Blick über die Grenzen

Wisconsin: Unterwegs im Milchland der USA

Auf der Farm findet man alte und neue Gebäude nebeneinander. (c) Fritz Fleege
Tierhaltung
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Der Bundesstaat Wisconsin wird auch das Milchland der USA genannt. Jeder siebente Liter Milch wird dort gemolken. In Spitzenbetrieben wie bei Hank und Shawn Wagner geben die Kühe sogar über 45 Liter pro Tag.

Eine Reportage von Fritz Fleege

Die Milchviehbetriebe in Wisconsin  waren im letzten Jahrzehnt einem starken Strukturwandel unterworfen. Aufgrund der niedrigen Milchpreise um 35 US-ct/kg stellten viele Farmen die Milchproduktion ein. Nur die Besten mit hoher Produktivität und niedrigen Kosten konnten da mithalten. So ist die Anzahl der Betriebe in den letzten zehn Jahren von etwa 14.000 auf 9.000 geschrumpft.

Farmerfamilie Wagner
Hank und Laura Wagner (c) Fritz Fleege

Die verbliebenen Farmen haben allerdings investiert  und den Kuhbestand aufgestockt. So werden nach wie vor etwa 1,3 Millionen Kühe gehalten. Sie geben im Durchschnitt pro Jahr über 11.000 kg Milch. Die besten Betriebe melken im Herdendurchschnitt über 45 kg Milch je Kuh und Tag.

Sieben davon haben wir auf einer Tour des Innova­tionsteams Christiane Brandes aufgesucht. Jeder wirtschaftet zwar etwas anders, sie verfügen aber durchweg über hochleistende und gesunde Herden. Nigel Cook von der Universität Wisconsin hat dazu die Daten analysiert. Die wichtigsten acht Punkte sind: beste Futtergrundlage, sichere Technologien, gut ausgebildete Angestellte sowie Minimierung von Lahmheiten, hohe Trächtigkeitsraten, gute Herdengesundheit, exzellente Eutergesundheit und Vermeidung von Hitzestress.

Milchproduktion in Wisconsin

Einer dieser Betriebe, über den hier berichtet wird, ist der von Hank und Shawn Wagner in Middletown. Dort werden etwa 700 Holsteinkühe gehalten. Die gemolkenen Kühe kommen sogar auf einen Herdendurchschnitt von 52 kg Milch je Tag, was einer Jahresleistung von weit über 15.000 kg Milch je Kuh entspricht. Angefangen mit der Milchviehhaltung hatte dort in den 1920er-Jahren der aus Deutschland  stammende Großvater von Wagner. Der Vater baute dann in den 1950er-Jahren einen Anbindestall für 65 Kühe. Hank und Shawn haben anschließend den nächsten großen Schritt gewagt und einen neuen Kuhstall mit 350 Plätzen errichten lassen.

Geplant wurde dieser von Tierarzt Dr. Jordon Jones aus Wisconsin, der großen Wert auf Kuhkomfort legt, Milchviehbetriebe in der ganzen Welt berät und schon häufig zu Gast in Deutschland war.  Die Erweiterung machte sich erforderlich, weil auch Wagners Töchter Shawn und Laura (für Tiere zuständig) sowie Partner Tailor (Farmmanager) in das Unternehmen einstiegen. Einige Mitarbeiter kommen aus Mexiko. 

Ein Hybridstall für jede Wetterlage

Wisconsin Milch - der Stallbau ist ein Geheimnis
Gordon Jones hat den Hybridstall bei Wagners geplant. (c) Fritz Fleege

Vor zwei Jahren ist ein weiterer Stall gebaut worden, ein sogenannter Hybridstall für jede Wetterlage. In Wisconsin sind die Winter lang und bis zu -30 °C kalt. Dagegen können im Sommer Spitzentemperaturen von fast 40  °C erreicht werden. Das Ziel von Dr.  Jones war es daher, trotz der großen Temperaturunterschiede drei grundsätzliche Bedingungen für die Kühe zu schaffen: kein Hitzestress für die Kühe im Sommer, kein Frost im Stall während des Winters und gleichmäßig gute Luft über das ganze Jahr in allen Stallbereichen.

Daher wurden im Hy­bridstall zwei Lüftungssysteme kombiniert: die natürliche Lüftung und die Überdrucklüftung.  Die klassische, natürliche Lüftung funktioniert über offene Seitenwände und den First. Das reicht aber im Sommer nicht aus. Dann lässt sich bei Bedarf das System in eine Art Überdrucklüftung umwandeln. Dafür sind an den Seiten unter der Traufe, die 5 m hoch ist, Ventilatoren angebracht und unter dem First noch große Horizontallüfter installiert.  Das Dach ist isoliert und die offenen Seitenwände kann man mit Curtains verschließen. Thermostate steuern automatisch alle Lüfter.

Das System kann im Sommer bei geschlossenen Toren die gesamte Stallluft in Etappen bis einmal pro Minute austauschen. So müssen die Kühe auch bei hohen Außentemperaturen nicht unter Hitzestress leiden. Im Winter stehen die Traufventilatoren still. Unter -10 °C Außentemperatur erfolgen nur noch vier Luftaustausche pro Stunde. Auch bei -30 °C ist der Stall noch frostfrei.

Wisconsin Milch Stall
Die Kühe fühlen sich wohl auf Sandbetten (c) Fritz Fleege

Zusätzlich laufen dann die Horizontallüfter über dem Futtertisch und drücken die warme Luft von der Decke in den Lauf- und Liegebereich herunter. Zu beiden Seiten des Futtertisches sind ein Fressgang, eine Doppelliegeboxenreihe und ein Laufgang angeordnet.  Die Tiefliegeboxen sind mit Sand gefüllt und werden täglich gereinigt. 

Wagners sehen in dem Hy­bridstall im Vergleich zum alten Stall viele Vorteile. Wenn die Kühe früher bei Hitze in Gruppen an den kühleren Orten zusammenstanden, sind sie nun gleichmäßig in den Liegeboxen oder am Trog verteilt. Die Leistung ist deutlich gestiegen und man rechnet bald mit 55 kg Milch je Kuh und Tag. 

Grundfutter von höchster Qualität

Neben komfortabler Unterbringung zählt dazu vor allem die Erzeugung von Grundfutter höchster Qualität. Wagners verfügen über 550 ha Land, wo vor allem stärkereicher Silomais und eiweißreiche Luzerne angebaut werden. Die neuen Maissorten (Brown Ribs) enthalten mehr verdauliche Stärke (36–38 %) und die Luzernesorten weniger Lignin. Die Luzerne muss auch nur noch dreimal im Jahr geschnitten werden und lässt sich leichter konservieren, was Kosten sparen hilft. Kraftfutter wird nach Bedarf zugekauft. 

Kühe, die über 45 kg Milch je Tag geben, müssen wie Hochleistungssportler ernährt werden. Daher ist die präzise Rationsgestaltung äußerst wichtig. Das gelingt nur, wenn alle Futterkomponenten exakt analysiert werden. Wagners wichtigster Partner dafür ist das Rock River Laboratory in Watertown (Wisconsin). Im Futterhaus werden die Mischrationen zusammengestellt, zwei unterschiedliche für Trockensteher und eine für laktierende Kühe. Frischlaktierende erhalten noch einen Zuschlag. Im Durchschnitt werden 24 kg Trockenmasse je Kuh und Tag verabreicht.  Der Anteil an Grundfutter beträgt 60 %. Kühe mit hoher Leistung können täglich mindestens 30 kg Trockenmasse aufnehmen.  Die Tiere stehen fast immer vor gefüllten Krippen. 


Große Parade auf der World Dairy Expo

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Gemolken werden die Kühe dreimal täglich in einem Side-by-Side- Melkstand mit 2 x 16 Plätzen. Besonderen Wert legt man auf hohe Eutergesundheit. Die durchschnittliche Zellzahl der abgelieferten Milch liegt bei 200.000/ml. Problemkühe werden im alten Melkhaus behandelt. Unter besonderer Beobachtung stehen die Abkalbenden und Frischabkalber. Für diese stehen im alten Stall eingestreute Boxen zur Verfügung, die ständig überwacht werden. Jeder kann bei Wagners Geburtshilfe leisten. Das erklärt auch, dass es bei Kühen kaum Totgeburten gibt und bei Färsen nur 3 %. Über jede Abkalbung wird ein Geburtsprotokoll geführt. Die Neugeborenen werden trocken gerieben und ihr Nabel desinfiziert. Über eine Rutsche gelangen sie dann in den Außenbereich. 

Kälber wollen einen Kumpel haben

Kälber werden paarweise gehalten
Die Kälber kommen zu zweit in die Iglus. (c) Fritz Fleege

Im Außenbereich sind Iglus aufgestellt, wo die Jungtiere paarweise unterkommen. Dort erhalten sie als erstes 4 l Kolostrum gedrencht. Danach gibt es täglich dreimal 4 l Vollmilch aus Edel­stahl­eimern ohne Nuckel (wegen der Hygiene). Mit dem Refraktometer wird der Feststoffanteil in der Tränkmilch kontrolliert und bedarfsweise mit Milchaustauscher auf 12 bis 14 % ausgeglichen. Wasser bekommen die Kälber wegen der hohen Flüssigkeitsaufnahme erst nach der ersten Milchphase. Zur freien Aufnahme erhalten die Jungtiere Kälberstarterfutter mit 22 % Eiweiß. Nach der sechsten bis zur zehnten Lebendswoche erfolgt das Abtränken. Dann haben die Tiere auch Zugang zum Wasser. 

Laura Wagner liegt die Kälberaufzucht besonders am Herzen. Sie ist von der Paaraufstallung fest überzeugt. „Kälber wollen einen Kumpel haben. Sie lernen voneinander und nehmen besser zu.“ So kommen manche bis bis zum Alter  von zehn Wochen auf Tageszunahmen von 1.200 g und sind dann zum Absetzen 130 kg schwer. Durchfallprobleme werden kaum verzeichnet. Neben der Mutterschutzimpfung erfolgen zwei Impfungen gegen Lungenentzündungen. Die Iglus werden dreimal in der Woche eingestreut und einmal im Monat gereinigt. Auch nach dem Absetzen der Tiere aus dem Iglu bleiben sie im Kälberstall als Paare in größeren Gruppen zusammen. Sie nehmen weiterhin besser zu und geben später mehr Milch. „Wir stellen sie auch in den Erstkalbegruppen möglichst wieder zusammen. Man findet sie später als Kühe oft noch gemeinsam.“

Wisconsin Milch - viel Platz für die Jungtiere
Nach dem Absetzen geht es gruppenweise in den Stall (c) Fritz Fleege

Jungvieh nach Nebraska ausgelagert

Eine Besonderheit des Betriebes Wagner ist allerdings, dass sie ihr Jungvieh ab dem achten Lebensmonat von Wisconsin nach Nebraska auslagern. Die Aufzucht ist dort günstiger, da die Jungrinder dort aufgrund des trockenen Klimas nur in Feedlots unter freiem Himmel untergebracht werden und keinen Stall brauchen. Im siebenten Trächtigkeitsmonat kommen die Tiere wieder zurück zu Wagners nach Middletown.

Das durchschnittliche Erstkalbealter liegt bei 23 Monaten und die Remontierungsrate bei 28 % . Die Erstkalbinnen in der Herde werden mit gesextem Sperma (HF-Kuhkalb) und die Altkühe mit Sperma von Angus- oder Limousinbullen besamt, um Mastkälber zu erzeugen.  Schließlich bringen eine Woche alte HF-Bullenkälber nur 30 bis 50 US$ je Tier und gleichaltrige Mastkälber 200 US$. Für die Milch bekommen Wagners derzeit 34 US-ct/kg Milch, womit sie gerade über die Runden kommen.

Wagners nennen abschließend die drei wichtigsten Gründe ihres Erfolges:

  • Leute im Betrieb haben, die mit Lust und guter Laune arbeiten.
  • Visionen und Ziele verfolgen, die zum Vorteil von Familie und Unternehmen sind.
  • Für Tierwohl und Kuhkomfort sorgen, was zu steigenden Leistungen beiträgt.