Aldi setzt Molkereien unter Druck

Einem Bericht der „Lebensmittelzeitung“ zufolge will der Discounter bei frischen Milchprodukten die Preise drücken. Unter den Bauern regt sich Widerstand – und Aldi fühlt sich schlecht behandelt. (mehrfach aktualisiert)

Von Gerd Rinas

Der Lebensmittelhändler Aldi hat die Verhandlungen für die Halbjahres-Kontrakte bei frischen Milchbasisprodukten ab dem 1. Mai um mehrere Wochen vorgezogen. Erstmals verhandelt Aldi – vertreten durch die Aldi Global Sourcing – den Einkauf von frischen Milchbasisprodukten  für Aldi Nord und Süd gemeinsam. Bis zum Vorjahr hatten die beiden Aldi-Töchter noch getrennt verhandelt.

Nach Informationen der Lebensmittelzeitung (LZ) hat Aldi-Chefeinkäufer Nicholas Bond deutlich gemacht, dass er keine langen Verhandlungsrunden akzeptieren will und die neuen Preise bis Mitte März stehen – sie sollen aber sinken. Bond habe indirekt mit dem durch das Corona-Virus geschwächten Weltmarkt argumentiert, so die LZ. 

Die Milchbranche sei über die Forderung nach niedrigeren Preisen verärgert. Dafür gebe es keinen Anlass, hieß es, zumal bei Käse mit einer Verteuerung zu rechnen sei. Niedrigere Preise passten zudem nicht in die Zeit, wo alle Welt von auskömmlichen Preisen für die Landwirte rede und Bundeskanzlerin Merkel den Handel erst kürzlich zum Gespräch über unfaire Handelspraktiken einbestellt hatte. 

Bauernproteste am Aldi-Zentrallager

Nach einem Bericht des Internetportals Nord 24 fuhren am 5. März etwa 50 Landwirte mit ihren Traktoren nach der Demonstration in Hamburg vor das Aldi-Zentrallager in Beverstedt. Dort übergaben Landwirte am Freitagvormittag dem Leiter des Lagers einen Brief, in dem sie Aldi auffordern, sich bis Mai an die vereinbarten Kontrakte zu halten. 

In den WhatsApp-Gruppen von „Land schafft Verbindung“ wird über das Thema heftig diskutiert. Offenkundig werden für den Sonntag organisierte Proteste an mehreren Standorten vorbereitet. Die Bauernzeitung hält Sie auf dem Laufendem.

DMK: Verständnis für den Unmut der Bauern

Update der Redaktion (6. März, 19.45 Uhr): Dem Vernehmen nach gehört das Deutsche Milch-Kontor (DMK) zu den Molkereien, die von der neuen Aldi-Einkaufsorganisation unter Preis- und Zeitdruck gesetzt werden. Auf Anfrage der Bauernzeitung erklärte das Unternehmen, sich nicht zu aktuellen Verhandlungen äußern zu wollen. Grundsätzlich könne die DMK-Gruppe, eine Genossenschaft von rund 6.000 Landwirten, den Unmut der Landwirte gut nachvollziehen. „Wir sind ein Unternehmen der Landwirte – entsprechend positionieren wir uns auch in Gesprächen mit dem Handel und erklären dort die Situation auf den Höfen und verhalten uns auch so in Preisverhandlungen“, sagte ein Unternehmenssprecher.

Wenn Landwirte Investitionen in die aktuell gesellschaftspolitisch laufenden Themen wie Nachhaltigkeit, Klimaschutz oder Tierwohl tätigen wollen, könne das nur funktionieren, wenn die gesamte Wertschöpfungskette auch gemeinschaftlich dafür Sorge trage, dass dafür benötigtes Geld auf die Höfe kommt, so der DMK-Sprecher gegenüber der Bauernzeitung.

Für Aldi zählen Weltmarktpreise

Update der Redaktion (7. März, 11.40 Uhr): Sowohl die Nord- und die Süd-Gruppe des Discounters sehen sich dagegen völlig zu Unrecht kritisiert. In einer gemeinsamen Pressemitteilung räumen die Aldis zwar ein, dass die Verhandlungen um vier Wochen vorgezogen wurden. Der Vorwurf „einiger Molkereien“, dafür gebe es verhandlungstaktische Gründe, sei aber falsch. Grund seien „interne, administrative Abläufe“.

Sehr wohl beobachte man „eine zunehmende Eskalation auf verschiedenen Ebenen“. Als „Zeichen einer Deeskalation“ verlängere man nun den Angebotszeitraum mit potenziellen Lieferanten. Außerdem suche man den aktiven Dialog mit Landwirten und Erzeugern. Dazu habe es unter anderem ein Treffen „Land schafft Verbindung Deutschland“ gegeben.

Sehr offen kommuniziert der Handelskonzern, woran er seine Preisvorgaben misst. Die zurzeit in Deutschland intensiv diskutierten hohen Erwartungen an eine nachhaltige Milcherzeugung werden in der Pressemitteilung mit keinem Wort erwähnt. „Für die Verhandlung unserer Einkaufspreise orientieren wir uns an Weltmarktpreisen“, heißt es in der Mitteilung. Auf den Weltmärkten, auf denen bekanntlich zu anderen Standards produziert wird als in deutschen Milchviehställen und Molkereien, gebe es „aktuell keine Anzeichen für einen Anstieg“ der Preise.

Discounter sieht konstruktive Gespräche gefährdet

Abschließend verurteilt der Konzern „vereinzelte Anfeindungen aus Landwirtschaftskreisen, in denen unter anderem zu Straf- und Gewalttaten gegen unsere Filialen und Mitarbeiter aufgerufen wird, auf das Schärfste“. Verbunden wird diese Aussage mit der Feststellung, dass „eine derart aggressive Stimmungsmache“ garantiert keine Basis für konstruktive Gespräche und Verhandlungen sei.

Update der Redaktion (9. März, 16 Uhr): Bundesweit protestierten am Wochenende Landwirte an zahlreichen Auslieferungslagern des Discounters gegen die angekündigten Preissenkungen. Auf Achse waren dabei nicht nur Milchbauern, denn überall zeigten sich Berufskollegen mit ihnen solidarisch. In Sachsen war das Aldi-Großlager bei Wilsdruff westlich von Dresden in der Nacht zum Montag Ziel einer spontanen Protestaktion. Etwa 50 Bauern aus der Oberlausitz und dem Erzgebirge waren vor Ort. Um dem Handelskonzern keinen Anlass für den Abbruch der Gespräche zu geben, traf man sich an Grill und Feuerschale, um – wie es hieß – den Internationalen Frauentag zu feiern. Traktoren wurden so vor die Einfahrt gestellt, dass ein- und ausfahrende Transporter rangieren mussten, um durchzukommen. Blockiert wurde die Zufahrt jedoch nicht. 

Kartellamt: Kein Anlass für eine Prüfung

Dass die beiden Aldi-Gruppen ihren Einkauf jetzt in einer gemeinsamen Tochtergesellschaft konzentrieren, ist für das Bundeskartellamt kein Grund für eine kartellrechtliche Prüfung. Aufgrund seiner Historie und der gemeinsamen Unternehmensstrategie betrachtet die Behörde den Gesamtkonzern als sogenannten faktischen Gleichordnungskonzern, teilte ein Sprecher auf Anfrage der Bauernzeitung mit. Wettbewerblich gelten die beiden Gruppen somit als eine Einheit. Dies sei 2018 noch einmal intensiv geprüft worden, führte jedoch nicht zu einer abweichenden Bewertung. „Da es sich demzufolge bei gemeinsamen Einkaufsaktivitäten auch nicht um die Zusammenarbeit von Konkurrenten/Wettbewerbern handelt, ist in diesem Zusammenhang keine kartellrechtliche Prüfung erfolgt“, heißt es in der Antwort abschließend.

Countdown für Windkraft und Photovoltaik

Die Windkraftbranche schaut mit Spannung auf den 12. März. Dann sprechen Bund und Länder bei der Ministerpräsidentenkonferenz über den erlaubten Mindestabstand zwischen Windrädern und Siedlungen. Es wäre enorm wichtig, dass die Politik in diesem Punkt richtig entscheidet.

Es kommentiert Christoph Feyer

Der Februar hatte es in sich. Dank Sabine, Victoria und Yulia – den drei Sturmtiefs – konnte sich die Windkraftbranche im vergangenen Monat über einen neuen deutschen Rekord freuen: Windmühlen erzeugten hierzulande in einem Monat so viel Strom wie zwei Kernkraftwerke im ganzen Jahr. Nach Berechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) lieferten die Windräder im Februar 20,9 Milliarden Kilowattstunden (kWh) Strom, 17,9 Mrd. kWh davon erzeugten Anlagen an Land. Offshore-Windräder, also jene auf See, steuerten 3 Mrd. kWh bei.

Christoph Feyer, CvD, verantw. für Ressort
„Neue Energien“
(c) Sabine Rübensaat

Doch so richtig große Freude kommt trotz dieser Rekordzahlen bei den Erneuerbaren nicht auf. Schuld ist der scharfe Kontrast zur dramatischen Situation beim weiteren Ausbau von Wind- und Solaranlagen. Die 1.000-Meter-Abstandsregel für neue Windkraftanlagen und der 52-Gigawatt-Deckel für den Sonnenstrom sind die Reizthemen. 

Dass es auch der März in sich haben wird, hofft daher die gesamte Branche. Am 12. März findet in Berlin die nächste Ministerpräsidentenkonferenz von Bund und Ländern statt. Neben einem um 86 ct pro Monat erhöhten Rundfunkbeitrag soll dann auch ein neuer Vorschlag des Bundeswirtschaftsministeriums zu den Mindestabständen zwischen Windrädern und Siedlungen besprochen werden. Zudem hat Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier in Aussicht gestellt, dass der 52-Gigawatt-Deckel für die Photovoltaik in einem Eilgesetz fallen werde. 

Wie heikel die Lage kurz vor dem 20. Geburtstag des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ist, zeigt der Streit über den Mindestabstand von Windrädern, der seit Monaten in der Koalition tobt – ausgelöst ausgerechnet durch einen Beschluss zum Klimapaket. Die darin veranschlagten, bundeseinheitlichen 1.000 Meter würden die verfügbaren Flächen für neue Windparks glatt halbieren. Laut Altmaier sollen die Länder nun aber von der Mindestabstandsregelung abweichen dürfen, allerdings nicht zwingend nur nach unten. Auch größere Mindestabstände wären denkbar. Damit das Ganze für die Windmüller nicht nach hinten losgeht, soll künftig ein „Koordinierungsausschuss“ darüber wachen, dass alle Bundesländer ihren Beitrag zum Ökostrom-Ziel „2030: 65 Prozent“ auch leisten.

Keine Frage, Windräder verändern das Landschaftsbild. Aber ohne Klimaschutz wird sich das noch viel dramatischer ändern. Die Nutzung von Wind- und Solarenergie ist nachweislich die kosteneffizienteste Möglichkeit, eine Energiewende in Deutschland zu stemmen. Das haben Wissenschaftler des Forschungszentrums Jülich in Aachen mithilfe ihrer Hochleistungsrechner  eindeutig nachgewiesen. Für sie ist Windkraft dabei das Rückgrat der Energiewende. Nicht zu vergessen ist dabei, dass die Erzeugung grüner Energie ordentlich Wertschöpfung in die Regionen bringt. Das ließe sich übrigens noch steigern, wenn die Bürger zum Beispiel stärker als bisher am Ausbau der Windkraft beteiligt werden. 


Windenergie: Faire Pacht als Ziel

Bei der kleinsten Chance auf ein neues Windenergiegebiet schwärmen die Projektplaner aus und wollen sich Flächen sichern. Den Eigentümern legen sie dann Verträge vor, die verlockende Einnahmen versprechen. Doch Papier ist geduldig und die Materie kompliziert. mehr


Deutschland importiert 70 Prozent seiner benötigten Primärenergie aus dem Ausland. Und selbst wenn eines Tages Erdöl und -gas durch sogenannten grünen Wasserstoff ersetzt werden, wie es Altmaier den Kollegen vom ZDF voraussagte, würde der Import des energiereichen Gases den Strompreis für uns nahezu vervierfachen. Auch das konnten die Jülich-Wissenschaftler nachweisen. Deshalb kann man nur hoffen, dass die Ministerpräsidenten der Länder die schon oft zitierten Zeichen der Zeit erkannt haben und nächsten Donnerstag die Weichen richtig stellen. Der Countdown läuft.

Protokoll: So liefen die bundesweiten Bauerndemos

Es wird wieder demonstriert: Die Initiative „Land schafft Verbindung – Deutschland“ hat in zahlreichen deutschen Städten zu Protesten aufgerufen. Bleiben Sie auf dem Laufenden mit dem Live-Ticker der Bauernzeitung.

Detlef Finger, Landesredakteur Sachsen-Anhalt
Aus Dessau berichtet Landesredakteur Detlef Finger

Die Initiative „Land schafft Verbindung – Deutschland“ hat heute erneut ein Zeichen gesetzt und ihre Forderungen nach vernünftigen und verlässlichen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft zum Ausdruck gebracht. Die Basisbewegung hat dazu Landwirte zu Protesten in ganz Deutschland aufgerufen.

Die Hauptkundgebung fand in Dessau statt. Ziel der Sternfahrt, zu der Hunderte Bauern mit Traktoren und Bussen in der drittgrößten Stadt Sachsen-Anhalts erwartet werden, war das Umweltbundesamt. Die Behörde hat hier ihren Hauptsitz. Das Umweltbundesamt ist maßgeblich mitverantwortlich für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, aber auch für die Messstellen zur Überwachung der Nitratwerte im Grundwasser und die daraus resultierende Düngeverordnung.


Es war ein Tag voller Proteste, an denen die Landwirte in vielen deutschen Städten ihre Stimme erhoben haben. Und die Demonstrationen gehen weiter: Für den kommenden Samstag, 7. März, ruft „Land schafft Verbindung“ zu einem Mahnfeuer mit Traktoren an der Gedenkstätte „Point Alpha“ direkt an der ehemaligen innerdeutschen Grenze auf. Beginn der Aktion ist um 16.30 Uhr.


Auch die Bauerndemo in Dessau ist inzwischen beendet. Die Landwirte machen sich mit ihren Schleppern auf den Heimweg. Für das Umweltbundesamt gab es zum Abschluss der Kundgebung noch den Satirepreis der deutschen Landwirtschaft, die „Goldene Mistkarre“ – für die negativen Verdienste des UBA um die Landwirtschaft. fi

(c) Detlef Finger

In Dresden in jetzt Schluss: 1000 Traktoren beginnen die Heimfahrt. Die Kundgebung wurde mit einer Andacht beendet.

Vor dem Dresdner Landtag muss sich Antonia Mertsching (die Linke) auf dem Podium einiger wütender Zwischenrufe erwehren. Allerdings ist auch ihr Beitrag teils vorwurfsvoll. Sie spricht von Blockadehaltung des Berufsstandes. Die Teilnehmer kehren ihr demonstrativ den Rücken. kb

(c) Karsten Bär

In Karlsruhe sind etwa 100 Bauern vor Ort, um zu protestieren.

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In Cloppenburg wurden laut Nord-West-Zeitung Lager von Lidl und Amazon blockiert. Ziel der 100 protestierenden Landwirte seien Gespräche mit Lidl gewesen.

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Inzwischen auf der Bauerndemo in Dresden: Der niedersächsische Bundestagsabgeordnete Gero Hocker (FDP) spricht in Dresden. Er sieht Teile der Politik zu weit von der Wissenschaft entfernt. Daran seien auch NGOs Schuld, die Ängste schürten und daraus ein Geschäft machen.

Zu Wort kommen Landwirte und Politiker im Wechsel. Olaf Kranen, Ackerbauer aus Oschatz. Er fordert die DüV auszusetzen und erstmal die Messstellen überprüft. Stolz ist er darauf, dass LsV die Landwirte wieder vereint hat. kb

(c) Karsten Bär

Auf Twitter macht ein Video von den Bauernprotesten in Mainz die Runde. Außerdem wurde der Vorsitzenden des Umweltbundesamtes Kersten in Dessau die „Goldene Mistkarre“ verliehen.

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Seit fast zwei Stunden hören sich die Landwirte in Dessau die Redebeiträge von Berufskollegen aus verschiedenen Bundesländern und von Verbandsvertretern an. Von politischer Ebene ist kein Verantwortlicher aus Magdeburg erschienen. Das stößt den Bauern ziemlich sauer auf. Sie sehen darin eine unerträgliche Ignoranz gegenüber der Landwirtschaft.


In Dresden spricht der Ministerpräsident

Allerdings kann auch Michael Kretschmer den Landwirten die Sorgen nicht nehmen: „Ich kann Ihnen heute nicht sagen, ob die sächsische Staatsregierung dieser Düngeverordnung im Bundesrat zustimmen wird.“


Uns erreichen aktuelle Zahlen aus Hamburg: Nach Angaben der Polizei sind aktuell rund 1.250 Teilnehmer und 750 Traktoren vor Ort.


Die Kundgebung in Dessau ist gut besucht. Zahllose Landwirte sind vor Ort, mit ihnen ca. 500 Traktoren.


Bauerndemo auch in Hamburg: Landwirte aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern machten sich heute in den frühen Morgenstunden mit Traktoren auf den Weg nach Hamburg. Mit ihrer Sternfahrt demonstrierten sie für den Erhalt der verantwortungsvollen und nachhaltigen Landwirtschaft in Deutschland. Für die vielfach noch regional verankerte Landwirtschaft und somit für viele Arbeitsplätze stelle die aktuelle Agrarpolitik eine ernstzunehmende Gefahr dar, heißt es in einer Pressemitteilung von Land schafft Verbindung Deutschland.

Bauerndemo am 5. März in Hamburg_1

Bauerndemo am 5. März in Hamburg

Bauerndemo am 5. März 2020 in Hamburg

Bauerndemo am 5. März 2020 in Hamburg

Nach Angaben der Veranstalter beteiligen sich etwa 2.500 Landwirte mit rund 1.000 Traktoren an der Aktion der norddeutschen Bauerndemo in Hamburg.


Kundgebung in Hamburg

„Wir brauchen Rahmenbedingungen, die uns ein Mindestmaß an Sicherheit bei der Entwicklung unserer Betriebe geben“, betonte Landwirt Rüdiger Schulz von „Land schafft Verbindung Mecklenburg-Vorpommern“. Der Landwirt aus Neuhof auf der Insel Poel nimmt an der Kundgebung auf dem Hamburger Tschaikowskiplatz teil und berichtet vor Ort. ri

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Video (c) Rüdiger Schulz

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Video (c) Rüdiger Schulz

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Hauptkundgebung in Dessau: Die Trecker rollen an

https://youtu.be/jNnhqRgZ6e4
Video (c) Detlef Finger

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Video (c) Detlef Finger

In Dessau sind die Straßen voll


Die Vorbereitungen für die Protestkundgebung laufen auf Hochtouren. Die B184 ist mittlerweile für den normalen Verkehr gesperrt, die Bühne wird aufgebaut. Ab 11 Uhr werden etwa ein Dutzend Redner zu den Landwirten sprechen. Darunter soll auch die neue UBA-Vizepräsidentin Dr. Franziska Kersten sein.

Es geht bei der Demo heute vor allem um die erneute Novellierung der Düngeverordnung. Die Forderung der Landwirte bringt dieses Plakat auf den Punkt.


Die ersten Schlepper stehen aufgereiht auf der B184 in Dessau vor dem UBA.

Bereits seit Dienstag halten Landwirte mit Traktoren vor dem Umweltbundesamt eine Mahnwache ab. Darunter sind neben Bauern aus Sachsen-Anhalt auch Berufskollegen aus Niedersachsen und sogar aus Bayern!


Heute: Große Bauerndemo in Dessau

Der Protest geht weiter: „Land schafft Verbindung“ hat für Donnerstagvormittag eine Demonstration vor dem Umweltbundesamt in Dessau angekündigt. Die Behörde ist maßgeblich mitverantwortlich für die Überwachung der Nitrat-Messstellen.

Die Initiative „Land schafft Verbindung – Deutschland“ will heute erneut ein Zeichen setzen und ihre Forderungen nach vernünftigen und verlässlichen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft zum Ausdruck bringen. Die Basisbewegung hat dazu Landwirte zu bundesweiten Demonstrationen aufgerufen.

Die Hauptkundgebung findet in Dessau statt. Ziel der Sternfahrt, zu der Hunderte Bauern mit Traktoren und Bussen in der drittgrößten Stadt Sachsen-Anhalts erwartet werden, ist das Umweltbundesamt. Die Behörde hat hier ihren Hauptsitz. Das Umweltbundesamt ist maßgeblich mitverantwortlich für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, aber auch für die Messstellen zur Überwachung der Nitratwerte im Grundwasser und die daraus resultierende Düngeverordnung.


+++ Live-Ticker zu den Bauernprotesten +++

Es wird wieder demonstriert: Die Initiative “Land schafft Verbindung – Deutschland” hat in zahlreichen deutschen Städten zu Protesten aufgerufen. Bleiben Sie auf dem Laufenden mit dem Live-Ticker der Bauernzeitung. mehr


In vier Wochen entscheidet der Bundesrat über die Zukunft der deutschen Landwirtschaft. „Land schafft Verbindung“ will gemeinsam mit den Landwirten alle Hebel in Bewegung setzten, damit die neue Düngeverordnung abgelehnt wird.

Die Bauern demonstrieren heute für folgende Themen:

1. Aussetzen der Düngeverordnung und Prüfung der Nitratberichte

2. Sicherstellung der deutschen Lebensmittelproduktion

3. Umsetzung der Zukunftskommission

Die Kundgebung beginnt um 11:00 Uhr in Dessau vor dem Umweltbundesamt.

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Internationaler Frauentag: Powerfrauen in Göricke

Warum eine Finanzwirtschaftlerin nicht nur Zahlen im Blick hat und eine junge Tierärztin ihren Traumberuf gegen eine ebenso erfüllende Aufgabe tauschte. In der Agrargenossenschaft Görike-Schönhagen eG, brandenburgische Ostprignitz, verantworten Mutter und Tochter wichtige Betriebszweige: Controlling und Direktvermarktung. Wir sprachen mit Kerstin Leppin und Dr. Katja Leppin. 

Rüdiger Leppin, Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft, Ehemann respektive Vater unserer Gesprächspartnerinnen, hält sich im Hintergrund, doch – sicher ist sicher – die Verbindungstür zu seinem Büro bleibt offen. Aber wir wollen unter uns sein, nur heute, männliches Korrektiv – bitte draußen bleiben! Erst als er uns lachen hört, und dann immer wieder, ist er entspannt. Beschützerinstinkt abschalten, Tür schließen! 

Bauernzeitung: Klavier, Keyboard, was ich im Vorbeigehen gesehen habe, ist ziemlich ungewöhnlich für die Büroausstattung einer Agrargenossenschaft. Ein Fall von Hausmusik? Fehlt nur noch eine Trompete. Dann könnte man vermuten, hier wird diesem und jenem mal der Marsch geblasen. 

Kerstin Leppin: Unsere 16 Mitarbeiter sind auch ohne solche „Ermunterung“ motiviert. Nein, unsere Familie ist sehr musikalisch, nicht nur Katja, sondern auch meine zweite Tochter und ich spielen mindestens ein Instrument, übrigens auch Trompete. Mein Mann imitiert lieber Udo Lindenberg. 

Frauentag bei Familie Leppin
Mutter Kerstin Leppin mit Tochter Katja (c) Sabine Rübensaat

Dritter Versuch: Üben Sie etwa ein Ständchen zum Frauentag?

Kerstin Leppin: Wir proben für eine große Familienfeier. Nach Feierabend.

Apropos Frauentag. Kann Ihre Generation, Katja, also die der Um-die-30-Jährigen noch etwas damit anfangen?

Katja Leppin: Im vorigen Jahr hat meine Mutter am 8. März eine Feier für alle Frauen aus unserem Dorf arrangiert. Die Jüngeren waren im Vorfeld nicht begeistert, meinten, och, ist doch Nostalgie! Mehr Wertschätzung und Unterstützung der Frauen im Alltag, das wäre nötig – Punkt. Gerade die haben dann besonders interessiert zugehört, als die Sprache auf die Anfänge der Frauenbewegung kam und was wir den Aktivistinnen zu verdanken haben. 

Kerstin Leppin: Eine Kanzlerin, ein bisschen Frauenförderung, das reicht nicht.  

Frauen bleiben monatelang im Weltall, retten als Kapitänin Flüchtlinge, stellen sich an die Spitze der Klimabewegung. Brechen wir das mal runter auf die Agrargenossenschaft Görike-Schönhagen. Wie wurden aus Ihnen Frauen in Schlüsselpositionen?

Kerstin Leppin: Wir haben uns als Agrargenossenschaft 1990 aus der ehemaligen LPG heraus gegründet, einer Vorzeige-LPG übrigens. Heute bewirtschaften wir 900 ha Ackerland, betreiben eine Biogasanlage mit 390 KW und konventionelle Schweinehaltung mit 2.800 Tieren, sind QS- und Tierwohl-zertifiziert. Mein Mann Rüdiger leitet die Pflanzenproduktion und die gesamte Agrargenossenschaft. Ich bin für die Buchhaltung zuständig. 


Katja und Kerstin Leppin grüßen alle Landfrauen zum Frauentag


Einblick, Durchblick, Zahlen. Ihre Leidenschaft?

Kerstin Leppin: Mein Vater wollte mich von allem fernhalten, was mit Landwirtschaft zu tun hat. Plackerei, meinte er! Er wusste, wovon er sprach. Mit Katja agiert die achte Generation unserer Familie hier in Görike. Irgendwann habe ich nachgegeben, Finanzwirtschaft studiert und in der Buchhaltung der LPG angefangen. Sitzende Tätigkeit – war anfangs nicht leicht auszuhalten bei meinem Bewegungsdrang! 

Wie haben Sie den Mangel kompensiert?

Kerstin Leppin: Früher mit Fußballspielen. Aber ich bin ins Metier reingewachsen. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich das alles aufschreiben, vielleicht auch unter dem Frauen-Aspekt. Wir haben als Familie schon zu LPG-Zeiten immer geschlachtet und geräuchert. Später haben wir drei, vier Rinder gehalten, die sollten die Wiese um die Ecke pflegen und wurden zu Weihnachten zu Fleisch- und Wurstpaketen für die Belegschaft. Daran anknüpfend entstand die Idee, in die regionale Eigenvermarktung einzusteigen. Mit unserem kleinen Tierbestand war das aber unprofessionell. Dann kam Katja und sagte, das geht besser! Wir stellen auf innovative, ökologische Landwirtschaft mit Tradition um, betreiben Mutterkuhhaltung. 



Katja Leppin: Das war vor zwei Jahren. Die Direktvermarktung ist heute das vierte Standbein der Genossenschaft. Wir haben unseren Tierbestand mit alten Landrassen aufgestockt, halten derzeit 40 Angus-Rinder und 20 Duroc-Schweine sowie Kamerunschafe. Den gesamten Bestand betreue ich eigenverantwortlich. Alle Tierarten werden artgemäß, stressfrei, im eigenen Verband gehalten, wachsen ohne präventive Antibiotikagaben und ohne Leistungsförderer auf. Nach dem Schlachten durch einen Fleischer der Region vermarkten wir die Produkte unter unserem Label „Landgeschmack“. Das habe ich schützen lassen. Wir achten, darauf, dass das ganze Tier verarbeitet wird. 

From nose to tail, von der Nase bis zum Schwanz also.  

Katja Leppin: Es kann nicht angehen, dass Tiere nur eines Filets wegen ihr Leben lassen. Alles hat seinen Wert und kann zu wunderbaren Gerichten zubereitet werden. Man muss nur wissen, wie. Wir haben einen Online-Shop aufgebaut und einen kleinen Hofladen in der ehemaligen Schlachteküche. Wir halten ja drei Tierarten und innerhalb derer jeweils drei Gewichts- und Altersgruppen. Das ermöglicht saisonalen Absatz. Dazu haben wir ein Netzwerk an Kunden geknüpft, vor allem in der Gastronomie der Region und Berlin. Bei jedem Kundenkontakt versuche ich, unsere Art der Tierhaltung zu vermitteln, Details zu Fütterung und Schlachtung, dass das Rindfleisch drei Wochen am Knochen reift, wir kein Pökelsalz verwenden, weil es im Verdacht steht, einige Krebsarten zu begünstigen. Das alles ist noch ausbaufähig. 



Zum Beispiel? 

Katja Leppin: Die Angus-Herde ist noch im Aufbau, letztens war ein Zuchtbulle da. Ein Antrag auf Weideschlachtung läuft, wir werden hoffentlich bald die ersten in der Prignitz sein, die sie praktizieren. Die Methode erlaubt stressärmeres Töten, das wirkt sich positiv auf die Fleischqualität aus. Der Auslauf für die Schweine soll weiter vergrößert und das Umfeld um den Hofladen attraktiver gestaltet werden. Die nächste Etappe feiern wir im Herbst mit einem Bau-Hof-Fest. 

Um all das auf die Beine zu stellen, gaben Sie die Tierme­dizin auf. Doch kein Traumberuf? 

Katja Leppin: Im Moment fühlt sich, was ich mache, hundertprozentig richtig an. Ob das in fünf, sechs Jahren noch so ist, wird sich zeigen. Ich hatte den Antrieb, fast alle Facetten der Tiermedizin kennenzulernen, habe zusätzliche Praktika gemacht, in einer Kleintierpraxis, mit Großtieren, in der Rostocker Tierklinik gearbeitet, promoviert. 

Mit welcher Erkenntnis?

Frauentag Reportage Frau Traktor
Auf dem Traktor: Katja Leppin (c) Sabine Rübensaat

Katja Leppin: Dass der alleinige Praxisalltag und wissenschaftliche Forschung nicht auf mich passen. Ich bin eine Natur-Tante! 

Großtiere wären eine Option. Sie sind ja nahe dran. 

Katja Leppin:  Für mich persönlich und in meinen Augen ist das eine sehr schwere Arbeit für Frauen. Nicht für alle. Vor diesen Kolleginnen habe ich großen Respekt.  

Wir meinen immer, wir müssten alles können. Das wird uns von der Männergesellschaft eingeredet.

Katja Leppin: Die Männer haben damit nichts zu tun. Zumindest in unserem Betrieb arbeiten Männer und Frauen Hand in Hand. Es ist einfach wichtig, über eine gesunde Selbsteinschätzung zu verfügen. Wer sich überhebt, scheitert oft. Als ich anfing, die Direktvermarktung aufzubauen, habe ich parallel in einer Kleintierpraxis gearbeitet, das ging nicht lange gut. Jeder sollte das Instrument spielen, das er am besten beherrscht. 

Was reizt Sie an Ihrer Aufgabe?

Katja Leppin: Ich kann mich frei entfalten, Ideen einfließen lassen aus allem, was ich mal gelernt, studiert und ausprobiert habe. Vom Kastrieren der Bullenkälber bis hin zur Produktgestaltung, mein Wirkungsfeld ist sehr breit. 

Zu Ihren Kunden gehören derzeit unter anderem angesagte Restaurants der Berliner Spitzen-Gastronomie. Wie kriegt man da einen Fuß in die Tür? 

Katja Leppin:  Ich versuche, viel Aufklärung zu schaffen und die Eckpfeiler unseres Konzeptes hervorzuheben, eben das, was unsere Produkte ausmacht, wofür wir voller Überzeugung stehen. Dann zählen sehr schnell Qualität, Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Termintreue. 

Nur noch dies. Zwei Frauen in Schlüsselpositionen eines Betriebes, dazu Mutter und Tochter, geht das gut?

Frauentag in Görike
Frauentag in Görike © Sabine Rübensaat

Katja Leppin: Wir haben ein geordnetes Regime, jeder hat seinen Part, wir stimmen uns ab, quatschen offen über alles, aber reden uns nicht rein. Manchmal sehen wir uns den ganzen Tag über nicht. Gleichzeitig ist unser Familiensinn stark ausgeprägt. Meine Mutter ist für mich ein wichtiger Impulsgeber, mein Vater steigt sofort ein, wenn ich eine Idee äußere: Um sie dann gemeinsam auf ihre Realitätstauglichkeit zu checken. Wenn ich morgens aufwache, denke ich immer: Womit kann ich heute die Welt ein bisschen besser machen, sei es im Kleinen? Die Zufahrtsstraße zum Dorf müsste dringend erneuert werden. Da bleibe ich dran. Lasse mich sowieso nie abwimmeln oder mit fadenscheinigen Argumenten abspeisen. Ein Leben reicht nicht, um alles zu realisieren, was mir vorschwebt. 

Klingt groß … 

Kerstin Leppin: Wir wollen den Standort Görike und das Dorf erhalten, mit unseren Mitteln. Vor 13 Jahren habe ich einen Chor gegründet. Okay, auch weil mir etwas langweilig war, als die Kinder aus dem Haus waren. Der hat jetzt 35 Mitglieder. Über 15 Prozent der Einwohner Görikes! Es gibt Tanzabende, Vereine, die keinen Winterschlaf kennen … Schaun Sie mal, da drüben steht ein Gehöft leer, man könnte ein Mehrgenerationenhaus draus machen oder etwas anderes in der Art, das Alt und Jung zusammenführt. Ringsherum sterben Dörfer. Seinerzeit hat die LPG den jungen Leuten finanzielle Unterstützung beim Hausbau gewährt, Straßen gebaut, sogar ein kleines Schwimmbad. Das ist jetzt völlig marode. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will die DDR nicht zurückhaben, aber politisch passiert mir zu wenig, damit die Leute nicht abwandern. Entschuldigung, aber jetzt müssen wir doch noch eine Runde proben für unsere Feier! Sonst gehts schief!

Stimmt, harmonisches Zusammenspiel klappt nicht ohne Übung. Nirgends übrigens. 

Das Gespräch führte Jutta Heise 



Als Landwirt für die Zukunft aufstellen

Auf der Mitmachtagung Bio2030 in Nauen bei Berlin war für jeden gestandenen und zukünftigen Ökolandwirt etwas dabei. Im Fokus standen Ackerbau und Vermarktung – und eine besonders lukrative Nischenkultur.

Von David Benzin und Klaus Meyer

Vertikale Bodenbearbeitung, Minimal-Bodeneingriff, weite Fruchtfolgen oder intensiver Zwischenfruchtanbau? Wie Ackerbauern erfolgreich und nachhaltig in die Zukunft steuern können, war das Thema auf der Bio-Mitmachtagung am 26. Februar. Reichlich Praxiswissen, viele Fragen und der Mut, etwas auf dem eigenen Betrieb zu verändern – die 120 Teilnehmer haben all das nach Groß Behnitz bei Nauen in Brandenburg mitgebracht. Treffpunkt war der alte Rinderstall auf dem Landgut Stober – ehemals im Besitz der Berliner Industriellenfamilie Borsig.
Die Organisatoren Conrad Thimm und Bioberater Gustav Alvermann hatten sich ein straffes Programm überlegt. Dann ging es Schlag-auf-Schlag. Sechs geladene Biolandwirte hatten jeweils fünf Minuten Zeit, ihre innovativen Betriebskonzepte vorzustellen. Darunter:

  1. Jörg Juister vom Gut Wilmersdorf (Brandenburg),
  2. Peter Stuckert, ehemals vom Gut Klepelshagen (Mecklenburg-Vorpommern),
  3. Hubertus von Rundstedt vom Rittergut Schönfeld (Sachsen-Anhalt),
  4. Christian Eiblmaier von der Öko-Agrargesellschaft Wesenberg (Mecklenburg-Vorpommern),
  5. Dr. Wilhelm Schäkel und sein Betrieb, die Bio Ranch Zempow, aus Brandenburg und
  6. Jens Petermann von der Produktivgesellschaft Dannenberg/Mark in Brandenburg.

Anhand der Kurzporträts der Betriebe wurden Arbeitskreise gebildet. Hier sollte es dann wirklich zur Sache gehen – und Probleme offen diskutiert werden.

Wie Bodenaufbau im Zuge von Klimaveränderungen realisiert werden kann und wo sich Bodenbearbeitung, Fruchtfolge und Düngung ergänzen, war Thema der Stunde im Arbeitskreis von Jens Petermann aus Dannenberg/Mark. 15 Teilnehmer aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik haben sich in dieser Runde gegenübergesessen. Jeder mit Herausforderungen, die auf dem Betrieb zu bewältigen sind.

Landwirt Jens Petermann war bereits Mitte der 2000er-Jahre Teil der „Freunde der Direktsaat“. Dieses Anbauverfahren schien damals die Lösung vieler ackerbaulicher Probleme zu sein, berichtete er. Doch dabei gibt es ein Problem: Einen schlechten Bodenzustand bekommt man nur durch die Direktsaat auch nicht wieder auf Vordermann. Und vor allem sandige und sehr dicht gelagerte Böden sind hierfür ungeeignet.

In der Diskussion kristallisierten sich drei Kernpunkte deutlich heraus: Die Bodenaktivität muss gefördert und aufgebaut werden. Dafür sind Mut und die Bereitschaft für Veränderungen nötig. Zur Realisierung der Kernpunkte sind fachliche Kompetenz (z. B. bei der Düngeverordnung) bei Entscheidungsträgern nötig.

Chancen für Regio-Bio

Am Nachmittag machte die Mitmachtagung ihrem Namen alle Ehre. Veranstalter und Moderator Conrad Thimm präsentierte zu Thesen wie „Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg ist die große Chance für Bio und Regionales im Nordosten …“ vier verschiedene Meinungen von:

Jeder Meinung war eine Ecke des Tagungsraums zugeordnet. Dadurch, dass die Teilnehmer durch aktives Aufsuchen der entsprechenden Ecke ihre Meinung zur These kundtaten, wurden die Mehrheitsverhältnisse bildlich dargestellt. Es blieb dabei keine Ecke leer, wobei die meisten in den Ecken b und d standen. Wortmeldungen aus den Gruppen unterstrichen deren Meinungen.

Die Aussage der These war auch Hauptthema des Nachmittags. Auf der einen Seite gibt es viele Biobetriebe und Umsteller rund um Berlin, die aber zunehmend, insbesondere aufgrund der aktuellen Preise, vom Biomarkt enttäuscht sind und auf der anderen Seite gibt es die Hauptstadtregion mit großem Absatzpotenzial für Bioprodukte. Es sollten Antworten gefunden werden auf die Frage: Wie kann dieses Potenzial gehoben werden und welche Chancen bietet der Handel? Anschließend stellten Vertreter des Handels ihre Unternehmen und das Thema, das sie in den anschließenden Arbeitskreisen mit den Teilnehmern diskutieren wollten, kurz vor.

Öllein als Cash-Crop

Im Arbeitskreis Öllein-Erzeugergemeinschaft berichtete Bioland-Berater Peter Stuckert von seinen Erfahrungen mit Öllein und anderen hochpreisigen Körnerfrüchten als praktischer Landwirt und antwortete auf Fragen zu Anbau, Ernte und Lagerung sowie Vermarktung dieser Ölfrucht. Obwohl Erträge von etwas über 1 t/ha eher die Regel als die Ausnahme sind, machen Erzeugerpreise von 1.400–2.100 €/t für saubere Ware den Anbau lukrativ. Für solche Preise muss das Erntegut „gut riechen“ und die Körner dürfen nicht angeschlagen sein. Da die Untersuchung auf Schwermetalle und Pflanzenschutzmittelrückstände sehr teuer sind, sollte die Mindestfläche 10 ha betragen. Die Ölmühlen bevorzugen zunehmend heimische Ware gegenüber osteuropäischen Herkünften. Um die Mengen für eine bessere Vermarktung zu bündeln und zum Erfahrungsaustausch wollte Stuckert mit dem Arbeitskreis die Gründung einer Erzeugergemeinschaft anstoßen.

Dr. Wilhelm Schäkel auf der Bio-Mitmachtagung. (c) Klaus Meyer

Es wurden gleich eifrig Kontaktdaten ausgetauscht, unter anderem von Dr. Wilhelm Schäkel von der Bio Ranch Zempow, der sich ebenfalls eine Erzeugergemeinschaft für Hanf vorstellen könnte. Für ihn ist Hanf seit Jahren ein fester Bestandteil seiner Fruchtfolge. Die Vermarktung der Körner und Blätter für die Herstellung von Öl, Tee und hanfsamenhaltigen Lebensmitteln gestaltet sich vor allem aus rechtlichen Gründen nicht so einfach. Die Moderatoren der verschiedenen Arbeitskreise stellten kurz deren Ergebnisse vor. Für den Arbeitskreis Einzelhandel berichtete Marcus Wewer von der Rewe Group in Köln. Zu den sicheren Bioprodukten, die im Einzelhandel immer gehen, zählen Milch, Fleisch, Mehl, aber auch zunehmend vegane Produkte. Zum Beispiel sei Hafermilch aus Deutschland „der Renner“. Fleischersatzprodukte seien ebenfalls im Kommen. Regionale Produkte spielen seinen Angaben zufolge für Rewe eine große Rolle.

Geschichten gesucht

„Unser Unternehmen sucht Lieferanten, die Lebensmittel herstellen, die nicht jeder produziert, sozusagen besondere Produkte mit einer interessanten Geschichte drumherum“, erläuterte Brain Frank von Trans Gourmet. Dabei spiele die Größe des Lieferanten keine Rolle. Das Unternehmen beliefert Kunden aus der Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung als Vollsortimenter mit etwa 35.000 Artikeln. Mit der Marke „Ursprung“ möchte Trans Gourmet das nachhaltigste Unternehmen in der Lebensmittelbranche werden. Frank legte dar, wie das Unternehmen schon mit kleineren Lieferanten zusammenarbeitet und welche Chancen sich potenziellen Lieferanten bieten. Auch das Lübchiner Strohschwein gehört zum Portfolio und eine Fischaktie ist ebenfalls im Angebot. Mit dem Erwerb der Fischaktie verpflichtet sich der Kunde, eine definierte Menge abzunehmen. Diese Art des Crowd-Farmings hat laut Frank folgende Vorteile für den Produzenten:

dadurch wächst der Stellenwert der Ware.

Luisa von Münchhausen vom Gut Rosenkranz und Moritz Günther von der Marktgesellschaft der Naturland Bauern AG stellten, obwohl sie Konkurrenzunternehmen sind, gemeinsam ihre Ergebnisse vom Arbeitskreis „Konsum- und Futtergetreide, Druschfrüchte“ vor. Deren Quintessenz ist, dass es sehr wichtig ist, dass Vertriebspartner und Landwirt miteinander reden. Für eine gute Vermarktung und konstante Preise brauchen die Unternehmen hohe Qualitäten und sie müssen wissen, welche Mengen über das ganze Jahr hinweg verfügbar sind. Aus ihrer Sicht könnten die Landwirte durch eigene Lagerung und Aufbereitung mehr Wertschöpfung generieren. Es fehlen leider besonders um Berlin regionale Verarbeitungsunternehmen.

Umstellung war das Hauptthema des Arbeitskreises Milch/Milchprodukte. Laut Michael Müller von der Luisenhof Milchmanufaktur ist „Bio nicht die Allgemeinlösung“. Der Landwirt sollte vorher klären, nach welchen Verbandsrichtlinien er erzeugen und an wen er die Milch liefern will.

Landkost-Ei sucht Halter

Richard Geiselhart vom Eiererzeuger und -vermarkter Landkost-Ei in Bestensee sucht Biolandwirte, die interessiert sind an Stallprojekten im Bereich Legehennen, an Eierproduktion, an Biojunghennen-Erzeugung, Aufzucht von Biohähnen. Das sind seiner Ansicht nach die Märkte, in denen die Landwirte noch Einkommen generieren können. „Regionale Verbandsware“ ist der absolute Knaller betonte Geiselhart. Leider gibt es keine nennenswerte regionale Bioeierproduktion in Brandenburg.

Landkost-Ei bietet an, die zukünftigen Produzenten in allen Bereichen zu unterstützen: Sie bauen die erforderlichen Silos, sie helfen bei der Finanzierung, sie betreiben sogar die Ställe für den Landwirt, wenn er es allein nicht schafft. „Weil die großen Schlacht- und Verarbeitungskonzerne an den kleinen Mengen der Ökobranche im Bereich Schwein und Rindfleisch nicht interessiert sind, müssen wir an anderer Stelle schlachten und zerlegen“, ist die Aussage von Jürgen Hansen zum Thema Fleisch. Es fehlen regionale Schlachtkapazitäten, denn der Markt für Öko wächst. Auf der Tagung wurden viel Wissen und Kontakte im Bereich Bodenverbesserung und Vermarktung vermittelt. Davon hätten noch mehr Landwirte profitieren können, wären sie da gewesen.

„Der Faktor Fläche ist insgesamt entscheidend“

Frank Jarmer, Vorstand des Energieanbieters JES AG, spricht im Interview mit der Bauernzeitung über die Bedeutung Agrophotovoltaik bei den erneuerbaren Energien – und erklärt, warum sein Unternehmen zunehmend außerhalb des EEG plant.

Herr Jarmer, die Energie- und Klimaziele der Bundesregierung bringen einen großen  Flächenbedarf mit sich. Das trifft auch auf Freiflächen-Photovoltaikanlagen zu. Ist das der Grund, warum die JES AG aus Rostock künftig auch verstärkt auf Agrophotovoltaik setzt?

Agrophotovoltaik - Frank Jarmer, Jes AG
Frank Jarmer, Vorstand der JES.AG in Rostock (c) JES.AG

Zunächst einmal halten wir die Photovoltaik für eine absolut zentrale Technologie, um die Energie- und Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen. Sie ist sauber, leise und wirtschaftlich; die Anlagen können über viele Jahre hinweg ohne Förderung betrieben werden. Deshalb setzen wir bei JES AG auf diese Technologie und haben dafür Investitionen von bis zu 250 Millionen Euro in den nächsten Jahren eingeplant. Aber klar: Der Faktor Fläche ist für die erneuerbare Energieerzeugung insgesamt entscheidend. Um nicht mit der Landwirtschaft in eine Flächenkonkurrenz zu treten, bieten sich für die Photovoltaik auch kombinierte Nutzungsarten an – da haben wir zum  Beispiel gegenüber der Windkraft oder den Energiepflanzen entscheidende Vorteile. Die Agrophotovoltaik ist eine dieser kombinierten Nutzungsarten, mit denen wir uns bei der JES AG intensiv beschäftigen. Grundsätzlich gilt, dass die Erträge aus Photovoltaik und weiteren Nutzungsarten im Einklang stehen müssen, hier stehen wir alle noch am Anfang einer Entwicklung.

Können Sie das JES-Konzept näher erläutern?

Die JES AG plant den weitreichenden Aufbau eigener Freiflächen-Erzeugungskapazitäten überall in der Bundesrepublik. Ein erster Schwerpunkt liegt dabei auf Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Den so erzeugten Strom, der klimaneutral und nachhaltig ist, können wir unseren Kunden zu langfristig stabilen Preisen direkt anbieten. Das Gleiche gilt für Aufdachanlagen, die wir ebenfalls anbieten. Wir planen unabhängig vom EEG und sind mit unserem Grün­strom auch nicht mit steigenden Preisen für Primärenergieträger und CO2-Abgaben belastet. Deshalb können wir langfristig kalkulieren. 

Der 52-Gigawatt-Deckel wird den ­zukünftigen Ausbau der Photovoltaik stark begrenzen. Rechnen sich Agro-PV-Anlagen auch ohne EEG? Und gibt es da eine wirtschaftliche Mindestgröße?

Wir planen in zunehmendem Maße außerhalb des EEG und sind deshalb auch unabhängig vom 52-GW- oder irgendeinem anderen Deckel. Die Wirtschaftlichkeit hängt dabei von mehreren Faktoren ab eben der Flächengröße, Lage und Beschaffenheit sowie möglichen weiteren Nutzungsarten. Wir entwickeln daher immer individuelle Lösungen, die zur Fläche passen und auch ganz eigene Anforderungen der Flächeninhaber berücksichtigen. Das kann für einen Landwirt eine Agrophotovoltaik-Lösung sein oder für eine Gemeinde zum Beispiel ein Gemeindestromtarif oder eine Kombination mit Lademöglichkeiten für Elektrofahrzeuge. Daraus muss sich ein Gesamtbild mit entsprechender Wirtschaftlichkeit ergeben. Eine Faustformel gibt es dafür nicht.


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Wo sehen Sie Ihre Stärken gegenüber den großen Energieversorgern im Land?

Wir sind ganz einfach beweglicher. Als mittelständischer Energieversorger, der seine Anlagen selbst entwickelt, errichtet und betreibt, sind wir zum einen in der Lage, sehr scharf zu kalkulieren und diesen Preisvorteil auch an unsere Vertragspartner weiterzugeben. Zum anderen ist es uns wichtig, mit jedem Flächeninhaber eigene Lösungen zu entwickeln und diese Projekte auch langfristig zu begleiten. Kurz gesagt: Wir sind nicht weg, sobald die Anlage steht. Wir bleiben da und übernehmen langfristig die Verantwortung für die von uns installierten Anlagen, auch mit persönlichem Einsatz

Welche Flächen sind für die Sonnenstrom­erzeugung besonders gut geeignet? 

Das sind zum einen natürlich Freiflächen, die landwirtschaftlich nicht optimal genutzt werden können. Außerdem Flächen in der Nähe von Autobahnen, Bahntrassen und Konversionsflächen, aber auch Flächen in der Nähe von Industriegebieten. Wenn das Gesamtbild stimmt, kommen auch landwirtschaftlich genutzte Flächen infrage, hier kommen wir dann wieder zum Thema Agrophotovoltaik.

JES.AG
Rosa-Luxemburg-Str. 19
18055 Rostock

Zur Webseite

Wie können interessierte Landwirte oder Gemeinden mit Ihnen in Kontakt treten?

Wir sind bereits im Gespräch mit verschiedenen Landwirten, Gemeinden und Kommunen, und stehen auch weiteren Interessenten gern mit Rat und Tat zur Seite, wenn es um die Entwicklung kombinierter Flächennutzungen mit Photovoltaik geht. Wir sind da ganz unkompliziert. Rufen Sie einfach an oder schreiben Sie uns eine E-Mail.

Interview: Christoph Feyer

Arla in Karstädt: Schließung geplant

Arla Deutschland fasst die Schließung des Standortes im brandenburgischen Karstädt ins Auge. Die Produktion soll an den Standort Upahl verlagert werden, plant das Tochterunternehmen der schwedisch-dänischen Molkereigenossenschaft Arla Foods.

Bei der deutschen Tochter von Arla Foods wackelt ein ostdeutscher Verarbeitungsstandort. Der Konzern plant, das Werk im brandenburgischen Karstädt zu schließen und die dortige Produktion an den Standort Upahl in Westmecklenburg zu verlagern. In der 2011 von Arla übernommenen Fabrik in Karstädt wird ausschließlich Magermilchpulver hergestellt. Die jährliche Produktionskapazität lag laut Unternehmensangaben zuletzt bei 95 Mio. kg.

Während dänische Medien vergangene Woche bereits von einer endgültigen Entscheidung sprachen, betonte ein Sprecher von Arla Deutschland gegenüber dem Pressedienst Agra-Europe, dass über einen entsprechenden Schritt aktuell noch diskutiert werde. Eine finale Entscheidung zur Zukunft des Standorts solle in den kommenden zwei Monaten erfolgen.

Lange Wege wären schlecht für das Klima

„Viele waren bestürzt, als sie von den Schließungsplänen erfuhren“, sagt Christine Streese, seit Januar Geschäftsführerin des Kreisbauernverbandes Prignitz. „Was die Milchabholung betrifft, wird sich für die Landwirte nicht viel ändern. Denn viele Optimierungen wurden schon im vergangenen Jahr eingerührt. Trotzdem: Die Molkerei war immer eine feste Größe in der Region. Wenn sie schließt, ist das auch ein emotionaler Verlust.“ Streese gibt zu bedenken, dass alle Milchviehbetriebe angehalten seien, die CO2-Bilanz ihrer Produktion im Blick zu haben. „Hoffentlich schlägt der weite Weg nach Upahl sich nicht im CO2-Abdruck der Betriebe nieder“, so Streese.

Stärkung regionaler Wertschöpfung und Strukturen, kurze Transportwege, Klimaschutz – die Schließung der Molkerei würde allem zuwider laufen, was agrarpolitisch gefordert und auch sinnvoll wäre, so Dr. Tino Erstling, Pressesprecher des Landesbauernverbandes. 

Sinkende Milchlieferungen und nötige Investitionen

Nach Darstellung des Unternehmenssprechers erwägt Arla, die gesamte Milchmenge von Karstädt in das Werk in Upahl zu verlagern. Denn die Anlieferung sei in der Region seit 2017 gesunken.Zudem habe der kleine Standort Karstädt inzwischen zu wenig Kapazitäten, um Magermilchpulver auch zukünftig wirtschaftlich zu produzieren. Zudem würde der Standort Investitionen benötigen, um seinen technischen Standard auf den neuesten Stand zu bringen. Gleichzeitig verfüge das Werk in Upahl jedoch über freie Kapazitäten. Es könnte die Milch aus Karstädt ohne Zusatzinvestitionen verarbeiten, heißt es bei Arla.

Arla Standort Karstädt: Fortbestand wirtschaftlich nicht tragbar

Eigenen Angaben zufolge hat das Management von Arla Deutschland bereits verschiedene Optionen für den Fortbestand der kleinen Molkerei in Karstädt geprüft. Man konnte aber keine wirtschaftlich tragfähigen Lösungen finden. Daher müsse man leider die Schließung der Molkerei in Karstädt in Betracht ziehen, hieß es. Laut dem Sprecher ist das Unternehmen bereits auf den Betriebsrat zugegangen, um die aktuellen Planungen zu besprechen und über die notwendigen nächsten Schritte zu verhandeln. Zudem seien die betroffenen 21 Mitarbeiter in Karstädt über die geplanten Maßnahmen in einer Betriebsversammlung informiert worden. AgE/mil

Schilfrohrweber: Rascheln muss es

Es ist ein jahrhundertealtes, aber aussterbendes Handwerk – das Schilfrohrweben. Doch in Pritzerbe im Havelland hat es überlebt. Wir haben den brandenburgischen Rohrwebern über die Schultern geschaut.

Von Bärbel Arlt

Heftige Windböen pfeifen durchs Schilf, tags zuvor hat es zudem noch geregnet. Wolfgang Wagner zieht die Stirn kraus: Das Wetter ist für die anstehende Schilfrohrernte nicht ideal. „Besser wären knackige minus zehn Grad. Dann lässt sich das Schilf gut schneiden. Aber durch den Wind fällt es kreuz und quer und damit nicht so, wie wir es fürs Binden gern hätten. Und Nässe bedeutet natürlich mehr Aufwand beim Trocknen. Aber was hilfts, bis zum 29. Februar muss die ­Ernte eingebracht sein. Danach beginnt die Schonzeit für die Brutvögel“, sagt der Museumsmitarbeiter der wohl noch einzigen deutschen Rohrweberei. Und so zieht sich sein Kollege Daniel Lorenz warm an und die Kapuze tief ins Gesicht, wirft den Balkenmäher an und schon geht es den Pflanzen an den Kragen bzw. ans Rohr.

Schilf: Vollkernig und robust

Auf rund 2.000 m2 wächst das Schilf oder besser gesagt Miscanthus direkt neben der Rohrweberei am Pritzerber See. „Das ist ein bambusähnliches Schilf aus Asien, robust, genügsam, widerstandsfähig, pflegeleicht. Die Pflanze wächst um die 25 Jahre immer wieder nach, ist vollkernig, also nicht hohl, und reckt sich trockenen Fußes in die Höhe. Das heißt, sie ist keine Wasserpflanze. Das hat den Vorteil, dass wir bei der Mahd nicht wie im Schilfgürtel am See in ein empfindliches Ökosystem eingreifen und auch ohne Frost ernten können“, klärt uns Wolfgang Wagner auf. Allerdings seien die Halme mit um die 2,5 bis 3 m ziemlich kurz, was möglicherweise am trocknen Sommer im vergangenen Jahr liegt. Normalerweise schießen sie vier Meter und mehr in die Höhe.



Kultiviert wird Miscanthus in Pritzerbe, das zur Stadt Havelsee gehört, seit 1998. Bis dahin wurde das im naheliegenden See reichlich vorkommende Schilf geerntet, was entweder vom Kahn aus oder meist bei Frost erfolgte. Denn dann konnte das Rohr über der Eisfläche geschnitten werden. Doch zugefrorene Seen sind Mangelware geworden, die Schilfgürtel stehen unter Naturschutz und sind Rückzugsort für seltene ­Vögel wie die Rohrdommel. „Im vergangenen Jahr hatten wir eine“, schwärmt Wagner und führt uns zum Schilferlebnissteg, der 42 m in den Schilfgürtel des 190 ha großen Sees hineinragt.

In Pritzerbe wird Schilf zur Kunst. (c) Thomas Uhlemann

Direkt neben dem Steg hat ein Biber seine Burg gebaut – und verlassen, denn das Niedrigwasser hat den Burgeingang freigelegt. Und das mag der Nager gar nicht. Doch die Burg hatte schnell neue Bewohner. „Jetzt wohnt eine Minkfamilie drin“, weiß der 58-Jährige, der die putzigen Tiere schon oft gesehen hat. Uns zeigen sie sich leider nicht. Wen zieht es bei diesem stürmischen Wetter schon aus dem geschützten Bau. Und auch uns zieht es wieder ins Museum zurück.

Dort webt Heike Wagner wie zu uralten Zeiten an einem Handwebstuhl eine Schilfmatte. „Das wird ein vier Meter langer Sichtschutz für einen Balkon“, verrät sie, während sie Halm für Halm übereinanderlegt und mit Bindegarn fest verknotet. Ruckzuck geht das – wenn man den Dreh raus hat. Und den hat sie. Jeder Handgriff sitzt. „Selbst angeeignet.“ Seit vielen Jahren arbeitet die 57-Jährige in der Rohrweberei und webt Schilfrohrmatten – mit sehr viel Freude, wie sie sagt, wenngleich sie auch gern an ihre Zeit als Kranführerin im Stahlwerk Brandenburg zurückdenkt. Sie hat dort gelernt, im Vierschicht-System die Öfen befüllt – und Ehemann Wolfgang kennengelernt.

Schilfrohrweber: Tradition bewahren

Doch mit dem Aus für das Werk musste für die Kranführerin und den Elektriker eine neue berufliche Herausforderung her. Nie hatten sie sich träumen lassen, dass das mal die Rohrweberei in Pritzerbe sein würde, die seit fünf Jahren ein Museum ist. „Ein produzierendes Museum“, präzisiert Wagner. Das heißt, hier werden nach alter Tradition in Handarbeit Schilfrohrmatten vor allem als Wind- und Sichtschutz für Balkon oder Terrasse, Fensterrollos und auch Schattendecken für Gärtnereien, Abdeckungen für Wintergärten gewebt – ganz nach den individuellen Wünschen der Kunden, die vor allem auch aus Berlin kommen. „Durch die Bundesgartenschau 2015 sind viele auf uns aufmerksam geworden und regionale, nachwachsende Naturprodukte sind im Trend und gefragt“, freut sich Wolfgang Wagner.



Berlin war übrigens schon immer ein Hauptabnehmer havelländischer Schilfrohrmatten. Bei einem Rundgang durch das kleine Museum erfahren wir warum: Mit der Industrialisierung um 1900 und dem damit verbundenen Bauboom entstanden nicht nur Ziegeleien, sondern auch Rohrwebereien. Denn ein gefragtes Baumaterial war das sogenannte Unterputzgewebe mit dem natürlichen Rohstoff Schilf, das im wasserreichen Havelland reichlich vorhanden war und so siedelten sich Rohrwebereien bevorzugt dort an. Die in Pritzerbe gibt es allerdings erst seit 1946. Ein Einwohner der Stadt erwarb nach dem Zweiten Weltkrieg das ehemalige Schützenhaus, machte es zu einer Rohrweberei, wurden doch nach dem Krieg Putzmatten fürs Baugewerbe dringend gebraucht.

Seit den 1960er-Jahren hat dann allerdings der Beton das Schilf abgelöst und die Webereien wurden zu einem sterbenden Gewerbe. In Pritzerbe hat es bis heute überlebt. Zwar hängte 1998 der letzte Rohrweber auch hier sein Handwerk an den Nagel, doch danach übernahmen   zunächst das Lehniner Institut für Weiterbildung Maschinen und Anlagen, dann der Arbeits- und Ausbildungsförderungsverein Potsdam-Mittelmark und schließlich die Stadt Havelsee die Rohrweberei – immer mit der Maßgabe, das traditionsreiche Handwerk zu erhalten und fortzuführen. 

Arbeiten im Museum

Tradition zum Anfassen: Besucher können in Pritzerbe alles über das Rohrweben erfahren. (c) Thomas Uhlemann

Seit 2015 ist der Standort der Rohrweberei ein Museum, in dem alle Schritte der Produktion von der Ernte über die Trocknung bis hin zum Schälen und Weben immer noch in Handarbeit erfolgen. Und das schauen sich Ausflügler, aber vor allem auch viele Kita- und Schulgruppen an. Die Kinder können sich als Rohrweber ausprobieren, selbst kleine Matten weben oder aus Schilf zum Beispiel Tiere basteln. Und sie erfahren viel über ihre Heimat, den Natur- und Sternenpark Westhavelland.

Das 1.315 km2 große Areal kennt Karsten Batsch, der sich im kleinen Museumscafé zu uns gesetzt hat, wie aus seiner Westentasche. Seit 2012 ist der 62-jährige pensionierte Beamte als Natur- und Landschaftsführer im Park unterwegs und er erzählt uns vom Hochzeitstanz der Großtrappen im Mai, vom nächtlichen Sternenhimmel, der sogar die Milchstraße offenbart, vom Zug der Kraniche und dem Einfall der Gänse im Herbst. Und er legt uns den kleinen historischen Stadtkern von Pritzerbe ans Herz und die Fähre, die seit Jahrhunderten den Ort mit Kützkow auf der anderen Havelseite verbindet, wo er zu Hause ist und als Imker 20 Bienenvölker betreut. „Wir setzen im Havelland auf sanften Tourismus“, sagt er zum Abschied und verrät uns noch, dass er mit seiner Kapitänsmütze auch das Image der alten Havelschiffer pflegen möchte.

In der Zwischenzeit hat Daniel Lorenz bei Wind und Wetter etliche Quadratmeter Schilf geerntet und Wolfgang und Heike Wagner machen sich ans Bündeln, damit die Halme schnell zum Trocknen unters Schleppdach kommen. Nach der Trockenphase wird das Reet dann von Blättern und kurzen Halmen gesäubert „Rascheln müssen die Halme“, sagt er. Dann sind sie trocken, können geschält, gewebt und verkauft werden – ganz so wie es die alten Havel­länder seit Jahrhunderten getan haben.

Gute Schläge, schlechte Schläge

Bei unserem Praxispartner, dem Familienbetrieb Hildebrandt in Letschin, nutzt man die letzten Wintertage für Instandhaltung und Öffentlichkeitsarbeit – und um sich um einen Schlag Wintergerste auf einem besonders schweren Boden zu kümmern.

Von Heike Mildner

Bei Hildebrandts in der Küche riecht es nach Kaffee und Eiserkuchen, eine westfälische Spezialität, die an märkischen Klemmkuchen erinnert. Sebastian Hildebrandt sitzt dort und repariert die Steckverbindung für die Rücklichter des Düngerstreuers. Noch ein Menschenleben früher hätte es im Haus eines kleinen Oderbruchbauern vielleicht nach Wagenschmiere, geschnittenen Weidenruten und nassem Hund gerochen. War doch der Bauer im Winter früher mit Korbflechten, Säckeflicken, Sattlerarbeiten und Ähnlichem beschäftigt, bevor er im Märzen die Rösslein einspannte.

Familienausflug zum Gerstenschlag, der auf fettestem Oderbruchboden prächtig gedeiht. Sebastian, Maximilian, Klaus und Karin Hildebrandt nach der Bonitur. (c) Heike Mildner

Die Rösslein der Hildebrandts sind schon auf Vordermann gebracht. Elektrik prüfen, Roststellen ausbessern, schmieren, fetten und pflegen, damit die Technik läuft: Für all das fühlt sich vor allem Sebastian Hildebrandt zuständig. Gemeinsam mit seinem älteren Bruder Maximilian nutzt er die semesterfreie Zeit, um zu Hause zu helfen. Aber noch ist der Boden zu nass, das Wetter zu unbeständig. Außerdem ist jetzt die Zeit der Tagungen, Versammlungen und des agrarpolitischen Engagements.

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Video (c) Heike Mildner

Maximilian und Sebastian folgten beispielsweise am 13. Februar dem Aufruf von Johanna Mandelkow von Land schafft Verbindung und fuhren zum Agrarmuseum Wandlitz, um die Bauernschaft bei der RBB-Sendung „Wir müssen reden“ zu vertreten. Für die jungen Leute gehört auch das zur Praxis der Praxispartner. 

Machen Hildebrandts jetzt Öko?

Über die eigentliche Praxis in den vergangenen Tagen reden Hildebrandts nur ungern. Aber auch das gehört dazu: Die Vermehrung von Rübsen – ein Versuch, auf 17 ha eine Rapsalternative in der Fruchtfolge auszuprobieren – ist gescheitert. Im trockenen Herbst waren die Rübsen ungleichmäßig aufgelaufen. Der Raps, der vor sieben Jahren hier zuletzt gestanden hatte, nutzte die Chance und lief den viel zu milden Winter über kontinuierlich auf. Die ganze Familie rückte mit Hacken aus, sodass sich die Nachbarn schon wunderten: Machen Hildebrandts jetzt Öko? Machen sie nicht. Sie versuchten nur zu retten, was zu retten ist.


Praxispartner Brandenburg

Familienbetrieb Hildebrandt in Letschin

Familie Hildebrandt ist der Praxispartner der Bauernzeitung in Brandenburg. Der Betrieb bewirtschaftet im mittleren Oderbruch 350 ha Ackerland. Landwirt Klaus Hildebrandt setzt dabei auf pfluglose Bodenbearbeitung und eine siebengliedrige Fruchtfolge. Unterstützt wird er von seiner Frau und den beiden Söhnen.

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Stattdessen fahren wir gemeinsam, aber ohne Hacke, zu einem Schlag mit Wintergerste. Es ist der schwerste Boden, den Hildebrandts bearbeiten: „65 Bodenpunkte, über 60 % Tongehalt, gründig bis 1,20 m A-Horizont – ein echter Minutenboden“, fasst Klaus Hildebrandt zusammen. Die Gerste wurde erst am 7. Oktober gedrillt und steht prächtig. Die Bonitur zeigt: Ramularia, Mehltau und Braunrost machen sich schwach bemerkbar.

In den nächsten Tagen wird hier auf bewährte Weise ökologisch gespritzt, um die Pflanzen widerstandsfähiger zu machen: Milchsäure, Elementarschwefel und Mikronährstoffe wie Mangan, Molybdän, Kupfer und Zink sowie luftstickstoffbindende Bakterien, zwei Wochen später zudem mineralischer Stickstoff. Außerdem steht der Glyphosateinsatz bei den Zwischenfrüchten an, Hafer und Peluschken wollen in den Boden, und dann auch noch die Zuckerrüben und der Mais. Für Sebastian und Maximilian hat dann schon wieder die Vorlesungszeit begonnen. Gerade, wenn am meisten zu tun wäre.

Hubertus Paetow: „Sie haben es in der Hand“

Bei der Entwicklung Ihres Betriebs sollten Sie alle Optionen im Blick behalten. Und auch das Gemeinwohl können Sie sich honorieren Sachen. Das und mehr waren Themen auf der DLG-Wintertagung, die vor Kurzem im westfälischen Münster stattgefunden hat.

Von Klaus Meyer

„Wir haben es in der Hand.“ So fasste DLG-Präsident Hubertus Paetow in seiner Eröffnungsrede zur DLG-Wintertagung letzte Woche in Münster die Antwort zur Frage nach dem Agrarstandort Deutschland zusammen, denn dessen Perspektive hänge im Wesentlichen von der Kreativität, der Innovationsfreude und dem Engagement der Branche selbst ab. Seiner Meinung nach wird es für jeden Standort und Betriebstyp einen erfolgreichen Weg in die Zukunft geben, nur nicht für alle denselben. Die Vielfalt reicht vom Ökolandbau mit Direktvermarktung bis zu Getreideproduktion für den nordamerikanischen Markt. Doch von vorne. Die Veranstaltung stand unter der Überschrift „Agrarstandort Deutschland: Weltmarkt, Premiummarkt, Marktausstieg?“ Damit wurden auch gleich die verschiedenen Optionen angedeutet, die sich heute laut Deutscher Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) abzeichnen. 

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DLG-Präsident Hubertus Paetow (c) DLG/F. Holland

Paetow analysierte, was die drei Alternativen für die deutschen Landwirte bedeuten. Marktausstieg bedeutet, nur noch die Nahrungsmittel selbst zu produzieren, mit denen man international wettbewerbsfähig sei.

Dabei gibt man sukzessive die Kompetenzen in anderen Feldern auf. Unter anderem habe die Gesellschaft es nicht mehr in der Hand, unter welchen Standards die Nahrungsmittel erzeugt werden. Unter Tier- und Klimaschutz- oder Biodiversitätsaspekten bietet der Marktausstieg also keine Lösung.

DLG-Wintertagung: Nur das Wesentliche

Als Beispiel nannte er Großbritannien. Der Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln liegt dort nur bei 60 %. 60 % des in Großbritannien verbrauchten Schweinefleisches werden importiert, auch wegen der durch hohe Auflagen teuren inländischen Produktion. Aufgrund eines funktionierenden Handels sind die Engländer trotzdem noch nicht verhungert. Auch in Deutschland wurden schon Kompetenzen abgegeben. Zum Beispiel werden nur noch 60 % der hierzulande gemästeten Ferkel auch hier erzeugt. Mit immer mehr Auflagen wird der Anteil der

Importe noch weiter steigen. Weltmarkt bedeutet, dass die Produktion in ihren Rahmenbedingungen nicht wesentlich aufwendiger organisiert sein darf als dies in anderen Regionen der Welt der Fall ist. Laut DLG-Präsident Hubertus Paetow besteht gerade im Moment in Deutschland darin die Gefahr und er erläuterte: „Mit suboptimaler Nährstoffversorgung, einem stark eingeschränkten Werkzeugkasten bei Pflanzenschutz und Züchtungsverfahren und hohen Ansprüchen an eine artgerechte Tierhaltung lassen sich keine exportfähigen Produkte mehr herstellen, im Gegenteil das eröffnet Chancen für andere Spieler auch auf den inländischen Märkten.“ 

Damit wir weiterhin im internationalen Agrarhandel mitspielen können, müssten wir laut dem DLG-Präsidenten weiterhin versuchen, möglichst viele von den Fortschrittstechnologien zu nutzen. Dazu gehören seiner Meinung nach neue Pflanzenschutzmittel ebenso wie neue Züchtungstechnologien, mit denen das Spektrum der marktfähigen Kulturarten erweitert werden kann. Dabei sollte die Nachhaltigkeit der Produktion gleich mit verkauft werden. Als Beispiel nannte er die deutschen Milchprodukte in China, die nach diversen Skandalen um einheimische Produkte dort hoch im Kurs stehen. Die Agrarproduktion für den Weltmarkt sieht Paetow als ein sinnvolles Ziel.

Der Premium-Markt ist für Paetow die Zwischenstufe. Das sei das Segment, was in der Gesellschaft heute als der Weg einer zukunftsfähigen Landwirtschaft angesehen werde. Die meisten Verbraucher wünschen sich ökologisch erzeugte, regionale Produkte, doch den Premiumpreis für die Premium-Produkte zu bezahlen, sind nur ein Bruchteil bereit. „Deshalb wird die Nachfrage nach Ökoprodukten nicht in den Himmel wachsen, zumindest nicht zu den heutigen Preisen“, erklärte Paetow. Die Lösung wäre für ihn, wenn es gelänge die Ertragslücke zwischen klassischem und ökologischem Anbau teilweise zu schließen, sodass die notwendigen Preisaufschläge und Subventionen langfristig sinken könnten. Eine solche Entwicklung sei im Moment allerdings nicht in Sicht, die Ertragslücke im Ackerbau werde aktuell eher größer. Sein Rat zum Schluss: Als landwirtschaftlicher Betrieb sollte man alle Optionen im Blick halten.

DLG-Wintertagung: Für die Gemeinschaft

„Wir haben es in der Hand“, findet auch Professor Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität zu Berlin in Bezug zu seinem Vortragsthema auf der DLG-Wintertagung: Was sind die Zukunftsmärkte für Deutschlands Agrarunternehmen? Neben dem Weltmarkt und den Premiummärkten gibt es für den Agrarökonomen mit der Bereitstellung von Gemeinwohlleistungen einen dritten Markt, den es sich lohnt zu erschließen. Solch ein Markt unterliegt anderen Honorierungsmechanismen als der Produktverkauf am Markt. 

Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität zu Berlin (c) DLG/F. Holland

Das Dilemma ist laut Grethe, dass bei den öffentlichen Gütern der Markt versagt, die externen Effekte nicht berücksichtigt werden. Leider unterscheiden sich Verbraucherpräferenzen von Bürgerpräferenzen. Die Mehrheit der Konsumenten sind nur bis zu einem gewissen Grad bereit, höhere Preise für nachhaltige Produkte zu bezahlen. Deshalb ist ein umweltpolitisches, sozialpolitisches und tierschutzpolitisches Eingreifen notwendig. 

Nur freier Markt oder nur Ordnungsrecht funktionieren anscheinend nicht. Steigen die Anforderungen in Deutschland zu stark, wird die Produktion ins Ausland verdrängt. Grethe folgert daraus, dass die Gesellschaft bestimmte Leistungen, die sie gesellschaftlich haben will, die aber am Markt nicht hinreichend honoriert werden, und bei denen das Ordnungsrecht nur eingeschränkt wirkt, einkaufen muss. Die Gesellschaft muss diese Leistung honorieren in Form von Tierschutz- und Naturschutzprämien. Das kann staatlich oder privat erfolgen. Er nannte die Initiative Tierwohl (ITW) als ein erfolgreiches privates Beispiel.

Langfristige Strategien sind nötig

Da es eine Nachfrage nach Gemeinwohlleistungen gibt, sollten die Landwirte diese Märkte nicht liegen lassen. „Ohne diese Märkte wird es eng für die Landwirtschaft in Deutschland.“ betonte der Agrarökonom und führte weiter aus: „Die Anforderungen an den Sektor werden sowieso immer höher in den Bereichen Tier-, Klimaund Umweltschutz.“ Hier stellt sich die Frage, wie die Anforderungen an die Landwirtschaft formuliert werden. Geschieht dies eingebettet in langfristige Strategien, wie das zum Beispiel jüngst die Borchert-Kommission im Bereich Nutztierhaltung vorgeschlagen hat, oder kommen die Anforderungen ad hoc auf Druck von Volksbegehren, Normenkontrollklagen oder Klagen von Tierschutzverbänden. Für die deutsche Landwirtschaft wäre es laut Grethe am ungünstigsten, wenn die Entscheidungen weiterhin ad hoc und überwiegend ordnungsrechtlich fallen und ohne entsprechende Förderpolitik.

Für Grethe wäre das Modell von morgen eine zielorientierte Verwendung der Mittel. Folgende Mittel stehen laut Überschlagsrechnung des Agrarökonomen im Raum: 4 Mrd. € fürs Tierwohl, 2 Mrd. € Zweite Säule, 5 Mrd. von den Direktzahlungen, plus der zivilgesellschaftliche Vertragsnaturschutz und die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, von denen die Landwirtschaft profitiert. Insgesamt ergäbe das etwa 30–35 % des heutigen Produktionswerts der deutschen Landwirtschaft von 55 Mrd. €.

Abschließend erklärte der Agrarökonom, was notwendig sei, um diese Märkte zu erschließen. Erstens wäre ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess notwendig, was honoriert werden solle. Zweitens wären ein Umdenken im Berufsstand und drittens die konkrete Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen vonnöten. Grehte sieht in dem Bereich eine erhebliche Gestaltungslücke. Für ihn ist der Sektor Landwirtschaft ein vollbesetzter Bus ohne Fahrer.

Viele Fragen auf der DLG-Wintertagung 2020

Es muss geklärt werden, was Gemeinwohlleistungen sind. Im Bereich Umwelt- und Klimaschutz ist die Landwirtschaft seiner Meinung nach schon relativ weit. Im Bereich Tierschutz hapert es noch etwas. Im Bereich soziale Landwirtschaft ist fast alles unklar. Small ist beautiful bzw. je kleiner, desto schöner könne ja nicht das Ziel sein. Was das Zielbild ist, muss dringend in der Gesellschaft ausgehandelt werden. Welche sozialen und kulturellen Leistungen der Landwirtschaft sind wichtig?

Das Feld „Umwelt“ wird weitgehend dem Ökolandbau überlassen. Grethe fragte: „Warum gelingt es der konventionellen Landwirtschaft nicht, eigene Nachhaltigkeitsansätze stärker zu kommunizieren und auch zu vermarkten?“ Es wird dringend ein Umbau der Rahmenbedingungen benötigt.

Grethe findet, dass der Zeitpunkt für den Umbau günstig sei: „Es ist viel in Bewegung, die Landwirte sind auf der Straße, man sieht, dass das gegenwärtige agrarpolitische System an die Wand fährt, die Landwirte werden getrieben und wenn man nicht rechtzeitig handelt, verliert man an Gestaltungsraum. Als zukünftige Hauptaufgaben nannte der Agrarökonom die Transformation der Tierhaltung und den Umbau der europäischen Agrarpolitik.



Zitronen: Frischekick für die Winterküche

Sie bringen südliches Sommerfeeling in die dunkle Jahreszeit – die Zitronen. Liebhaber legen sie in Salz ein oder würzen damit Risotto, Pasta und Geschmortes. Noch ein Pluspunkt: Im Winter kommen sie aus Europa.

Von Heidemarie Pütz/DPA

Wo immer Zitronen beim Essen im Spiel sind, kommt Leichtigkeit auf. Gerade in der kühleren Jahreszeit macht schon der Duft gute Laune. Zitronen machen das Essen auch leichter, besser verdaulich und runden es ab, sagt Sterne- und Fernsehkoch Ali Güngörmüs. Es kommt aber auf die Dosierung an, das Essen sollte nicht übersäuert werden. Deshalb reibt der deutsch-türkische Koch vor allem Zitronenschale über Fisch- oder Fleischgerichte. Ein Dressing aus Zitrone und der Sesampaste Tahin kann sich Güngörmüs prima zu geschmortem Spitzkohl oder Radicchio mit Birne vorstellen.

Zitronen: Schale gern mitessen

Der Hamburger Koch Jochen Kempf hat bei seinen deutschen Gästen Vorbehalte beobachtet. Zitrone im Dessert kommt gut an. Bei der pikanten Variante wird es schon schwieriger. Viele wissen nicht, dass man die Zitrone mit Schale und Innenleben essen kann. In der italienischen Küche sei es üblich, Salate damit zu marinieren oder Zitronenmayonnaise zu Grillfisch zu essen.

Zitronen und Limetten
Bringen Frische in die Küche: Zitronen und Limetten (c) imago images / Uwe Steinert

Im Herbst und Winter reisen die Früchte nicht durch die halbe Welt, sondern kommen vor allem aus Spanien und Italien. „Im September oder Oktober geht es mit der Hauptsaison für europäische Zitronen los, sagt Thomas Heeren von der Fruchtagentur Altes Land im niedersächsischen Jork.

Bis Februar handelt er mit der sizilianischen „Primofiori“, einer Sorte mit besonders viel Saft und feiner Säure. Dann folgen „Bianchetti“ und „Maggiolini“. Im Sommer sind es die grünen Zitronen „Verdellis“.

„Die grüne Farbe hat nichts mit der Reife zu tun“, erklärt der Experte. Die Früchte würden im Sommer nicht gelb, weil der Temperaturunterschied zwischen Tag und Nacht nicht groß genug sei. Erst im Winter mit kühlen Nächten wechselt die Farbe von Grün zu Gelb.  Limetten gedeihen in tropischen Regionen und sind immer grün. Ende Juni bis Anfang Juli ist der Großteil der europäischen Zitronen dann durch. Danach kommt Überseeware aus Argentinien und Südafrika auf den Markt.

Thomas Heeren bevorzugt Biozitronen. Konventionelle Zitronen seien mit dem Fungizid Imazalil behandelt, damit sie länger haltbar sind. Es gibt aber auch konventionelle Ware, die nach der Ernte nicht mehr behandelt wird. Aber die Haine werden chemisch gedüngt.

Expertentipp: Amalfi-Zitronen aus Süditalien

Köche wie Ali Güngörmüs oder Jochen Kempf schwören vor allem auf Süditaliens Amalfi-Zitronen. „Ich finde sie für das italienische Zitronen-Carpaccio sensationell, weil bei der Amalfi-Zitrone das weiße Fleisch etwas dicker und sie nicht so sauer ist“, schwärmt der Hamburger Küchenchef. Dazu schneidet er die Zitronenscheiben so dünn wie möglich, mariniert sie mit weißem Traubenessig, Olivenöl sowie Meersalz und lässt sie eine halbe Stunde ziehen. Das passt perfekt zu roh mariniertem Lachs oder gegrilltem Fisch wie Dorade oder Calamaretti.

Starkoch Yotam Ottolenghi rührt oft etwas gehackte Salzzitrone unter ein Gericht oder Dressing. Das Aroma rundet zum Bei-spiel einen herbwürzigen Rote-Bete-Salat ab oder bringt Schwung in Eier, die auf einem Gemüsebeet von Lauch und Spinat stocken.

Aromapower in Salz

Ali Güngörmüs mischt klein gehackte Salzzitrone unter Joghurt oder Couscous. „Das passt prima zu Lamm oder auch zu Fisch“, schwärmt er. Und auch Jochen Kempf kocht sein Zitronen-Risotto damit: „Salzzitrone kann man wunderbar klein würfeln und in Pasta oder Risotto geben oder zu Soßen und auch Geschmortem wie Zitronenhuhn.“ Und mit dem Salzwasser, in das die Zitrone ein-gelegt ist, kann mariniert werden.

Salzzitronen gibt es zwar zu kaufen, aber selbst gemacht schmecken sie besser: Fünf bis sechs Biozitronen längs auf-schneiden, die Einschnitte mit Salz füllen, in einem sterilisierten Einmachglas fest andrücken und noch reichlich Salz dazugeben. Nach etwa fünf Tagen alles mit frischem Zitronensaft bedecken und mit Olivenöl auffüllen. Dann ist mindestens vier Wochen Ruhe an-gesagt – dem Aroma zuliebe.

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