Umbau der Tierhaltung

Nutztier-Forum in MV: Gewinner und Verlierer

Die Milchleistung von Kühen ist auch abhängig von der Haltungstemperatur – hier ein Melkkarussell der Firma DeLaval in der Agrarprodukte GmbH Krumhermersdorf. © Sabine Rübensaat
Tierhaltung
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Beim Nutztier-Forum in Dummerstorf diskutierten Experten über den Umbau der Tierhaltung. Alle waren sich einig, dass sich in Zukunft die Sicht auf die Tiere ändern wird.

Von Dr. Peter Sanftleben, LFA MV

Das Nutztier-Forum am FBN in Dummerstorf hatte sich das Ziel gesetzt, den Kenntnisstand zum Thema Tierwohl zusammenzutragen, um Handlungsanweisungen und Empfehlungen für den nötigen Umbau der Tierhaltung in Deutschland zu geben. Dazu trafen sich Anfang März etwa 150 Vertreter von Wissenschaft, Politik, Beratung, Verbänden, Industrie und Praxis auf Einladung des Forschungsinstituts für Nutztierbiologe (FBN) und der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei MV (LFA).

Als Nachfolgeveranstaltung des Wilhelm-Stahl-Symposiums am Standort wurde in vier Blöcken der aktuelle Wissensstand dokumentiert. Grußworte aus den Landwirtschaftsministerien von Bund und Land Mecklenburg-Vorpommern offenbarten, dass die Sichtweise auf die notwendige politische Flankierung einer Transformation der Landwirtschaft sehr different ist. Passend hierzu äußerten sich die Referenten im ersten Block des Forums.

Prof. Christine Wieck (Universität Hohenheim) zeigte für die Tierschutzpolitik im Spannungsfeld zwischen Staat und Markt, dass der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) schon jetzt wichtige Weichen stellt, wo die Politik nicht vorankommt. Aber auch LEH-Initiativen lassen Lücken wie die vollständige Produktabdeckung oder Emissionen aus der Tierhaltung.

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Nutztier-Forum: Haltungsform-Kennzeichnung und der Wunsch nach Bildern

Ein marktgetriebener Umbau würde auf der landwirtschaftlichen Ebene sowohl Gewinner als auch Verlierer schaffen, weil einige profitieren könnten und andere den Umbau nicht stemmen würden. Dr. Sarah Kühl (Universität Göttingen) ging auf den „Verbraucher“ ein, dessen Verhalten sich gravierend von seinen Einstellungen unterscheidet (Tabelle 1).

Tabelle 1: Tierwohl

Sie zeigte, dass es generell zu viele Label gibt und der Verbraucher maximal vier Label als Orientierung nutzen kann. Die Haltungsformkennzeichnung und der Nutriscore erfüllen viele relevante Anforderungen an ein Label. Gewünscht werden sich am Verkaufspunkt mehr Informationen auch in Form von Bildern, allerdings ist die Aufnahmefähigkeit begrenzt und die heterogenen Haltungssysteme sind sehr herausfordernd. Der Staat ist hier gefordert, besser aufzuklären und zu informieren.

Tiergerchtigkeit: Sich auf eine Basis mit Fokus Tier veständigen

Um Tiergerechtheit beurteilen zu können, muss ein einheitliches Begriffsverständnis zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit hergestellt werden, so Prof. Ute Knierim (Universität Kassel). Dafür sind valide Indikatoren zu verwenden, die vor allem die Tiere stärker in den Fokus nehmen. Den Zusammenhang von Tierwohl und Ökonomie betrachtete Prof. Harald Grethe (Humboldt-Universität Berlin), der zeigte, dass Politik momentan bremst und verzögert, obwohl viele machbare und geprüfte Vorschläge auf dem Tisch liegen, u. a. von der Borchert-Kommission, in der er mitgewirkt hat.

Milchbeirat
Genügend Zeit zum fachlichen Austausch: Prof. Klaus Wimmers – FBN, Prof. Helen Louton – Uni Rostock und Dr. Peter Sanftleben – LFA (v.l.). © O. Bellmann

Verhaltensforschung: Tierwohl erfassen

Forschungsansätze zum Tierwohl aus verhaltensbiologischer Perspektive stellte Prof. Birger Puppe (FBN) vor. Er geht davon aus, dass sich die Sichtweise auf Tiere in Zukunft deutlich ändern wird. Dies kann erhebliche Konsequenzen für die Haltung und den Umgang mit Nutztieren haben. Dabei geht es auch um eine gesamtgesellschaftlich konsensfähige Lösung, die Finanzierungsstrukturen nicht außer Acht lassen darf.

Angela Bergschmidt (Thünen Institut Braunschweig) stellte die aktuelle Diskussion zur Umsetzung eines nationalen Tierwohl-Monitorings vor. Einbezogen werden die Bereiche Haltung, Transport und Schlachtung, dies für die Tierarten Rind, Schwein, Huhn, Pute, Schaf, Ziege, Regenbogenforelle und Karpfen, unter Berücksichtigung von Tierwohl-Begleitindikatoren. Ziel soll es sein, ein objektives Bild zu Status quo und Entwicklung des Tierwohls zu bekommen und dringendste Tierwohlprobleme zu identifizieren. Gesetzesgrundlage, Umsetzungsmechanismen und Finanzierungsquellen gibt es dazu bisher nicht.

Auf eine Foto- und Videoreise nahm Miriam Lechner (Hofra) die Besucher mit, die mit praktischem Sachverstand und wissenschaftlicher Erläuterung Schwachstellen im Schweinestall aufdeckte. Sie gab auch konkrete Hinweise, worauf es ankommt, um Tiersignale für eine Verbesserung der Tiergesundheit zu nutzen.

Die Wärmebildkamera kann dabei ein guter Helfer sein. Prof. Helen Louton (Universität Rostock) ging auf aktuelle Schwachstellen im Bereich der Geflügelhaltung ein. Dabei ist eine Mechanisierung des Fangens der Tiere ein Beispiel dafür, was unternommen wird, um schwere körperliche Arbeit zu minimieren und gleichzeitig Wohlergehen zu maximieren.

Milchleistung und Hitze-Stress bei Kühen

In der PraeRi-Studie wurden Tiergesundheit und Tierwohl von Milchkühen in Deutschland analysiert. Prof. Martina Hoedemaker (Tierärztliche Hochschule Hannover) zeigte an einer Stichprobe von etwa 124.000 Kühen aus 765 Betrieben und bei einer durchschnittlichen Milchleistung von 8.658 kg je Kuh und Jahr, dass es immer noch Erkrankungsrisiken für Euterentzündungen, Stoffwechselstörungen und Lahmheiten gibt.

In der Diskussion zeigte sich, dass dafür nicht die Betriebsgröße oder Herdenleistung verantwortlich gemacht werden können, sondern das Management und die Umweltgestaltung entscheidenden Einfluss ausüben. Die Entwicklung des Klimas führt auch in Deutschland zu einer Zunahme von Hitzeperioden und in der Folge vor allem bei Milchkühen zu Hitzestress, machte Dr. Franziska Koch (FBN) deutlich. Der Temperatur-Luftfeuchtigkeits-Index (THI) ist dabei ein geeigneter Parameter zur Charakterisierung des Risikos für Hitzestress.

Die optimale Haltungstemperatur wird von der Milchleistung in erster Linie bestimmt, aber auch Laktationsphase, Trächtigkeit und Laktationsnummer spielen eine Rolle. Je höher die Leistung, desto geringer die Temperatur für eine Komfortzone. Die Milchkuh reagiert bereits bei Stalltemperaturen von 8–10 °C. Steigende Temperaturen können auch die Gefahr von Tierseuchen und bisher in Deutschland unbekannten Erregern erhöhen. Eine Übersicht hierzu gab Dr. Timo Homeier-Bachmann (Friedrich-Loeffler-Institut Riems). Biosicherheit und ständige Schulung der Mitarbeitenden mit Nutzung von Checklisten können vorbeugend wirken.

Smarte Schweine-Haltung mit Sensoren

Prof. Imke Traulsen (Universität ­­Kiel) beschrieb in ihrem Beitrag den Weg zu einer smarten Schweinehaltung. Sie konstatierte, dass bei einer sinkenden Anzahl von Schweinen und Betrieben die Bestände gleichzeitig größer werden und viele digitale Technologien und Sensoren verfügbar sind. Problem ist die unzureichende Vernetzung und Kommunikation zwischen Sensoren und Systemen. Gute Beispiele in der Entwicklung sind die integrierte Bewertung des Stallklimas, das Monitoring des Tierverhaltens (Schwanzbeißen, Fressen, Interaktion …) mit KI-basierter Videobildauswertung oder akustischen Systemen zur Früherkennung von Schwanzbeißen. Auch das Geburtsmonitoring kann KI-basiert mit einer Bestimmung des Geburtsbeginns genutzt werden.

Bei Milchkühen ist jede Kalbung eine schwierige und risikobehaftete Phase für Kuh, Kalb und Betreuer. Dr. Anke Römer (LFA) stellte die Frage, wie sinnvoll es ist, die Laktation bei Milchkühen bewusst zu verlängern und so die Anzahl dieser Risikophasen zu verringern (Tabelle 2). Unter Nutzung der Testherdendaten der RinderAllianz (über 200.000 Kühe; mehr als drei Millionen Behandlungs- und Befunddaten) konnte sie zeigen, dass bei Kühen mit hoher Milchleistung mit zunehmender Rastzeit der Besamungsaufwand und die Verzögerungszeit abnehmen.

Tabelle 2: Laktation

Nutztier-Forum: App ermittelt Besamungsstart

Je länger die Zwischenkalbezeit, desto höher Lebensleistung und Nutzungsdauer. Werden Kühe nun gezielt später besamt, steigen mit längerer freiwilliger Wartezeit die Brunsterkennungsrate und der Erstbesamungserfolg. Auch die Milchleistung je Kuh und Jahr erhöht sich. Über das von der BLE geförderte Projekt „VerLak“ wurde eine frei verfügbare App entwickelt, die es ermöglicht, einen tierindividuellen Besamungsstart zu ermitteln.

Stall der Zukunft

Abschließend präsentierte Prof. Lisa Bachmann (FBN) ihre Vision von einem Stall der Zukunft für gesunde und glückliche Kühe. Dieser am Standort Dummerstorf geplante Stall sollte über eine BLE-Ausschreibung finanziert werden, die schwierige Haushaltssituation im Bund macht eine Verwirklichung derzeit unsicher.

Das Nutztier-Forum offenbarte, dass es nur bei ganzheitlicher Betrachtung und klarer Definition der Zielstellung der Ausrichtung der Nutztierhaltung in Deutschland Antworten geben kann, die ausgehend von einer wissenschaftlichen Bewertung, der Abschätzung der Machbarkeit und bei politischer Flankierung die Praxis erreichen können. In zwei Jahren wird es das nächste Forum geben, angeregt wurde, dann das Thema Klimaschutz als Schwerpunkt zu wählen.

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