Interview mit Experten für Wildökologie und Jagdwirtschaft

Mythos oder Wahrheit: Springen Wölfe wirklich über jeden Zaun und machen Herdenschutz wirkungslos?

Wir haben einem Experten fünf weitverbreitete Aussagen zum Wolf vorgelegt und um seine Einschätzung gebeten. © IMAGO / Harald Deubert
Tierhaltung
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Wie kaum ein anderes Tier eignet sich der Wolf dazu Diskussionen emotional aufzuladen. Alte Märchen werden reanimiert, neue Mythen werden erfunden. Doch stimmt es, dass Wölfe über jeden Zaun springen und sich immer mehr bewohnten Gebieten annähern? Wir haben einem Experten fünf weitverbreitete Aussagen zum Wolf vorgelegt und um seine Einschätzung gebeten. 

Die Fragen stellte Annelie Neumann

Am 11. Juni 2022 fand unser hybrider und kostenfreier Praxis-Talk statt. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie der Herdenschutz von Weidetieren gelingen kann. Einer unserer Gäste ist Prof. Dr. Dr. habil. Sven Herzog. Der Experte für Wildökologie und Jagdwirtschaft der TU Dresden hat fünf populäre Aussagen über den Wolf für die Bauernzeitung eingeschätzt.

Porträtbild Sven Herzog
© Prof. Dr. Doris Krabel

Unser Experte
Prof. Dr. Dr. habil. Sven Herzog ist gelernter Förster und Arzt und derzeit als Vertreter des Faches Wildökologie an der Technischen Universität Dresden neben vielen anderen Themen immer wieder auch mit den Herausforderungen befasst, welche die Anwesenheit großer Prädatoren im unmittelbaren Umfeld des Menschen mit sich bringt. 

Für ihn sind die zugrundeliegenden Probleme meist ähnlich, egal, ob es sich um Wölfe in Deutschland oder Tiger in Indonesien handelt.

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1. Wölfe springen über (jeden) Zaun und machen Herdenschutz wirkungslos.

Nicht über jeden Zaun. Aber sie sind sehr lernfähig. Wenn wir sehen, welche Zäune es braucht, um Wölfe in Gehegen zu halten (und die sind meist gut gefüttert und nicht hungrig!), dann erkennen wir, wohin ein gegenseitiges Wettrüsten ausschließlich über die Maßnahme „Zaun“ führt. Da sind zahlreiche weitere Maßnahmen erforderlich, welcher Art auch immer.

2. Ein Wolf hat ein Weidetier gerissen. Ist er damit nun per se ein „Problemwolf“ bzw. wann wird ein Wolf zum „Problemwolf“, der abgeschossen gehört?

Der Begriff des „Problemwolfes“ ist ausgesprochen unglücklich gewählt. Die meisten sogenannten „Problemwölfe“ sind gesunde Wölfe, die ihre Lektion, wie man leicht und gefahrlos an Beute kommt, sehr schnell und besser als andere gelernt haben. Echte Problemwölfe, die etwa ein körperliches Handicap haben oder sonst krank sind, sind eher die Ausnahme. Diese sollte man entnehmen. Wichtiger als über Problemwölfe zu diskutieren wäre es, daran zu arbeiten, die Scheu der Tiere aufrecht zu erhalten.

3. Eine konfliktarme Koexistenz von „Mensch und Wolf“ war in der Evolution noch nie möglich – und wird es auch jetzt nicht geben können.

Konfliktarm ist schon möglich, das zeigen viele andere europäische Länder. Völlig konfliktfrei sicher nicht. Wobei sich die Konflikte letztlich immer zwischen unterschiedlichen Gruppen von Menschen mit unterschiedlichen Interessen abspielen.

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4. Die Anwesenheit des Wolfes wirkt sich positiv auf den Wildbestand aus.

Vorab: „Positiv“ aus Sicht des Wildbiologen heißt klar, dass der Wildbestand steigt. (Aber wir sind in der Bauernzeitung, daher ist es vermutlich anders gemeint.) Selbstverständlich werde die Hauptbeutearten, Rehwild, Rotwild, Schwarzwild durch den Wolf nicht mehr, sondern weniger. Doch er diese – von Ausnahmen abgesehen – nicht ausrotten. Das Mufflon ist so eine Ausnahme. Allerdings nehmen die Wilddichten ab und die Bejagung wird schwieriger.

Ob die Wildschäden durch den Wolf weniger werden, ist eine offene Frage. Möglicherweise ändert das Wild sein Verhalten so, dass zumindest lokal sogar mehr Schäden auftreten. Diese Frage untersuchen wir gerade in einem großen Freilandprojekt.

5. Der Wolf nähert sich immer mehr bewohnten Gebieten an.

Das ist abzusehen. Wie gesagt, Wölfe sind sehr lernfähig, und es ist leichter, Nutztiere oder auch Abfälle zu erbeuten als möglicherweise wehrhafte Wildtiere. Das ist völlig normal und aus Sicht eines Wolfes auch verständlich: Ein gebrochenes Bein, eine infizierte Wunde können für einen Wolf in der Natur das Todesurteil bedeuten. Eine Verstädterung von Wölfen kennen wir beispielsweise aus Rumänien. Wie gesagt, eine der Hauptaufgaben des Wolfsmanagements sehe ich darin, diesen Tendenzen entgegenzuwirken.


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