Verein Rehkitzrettung: Mit Herz und Drohne
119 Tiere verdanken dem Verein Rehkitzrettung in dieser Saison ihr Überleben. Doch nicht jeder Landwirt will sich für die Ehrenamtler begeistern.
Von Silvia Passow
Das Tageslicht ist zu diesem Zeitpunkt kaum mehr als eine Ahnung. Ein Fasan ruft, Frösche quaken, die Feuchtigkeit liegt als Nebel über der Wiese. Hoch oben surrt Elsa, die Drohne, wie ein mittelgroßer Bienenschwarm über die Köpfe der Helfer hinweg. Die haben sich in Zweierteams positioniert, stehen ausgerüstet mit Körben, Flatterleine und Funkgeräten auf der Wiese und warten auf die Anweisung des Drohnenpiloten Frank Neumann.
Sobald Elsa etwas anzeigt, schickt Neumann eines der Teams los. Dann heißt es vorsichtig im brusthohen Gras suchen. Fast wäre Lutz über das Rehkitz gestolpert, so zusammengekauert liegt es im Gras. Hinter ihm erscheint Kathrin. Sie trägt Einweghandschuhe, rupft nun Gras ab, denn sie darf unter keinen Umständen Geruch auf das Kitz übertragen. Erst dann hebt sie das Tier hoch und setzt es sanft in den Korb.
Video: Ein Rehkitz wird freigelassen
Drohne mit Wärmebildkamera hat sich bewährt
Marina Stolle aus Seeburg im Havelland gründete den Verein Rehkitzrettung Brandenburg gemeinsam mit Frank Neumann und dem Wustermarker Jäger Jochen Aderhold. Stolle hatte vom Schicksal der Rehkitze gehört, die von ihren Müttern in den Wiesen versteckt werden, wenn sie noch zu jung sind, um ihnen zu folgen. Folgsam bleiben die Tierkinder dort, wo die Mutter sie ablegt, bei Gefahr ducken sie sich tief ins Gras. Das hilft, wenn Raubtiere auf Beutesuche sind, doch nicht, wenn das Mähwerk kommt.
Eigentlich wäre hier die Kooperation von Jägern und Landwirten gefragt. Letztere müssen sicherstellen, dass sie keine Rehkitze in der Wiese haben, wenn diese gemäht wird. Doch das ist gar nicht so leicht: Vergrämen mit Musik hilft nur bedingt, beim Ablaufen übersieht man die Tierkinder leicht, Hunde können nur den Geruch der Ricke, nicht aber den des Kitzes aufnehmen.
Die Drohne mit Wärmebildkamera jedoch hat sich bewährt. Nachts und in den frühen Morgenstunden wird gesucht und gleich danach gemäht. Die Rehkitzrettung Brandenburg hat inzwischen einen prall gefüllten Terminkalender. In der Saison von Mai bis Anfang Juli stehen jede Nacht Einsätze im westlichen Brandenburg an. Der Erfolg spricht sich herum. Einer der ersten Landwirte, der mit den Rehkitzrettern kooperierte, ist Willi Groß aus Dallgow-Döberitz.
„Ich war eher skeptisch, kannte die Leute ja nicht, und ich wusste auch nicht, dass sich dafür überhaupt jemand interessiert“, sagt Groß. Er habe von seinem Großvater gelernt, die Wiesen vor der Mahd selbst abzugehen. „Das ist sehr aufwendig, gehört aber dazu, wenn man für Naturschutz einsteht. Mit der Drohne geht die Suche schneller und ist effektiver“, resümiert Groß nach dem Einsatz.
Verein Rehkitzrettung: Verstümmelte Kitze „eine unfassbare Sauerei“
Ähnlich sieht das Fabian Engelmann, Landwirt aus Wustermark, auch in seiner Familie sei es üblich, die Wiesen vor der Mahd abzusuchen, berichtet der 24-jährige Landwirt. Nun übernehmen das die Rehkitzretter. Engelmann sagt: „So fahre ich mit einem viel besseren Gefühl über die Wiese.“
Eine Meinung, die nicht alle Landwirte teilen. Für Jäger Aderhold ist es „eine unfassbare Sauerei“, wenn nach der Mahd verstümmelte Kitze auf der Wiese liegen. In Bayern sei ein solcher Verstoß gegen das Tierschutzgesetz bereits mit einem Bußgeld geahndet worden. Anzeigen will er die Landwirte dennoch nicht, denn damit wäre die Tür für die Rehkitzretter sicherlich zugeschlagen.
„Jedes gerettete Kitz zählt “
Für eine Landwirtin aus der Region ist diese Tür ohnehin fest verschlossen. Sie sieht in der Rehkitzrettung einen Eingriff in ihr Land und ihre Arbeit: „Immer sind wir Bauern die Bösen“, macht sie ihrem Unmut Luft. Ein anderer spricht lakonisch vom „geretteten Winterfutter für die Wölfe“. Und wieder ein anderer Landwirt bringt den ehrenamtlichen Kitzrettern Kaffee, Milch und belegte Brötchen mit, als er bei Sonnenaufgang zur Mahd anrückt. 119 Rehkitze konnte das Team retten. Im letzten Jahr waren es 52. Frank Neumann will die Rehkitzrettung ausbauen, damit im ganzen Land Jungtiere vor der Mahd in Sicherheit gebracht werden können.
Mithilfe von noch mehr Ehrenamtlichen, Drohnen, Jägern und Landwirten. Dafür steht der Schachlehrer gern mitten in der Nacht auf den Wiesen. „Weil jedes gerettete Kitz zählt“, sagt er und erzählt dann von den schönsten Momenten der Rehkitzrettung, wenn Ricke und Kitz wieder zueinanderfinden und gemeinsam hinter der nächsten Hecke verschwinden.
Welche Erfahrungen haben Sie mit der Rehkitzrettung gemacht? Schreiben Sie uns gern an:
brandenburg@bauernzeitung.de
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