Tierarzt-Mangel: So steht es um den Osten
Bürokratie, Arbeitszeitdruck und ein hohes Durchschnittsalter – die tierärztliche Versorgung in Ostdeutschland steht vor großen Herausforderungen. Eine Analyse der aktuellen Situation des Tierarzt-Mangels.
Von Jeremy Deane
Ein Notfall auf dem Betrieb: Ein Tier hat sich verletzt und muss umgehend tierärztlich versorgt werden. Schnell die Nummer vom nächsten Tierarzt gewählt. Nur um eine Absage zu bekommen und die viel weiter entfernte Praxis anrufen zu müssen oder noch ungünstiger: Es ist bereits außerhalb der Betriebszeiten und die Praxen bieten keinen Not- oder Wochenenddienst an. Eine leider schon heute in vielen Regionen nur allzu vorstellbare Situation. Wie ist die tierärztliche Versorgung in Ostdeutschland aufgestellt, was kommt auf Tierhalter zu und wie kann dem Mangel entgegengewirkt werden?
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Unterschiedliche Lage im Osten
Die derzeitigen niedergelassenen Tierärzte verteilen sich auf die ostdeutschen Bundesländern zahlenmäßig relativ unterschiedlich. In Mecklenburg-Vorpommern haben sich die wenigsten Tierärzte niedergelassen. Schätzungsweise 118 Tiermediziner sind hier auf Nutztiere spezialisiert oder bieten Behandlungen für diese an (ohne Pferde und Kleintiere). Darauf folgt Thüringen mit 129 und Sachsen-Anhalt mit 169 Tierärzten für Nutztiere. Am besten aufgestellt sind Brandenburg mit insgesamt 212 und Sachsen mit 253 Tierärzten.
Dabei ist wichtig zu erwähnen, dass nur ein geringer Teil in allen Bundesländern reine Großtierpraxen sind. Den bedeutend größten Teil in den Ländern machen Gemischtpraxen aus, welche aber nach Angabe des Bundesverbandes Praktizierender Tierärzte e. V. (bpt) oftmals auf den Kleintierbereich reduziert werden oder sich auf einzelne Tierarten spezialisiert haben. Das bedeutet im Alltag eine vermutlich noch geringere Anzahl an Behandlungsmöglichkeiten für den Nutztiersektor.
Während den Landestierärztekammern in Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen keine Beschwerden bezüglich unterversorgter Landkreise bekannt sind, trifft der Mangel andere Bundesländer stärker. In den strukturschwachen, östlichen Regionen Mecklenburg-Vorpommerns schätzt die Landestierärztekammer die Versorgungslage schon heute als gefährdet ein. Und sogar in Sachsen stellt sich die Situation insbesondere im Vogtland, als auch im Erzgebirge laut Sächsischer Landestierärztekammer als schwierig dar.
Zahl der Tierärzte steigt an
Insgesamt stieg die Zahl der praktizierenden Tierärzte laut Bundestierärztekammer im Jahr 2023 auf etwa 23.000. Das sind 7.000 mehr als noch 2003. Woran liegt es, dass vielerorts von einer Unterversorgung die Rede ist, wenn die Anzahl der Ärzte parallel gestiegen ist?
Zum einen hat sich das Verhältnis von Selbstständigen zu Angestellten sehr stark gewandelt. In den meisten Bundesländern gleicht sich dieses immer mehr an und entspricht oftmals schon fast einem 50:50-Verhältnis. Daraus resultieren eine geringere Anzahl an Praxen, aber auch Probleme, insbesondere was die Arbeitszeiten betrifft. Denn einige Regelungen zum Arbeitszeitschutzgesetz und den zulässigen Stunden gelten nicht für Selbstständige.
Daher fehlen durch die vielen Angestellten die früher geleisteten Mehrstunden aus der Selbstständigkeit. Dies beeinflusse laut bpt die Versorgungslage zusätzlich negativ. Außerdem komme es insbesondere im Not- und Wochenenddienst im Nutztierbereich, aber auch in anderen zu Engpässen, da „starre Arbeitszeitregelungen eine für alle Beteiligten bessere Dienstaufteilung unmöglich“ mache, so der Verband.
Daher wird innerhalb der Branche, wie auch im diesjährigen Jahresbericht der Bundestierärztekammer, mittlerweile immer weniger von einem Personal-, sondern von einem „Arbeitszeitstunden-Problem“ gesprochen. Laut dem bpt wird dieser Trend durch immer mehr Bürokratie, Unsicherheiten und das schwierige wirtschaftliche Umfeld verstärkt.
Bürokratie nimmt 40 Prozent der Arbeitszeit ein
Die fordernden Arbeitsbedingungen seien zwar in den vergangenen Jahren schon besser geworden, aber es blieben Probleme bestehen. Beispielsweise die Betreuung von Not- und Nachtdiensten gestalte sich dem bpt zufolge schwierig „in einem Berufsstand, der zunehmend weibliche Berufsträger hat, die traditionell mehr Familienpflege betreiben“. Aus dem Jahresbericht der Bundestierärztekammer geht hervor, dass Frauen zwei Drittel des Berufsstandes ausmachen. 2007 hielt sich dieses Verhältnis noch die Waage.
Auch die zunehmende Bürokratie sei mittlerweile einer der größten Zeitfresser für Tierärzte geworden. Bei Mitgliederumfragen gaben einige Praktiker gegenüber dem bpt an, dass bis zu 40 % ihrer Arbeitszeit durch Bürokratie eingenommen werde. Insbesondere die zunehmenden Vorgaben im Bereich der Tierarzneimittelrechts mit mehrfachen und zum Teil doppelten Dokumentationspflichten seien ein großes Hemmnis.
Darüber hinaus habe sich das Selbstverständnis des tierärztlichen Nachwuchses verändert. Hier sei laut bpt ein Trend zu erkennen, dass „dieser mehr behandeln möchte, statt hauptsächlich Arzneimittel abzugeben“. Die Integrierte Bestandsbetreuung mit ihrem präventiven Ansatz, welcher für junge Tierärzte interessant wäre, entwickelt sich erst langsam und sei bisher im landwirtschaftlichen Bereich nicht stark gefragt gewesen. Dadurch wandern diese Tierärzte nach Angaben des Verbands in andere Bereiche ab.
Die gesellschaftliche Situation und zunehmende Streitlust sieht der bpt als weitere Gründe. Tierärzte wollen sich den Diskussionen und der Verantwortung als Praxisinhaber entziehen und entscheiden sich daher vermehrt für ein Angestelltenverhältnis.
Welche Maßnahmen könnten gegen den Tierarzt-Mangel helfen?
In einem Berufsstand, der zu einem Drittel aus über 50-Jährigen besteht und in vielen Bundesländern sogar zu mehr als 40 %, spielen auch Renteneintritte eine große Rolle. Diese haben das Potenzial, die momentane Situation zusätzlich zu verschärfen. Wenngleich einige Tierärzte sehr wohl noch lange nach Erreichen des Rentenalters weiter praktizieren.
Um der drohenden Abnahme des Versorgungsangebots entgegenzuwirken, schlägt der bpt eine finanzielle Unterstützung von Praxen vor, die sich auf dem Land niederlassen und Nutztiere behandeln. Verschiedene Möglichkeiten für staatliche finanzielle Förderungen werden bereits im benachbarten europäischen Ausland wie Österreich erprobt. Außerdem bestehe die Chance, durch die weitere Etablierung der Integrierten Bestandsbetreuung die Attraktivität zu erhöhen.
Eine schnell umsetzbare Maßnahme sieht der Verband im Abbau von Bürokratie. Dabei sollten in einem ersten Schritt Dokumentationspflichten auf ein sinnvolles Maß reduziert und Doppelungen abgebaut werden.
Darauf aufbauend könnte eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes von Tageshöchstarbeitszeiten hin zu Wochenarbeitszeit für eine weitere Entspannung der Lage sorgen. Denn nach bpt könnten es flexiblere Arbeitszeitmodelle erleichtern, „Familie und Beruf unter einen Hut zu bekommen und trotzdem mehr als Teilzeit zu arbeiten“.
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