Muttergebundene Kälberaufzucht

Kälberaufzucht: Bei Muttern schmeckt’s am besten

Kälber werden an der Mutter besser versorgt und sie besaugen sich nicht gegenseitig. Michael Götz
Tierhaltung
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Milch von den Kühen abliefern und auch noch das Kalb an der Mutter saugen lassen, mutet etwas exotisch an. Die muttergebundene Kälberaufzucht bringt aber Vorteile für Kalb, Muttertier und Landwirt, wie das Beispiel vom Tannenhof zeigt.

Von Michael Götz, Eggersriet (Schweiz)

Kälber werden auf Milchwirtschaftsbetrieben in der Regel gleich oder einige Stunden nach der Geburt von der Mutter getrennt und erst mit Kolostrum und später mit künstlichen Tränken aufgezogen. Diese Praxis hat sich so sehr etabliert, dass man kaum mehr daran denkt, Kälber über längere Zeit an der Mutter saugen zu lassen. In den letzten Jahren haben sehr naturverbundene Milchviehhalter allerdings verschiedene Varianten der sogenannten muttergebundenen Kälberaufzucht entwickelt.

Brigitte Kägi vom Tannenhof im schweizerischen Affeltrangen (Kanton Thurgau) lässt ihre Kälber sieben bis acht Wochen bei der Mutter saugen und reduziert den Mutter-Kalb-Kontakt bis zum Absetzen sukzessive.

Mutter und Kalb bleiben in der Abkalbebucht

Die ersten sieben bis zehn Tage darf das Kalb dauernd in der Abkalbebucht bei der Mutter bleiben und saugen, wann es möchte. Die Nähe des Kalbes nach der Geburt stimuliert die Kuh. „Sie ist aktiver und hat eine Aufgabe“, erklärt die Landwirtin. Sie ist auf dem Familienbetrieb zuständig für die Geburt und Betreuung der Kälber und das Besamen der Kühe.

Das Zusammensein von Mutter und Kalb fördert das Wohlbefinden und auch die Gesundheit von beiden. Besonders deutlich werde dies, wenn eine Kuh Anzeichen von Festliegen zeige. Dann bewirke die Nähe des Kalbes, dass die Kuh eher wieder aufstehe.

Auch dem Kalb bringt die Nähe zur Mutter Vorteile. Indem die Mutter das Neugeborene abschleckt, animiert sie es, schneller nach dem Euter zu suchen und zu saugen. Sie übernimmt vieles, was sonst die Landwirtin tun müsste. Ganz ohne Aufgabe bleibt diese aber nicht. Sie muss Mutter und Kalb gut beobachten. Findet das Kalb in den ersten Stunden die Zitzen nicht, weil das Euter sehr tief sitzt, dann hilft die Landwirtin mit der Flasche nach.

Zweimal täglich holt die Landwirtin die Mütter aus der Abkalbebucht zum Melkroboter. Da auf dem Tannenhof die Kühe das ganze Jahr hindurch kalben, befinden sich meistens mehrere Kühe in der Abkalbebucht.

erste, befristete Trennung

Nach dieser Phase des dauernden Zusammenseins gibt es eine erste, befristete Trennung. Dazu kommen die Kälber in eine Bucht auf Tiefstreu und die Mütter zurück zur Herde.

Die Kälberbucht liegt direkt am Laufbereich der Kühe an, sodass die Mütter Kontakt zu ihren Kälbern aufnehmen können. Sie dürfen ihr Kalb jetzt allerdings nur noch dreimal am Tag säugen. Dazu lässt die Landwirtin die Mütter und ihre Kälber in einen separaten Auslauf. Schnell sind die Kälber bei einer der Kühe und saugen. Es muss nicht immer die eigene Mutter sein, erklärt sie.

Nach dem Saugen kommen die Kühe wieder zur Herde und die Kälber in ihren Kälberschlupf zurück. Diese Phase dauert etwa fünf bis sechs Wochen. Sie richtet sich auch danach, wie viele Kühe gekalbt haben und ob genügend Platz vorhanden ist.


Muttergebundenen Kälberaufzucht: Kurz und bündig:
■ Brigitte Kägi lässt ihre Kälber sieben bis acht Wochen bei den Müttern saugen.
■ Die ersten sieben bis zehn Tage in der Abkalbebucht und dann dreimal täglich im Auslauf.
■ Das Schlecken der Kuh animiert das Kalb zum Saugen.
■ Die Mutter-Kalb-Bindung funktioniert auch beim Melken mit Melkroboter und Weidehaltung.
■ Die Kälber werden an der Mutter besser mit Milch versorgt und sie besaugen sich nicht gegenseitig.
■ Manchmal rufen Kuh und Kalb beim Absetzen nacheinander.


gesündere und besser entwickelte Kälber

„Entwickeln sich die Kälber besser als ohne ihre Mutter?“ Diese Frage beantwortet die Landwirtin mit einem klaren „Ja, viel besser“. Sie bleiben vor allem gesünder. Vielleicht liegt es daran, dass die Mütter ihren Kälbern die Abwehrstoffe liefern, solange deren Immunsystem noch schwach ist, oder auch daran, dass sie so viel trinken können, wie sie wollen.

Natürlich bleiben die Kälber bei der muttergebundenen Kälberaufzucht nicht von allen Krankheiten verschont, präzisiert sie. Ein Durchfall reguliere sich aber meistens von selbst oder mithilfe von homöopathischen Mitteln.

Muttergebundenen Kälberaufzucht: Absetzen nach fünf bis sechs Wochen

Im Alter von etwa acht Wochen werden die Kälber ganz von der Mutter getrennt. Sie kommen in einen separaten Kälberstall und erhalten Milch am Tränkeautomaten. Die ersten Tage nach dem Absetzen seien für Mütter und Kälber nicht immer einfach. Sie rufen sich gegenseitig. Besonders rufen die Kälber, die das Saugen am Automaten noch nicht gelernt und deswegen Hunger haben.

Bei den Müttern gibt es große, individuelle Unterschiede, wie sehr sie ihre Kälber vermissen. Am besten sei es, die Kälber am Abend in den Kälberstall zu bringen, wenn die Mütter beim Fressen sind. Dann realisieren diese oft erst am anderen Tag, dass das Kalb nicht mehr da ist.

Kuh startet mit Kalb besser in Laktation

Sehr unruhigen Kühen gibt die Landwirtin Zugang zu anderen Kälbern, die noch nicht abgesetzt sind. Manchmal versucht dann ein fremdes Kalb zu saugen und lenkt die Kuh so ab. Das allmähliche Absetzen ist ein Kompromiss zwischen dem Wunsch der Landwirtin, die Kühe zu melken und dem Bedürfnis von Mutter und Kalb zusammenzubleiben.

Brigitte Kägi stellt fest, dass die Kuh mit dem Kalb besser in die Laktation startet, als wenn es gleich nach der Geburt weggenommen wird. „Die Kuh kann als Mutter Stressfaktoren besser auffangen“, begründet sie dies. Dass die Kuh mehr Milch gibt, als das Kalb benötigt, sei kein Problem.

muttergebundene Kälberaufzucht: Kälber sind besser ausgefüttert

Oft halte man beim Tränken die Kälber zu kurz. „Kälber darf man nicht großhungern“, betont sie. Das Kalb trinkt an seiner Mutter nicht mehr Milch, als es verwerten kann. Bis zum Einbau des Melkroboters vor drei Jahren hat die Landwirtin ihre Kälber die ersten zwei Tage bei der Mutter gelassen und sie dann in eine Gruppe gebracht, wo sie an einer „Milchbar“, ein Behälter mit mehreren Nippeln, gefüttert wurden. Die Löcher der Nippel waren klein, sodass die Kälber kräftig saugen mussten. Es kam vermutlich deshalb schon damals kaum zu einem gegenseitigen Besaugen.

Doch das jetzige System komme dem natürlichen Verhalten besser entgegen. „Die Kälber sind nach dem Saugen entspannt. Sie sind besser gestillt als beim Saugen am Tränkenippel“, beobachtet die Landwirtin.

Auch arbeitswirtschaftlich bringt es Vorteile. Die Bäuerin muss die Milch nicht mehr aufwärmen, die Milchmenge nicht anpassen und auch kein Trinkgeschirr reinigen. „Ich finde es einfacher. Auf diese Art lassen sich Managementfehler umgehen“, fasst sie zusammen. Nicht nur die Gesundheit der Kälber, sondern auch ihre Zunahmen geben der Bäuerin Recht, denn sie mästet die meisten Tränkekälber. Diese erreichen schon nach 100 bis 120 Tagen das Schlachtgewicht. Es geht deutlich schneller als früher, als die Kälber direkt nach der Geburt von der Mutter getrennt wurden.

Exakte Messung der Leistung nicht nötig

Doch, wie lässt sich die Milchleistung der Kuh ermitteln, wenn das Kalb an ihr saugt? Familie Kägi legt keinen Wert auf die Reinzucht ihrer Kühe. Die Herde ist bunt gemischt mit Braunvieh-, Fleckvieh- Holsteinkühen und Kreuzungen. Die Milchmengenerhebungen des Melkroboters genügen den Landwirten als Anhaltspunkt, wie viel Milch ihre Kühe geben.

Wie viel Milch die Kälber trinken, können sie nur abschätzen. Selbst, wenn die Mütter die meiste Zeit auf der Weide sind – der Betrieb praktiziert die Vollweide – kommen sie zurück zu ihren Kälbern. Sie vergessen ihre Kälber im Stall nicht. Es pendelt sich ein Rhythmus ein. Da die Kälber nicht gleichmäßig an allen Vierteln saugen, bestünde beim Melken mit der Melkmaschine die Gefahr des Blindmelkens. Der Melkroboter misst den Durchfluss an jeder Zitze und hängt den Melkbecher ab, wenn keine Milch mehr fließt. So wird das Euter geschont.

Situationsbedingte Lösungen anstreben

Auch wenn Brigitte und ihr Mann Bruno Kägi die Kälber bei den Müttern saugen lassen, möchten sie noch lange nicht zur Mutterkuhhaltung wechseln. Das Hauptstandbein ihres Betriebes ist die Produktion von Käsereimilch. Es braucht etwas Mut, die Kälber saugen zu lassen und auch noch zu melken. Sie ist dabei schrittweise vorgegangen und hat Anpassungen vorgenommen.

Am besten fange man mit wenigen Kühen an und mache sich mit der neuen Situation vertraut, rät die Landwirtin. „Die Lösungen müssen situationsbezogen sein.“ Es komme darauf an, wo und wie viel Platz im Stall vorhanden ist. „Erfinderisch sein und einfache Lösungen suchen.“ Auch in einem Anbindestall könne man Mutter und Kalb in einer Abkalbebucht gemeinsam halten. Um sie zeitweise voneinander zu trennen, braucht es einen Kälberschlupf.

Ganz ohne ein „Rufen“ der Kühe beim Absetzen werde es wohl nicht gehen. Doch die Landwirtin hat den Eindruck, dass die Kühe über die Jahre hinweg lernen, wie das Absetzen geschieht und sich anpassen.

Betriebsspiegel des Tannenhofes

■ 70 Milchkühe verschiedener Rassen
■ Vermarktung vor allem als Käsereimilch
■ zwei Drittel Mastbesamungen, ein Drittel Nachzucht
■ Damwild: 50 Muttertiere plus Jungtiere (Direktvermarktung)
■ 65 ha landwirtschaftliche Nutzfläche, 40 ha Grünland mit 23 ha Kunstwiese, 12 ha Weide und 5 ha Ökofläche, 20 ha Ackerland mit 12 ha Weizen und 8 ha Mais, 5 ha Wald
■ Lohnunternehmen für Mähdreschen und Ballen pressen
■ Arbeitskräfte: Betriebsleiter-Ehepaar Kägi mit Lehrling
■ Söhne Cédric (Landmaschinenmechaniker) und Morris Kägi (Landwirt) als Aushilfen und im Lohnunternehmen


Weitere Informationen zur muttergebundenen Kälberaufzucht gibt es hier


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