Expertenrat

Ernterisiken: Rettung auch bei leerem Sack

Kommt wenig oder viel aus dem Bunker? Gewissheit kehrt erst nach der Ernte ein. Ruhiger schläft es sich allerdings, wenn die Lieferverträge schon vorher für eine Risikominimierung sorgen. (c) Sabine Rübensaat
Unternehmen & Recht
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Dürre im Frühsommer, kaum Ertrag und alle Feldfrüchte schon vorab verkauft. Ob das Berufen auf „höhere Gewalt“ oder eher eine kluge Vertragsgestaltung gegen Ernterisiken hilft, erfahren Sie hier.

Dr. Thomas Hänsch, Rechtsanwalt

Sehr häufig wurde im Zusammenhang mit den Minderernten des Jahrs 2018 infolge des trockenen und heißen Sommers von „höherer Gewalt“ gesprochen. Höhere Gewalt ist ein juristisch geprägter Begriff. Das Vorliegen höherer Gewalt lässt das Verschulden und damit die Schadenersatzpflicht entfallen.

Die von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit den Ländern gewährten Dürrebeihilfen beruhen auf der Feststellung des Vorliegens eines durch äußere Umstände verursachten außergewöhnlichen Notstands. Dies verleitet dazu, die Wetterereignisse und deren Folgen automatisch als höhere Gewalt einzustufen und damit einen jeden Landwirt von seinen Lieferpflichten ganz oder teilweise zu entbinden.

Risiko Gattungsschuld

Hier ist Vorsicht geboten. Hauptpflicht des Verkäufers ist nach § 433 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) die vollständige Lieferung der geschuldeten Ware. Der Käufer ist grundsätzlich berechtigt, vom Landwirt die Lieferung der vereinbarten Menge an Feldfrüchten in der vereinbarten Lieferqualität zu verlangen. Gegenstand der vertraglichen Vereinbarung ist oft eine sogenannte Gattungsschuld. Hier ist lediglich die Lieferung nach allgemeinen Merkmalen bestimmter Waren mittlerer Art und Güte geschuldet. Die Lieferpflicht kann auch dadurch erfüllt werden, dass der Verkäufer sich die geschuldeten Waren von Dritten beschafft und diese dann an den Käufer weiterliefert. Insbesondere bei mehrjährigen Lieferverträgen liegt meist eine Gattungsschuld vor. 

Bei Vereinbarung einer Gattungsschuld dürfte es schwierig sein, schlechte Witterungsbedingungen in Deutschland als Rechtfertigung für den Entfall der weltweiten Beschaffungspflicht anzuerkennen. Es müssten auch noch extrem angestiegene Ersatzbeschaffungskosten (inklusive Transport- und Einfuhrkosten) hinzutreten. Ähnlich ist es bei einer Vorratsschuld. Hier wird nur die Lieferung der Ware aus einem bestimmten Vorrat, meist der eigene Anbau oder ein bestimmtes Lager, geschuldet. Auch hier ist der Nachweis des Vorliegens höherer Gewalt für den fehlenden Vorsatz schwierig. Die Rechtsprechung hat sehr hohe Anforderungen an das Vorliegen höherer Gewalt. Erforderlich hierfür ist zunächst als Ursache ein von außen einwirkendes schädigendes Ereignis, das seine Ursache nicht in der Natur der Sache hat.

Dürre kam nicht völlig überraschend

Typisch in diesem Zusammenhang sind Naturkräfte, und auch eine extreme Trockenheit kann ein solches Ereignis sein. Hinzukommen muss aber, dass dieses Ereignis nach menschlicher Einsicht und Erfahrung derart unerwartet auftritt, dass es wegen seiner Häufigkeit nicht als Betriebsrisiko in Kauf genommen werden muss. Letztlich darf es auch nicht mit wirtschaftlich tragbaren Mitteln vernünftig abwendbar sein.


Dr. Thomas Hänsch kommt von der Kanzlei Geiersberger Glas & Partner in Rostock.

Webseite: www.geiersberger.de


Bei diesen beiden letztgenannten Punkten lässt sich diskutieren, ob die Dürre als höhere Gewalt anzuerkennen ist. Eine obergerichtliche oder höchstrichterliche Entscheidung im Zusammenhang mit der Ernte 2018 steht noch aus. Allein in den letzten 45 Jahren gab es mindestens drei Jahre mit vergleichbarer Trockenheit, sodass zumindest nicht ohne weitere Argumentation von einer „Jahrhunderttrockenheit“ geredet werden konnte. Wetterschwankungen – auch außerhalb typischer Bereiche – gehören grundsätzlich zum allgemeinen Risiko der landwirtschaftlichen Tätigkeit.

Streiten lässt sich auch darüber, ob Minderernten wegen fehlender Niederschläge z. B. durch Bewässerungsmöglichkeiten – zumindest in einzelnen Regionen – vermeidbar sind. Dagegen könnten neben genehmigungsrechtlichen Bedenken auch wirtschaftliche Aspekte sprechen. Fraglich ist auch, ob der Abschluss von Ernteausfallversicherungen als Maßnahme zur Schadensabwehr anerkannt werden könnte. Einerseits würde es eine solche Versicherung ermöglichen, Deckungskäufe zu tätigen. Auf der anderen Seite führt dies nicht zur Abwehr einer Minderernte, sondern lediglich zur Reduzierung der Folgen.

Ersatzansprüche im Vertrag begrenzen

Um unnötigen Ärger zu vermeiden, empfiehlt es sich, als Landwirt durch kluge Vertragsgestaltung Rechtstreite zu vermeiden. Am einfachsten ist es natürlich, nur das zu verkaufen, was bereits geerntet wurde. In der Praxis ist dies nicht durchhaltbar und würde langfristig auch zu Einnahmeeinbußen führen. Es sollte insbesondere bei kleineren und mittleren Agrarbetrieben darauf geachtet werden, dass ausschließlich Feldfrüchte aus eigener Produktion geschuldet sind. Ferner sollten Ersatzansprüche auf eigene Verstöße gegen die Grundsätze der guten fachlichen Praxis beschränkt und eine Maximalhöhe für Schadenersatzforderungen festgelegt werden. Dies kann durch eine eigene Definition des Begriffs der höheren Gewalt begleitet werden. 

Derartige Regelungen müssen nicht in jeden Liefervertrag einzeln aufgenommen werden. Auch die Aufstellung und Vereinbarung eigener allgemeiner Geschäftsbedingungen kann sich empfehlen. Auf diese kann dann in den Einzelverträgen hingewiesen werden. Bei der Aufstellung von allgemeinen Geschäftsbedingungen empfiehlt sich die Beauftragung eines Rechtsanwalts, da die zu beachtenden Vorschriften der §§ 307 ff. BGB nebst der hierzu ergangenen Rechtsprechung für den Rechtslaien schwer erschließbar sind.

Miteinander sprechen hilft immer

Sofern ein Landhändler in seinen Angeboten oder Vertragsunterlagen auf die Einbeziehung der Einheitsbedingungen im Deutschen Getreidehandel verweist, ist dringend zu empfehlen, sich diese vor Vertragsschluss einmal gründlich durchzulesen. Diese enthalten – anders als das Gesetz – teilweise sehr genaue Regelungen für den Fall von Vertragsstörungen. Dies ist aber auch der Nachteil, da teilweise innerhalb sehr kurzer Fristen ganz bestimmte Maßnahmen oder Erklärungen abzugeben sind.

Gerade in der stressigen Erntezeit können kleinere und mittlere Landwirtschaftsbetriebe mit der Einhaltung der Formalien überfordert sein und so ihrer Rechte verlustig gehen. Immer lohnt es sich, gleich ob Gattungs- oder Vorratsschuld, bei erkennbaren Problemen das Gespräch mit dem Vertragspartner zu suchen, um eine gemeinsame Lösung zu finden, die ein Zusammenarbeiten auch in der Zukunft ermöglichen.


Der erste Teil dieses Beitrages beschäftigt sich mit den verschiedenen Formen des Kaufvertrages und möglichen Schadenersatzansprüchen bei Ernteausfall.