Brennpunkt

Tierschutztransportverordnung: Still und leise überrumpelt

Ab Ende nächsten Jahres dürfen Kälber in Deutschland erst nach 28 Lebenstagen transportiert werden. Damit verdoppelt sich die Zahl der Bullenkälber auf den Betrieben, weil sie zwei Wochen länger zu betreuen sind. (c) Fritz Fleege
Tierhaltung
Artikel teilen

Mit der Änderung der Tierschutztransportverordnung kommen auf Milchviehhalter neue Belastungen zu. Wir haben Praktiker in Ostdeutschland gefragt, wie sie sich darauf einstellen.

Aufgeschrieben von den Landesredakteuren, Fritz Fleege sowie Stefanie Pöpken

Ende Juni stimmte im Bundesrat eine Mehrheit der Bundesländer dafür, dass Kälber künftig erst nach 28 Tagen statt wie bisher ab dem 14. Lebenstag transportiert werden dürfen. Viele Landwirte und ihre Interessenvertreter wurden davon überrascht und kritisieren unter anderem, nicht angehört worden zu sein. Weil Tierhalter wohl investieren müssen, soll die neue Regel voraussichtlich erst Ende 2022 in Kraft treten.

Eingebracht worden war die Verschärfung vom Land Niedersachsen, das damit offenbar Forderungen der Bundestierärztekammer und der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz aufgriff. Neben Niedersachsen stimmten für die Änderung Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, das Saarland und Schleswig-Holstein. Zusammen kommen sie auf 38 von 69 Stimmen. Wir haben zehn ostdeutsche Milchviehbetriebe gefragt, was die Veränderung für sie bedeutet und wie sie sich darauf einstellen. Alle rechnen damit, dass sie auf den Kosten sitzen bleiben. red


Marko Mattner, Vorstand der Milchagrargenossenschaft „Heideland“, Kemberg (Sachsen-Anhalt):

„Wir halten in unserem Mehrfamilienunternehmen rund 1.200 Milchkühe, haben also jährlich etwa 600 weibliche und 600 männliche Kälber. Unsere Kapazitäten sind auf die weibliche Nachzucht ausgerichtet. Wenn wir künftig im Monatsmittel 50 statt 25 Bullenkälber betreuen, brauchen wir mehr Aufstallungsfläche und Personal, mehr Tränkeautomaten und Transponder, mehr Milchpulver, Raufutter, Wasser und Energie.

Was das finanziell bedeutet, lässt sich derzeit im Detail noch nicht beziffern. Die entscheidende Frage ist, ob der Mehraufwand über höhere Erlöse ausgeglichen wird. Aus Sicht des Tierschutzes und Tierwohls ist die Entscheidung überdies fraglich. Die Immunität von Kälbern erreicht am 28. Lebenstag einen kritischen Punkt. Wir halten die Kälber ab dem 15. Tag in Gruppen. In Zukunft würden sich die Bullenkälber kurz aneinander gewöhnen, um dann nach zwei Wochen aus ihrem Gruppenverband gerissen zu werden.“

Mike Krause, Landwirtschaftsbetrieb Mike Krause, Großdrebnitz (Sachsen):

„Von der beschlossenen Regelung sind wir als Betrieb nicht betroffen. Wir haben etwa 180 Rinder, davon 60 Milchkühe. Jedes Tier, das hier geboren wird, verbleibt bis zu seiner Endbestimmung im Betrieb. Die Bullenkälber mästen wir bis zum Alter von 20 Monaten, lassen sie dann regional schlachten und vermarkten.

Davon abgesehen ist es nachvollziehbar und im Sinne des Tierwohls, das Mindestalter für den Transport von Kälbern zu erhöhen. Ältere Tiere haben ein stabileres Immunsystem. Im Alter von 14 Tagen ist der Schutz durch die Kolostralmilch aufgebraucht, die Umstellung bedeutet also ein höheres Risiko für das Tier. Ich kann aber auch die Sorgen nachvollziehen, die jetzt viele Betriebe haben, die bisher ihre Bullenkälber so früh wie möglich verkauft haben und nun Probleme bekommen. Dort fehlt Platz, und die Kosten steigen, ohne dass der Verkaufserlös dies ausgleichen würde. Gerecht wäre es, eine solche Regel nicht nur in Deutschland, sondern EU-weit gleichzeitig einzuführen.“

Thomas Reim, GbR Reim, Sperling, Gühlke in Schwennenz (Mecklenburg-Vorpommern):

„In unserem Betrieb mit 110 Milchkühen werden im Jahr etwa 60 männliche Kälber geboren. Bisher bleiben sie 14 Tage bis vier Wochen im Betrieb. Nach der neuen Regelung sind vier bis fünf Kälber mehr zu versorgen. Das ist nicht der Weltuntergang. Aber wieder einmal kommen zusätzlicher Aufwand und Mehrkosten hinzu. Die Tiere müssen mit Futter und gesundheitlich versorgt werden. Wenn wir sie länger als bis her halten, müssen wir sie in den Iglus einmal mehr umsetzen. Baulich verändern müssen wir nichts, unsere Aufstallkapazität reicht aus. Ob die zusätzlichen Kosten durch höhere Erlöse für die Kälber, die nun länger gehalten und schwerer vermarktet werden, ausgeglichen werden, ist nicht sicher. Ich glaube kaum, dass der Aufkäufer, der nun schwerere Kälber bekommt, entsprechend mehr Geld ausgibt. Grundsätzlich finde ich es nicht sinnvoll, wenn die Landwirtschaft mit solchen Regelungen überrumpelt wird.“


Mehr zum Thema


Peter Kaim, Havellandhof Ribbeck (Brandenburg):

Der ehemalige Praxispartner der Bauernzeitung bewirtschaftet rund 760 ha Ackerland sowie 227 ha Grünland und hält 180 melkende Kühe, die es im Durchschnitt auf jährlich 10.250 Liter bringen. „Wieder kommen auf unsere Branche, die sowieso schon unter Druck steht, neue finanzielle Verluste zu“, sagt er. In seinem Betrieb würden wöchentlich im Durchschnitt 2,5 männliche Kälber geboren, er habe somit fünf Kälber zusätzlich stehen. „Auf dem Hof ist jetzt schon nicht mehr viel Platz. Aber irgendwo muss ich dann noch fünf neue Iglus aufstellen“, sagt Kaim.

Die Kälber bekommen Vollmilch: Der Landwirt kalkuliert mit zehn Litern am Tag, mal 35 Cent (Zuschläge inklusive), mal 14 Tage: Pro Kalb also rund 50 Euro mehr an Futterkosten. Es sei ein Trugschluss, wenn man meint, die Händler würden für schwerere Kälber automatisch mehr bezahlen, befürchtet der Havelländer. In der Weißfleischmast sei es gar nicht gewünscht, dass die Kälber anfangen wiederzukäuen, das gehe aber mit drei, vier Wochen los.

Mathias Munzert, Vorstand Tierhaltung, Güterverwaltung „Nicolaus Schmidt“ AG, Rothenacker (Thüringen):

„Nachvollziehen kann ich diese Regelung, die wieder einmal der Milchviehhaltung zusetzt, nicht. Momentan habe ich noch keine Idee, wo wir die Bullenkälber, die in Zukunft zwei Wochen länger im Betrieb bleiben, unterbringen sollen. Derzeit betreuen wir ständig 25 bis 40 Kälber. Ich brauche also Platz für bis zu 80. Die vorhandene Iglufläche ist ausgelastet. Ob wir neuen Platz für Großraumiglus schaffen oder möglicherweise an den Kälberstall anbauen müssen, ist noch völlig offen. Enger stellen werden wir die Tiere jedenfalls nicht, denn den großzügigen Platz, den wir unseren Kälbern anbieten, sieht man ihnen an.

Wenn ich die Kosten für das hochwertige Futter und die Arbeitszeit summiere, komme ich auf rund fünf Euro pro Tag und Tier. Daher halte ich 70 Euro zusätzliche Kosten pro Kalb für realistisch. Dass sich dies im Kälberpreis widerspiegelt, glaube ich nicht. Stattdessen schenken wir dann dem Mäster gut 20 Kilogramm.“

Silvio Griepentrog, Landwirtschaftsbetrieb Griepentrog KG, Steinhagen (Mecklenburg-Vorpommern):

„Wir sind gerade dabei, die Haltungsbedingungen für die weiblichen Kälber mal wieder zu verbessern. Es geht um mehr Tierwohl und bessere Arbeitsbedingungen. Wir verkaufen im Monat zwischen 70 und 80 vor allem männliche Kälber jeweils zwischen dem 14. und 21. Lebenstag. Nach der im Bundesrat unterstützten Initiative verlängert sich die Kälberhaltung in unserem Betrieb auf 28 bis 35 Lebenstage.

Bisher haben wir einmal pro Woche 15 bis 20 Kälber verkauft, demnächst werden es etwa doppelt so viele sein. Fakt ist, wir müssen mehr Kälber über einen längeren Zeitraum unterbringen und versorgen. Es fallen mehr Futtertage an, außerdem haben ältere Kälber einen höheren Platzanspruch. Das ist das Problem: Schon jetzt haben wir bei der Unterbringung vom Platz her keinen Puffer mehr. Wir müssen definitiv an- beziehungsweise umbauen. Ob wir uns für Iglus oder Kälberhütten entscheiden, ist noch offen. Zusätzliches Personal für den Mehraufwand ist nicht drin. Dazu reichen die Erlöse aus der Milchproduktion und dem Kälberverkauf mit 60 bis 70 Euro pro männlichem Kalb nicht aus.“

Frank Lenz
Frank Lenz (c) Stefanie Pöpken

Frank Lenz, Lenz GbR, Schinne (Sachsen-Anhalt):

„Wir werden ungefähr 30 Kälber mehr auf dem Betrieb halten. Das bedeutet für uns, dass wir den Tieren mehr Platz einräumen, also mehr investieren müssen. Außerdem brauchen die Kälber auch eine andere Betreuung. Das ist, von rationaler Seite gesehen, ein erheblicher Mehraufwand. Ich glaube, für die Kälber ist es gar nicht zum Schaden, wenn sie länger an dem Standort gelassen werden, wo sie geboren wurden. Es wäre außerdem richtig, wenn sie gar nicht mehr weit transportiert werden müssten.

Anstatt über Kosten sollten wir auch einmal über die Gewinne reden. Wenn es jetzt einen neuen gesetzlichen Standard gibt, muss die verlängerte Zeit auf dem Betrieb vergütet werden. Ich denke, das sollten wir Landwirte entsprechend einfordern. Dass es mehr Geld für schwerere Kälber geben soll, ist mir nicht bekannt. Und wie sich der Preis zukünftig entwickelt, lässt sich momentan nicht abschätzen.“

Torsten Schlunke, Milchhof Diera (Sachsen):

„Unser Betrieb verfügt über 1.420 Milchkühe plus Nachzucht. Die durchschnittliche Jahresleistung beträgt 12.980 Kilogramm Milch. Von wenigen Jersey-Kühen einmal abgesehen, paaren wir einen Teil der Holstein-Kühe auch mit Sperma von Fleischrindbullen an und setzen bei den Färsen gesextes Sperma ein. Die weiblichen Kälber nutzen wir für die eigene Reproduktion des Milchviehbestandes, und die nicht benötigten kommen hochtragend zum Verkauf.

Torsten Schlunke
Torsten Schlunke (c) Fritz Fleege

Die anfallenden männlichen Kälber gehen, wenn sie stabil sind, nahezu alle im Alter von etwa 14 Tagen über Viehhändler zum Verkauf an Mastbetriebe. Wöchentlich sind das 12 bis 14 Tiere. Wenn wir diese Tiere künftig 14 Tage länger halten müssen, wie es der Bundesrat in der neuen Verordnung zum Kälbertransport vorschreibt, müssen wir sie noch in Gruppenhaltung umquartieren. Dafür wird bei uns der Platz knapp, und wir brauchen noch ein Stallabteil beziehungsweise Großraumiglu.

Auch das Futter kostet noch Geld, vor allem die Milch. So rechnen wir mit etwa 40 Euro an Mehrkosten je Kalb. Diese Summe wird wohl kaum ein Händler oder Kälbermäster drauflegen. Bei den Holstein-Bullenkälbern bekommen wir immer schon sehr wenig, und für ältere, etwas schwerere Tiere wird es vermutlich auch kaum mehr geben. Günstiger sieht es mit den Kreuzungen der Weiß-Blauen Belgier aus. Tierwohl liegt uns immer am Herzen, doch zusätzlicher Aufwand dafür sollte auch honoriert werden.“

Benjamin Meise, Geschäftsführer Fürstenwalder Agrarprodukte GmbH, Buchholz (Brandenburg):

Der Betrieb bewirtschaftet rund 3.400 ha und hält 720 melkende Kühe. Diese produzieren täglich ca. 20.000 kg QM-zertifizierte Milch, ein kleiner Teil davon wird selbst vermarktet (milchquelle.de). Geschäftsführer Benjamin Meise rechnet durch die Änderung der Regelung für Kälbertransporte mit Mehrkosten von drei bis vier Euro pro Kalb und Tag. Bei zwei Geburten täglich sind 14 männliche Kälber zusätzlich zu versorgen.

„Ein paar Gruppeniglus mehr“ sind nicht das große Problem für Meise. Aber dass der spätere Transport aus tierärztlicher Sicht zweifelhaft ist – Meise verweist auf das Video eines Tierarztes, das in den sozialen Medien kursiert –, kann er als Praktiker durchaus bestätigen. Es gebe keinen Zeitpunkt, der ungünstiger sei als diese 28 Tage, so Meise. Und wieder führe die neue Regelung zu einer Mehrbelastung der deutschen Milchviehhalter im Vergleich zu ihren europäischen Kollegen.“

Silvio Reimann
Silvio Reimann (c) Birgitt Schunk

Silvio Reimann, Geschäftsführer der Milch-Land GmbH, Veilsdorf (Thüringen):

„Von unseren gut 650 männlichen Kälbern mästen wir, je nach Erlöslage, etwa 150 im Jahr selber auf. Zusätzlichen Platz für die längere Haltungsdauer hätten wir, weil wir in den letzten Jahren den Kuhbestand reduziert haben. Unabhängig davon wird uns das unser Herdenmanagement durcheinanderbringen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir die höheren Kosten über das Gewicht bezahlt bekommen. Zumal schon heute die Kälberpreise über weite Strecken nicht zufriedenstellen können und zeitweilig richtig im Keller waren.

Was mich ärgert, ist, dass die Verordnung still und leise durchgewunken wurde. Und dass die, die Ahnung von Rinderhaltung haben und die Kosten zu tragen haben, nicht gefragt wurden. Aus meiner Sicht ist das ein Schnellschuss für das öffentliche Bild, ohne etwas für das Tierwohl gemacht zu haben. Denn die Begründung mit der immunologischen Lücke überzeugt mich nicht. Was will man also damit bezwecken? Am Ende nur die Tierbestände weiter reduzieren?“

Weitere Nachrichten aus den Bundesländern