Tierarzneimittelgesetz: Änderungen im Überblick
Das geänderte Tierarzneimittelgesetz nimmt die Halter aller Rinder, Schweine, Hühner und Puten durch weitere Nutztierkategorien, vor allem aber die Tierärzte stärker in die Pflicht. Ein Überblick.
Von Detlef Finger
Seit Jahresbeginn gilt in Deutschland das Tierarzneimittelgesetz (TAMG) in seiner erstmalig geänderten Fassung. Das novellierte Regelwerk zur Erhebung von Daten über antibiotisch wirksame Arzneimittel und zur Änderung weiterer Vorschriften war Anfang Dezember vom Bundestag mit den Stimmen der Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP verabschiedet worden und hatte am 16. Dezember 2022 den Bundesrat passiert.
Das „alte“ TAMG, das vom 27. September 2021 datiert, galt erst seit 28. Januar 2022. Weitestgehend negiert wurden im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vehemente Einwände der landwirtschaftlichen Praxis und der Bundesverbände der Tierärzte, die für beide Seiten zusätzliche Belastungen, vor allem einen noch höheren bürokratischen Aufwand sehen. Die Veterinäre bezeichneten das neue TAMG als „Bürokratiemonster“.
Antibiotikareduzierung im Fokus
Mit den beschlossenen Änderungen im Gesetz wird das nationale Antibiotikaminimierungskonzept (ABM), das mit der 16. Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) im Jahr 2014 eingeführt wurde, für die Tierhaltung aktualisiert, erweitert und nachgeschärft. Die Notwendigkeit hierfür ergibt sich nach Ansicht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) primär aus der Problematik der Antibiotikaresistenzen und speziell auch aus der Ende 2022 vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vorgelegten Auswertung zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermast (Kasten 1).
Das ABM, ein Benchmarkingsystem, das bisher ausschließlich für die Tiermast bei Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten galt, wird künftig durch Einführung weiterer Nutzungsarten auf alle Tiere dieser Tierarten ausgeweitet, so auch Milchkühe, Sauen mit Saugferkeln und Legehennen. Dort sollen ebenfalls Antibiotikaanwendungen erfasst und systematisch reduziert werden.
Mit den neu festgesetzten Bestandsuntergrenzen sollen jeweils ca. 95 % der Tiere dieser Nutzungsarten erfasst werden. Neben diesem System der Verringerung des Antibiotikaeinsatzes wird aufgrund der Vorgaben der EU als neues Element die Beobachtung eingeführt. Zentraler Baustein dieser Antibiotika-Verbrauchsmengenerfassung (ABV) ist die halbjährliche Erfassung von Daten zu jeder Behandlung von Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten mit antibiotischen Arzneimitteln – unabhängig von deren Nutzungsart oder der Größe des Tierbestandes, in dem diese Nutztiere gehalten werden.
Meldepflichtig für diese Anwendungsdaten sind künftig die Tierärztinnen und Tierärzte. Diese oder von ihnen beauftragte Dritte, z.B. QS-Bündler, müssen seit 1. Januar die Verbrauchsmengen antibiotisch wirksamer Arzneimittel (auf Packungsebene), die bei den genannten Tierarten verschrieben, abgegeben oder angewendet werden, erfassen und elektronisch an die nationale Tierarzneimittel-Datenbank im Herkunftssicherungs- und Informationssystem für Tiere (HIT-TAM) melden.
Da hierfür keine Bestandsuntergrenzen gelten, ist jede Antibiotikabehandlung zu melden, z.B. auch bei Legehennen privater Hobbyhalter. Der Meldeinhalt ist für jede Behandlung gleich und, dem Prinzip „Once-only“ Rechnung tragend, so festgelegt, dass er für die Erfüllung folgender drei Zwecke geeignet ist: a) Antibiotikaminimierung, b) vergleichende Beobachtung und Bewertung des Antibiotikaeinsatzes über alle Nutzungsarten, c) Meldung der Verbrauchsmengen an antimikrobiellen Arzneimitteln an die Europäische Arzneimittelagentur (EMA).
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EU-Recht gibt Vorgaben
Letzteres (Buchstabe c) ist geltendes EU-Recht, das mit der Neufassung des TAMG ebenfalls umgesetzt wird. Die Europäische Tierarzneimittelverordnung VO (EU) 2019/6 sieht vor, dass alle EU-Mitgliedstaaten ab 2023 Daten zu Antibiotikaverbrauchsmengen bei allen Nutzungsarten von Rind, Schwein, Huhn und Pute (als bedeutendste Tierarten für die Lebensmittelgewinnung) erheben und, beginnend ab dem Jahr 2024, jährlich an die EMA übermitteln.
Die Daten werden hierfür vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) aufbereitet. Ab 2026 werden darüber hinaus auch die Antibiotikaverbrauchsmengen für Enten, Gänse, Schafe, Ziegen, Flossenfische (entsprechend der Verordnung) und Pferde sowie für Kaninchen, die der Lebensmittelgewinnung dienen, erfasst und ab 2027 ebenfalls an die EMA übermittelt. Ab 2029 werden außerdem die Antibiotikaanwendungen bei Haustieren (Hunde und Katzen) sowie Pelztieren (Nerze und Füchse) in diese Erfassung einbezogen.
Tierärzte in der Pflicht
Mit dem geänderten TAMG ging die Meldepflicht für Antibiotikaverwendungen im Rahmen des Antibiotikaminimierungskonzeptes ab 1. Januar 2023 von den Tierhaltenden auf die Tierärzte über. Dies vor dem Hintergrund, dass Letztere über das erforderliche Fachwissen verfügen, um Informationen über angewendete Präparate und Wirkstoffe korrekt weiterzugeben. Seit 2014 waren Halter von Masttieren gemäß der 16. AMG-Novelle verpflichtet, halbjährlich Angaben zu ihren Tierzahlen und Antibiotikaanwendungen mitzuteilen.
Tierhalter-Erklärung und Vollmacht für den Tierarzt für diese Meldung sind nun nicht mehr generell notwendig, da der Veterinär zu dieser Meldung gesetzlich verpflichtet ist. Welche Arzneimittel mitteilungspflichtig sind, wird im neuen Tierarzneimittelgesetz ebenso definiert wie auch die Daten, die für jede Verwendung (Verschreibung, Anwendung oder Abgabe) erfasst werden müssen. Die elektronische Übermittlung an die nationale HIT-TAM-Datenbank erfolgt halbjährlich und muss spätestens 14 Tage nach Ende des jeweiligen Halbjahres (bis 14. Juli bzw. bis 14. Januar) vorgenommen werden. Dies kann auf verschiedenen Wegen erfolgen.
Was melden Tierhalter?
Berufs- oder gewerbsmäßige Halter von Rindern, Schweinen, Hühnern und Puten bestimmter Nutzungsarten nach Anlage 1 Spalte 3 TAMG (nicht mehr nur Masttiere!), die die neu festgelegten Bestandsuntergrenzen überschreiten, unterliegen weiter einer Mitteilungspflicht nach dem Antibiotikaminimierungskonzept.
Die Tierhalter bzw. von ihnen betraute Dritte melden ab 2023 jedoch nur noch Nutzungsart und Tierbestand (erstmals bis 14. Januar 2023 bzw. spätestens 14 Tage nach Aufnahme der Haltung) sowie Tierbestandsveränderungen (Zugänge, Abgänge, einschließlich verendete und getötete Tiere) in die Datenbank HIT-TAM. Diese Mitteilungen sind ebenfalls kalenderhalbjährlich mit den bereits genannten Fristen vorzunehmen.
Sind bei den Nutztieren keine antibiotisch wirksamen Arzneimittel angewendet worden, ist der Tierhalter oder der von ihm delegierte Dritte verpflichtet, dies ebenfalls mitzuteilen (sogenannte Nullmeldung; diese gilt bereits seit 1. November 2021).
Betriebliche Indexwerte
Aus den Meldedaten zu den antibiotischen Behandlungen (Tierarzt) und Tierbewegungen (Halter) errechnet die HIT-TAM-Datenbank die betriebliche halbjährliche Therapiehäufigkeit, bezogen auf die im jeweiligen Betrieb gehaltenen Tiere der jeweiligen Nutzungsart, und zeigt sie dem Tierhalter bis spätestens 1. August für das erste bzw. bis spätestens 1. Februar für das zweite Kalenderhalbjahr an.
Die gemeldeten Daten gehen zur Auswertung außerdem in anonymisierter Form an das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit und an das Bundesinstitut für Risikobewertung zum Zweck der Risikoabschätzung auf dem Gebiet der Antibiotikaresistenz.
Neu: Wichtungsfaktoren
Antibiotika, die aufgrund ihrer therapeutischen Relevanz eine kritische Bedeutung haben (Colistin, Fluorchinolone, Cephalosporine der 3. und 4. Generation) gehen in die Berechnung der Therapiehäufigkeit nunmehr mit einem Wichtungsfaktor ein. Bei Antibiotika mit kritischer Bedeutung ist jeder Behandlungstag mit dem Faktor drei zu multiplizieren.
Für Antibiotika, die je Behandlungen einmalig angewendet werden und einen therapeutischen Wirkstoffspiegel von über 24 Stunden aufweisen (One-Shot-Präparate), ist jeder Behandlungstag mit dem Faktor 5 zu multiplizieren. Für Tierärzte und Tierhalter werde damit das Signal gesetzt, die Anwendung dieser für die Humanmedizin besonders bedeutsamen Antibiotika auf ein unvermeidbares Minimum zu reduzieren, betonte das Bundeslandwirtschaftsministerium.
Dokumentationsdruck für Betriebe
Das BVL errechnet aus den mitgeteilten Angaben über die betrieblichen halbjährlichen Therapiehäufigkeiten jährlich für jede Nutzungsart, die nach Anlage 1 Spalte 3 TAMG unter das Benchmarking fällt, als bundesweite Kennzahl 1 den Wert, unter dem 50 % aller erfassten betrieblichen halbjährlichen Therapiehäufigkeiten liegen (Median), und als bundesweite Kennzahl 2 den Wert, unter dem 75 % aller erfassten betrieblichen halbjährlichen Therapiehäufigkeiten liegen (drittes Quartil).
Beide Kennzahlen veröffentlicht das BVL bis zum 15. Februar des Folgejahres auf seiner Internetseite – für das jeweilige vorangegangene Kalenderjahr. Tierhalter haben dann halbjährlich – spätestens am 1. März bzw. 1. September eines jeden Jahres – festzustellen, ob ihre betriebliche Therapiehäufigkeit im vorangegangenen Kalenderhalbjahr für die jeweilige Nutzungsart nach Anlage 1 Spalte 3 des Gesetzes oberhalb der bundesweiten Kennzahl 1 oder 2 liegt und dies unverzüglich in ihren Betriebsunterlagen zu dokumentieren.
Haltungsverbot möglich
Überschreitet der betriebliche Wert die bundesweite Kennzahl 1, hat der Tierhalter mit seinem Tierarzt die Ursachen für den häufigen Antibiotikaeinsatz zu ermitteln, um diesen zu reduzieren. Wird im Betrieb die bundesweite Kennzahl 2 überschritten, haben beide (Tierhalter und Tierarzt) zusammen einen Maßnahmenplan zur Verringerung des Antibiotikaeinsatzes mit klaren Umsetzungsfristen zu erstellen und diesen der zuständigen Überwachungsbehörde unaufgefordert und fristgerecht zu übermitteln.
Neu ist, dass die zuständige Behörde zum einen nun verpflichtet ist, mindestens eine Anordnung zu treffen, und zum anderen anordnen kann, dass der Maßnahmenplan unter Hinzuziehung eines anderen als des behandelnden Tierarztes zu ändern oder zu ergänzen ist. Wird der Maßnahmenplan nicht befolgt und wird die Kennzahl 2 im Betrieb deshalb mehrfach wiederholt überschritten, kann der Tierhalter zur Durchführung einer intensivierten Ursachenanalyse einschließlich umfangreicher Labordiagnostik verpflichtet werden.
Darüber hinaus können nach Maßgabe des Gesetzes, soweit erforderlich, gegenüber dem Tierhalter weitere Anordnungen und Maßnahmen getroffen und bei anhaltendem Nichterfolg schlimmstenfalls ein Tierhaltungsverbot ausgesprochen werden.
Reduktionsziel: 50%
Das Bundeslandwirtschaftsministerium stellte zu den Gesetzesänderungen noch folgende Eckpunkte besonders heraus:
■ Erstmals sei ein Reduktionsziel für Antibiotika von 50 % verankert worden, das der Farm-to-Fork-Strategie der EU-Kommission für eine nachhaltige Land- und Lebensmittelwirtschaft entspreche. Die neuen Vorschriften im Gesetz sollen dazu beitragen, dieses Reduktionsziel zu erreichen.
■ Die zuständigen Überwachungsbehörden werden gestärkt. Neu sei, dass die Behörden vor Ort künftig gesetzlich verpflichtet sind, Anordnungen und Maßnahmen zu treffen, wenn dies zum Verringern des Antibiotikaeinsatzes in einem Betrieb nötig ist.
■ Zudem werden die Weichen für striktere nationale tierarzneimittelrechtliche Regelungen gestellt. Danach wird das BMEL ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung die Anwendung von bestimmten antimikrobiellen Wirkstoffen, insbesondere Colistin, bei Tieren für die Lebensmittelgewinnung weiter einzuschränken oder zu verbieten.