber auch die hygienischen Anforderungen für die Kälber nicht mehr erfüllen zu können. Nur etwas über ein Drittel der Befragten sieht aktuell Platzreserven auf dem Betrieb für die zusätzlichen Kälber.

Von der längeren Haltungszeit der Kälber auf dem Milchviehbetrieb erhoffen sich über zwei Drittel robustere und stabilere Kälber für den Verkauf. Auf die Frage, ob sie vermuten, dass sich durch die Verordnungsänderung das Tierwohl für die Kälber verbessern kann, haben 36 % der Befragten auf der fünfstufigen Skala mit 4 oder 5 geantwortet (5 = auf jeden Fall). Die Hälfte der Befragten hat aber Sorge, auf den höheren Kosten sitzen zu bleiben.

Wie die zusätzlichen kälber richtig integrieren?

Wie die zusätzlichen Kälber in das bestehende Haltungssystem integriert werden können, wird von den betriebsindividuellen Bedingungen vor Ort bestimmt. Prinzipiell können die Kälber über die gesamte Zeit einzeln gehalten werden, es sei denn, spezielle Qualitätsprogramme oder Ökobestimmungen begrenzen diese Zeit. Die Kälberhaltungsverordnung erlaubt die Einzelhaltung bis zur achten Lebenswoche. Aus immunologischer Sicht ist eine Gruppenhaltung frühestens ab der zweiten Lebenswoche, für die soziale Entwicklung spätestens ab der dritten Lebenswoche zu empfehlen.

Einzelhaltung als teure arbeitszeitfalle?

In einigen Betrieben wird es am einfachsten sein, zusätzliche Einzelhaltungsplätze zu schaffen. Ist der Platz vorhanden, könnten die Kälber in den zusätzlichen 14 Tagen in Einzelboxen oder Iglus bleiben. Es gelten dann, wie auch jetzt schon, die Mindestmaße für zwei bis acht Wochen alte Kälber von 180 cm (160) x 100 cm (90). Denn auch jetzt sind die meisten Kälber bei Abholung durch den Händler älter als 14 Tage.

Soll die Liegefläche der Kälber immer trocken sein, wird in Boxen, die gerade das Mindestmaß abdecken, innerhalb der nach neuer Regelung notwendigen fünf bis sieben Haltungswochen die Mistmatratze so hoch anwachsen, dass ein zwischenzeitliches Ausmisten notwendig wird. Außerdem ist die Einzelhaltung, bei allen Vorteilen für die Kälber in den ersten fünf bis sieben Lebenstagen, aus Sicht des Arbeitszeitaufwandes das teuerste Haltungsverfahren. Was anfänglich einfach klingt, entpuppt sich dann womöglich als Arbeitszeitfalle.

Kälberbox
(c) Annett Gefrom

höheres erkrankungsrisiko für kälber

Eine Umstallung der Verkaufskälber mit den weiblichen Zuchtkälbern in gemischte Gruppen muss ebenfalls mit Augenmaß geschehen. Eine Umstallung ist in jedem Fall Stress für das Kalb. Sie verlangt Anpassung an ein neues Haltungsumfeld, an die anderen Stallgefährten und meist auch an ein anderes Tränksystem. Werden die Kälber vorerst in kleinere Gruppen umgestellt, fällt es ihnen leichter, sich zu gewöhnen. Gerade die ersten Haltungstage in der neuen Umgebung verlangen den Tieren und den Betreuern einiges ab. Mit den zusätzlichen männlichen Kälbern steigt die Gruppengröße an, vorausgesetzt, es ist überhaupt der Platz vorhanden. Damit steigen der Stresspegel sowie der Keimdruck und die Übersichtlichkeit für die betreuenden Personen nimmt ab. Das Erkrankungsrisiko für die Kälber steigt.

Haben sich die Tiere an ihre neue Umgebung gewöhnt, erfolgt für die Verkaufskälber und Tierpfleger bald die nächste Stressphase. Sie werden aus der Kälbergruppe herausgefangen, aufgeladen und nach einem mehr oder weniger langen Transport in eine komplett neue Haltungsumwelt verbracht.

Getrenntes System: von der einzel- zur gruppenbox

Gibt es denn nun auch einen Weg ohne Arbeitszeitfallen und mit möglichst wenig Stress für Kälber und Tierbetreuer? Dieses Verfahren müsste eine fünf- bis siebentägige Einzelhaltung beinhalten, welche möglichst sanft in eine drei- bis fünfwöchige Gruppenhaltung übergeht.

Machbar ist dies mit Systemen, welche Einzelboxen durch das Entfernen der Seitenwände leicht in Gruppenboxen umwandeln können. Die Kälber genießen damit in den ersten Lebenstagen die Hygiene und den Schutz der Einzelbox und bleiben in dieser Umgebung, wenn durch Entfernen der Seitenbegrenzung aus mehreren Einzelboxen eine Gruppenbox wird (Abb.).

Abbildung: Umstellung der Kälber in kleinere Gruppen aus mehreren Einzelboxen für weniger Stress

Diese Systeme sind prinzipiell auch für die weiblichen Kälber geeignet, wenn Anzahl und Größe der Abteilungen mit dem Gesamtkonzept der Kälberhaltung übereinstimmen. In verschiedenen Betrieben gibt es hierfür schon sehr gute praktische Beispiele.

Dieses System bietet den Vorteil, dass die Größe der Kälbergruppen einfach an die Menge der wöchentlich bzw. 14-täglich zu verkaufenden Kälber oder die Anzahl der zur Reproduktion notwendigen weiblichen Zuchtkälber angepasst werden kann. Dies ermöglicht einen festen Bewirtschaftungsrhythmus, was für regelmäßig sich wiederholende Arbeitsabläufe immer von Vorteil ist. Das würde jedoch heißen, mindestens für die männlichen Kälber in neue Haltungssysteme zu investieren.

längere kälberhaltung führt zu anderen rechtsbelangen

Unberücksichtigt blieben bisher die Auswirkungen, die eine längere Haltung der männlichen Kälber auf andere Rechtsbelange hat. Jeder Betrieb verfügt über eine baurechtliche Genehmigung, in der die Anzahl der genehmigten Tierplätze angegeben ist. Wenn 50 % der Kälber nun doppelt so lange gehalten werden müssen, ist zu prüfen, ob die dafür erforderlichen Tierplätze vorhanden sind oder neu errichtet werden müssen. Letzteres hat Auswirkungen auf die von einer Tierhaltungsanlage ausgehenden Emissionen und erfordert eine entsprechende Anpassung der bau- bzw. immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Davon betroffen ist in der Folge der Anfall von Wirtschaftsdüngern und damit die nach Düngeverordnung erforderliche Lagerkapazität.

steigende transportkosten pro kalb

Diese wenige Tage längere Haltungszeit auf dem Mutterbetrieb bedeutet auch notwendige Anpassungen für den Viehhändler. Schafft es der Betrieb, die längere Haltungszeit und den damit verbundenen höheren Kälberbesatz ohne Nachteile für die Gesundheit der Tiere zu bewältigen, wird der Händler dann Kälber abholen, welche nicht mehr 50 – 55 kg schwer sind, sondern im Schnitt 65 – 70 kg wiegen.

Bei gleichbleibender Lademasse werden dann weniger Tiere transportiert werden können. Die Transportkosten pro Kalb werden steigen. Für das System auf dem Mastbetrieb wird es künftig damit noch wichtiger sein, für ausgeglichene Kälbergruppen die Herkunft der Tiere zu harmonisieren.

ANIMAL HEALTH VISION DEUTSCHLAND
Neue TierschTrVO vs. Tierschutz

Landwirte müssen Kapazitäten schaffen, um mehr Kälber zu versorgen. Sorge besteht, ob eine tierschutzkonforme Unterbringung bei kurzfristigen Übergangszeiten und anstehenden Investitionen für Stall- und Lagerkapazitäten und erhöhten Arbeitsaufwand möglich ist.

Mit Kälbern wurden bislang wenig Gewinne erzielt. Eine Förderung der Umstrukturierung gibt es nicht flächendeckend. So werden deutlich höhere Kälberpreise benötigt. Die Situation könnte dazu führen, dass die Kälber enger stehen und der Erregerdruck höher wird sowie die Übertragungswege kürzer.

Ein gutes Hygienemanagement wird umso wichtiger. Tiere, die im Sommer wenig Schatten und im Winter viel Kälte erfahren oder die nicht auf der windgeschützten Seite stehen und in Bereichen, die z. B. durch Lärm viel Stress verursachen, werden anfälliger für Atemwegserkrankungen.

Die Fütterung muss an die unterschiedlichen Energieansprüche angepasst werden. Auf vielen Milchviehbetrieben liegt die Priorität nicht unbedingt auf den Bullenkälbern, daher ist es sinnvoll, die Kälber zügig zu einem spezialisierten Aufzuchtbetrieb zu verbringen. Kälbermäster werden deutlich ältere Kälber im Tränksystem umgewöhnen müssen. Das Gewicht der Kälber wird wesentlich mehr variieren. Mäster in den Niederlanden beziehen viele deutsche Kälber und müssen Kapazitäten für ältere Gruppen schaffen. Bedacht werden sollte die „zeitnahe Tränkegabe“ am aufnehmenden Betrieb sowie eine Begrenzung der Transportdauer. AHV

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