Naturpatenschaften: Rechnet sich das?

Jan-Philipp Schulze hat in seiner Bachelorarbeit die Wirtschaftlichkeit von Naturpatenschaften am Beispiel der Floridus GbR in der Uckermark untersucht. Der Betrieb bietet Patenschaften für Beetle Banks, Blühwiesen und Streuobstwiesen.

Von Jan Philipp Schulze, Zernikow

Die Patenschaft für einen Quadratmeter Blühwiese oder Beetle Bank kostet den Paten bei der Floridus GbR in Zernikow nur einen Euro. In seiner Bachelorarbeit im Studiengang Agrarwirtschaft an der Hochschule Neubrandenburg hat Jan Philipp Schulze den Gewinn pro Hektar und Jahr mithilfe einer Vollkostenrechnung bestimmt. Danach sind Gewinne von circa 7.900 €/ha jährlich bei der Beetle Bank und 7.700 €/ha jährlich bei der Blühwiese möglich. Die Kosten für Pacht sowie Bodenvorbereitung, Saatgut und Pflege beziehungsweise Kontrolle der Flächen lagen bei der Beetle Bank bei circa. 700 €/ha und bei der Blühwiese bei knapp 900 €/ha. Im Unternehmen fielen zusätzlich Kosten für Vermarktung, für die Einrichtung einer Webseite, für die Gründung des Unternehmens und für die Bearbeitung von E-Mails der Kunden von etwa 1.380 € an. Somit liegen die endgültigen Kosten pro Hektar und Jahr der Beetle Bank bei circa 2.070 € und die der Blühwiese bei 2.270 €.

Auch der Gewinn der Streuobstwiese konnte mit etwa 800 €/ha im Vergleich zu anderen Feldfrüchten als noch relativ hoch beziffert werden. Hier lagen die jährlichen Kosten für Pacht, Flächenvorbereitung, Pflanzgut, Pflege und Kontrolle sowie für den Wildschutz bei etwa 3.100 €/ha. Dies führt addiert mit den obigen Vermarktungs-, Gründungs- und Bearbeitungskosten von 1.380 €/ha zu gesamten Kosten von circa 4.470 €/ha. Um einen jährlichen Wert zu erhalten, wurden die Kosten durch die Nutzungsdauer der Bäume geteilt wurde. Bei der Streuobstwiese wurde die Nutzungsdauer mit fünf Jahren beziffert, da das Unternehmen vorerst mindestens fünf Jahre bestehen soll. Die praktische Nutzungsdauer einer Streuobstwiese liegt jedoch weit höher. In Abbildung 1 wird dementsprechend auch gezeigt, welchen Einfluss die Nutzungsdauer auf die variablen Kosten und auf den Gewinn pro Hektar und Jahr der Streuobstwiese hat. Zum Beispiel sinken die variablen Kosten bereits um 1.000 € und der Gewinn erhöht sich folglich um 1.000 €, wenn man die Nutzungsdauer auf zehn Jahre verdoppelt.

Auf der Streuobstwiese wurden Apfel-, Kirsch- und Birnenbäume  gepfl anzt. Alles alte Sorten. Eine Obstbaumpatenschaft kostet 60 bis 80 €  pro Jahr.
Auf der Streuobstwiese wurden Apfel-, Kirsch- und Birnenbäume gepflanzt. Alles alte Sorten. Eine Obstbaumpatenschaft kostet 60 bis 80 € pro Jahr. (c) Jan Philipp Schulze

Naturpatenschaften: Bei hoher Nachfrage bleibt viel übrig

Die ermittelten Gewinne sind verglichen mit einem durchschnittlichen Gewinn pro Hektar eines konventionellen Landwirtschaftsbetriebes sehr hoch (Abb. 2) genauso wie die theoretischen, fünfmal höheren Erlöse bei der Beetle Bank und der Blühwiese im Vergleich zum Mittel der Erlöse von konventionellen Feldfrüchten. Jedoch wurde auch zur Vereinfachung und aufgrund einer noch nicht abschätzbaren Anzahl von Patenschaften angenommen, dass pro Hektar alle Patenschaften á 100 m2 bei der Beetle Bank und bei der Blühwiese für je 100 € verkauft werden. Auch bei den Obstbäumen wurde angenommen, dass alle 66 Bäume auf einem Hektar (pro Baum 80 €) verkauft werden. Mit so einer hohen nachgefragten Menge ist in der Praxis natürlich erst einmal nicht zu rechnen.

Anschließend sollte mit einer Szenarioanalyse bestimmt werden, wie viele Patenschaften pro Hektar verkauft werden müssen, um den mittleren Gewinn pro Hektar und Jahr des konventionellen Landwirtschaftsbetriebes „Axel Schulze Gut Zernikow“ zu erreichen. Die Analyse zeigte, dass dafür bei der Beetle Bank und der Blühwiese jeweils 17 Patenschaften zu je 100 m2 vermittelt werden müssen. Bei der Streuobstwiese sind es demensprechend 50 Bäume pro Hektar.

Für die Blühfläche wird regionales Saatgut mit einer Vielzahl an verschiedenen Pfl anzenarten verwendet.
Für die Blühfläche wird regionales Saatgut mit einer Vielzahl an verschiedenen Pflanzenarten verwendet. (c) Jan Philipp Schulze

Viel Zeit für Marketing und Kommunikation

Die berechneten Gewinne sind von vielen vereinfachten Annahmen abhängig. Vor allem hat die Nutzungsdauer bei der Streuobstwiese einen großen Einfluss. Die relativ geringen Kosten (im Vergleich zum Erlös) bei der Beetle Bank und bei der Blühwiese kommen unter anderem durch einen geringen Aufwand bei der Feldarbeit zustande. Auf der anderen Seite besteht jedoch ein hoher Zeitaufwand für die Geschäftsführung, für die Beantwortung von Kunden-E-Mails und für das Marketing. Da die „Floridus GbR“ ihre Produkte direkt an ihre Kunden verkaufen kann, ist sie gegenüber konventionellen Landwirtschafts-betrieben insofern im Vorteil, dass der Preis selbst bestimmt werden kann und keine Abhängigkeit zu einem nachgelagerten Unternehmen besteht. Somit ist sie jedoch auch von der Kaufbereitschaft der Konsumenten abhängig. Bisher sind die Patenschaften für die Streuobstwiese bei den Paten beliebter. Da das Unternehmen noch sehr jung ist, kann noch keine abschließende Aussage über die zukünftige Nachfrage getroffen werden. Der Erfolg von Naturpatenschaften hängt wahrscheinlich auch davon ab, wie sich das Thema Umweltschutz in der öffentlichen Meinung in den nächsten Jahren entwickelt.

FAZIT: Naturpatenschaften sind wirtschaftlich umsetzbar. Der Erfolg hängt stark vom Interesse der Konsumenten ab. Die Kunden können mit der Patenschaft ihre direkte und monetäre Unterstützung zum Umweltschutz ausdrücken. Naturpatenschaften können eine wirtschaftlichere Alternative zu ökologischen Vorrangflächen bieten und zur Verbesserung des Images eines Landwirtschaftsbetriebes beitragen.

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Ziel: Betriebsleiter

Im Mittelpunkt der Fachschule für Landwirtschaft in Plauen steht die Fortbildung zum/r Staatlich geprüften Wirtschafter/in für Landwirtschaft. Besonderes Merkmal der Fachschule ist die Verbindung der theoretischen Inhalte mit der praktischen Anwendung.

Von Ulrike Bletzer, Bad Ems

„Wir verstehen uns als Betriebsleiterschule“, sagt Dr. Thomas Luther, Leiter der Fachschule für Landwirtschaft Plauen. Da erscheint es nur logisch, dass viele Absolventen später im mittleren Management großer landwirtschaftlicher Betriebe arbeiten, wo sie zum Beispiel federführend für die Milchviehherde oder den Pflanzenbau verantwortlich sind. „Es gibt aber auch nicht wenige, die nach der Fachschule den elterlichen Hof übernehmen“, betont Dr. Luther und spricht von einer „guten Mischung aus Fachschülerinnen und -schülern, die als Hofnachfolger zu uns kommen, und solchen, die keinen elterlichen Betrieb im Hintergrund haben.“

Entsprechend groß sei auch das Spektrum der Betriebe, die man in Plauen im Blick habe: „Vom klassischen Familienbetrieb bis zur Agrargenossenschaft decken wir die gesamte Bandbreite ab. Den größten Raum nimmt an der Fachschule für Landwirtschaft Plauen der Bildungsgang „Staatlich geprüfte/r Wirtschafter/in für Landwirtschaft“ ein, der seit Gründung der Schule vor 30 Jahren insgesamt 282 Absolventinnen und Absolventen hervorgebracht hat.

Zugangsvoraussetzung

Zugangsvoraussetzung ist grundsätzlich entweder ein landwirtschaftlicher Berufsabschluss mit darauffolgender, mindestens einjähriger Berufstätigkeit in der Landwirtschaft oder ein Abschluss in einem anderen Beruf mit mindestens fünfjähriger Tätigkeit in dem betreffenden Bereich.

Dr. Thomas Luther  ist der Schulleiter der  Fachschule für  Landwirtschaft in  Plauen.
Dr. Thomas Luther ist der Schulleiter der Fachschule für Landwirtschaft in Plauen. (c) Fachschule für Landwirtschaft Plauen

Mit der Betonung auf „grundsätzlich“, denn wer bereits praktische Berufserfahrung in der Landwirtschaft gesammelt hat, kann sich diese anrechnen lassen, sodass er oder sie ausschließlich den berufstheoretischen Part des Fachschulbesuchs zu absolvieren hat.

Vollzeitunterricht und gelenkte Praktika

„Für alle anderen gilt das klassische Wintermodell“, erklärt Dr. Luther. Und das besteht aus einer Mischung aus Vollzeitunterricht und gelenktem Praktikum, das viele Schülerinnen und Schüler in dem Betrieb absolvieren, in dem sie ihre Ausbildung in einem grünen Beruf absolviert haben. Schulbeginn ist jeweils am 1. August. Dann startet auch die erste, dreimonatige Praxiszeit.

Im April geht es weiter mit der nächsten Praxiszeit, die dann allerdings sechs Monate dauert und sich bis Anfang November des zweiten Schuljahrs erstreckt. Praxiszeit Nummer drei wiederum startet Mitte Mai und dauert bis Anfang Juli. Insgesamt kommt so ein Jahr Praxiszeit zusammen, das immer wieder von der berufstheoretischen, ebenfalls insgesamt ein Jahr umfassenden Ausbildung unterbrochen wird – oder umgekehrt, je nachdem, wie man es sehen will.

Bleibt noch zu erwähnen, dass es auch im praktischen Teil nicht ganz ohne Theorie geht: Auf die Phasen, die die angehenden Wirtschafter im Betrieb verbringen, sind insgesamt 15 sogenannte Praxisschultage verteilt.

11 themen- und fachübergreifenden Lernfelder

Apropos berufstheoretische Ausbildung: Sie orientiert sich am Lehrplan, der am Sächsischen Bildungsinstitut in Radebeul für zweijährige Fachschulen der Fachrichtung Landwirtschaft erarbeitet wurde und diese elf themen- und fachübergreifenden Lernfelder enthält:


1. Unternehmen gründen und führen
2. Rahmenbedingungen analysieren und in die Unternehmensführung integrieren
3. Landwirtschaftliche Flächen umweltschonend und nachhaltig bewirtschaften
4. Marktfrüchte und nachwachsende Rohstoffe wirtschaftlich erzeugen
5. Grundfutter qualitätsgerecht erzeugen
6. Schweine tier- und marktgerecht erzeugen
7. Milch und Rindfleisch wirtschaftlich produzieren
8. Einkommensalternativen für den Betrieb nutzen
9. Projekte managen und Facharbeit erstellen
10. Berufsnachwuchs ausbilden
11. Mitarbeiter einstellen und führen


Viel Ökolandbau in der Region

Dieselben elf Lernfelder werden auch in den anderen in Sachsen beheimateten Fachschulen für Landwirtschaft in Zwickau, Großenhain, Löbau und Döbeln (künftig in Nossen) vermittelt. Mit der Kommunalreform 2008 seien diese Schulen von der Trägerschaft des Landes in die der jeweiligen Landkreise übergegangen, berichtet Schulleiter Dr. Thomas Luther.

Allen Parallelen und Überschneidungen zum Trotz: Was unterscheidet Plauen von den anderen vier sächsischen Landwirtschaftsschulen? „Im Vogtland haben wir eine etwas andere Betriebs- und Anbaustruktur als in den anderen Regionen. Hier gibt es mit insgesamt 12.689 Hektar den größten Anteil an ökologisch orientierten Landwirtschaftsbetrieben in Sachsen“, antwortet Dr. Luther, betont zugleich aber, dass man in Plauen alle Produktionsrichtungen im Fokus habe.

Einer der ganz großen ökologischen Betriebe im Vogtland sei das Hofgut Eichigt, fügt er hinzu. Kein Wunder, dass das biologisch-dynamisch arbeitende Hofgut mit seinen 1.500 Milchkühen und den insgesamt 3.000 ha Ackerland ein beliebtes Ziel für die Betriebsbesichtigungen ist. „In Eichigt lernen unsere Schüler zum Beispiel die Ammenkuhherde kennen, die es ermöglicht, naturnahe Kälberaufzucht und Milchproduktion miteinander in Einklang zu bringen. Oder sie schauen sich vor Ort an, wie Kammställe funktionieren, von denen aus die Rinder ganzjährig direkt auf die Weide gehen können“, nennt er zwei Beispiele.

ausgesprochen praxisbezogener Unterricht

Auch darüber hinaus zeichnet die Fachschule für Landwirtschaft Plauen ein sehr enger Kontakt zu allen Landwirtschaftsbetrieben n der Region aus. Sie öffnen bereitwillig ihre Türen und geben Tipps und Erfahrungen an die angehenden Betriebsleiter weiter – ein wichtiger Baustein des ausgesprochen praxisbezogenen Unterrichts.

Etwa 18 bis 20 Schüler im Alter von Anfang 20 bis Mitte 30 bilden in Plauen eine Klasse, wobei die jungen Männer deutlich in der Überzahl sind. Das Einzugsgebiet erstrecke sich über das Vogtland hinaus auf das westliche Erzgebirge und das Zwickauer Land, berichtet der Schulleiter und schickt der Vollständigkeit halber hinterher: „Sporadisch haben wir auch mal Schüler aus Thüringen und Bayern.“

Neben der Fachschule in Plauen steht übrigens auch die in Zwickau unter seiner Leitung, was Synergieeffekte eindeutig erleichtert. „Es besteht eine räumliche Kooperation“, präzisiert Dr. Luther. Die Fachschulen in Plauen und im rund 45 Kilometer entfernt gelegenen Zwickau würden wechselklassig, also jeweils ein übers andere Jahr, mit einem neuen Schülerjahrgang an den Start gehen. Zum einen sei auf diese Weise gewährleistet, dass man immer auf genügend Fachschüler zurückgreifen könne, zum anderen erleichtere es die Zusammenarbeit zwischen den Lehrern, etwa wenn Vertretungen anstehen.

vier schriftlichen Komplexprüfungen zum Abschluss

In Plauen unterrichten neben ihm selbst drei weitere Lehrkräfte sowie interne und externe Spezialisten, deren pädagogische Schwerpunkte nach wie vor stark von den vor der Einführung der Lernfelder üblichen Fächern Tierische Produktion, Pflanzliche Produktion, Betriebswirtschaftslehre sowie Berufs- und Arbeitspädagogik geprägt sind.

Genau daran orientieren sich auch die vier schriftlichen Komplexprüfungen, die die angehenden Staatlich geprüften Wirtschafter am Ende der zweijährigen Fachschule ablegen: „Jeweils eine Komplexprüfung dreht sich um die pflanzlichen Lernfelder, die Unternehmensführung, die tierische Erzeugung sowie die Mitarbeiterführung und die Arbeitspädagogik“, erklärt Dr. Luther.

Die zuletzt genannte Prüfung beinhaltet unter anderem eine klassische Lehrunterweisung, bei der der Prüfling einen realen Azubi zu einem bestimmten Thema, etwa zur Eutergesundheit oder den Grundlagen des Klauenschneidens, unterrichten muss. Mündliche Prüfungen sind keine Pflicht, aber möglich, wenn jemand nach einer schriftlichen Prüfung exakt zwischen zwei Noten steht und sich verbessern möchte.

Nach dem Wirtschafter Meister als Ziel

Schülerinnen und Schüler aus der Abgangsklasse machen, wenn sie das Wirtschafter-Zeugnis in der Tasche haben, weiter und satteln den Meister drauf“, berichtet Dr. Luther. Dazu wird in Plauen alle zwei Jahre ein Meister-Vorbereitungslehrgang angeboten. Er umfasst 200 Unterrichtsstunden, die auf zwei Kalenderjahre verteilt sind.

Um gut für die Meisterprüfung gerüstet zu sein, sei der vorherige Besuch der Fachschule zwar nicht zwingend erforderlich, aber sehr empfehlenswert, betont der Schulleiter: „Nicht zuletzt auch, weil man sich dann den berufs- und arbeitspädagogischen Teil der Fachschulausbildung anrechnen lassen kann.“ Häufig würden die jungen Landwirte den Vorbereitungslehrgang direkt im Anschluss an den Wirtschafter belegen, beobachtet er: „Es kommt aber auch gar nicht so selten vor, dass sie sich erst einmal ausschließlich dem Betrieb widmen oder in die Familienplanung einsteigen. Da wir mit unseren Absolventen Kontakt halten, bleibt die Verbindung aber trotzdem bestehen.“ Seit den Anfängen der Schule im Jahr 1991 hat der Vorbereitungslehrgang die Basis für rund 170 Meisterbriefe gelegt.

3. Standbein: Lehrgang zur Vorbereitung auf die externe Abschlussprüfung im Beruf Landwirt/in

Und die Fachschule hat noch ein drittes, zurzeit allerdings eher theoretisch zu verstehendes Standbein: den Lehrgang zur Vorbereitung auf die externe Abschlussprüfung im Beruf Landwirt/in. Er vermittelt Kenntnisse in Pflanzenbau, Tierhaltung, Landtechnik sowie Wirtschafts- und Sozialkunde und richtet sich in erster Linie an Menschen, die einen außerlandwirtschaftlichen Beruf erlernt haben, aber in der Landwirtschaft arbeiten und um den Status der ungelernten Arbeitskraft hinter sich lassen zu können, zur Abschlussprüfung als Land- oder Tierwirt/in zugelassen werden möchten.

Warum dieser Lehrgang, aus dem bis dato immerhin 165 Land- und Tierwirte hervorgegangen sind, zurzeit eher theoretisch zu verstehen ist? „Seit ein paar Jahren haben wir keine aktuelle Klasse mehr“, bedauert Dr. Luther. Schuld daran sei die mangelnde Nachfrage in Verbindung mit dem hohen Aufwand, den dieser im Rahmen einer Abendschule organisierte Lehrgang mit sich bringt: „Weil die Lehrer dafür zusätzlich abends oder am Wochenende kommen müssen, lohnt es sich angesichts der eher verhaltenen Resonanz nicht. Wir nehmen die Interessenten aber in eine Warteliste auf.“

Schülerinnen und Schüler präsentieren die Homepage der  Fachschule, auf der weitere  Informationen zu finden sind.
Schülerinnen und Schüler präsentieren die Homepage der Fachschule, auf der weitere Informationen zu finden sind. (c) Fachschule für Landwirtschaft Plauen

Europäischer Bauernmarkt in Plauen

Was es sonst noch über die Fachschule zu berichten gibt? „Dass wir sehr viel Wert auf Projektarbeit legen“, erwidert der Schulleiter und führt als Paradebeispiel das Projekt #bauerloyal an. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich die – 2021 wegen Corona ausgefallene – Teilnahme am Europäischen Bauernmarkt in Plauen. „Auf diesem Bauernmarkt präsentieren Direktvermarkter aus 14 europäischen Ländern ihre Produkte. Er steht unter der Schirmherrschaft des sächsischen Landwirtschaftsministeriums und lockt jährlich 35.000 bis 40.000 Besucher an, weshalb manche auch von einer ‚Kleinen Grünen Woche‘ sprechen“, hebt er die Bedeutung der Veranstaltung hervor und fügt hinzu: „Unsere Fachschüler betreiben dort jedes Jahr einen Stand, an dem sie Wissen verkaufen.“

Konkret bedeutet das: Sie versuchen, mit den Besuchern über gesellschaftlich aktuelle Themen aus der Landwirtschaft und deren Umfeld ins Gespräch zu kommen. Ernährungsgewohnheiten, Glyphosat-Einsatz und Tierwohl gehören beispielsweise zu solchen Gesprächsthemen, auf die sich die Fachschüler intensiv vorbereiten, indem sie Flyer, Vorträge, Videos und Ähnliches erarbeiten.

Dr. Luther sieht in dieser Art von Öffentlichkeitsarbeit nicht zuletzt ein Stück Imagepflege für die Landwirtschaft – und eine gute Vorbereitung auf das spätere Berufsleben: „Dazu gehört schließlich auch, mit Geschäftspartnern zu reden und überzeugend zu argumentieren.“ Nach anfänglicher Skepsis falle die Resonanz der Fachschüler auf dieses „Dauerprojekt“, das den Europäischen Bauernmarkt seit mehr als zehn Jahren begleitet, durchweg positiv aus.

Länderübergreifender Projektunterricht

In anderen Projekten bringen die Fachschüler Kindergartenkindern das Leben auf einem Bauernhof nahe, gestalten Unterricht vor Schulklassen oder führen unter dem Motto „Willkommen in Deiner grünen Zukunft“ Aktionstage zur Berufsnachwuchsgewinnung durch. Sogar länderübergreifender Projektunterricht steht hier und da auf dem Stundenplan: Die Fachschule unterhält Schulpartnerschaften mit der Landwirtschaftsschule Münchberg in Bayern und der Landwirtschaftlichen Berufsmittelschule Dániel Csapó im ungarischen Szekszárd. Genügend Anreize also, um über den sprichwörtlichen eigenen Tellerrand hinauszublicken. Dem Austausch, aber auch dem „sportlichen“ Ehrgeiz dient außerdem die regelmäßige Teilnahme an Pflüger-, Melk- und Jungzüchtervorführwettbewerben sowie am Berufswettbewerb der Landjugend.

Fast überflüssig zu erwähnen, dass die Corona-Krise all diese Aktivitäten vorübergehend ausgebremst hat. Auch der Unterricht sei unter den Bedingungen der Pandemie wochen- bis monatelang eine große Herausforderung gewesen, blickt Dr. Luther zurück: „Von November bis Anfang Februar haben wir über die vom Landesamt für Schule und Bildung bereitgestellte E-Learning-Plattform LernSax unterrichtet, in die sich alle Beteiligten natürlich erst einmal einarbeiten mussten.“

Auch wenn diese Art des Unterrichtens eine praktikable Alternative zum Präsenzunterricht geboten habe, komme man damit weniger schnell voran. Zudem seien Methodenwechsel schwieriger, so der Schulleiter. Aber: „Dessen ungeachtet haben alle Fachschüler erfolgreich die Prüfungen gemeistert. Am 15. Juli erhalten sie ihre Zeugnisse.“

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Beetle Banks: Den Käfern gefällt’s, der Amtsschimmel scheut

Im Grunde sind sich alle einig. Insekten sind wichtig und brauchen unseren Schutz. Neben Gesetzen sind vor allem Initiativen wie die Beetle Banks nötig. Doch die Umsetzung braucht Zeit und noch mehr Geduld.

Von Erik Pilgermann

Das Prinzip beruht auf Gegenseitigkeit. Wir brauchen die Hilfe der Insekten so wie sie unsere Unterstützung benötigen. Viele gute Ideen zum Schutz der Insekten entstehen aus der Mitte der Menschen heraus, die auf und mit dem Land leben. Über eines davon, die Beetle Banks von Gut Zernikow in der Uckermark, berichteten wir zum ersten Mal im Juni des vergangenen Jahres (Bauernzeitung 24/2020, S. 20–22). Damals sprachen wir mit Landwirt Axel Schulze über die Idee, die Umsetzung in der Fläche, die wissenschaftliche Begleitung und seine Erfahrungen mit den amtlichen Diensten.

Inzwischen liegen die ersten belastbaren Ergebnisse zu Arten und Zusammensetzungen von Insekten in den Beetle Banks vor. Der Bericht kommt zu interessanten Einsichten. „Der Nutzen für die Fauna innerhalb einer Ackerfläche ist enorm. Die Akteure im ländlichen Raum leisten oftmals einen größeren Beitrag für den Naturerhalt und die -entwicklung, als der Öffentlichkeit bekannt ist“, so Rudolf Hammerschmidt, Vorsitzender der Familienbetriebe Land und Forst Brandenburg, zu den aktuellen Untersuchungsergebnissen auf Gut Zernikow.

Axel Schulze ist Landwirt und  Vorstandsmitglied der  Familienbetriebe  Land und Forst e. V.  Brandenburg.
Axel Schulze ist Landwirt und Vorstandsmitglied der Familienbetriebe Land und Forst e. V. Brandenburg. (c) Erik Pilgermann

wallartige Blüh- und Grünstreifen zwischen den Schlägen

Bei den Beetle Banks handelt es sich um wallartige Blüh- und Grünstreifen, die mitten in den Schlägen angelegt werden. Sie bilden in erster Linie Lebens- und Rückzugsräume für Insekten. In zweiter Linie profitiert auch das Niederwild, denn junge Rebhühner und Fasane sind in ihrer Entwicklung auf tierisches Eiweiß, die Insekten, angewiesen.

Das von der Game Conservancy Deutschland unterstützte Pilotprojekt konnte durch die Eigeninitiative von Axel Schulze, Vorstandsmitglied der Familienbetriebe Land und Forst Brandenburg, spannende Erfahrungen sammeln. Auf dem Gut Zernikow in der Uckermark sind durch die Betreiberfamilie Schulze je zwei 800 bis 1.000 m lange Insektenwälle mit flankierenden Blühstreifen angelegt worden.

Der Autor des Berichtes, Dr. Michael Glemnitz, Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf), begann im Frühjahr 2020 damit, die Besiedlung der Beetle Banks durch die Insekten zu erforschen und zu dokumentieren. Die Forschungsergebnisse des Zalf bestätigen: Die so harmlos aussehenden Insektenwälle sind wahre Arten(ver)vielf(ä)ltiger. Für den Autor des Berichtes steht fest: „Die insgesamt hohen Fangzahlen der einzelnen Fallen weisen auf die große Bedeutung des Bodens als Insektenlebensraum hin und auf die große Bedeutung der Aufwertung von Agrarlandschaften mit Überwinterungs-/Reproduktionslebensräumen.“

weiträumige Mosaike von Ganzjahresbiotopen notwendig

Die Familienbetriebe Land und Forst Brandenburg setzen sich auch weiterhin dafür ein, dass die momentane Regelung der Ausgleichsflächen um ein System ergänzt wird, das Naturnutzung und Naturerhalt auf einer Fläche zusammenfügt. „Für uns ist dabei wichtig, dass bestimmte Leistungen, die der Allgemeinheit dienen, auch von der Gesellschaft anerkannt werden“, so Axel Schulze.
Denn klar ist: Punktuelle Maßnahmen einzelner Freiwilliger führen nicht zu dem Ziel, die Artenvielfalt insgesamt zu erhalten. Es müssen endlich weiträumige Mosaike von Ganzjahresbiotopen in die Landschaft eingebracht werden. „Dies gelinge nur, wenn das Projekt endlich förderfähig wird“, so Hammerschmidt abschließend.

Beetle Bank
(c) Erik Pilgermann

Nach einem bewegten Jahr ist es Zeit für einen Zwischenstand. Dazu haben wir mit Axel Schulze vom Gut Zernikow gesprochen:
Herr Schulze, vor ziemlich genau einem Jahr waren wir schon einmal hier und haben über Ihre Initiative zu den Beetle Banks berichtet. Es gab seinerzeit Spannendes zu berichten. Es wurde aber auch deutlich, dass es trotz aller positiver Effekte viele Unwägbarkeiten gab. Wie ist es den Beetle Banks in der Zwischenzeit ergangen? Konnten Sie weiter Fortschritte erzielen oder wenigstens ein paar Unwägbarkeiten ausräumen?
Leider kann ich darüber berichten, dass ich die Beetle Banks nach wie vor nicht in den Agrarförderantrag einfügen kann. Es gab zwei Gespräche im Ministerium für Landwirtschaft in Potsdam, dort wurde mir aber klar gemacht, dass es keinen Nutzungscode für eine Beetle Bank gibt und es daher keine Möglichkeit gibt.

Die Gespräche haben aber auch eine positive Reaktion ausgelöst und es ist seitens des Ministeriums erkanntworden, das die Beetle Banks eine tolle Möglichkeit des Insektenschutz darstellt. Ich bin mir sehr sicher, dass ab der nächsten GAP-Reform Beetle Banks gefördert werden. Gespräche mit mehreren Bundestagsabgeordneten und dem Parlamentarischen Staatssekretär Uwe Feiler (CDU Bundestagsfraktion) bestätigen meine Einschätzung.

Initiativen wie die Ihre zeigen, dass sich Landwirte sehr wohl verantwortungsvoll um ihre Flächen, ihre Umwelt und die Natur kümmern. Warum wird das seitens der Ämter nicht entsprechend anerkannt und unterstützt?
Immer mehr Landwirte betreiben tolle Projekte und sind sich ihrer Verantwortung bewusst! Gänzlich neue Projekte können aber nicht so einfach in unseren derzeitigen Förderreglungen untergebracht werden. Da sind den Ämtern leider die Hände aufgrund von sehr restriktiven Vorgaben der EU gebunden. Sie haben da wohl keinen Spielraum.

Die zuständigen Mitarbeiter haben diese Situation nicht zu verantworten. Der Fehler im System liegt hierbei eher in Brüssel. Es ist völlig kontraproduktiv, alles bis aufs Kleinste vorschreiben zu wollen. Damit blockiert man völlig die Kreativität und zukünftige Entwicklungen. Die zuständigen Mitarbeiter hätten gerne mehr Spielraum, dies habe ich in allen Gesprächen so erfahren können.

Sie haben sich von Anfang an wissenschaftliche Unterstützung geholt. Gibt es inzwischen Erkenntnisse zu den Effekten der Beetle Banks auf die Insektenpopulation?
Ja, das Zalf hat im letzten Jahr erste Untersuchungen durchgeführt. Ich hatte gehofft, dass wir auf den Beetle Banks die vorhanden Arten und die Menge an Insekten bestimmen können. Diese Untersuchungen sind leider sehr aufwendig und teuer. Leider gibt es derzeit noch keine ausreichende Finanzierungsmöglichkeit. Über die Familienbetriebe Land und Forst und das Zalf versuchen wir, an Fördertöpfe zu gelangen.

Die ersten Untersuchungen haben aber ergeben, dass sich die Anzahl der Laufkäfer um ein Vielfaches erhöht. Herr Dr. Glemnitz ist sehr begeistert von diesen positiven Ergebnissen und forscht deshalb weiter. Sehr glücklich bin ich über eine weitere Untersuchung des Zalf‘s. Frau Preissel-Reckling möchte den Einfluss der Beetle Banks auf Blattläuse untersuchen. Ich bin dem Zalf sehr dankbar für seine geleistete Arbeit. Wir brauchen wissenschaftliche Erkenntnisse, um beurteilen zu können wie sinnvoll Maßnahmen sind. Ideologische Ansätze bringen uns nicht weiter.

Das eine sind die Insekten, das andere ist die Bevölkerung. Sie versuchen auch hier neue Wege zu beschreiten, indem Sie Patenschaften für die Beetle Banks anbieten. Wie wird Ihre Initiative von Ihren Mitmenschen aufgenommen?
Wir standen vor dem Problem, dass wir für die Beetle Banks keine Förderung bekommen. Innerhalb der Familie haben wir viel diskutiert, ob wir nicht auch andere Einkommensquellen dafür erschließen können. Es entstand die Floridus GbR. Dort wollen wir Bürgern die Möglichkeit geben, sich aktiv in den Natur- und Insektenschutz einzubringen.

Wir haben deshalb noch eine Streuobstwiese und mehrere Blühflächen angelegt. Auf www.naturpatenschaften-floridus.de können die Interessenten bei uns eine Patenschaft erwerben. Die Resonanz ist noch sehr verhalten und eine Vermarktung war durch die Coronasituation auch sehr schwierig. Wir wollen aber fünf Jahre durchhalten und dann abschließend eine Bewertung vornehmen, ob wir das Projekt weiterführen. Grundsätzlich ist das Marketing unser Hauptproblem. Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, unsere Blühflächen auch über die neue Plattform Vielfeld zu vermarkten. Dieses Start-up möchte genau diese Arbeit für uns leisten. Gemeinsam hoffen wir auf einen Erfolg.

Ein regelmäßiger Austausch zum  Fortgang des Projektes ist Axel  Schulz (l.) und Rudolf Hammerschmidt wichtig
Ein regelmäßiger Austausch zum Fortgang des Projektes ist Axel Schulze (l.) und Rudolf Hammerschmidt wichtig. (c) Erik Pilgermann

Der Theorie nach sollten die Beetle Banks mindestens fünf Jahre unberührt bleiben. Wie sind Ihre praktischen Erfahrungen? Kann man die Streifen gänzlich in Ruhe lassen oder sollte man sie besser pflegen?
Wir können feststellen, dass, nachdem die Beetle Banks nun im dritten Jahr vorhanden sind, sich die Anzahl der blühenden Pflanzen auf den beidseitigen Blühstreifen stark verringert hat. Leider breitet sich dort jetzt die Trespe stark aus.

Bisher können wir aber noch keine Ausbreitung der Trespe innerhalb der Ackerkulturen feststellen. Dies könnte sich aber ändern. Wir überlegen jetzt, ob wir die Blühstreifen im nächsten Jahr erneuern. Das Knaulgras, das auf dem Damm ausgesät wurde, entwickelt sich sehr gut und ist völlig unproblematisch.

Ob die fehlenden Blühpflanzen negativ für den entstandenen Lebensraum sind, kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber eher nicht und denke, dass sich vielleicht die Insektenarten ändern könnten. Säugetiere und Vögel sollten damit kein Problem haben.

Wenn sich Berufskollegen für Beetle Banks interessieren und selbst damit anfangen wollen, worauf sollten sie Ihrer Meinung nach achten?
Das Anlegen ist für einen Landwirt technisch kein Problem. Er sollte aber darauf achten, als erstes entsprechendes Saatgut zu bestellen, damit er sofort nach dem Pflügen säen kann. Es gibt häufig sehr lange Lieferzeiten. Natürlich ist die Lage innerhalb eines Schlages auch von großer Bedeutung, da die Beetle Banks die Bearbeitungen stören. Diesen Mehraufwand sollte man auf jeden Fall so gering wie möglich halten.

Das Problem der fehlenden Förderung bleibt derzeit auch noch bestehen. Eines ist aber klar, es ist für unser Ansehen und für unser Image ein großer Gewinn, sich in Sachen Natur- und Insektenschutz zu beteiligen. Beetle Banks eignen sich dafür hervorragend.

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EIP-Projekt: Kooperation ist kein Selbstläufer

Im EIP-Projekt Bio-Gemüse aus Brandenburg kooperieren 24 Landwirtschaftsbetriebe und Unternehmen, um regionales Biogemüse zu produzieren und Logistikstrukturen aufzubauen.

Von Jennifer Brandt, Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL)

Seit Ende 2020 stehen sie in Rewe-Märkten in Brandenburg. Die „Brandenburger Bio-Kartoffeln“ regionaler Erzeuger, die sich zur Vermarktung zusammengeschlossen haben. Die Vermarktungskooperation ist ein Ergebnis der Akteure im Projekt „Regionales Bio-Gemüse aus Brandenburg“, die seit Januar 2018 daran arbeiten, den Biogemüse- und Biokartoffelanbau in Brandenburg zu forcieren.

Neue Strukturen der Zusammenarbeit zu etablieren, bedeutet alle Akteure entlang der Wertschöpfungskette zu involvieren. Landwirte, Berater, Händler, Verarbeiter und Vertreter aus der Gemeinschaftsverpflegung arbeiten im EIP-Projekt zusammen. Das fünfköpfige Leitungsteam, eine Zusammenarbeit der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau (FÖL) und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE), gestaltet den Rahmen.

„Nachfrage allein ist nicht genug“, weiß Charis Braun, die das Projekt gemeinsam mit ihrer Kollegin Evelyn Juister seitens der HNEE begleitet. Denn Wertschöpfungsketten – ein vielfach rein technisch verstandener Begriff – umfassen in der Praxis ein ganzes Konglomerat an Akteuren und Strukturen, aber auch an sozialen Beziehungen und Werten. Nicht nur strukturelle Herausforderungen sind zu meistern, vor allem zwischenmenschliche Beziehungen spielen eine wichtige Rolle bei der Institutionalisierung neuer Kooperationen.

„Lücken in der Kette identifizieren“

Im ersten Schritt des Projekts ging es darum, „die Lücken in der Kette zu identifizieren“, erklärt Gerald Köhler, der das Projekt seitens FÖL betreut. Bei der Biokartoffel fehlt es in der Region an Beratungs- und Vernetzungsstrukturen (Interview mit Wilfried Dreyer), auch wurden Lücken in den Verarbeitungsstrukturen für Schälware deutlich. Um den regionalen Lebensmitteleinzelhandel zu beliefern, braucht es zudem Bündelungs- und Logistiklösungen.

Über das Projekt und der nächste Feldtag
Das EIP-Projekt „Regionales Bio-Gemüse aus Brandenburg“ ist ein Projekt von 24 Landwirtschaftsbetrieben, Unternehmen Interessensvertretung und Wissenschaft in der Hauptstadtregion, geleitet in Zusammenarbeit von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau und der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde.

Projektziel ist der Auf- und Ausbau einer wettbewerbsfähigen, nachhaltig rentablen und skalierbaren Biogemüseproduktion. Das Projektteam organisiert u. a. regelmäßige Angebote zur Weiterbildung und Vernetzung.

Der nächste Bio-Kartoffelfeldtag (mit Bioland) findet am 8. Juli 2021 auf dem Beerfelder Hof und dem Biolandhof Zielke statt. Am Beispiel der Kartoffelbestände vor Ort lautet das Thema: Meine Kartoffeln im Bezug zum Witterungsverlauf auf meinem Standort. Die Anmeldung muss bis zum 1. Juli 2021 erfolgen.
Den detaillierten Ablauf und die Kontaktdaten für die Anmeldung finden Sie unter: kurzelinks.de/jldn

Auch die oft zitierte hohe Nachfrage nach regionalen Lebensmitteln muss detailliert betrachtet werden. Beispielsweise landen durch die Ausschreibungspolitik für Berliner Schulessen zwar mehr Biokartoffeln in den Kochtöpfen der Schulkantinen, davon kommt aber nur ein geringer Anteil aus Brandenburg.

In den Regalen des konventionellen Lebensmitteleinzelhandels fand der Verbraucher bis vor Kurzem kaum regionale Kartoffeln, im Naturkostfachhandel sind regionale Biokartoffeln verfügbar, aber nicht immer ganzjährig. Warum?

Die Lücke im Anbau

Die verkürzte Antwort lautet: Es werden schlichtweg zu wenig regionale Biokartoffeln angebaut. Auf rund 300 ha, so schätzt das Leitungsteam des EIP-Projekts, wachsen derzeit in Brandenburg Biokartoffeln. Zum Vergleich: Im Nachbarland Niedersachsen, einem der Hauptanbaugebiete Deutschlands, sind es rund 3.000 ha. Auf 2,5 Prozent der Ökofläche Niedersachsens gedeihen Kartoffeln, in Brandenburg liegt der Anteil bei unter 0,2 Prozent.

Diese Vergleiche sind deshalb interessant, weil das benachbarte Bundesland die brandenburgische Anbaulücke füllt und brandenburgische Betriebe, wenn sie in den Biokartoffelanbau einsteigen, mit der Qualität, den Preisen und den verfügbaren Mengen aus Niedersachsen auch auf dem regionalen Markt in Konkurrenz stehen.

„Es ist schwierig für einen Betrieb, der jetzt neu einsteigt und hohe Investitionen tätigen muss, mit deutschen Qualitäten zu konkurrieren. Der deutsche Markt ist durch die hohen Umstellungszahlen sehr voll. Da ist es viel redlicher, den Landwirten zu sagen, du brauchst erst anfangen, wenn es hier innerhalb von Brandenburg auch Strukturen gibt, in die du hineinliefern kannst“, weiß Kartoffelfachberater Wilfried Dreyer, der zusammen mit seinem Kollegen Reinhard Bade die im EIP-Projekt beteiligten Betriebe berät. Braucht es zuerst einen Absatzmarkt oder ausreichend Ware seitens der Erzeuger – das ist auch eine Henne-Ei-Frage. Idealerweise entwickelt sich beides Hand in Hand.

Regionale Feldtage dienen der Wissensvermittlung zum Biokartoffel- und Biogemüseanbau.
Regionale Feldtage dienen der Wissensvermittlung zum Biokartoffel- und Biogemüseanbau. (c) FÖL

Das EIP-Projekt „Bio-Gemüse aus Brandenburg“ versucht beides zu stärken, Marktzugänge und den regionalen Anbau. Bildungs- und Beratungsangebote bringen Know-how in die Region und bieten Raum für Vernetzung und Austausch.

Sogenannte Wertschöpfungskettenentwickler begleiten mit ihren methodischen Fähigkeiten die verschiedenen im Prozess beteiligten Akteure. Sie organisieren und strukturieren die regelmäßigen Treffen der Akteure im Projekt, unterstützen bei der Entwicklung von Ideen, z. B. zur Vermarktung und deren Umsetzung.

EIP-Projekt: Die Lücke in der Vermarktung

Auf dem Absatzmarkt der Hauptstadtregion ist Regionalität das wichtigste Alleinstellungsmerkmal Brandenburger Bioerzeuger. Der konventionelle Lebensmitteleinzelhandel vermarktet bundesweit rund zwei Drittel der Biokartoffeln.

In Berliner und Brandenburger Vollsortimentern sind brandenburgische Biokartoffeln jedoch bisher kaum vertreten. Zu gering sind die produzierten Mengen, zu groß das Verhandlungsgefälle. „Als kleiner Betrieb brauchen wir uns nicht allein mit einer Rewe einlassen“, so Hannes-Peter Dietrich, Betriebsleiter des Ökohofs Kuhhorst, der auf 25 ha Biokartoffeln anbaut, „wir brauchten Partner.“ Also taten sich sechs Brandenburger Betriebe aus dem EIP-Projekt mit dem Ziel zusammen, Biokartoffeln regional an Rewe zu liefern.

Seit Ende 2020 werden die Knollen unter dem Label „Bio-Kartoffeln aus Brandenburg“ in 250 Rewe-Märkten in Berlin und Brandenburg verkauft. Jetzt, in der Aufbauphase, kommt die Ware hauptsächlich vom Biohof Schöneiche und dem Ökohof Kuhhorst. Perspektivisch sollen jedoch mehr Betriebe eingebunden und weitere Vermarktungskanäle erschlossen werden.

Zusammen mehr Schlagkraft

Zusammen verfügen die Landwirte über mehr Schlagkraft gegenüber dem Handel und können Verarbeitungsstrukturen teilen. So verfügen zwei der sechs beteiligten Betriebe, der Ökohof Kuhhorst und der Biohof Schöneiche, über Abpackanlagen. Im Rahmen des Projekts wurde zudem die Zusammenarbeit mit dem Schälbetrieb Geko aufgebaut, um Ware, die nicht in den Handel geht, an die Gemeinschaftsverpflegung liefern zu können.

Die Kooperation mit dem Handelspartner Rewe ist ein wichtiger Schritt für das Projekt, ein Selbstläufer ist sie nicht. „Anfangs führten wir viele Marktgespräche, um Planzahlen festzulegen, jetzt geht es viel um die Sichtbarkeit im Markt“, erklärt Gerald Köhler, und darum, „dauerhaft einen Platz im Gemüseregal zu gewinnen.“ „Wertschöpfungsketten aufzubauen und zu verstetigen braucht einen langen Atem“, so Charis Braun von der HNEE, „gewünschte Resultate, wie Vernetzung und Wissenstransfer, sind dabei nicht immer sofort sichtbar“. Und Kooperationen können sich wandeln, etwa weil Betriebe dazustoßen oder wieder aussteigen.

EIP-Projekt: Ein FAZIT

Biogemüse aus der Region ist gefragt, aber auf weniger als 0,5 Prozent der Brandenburger Ökoagrarfläche wächst es. Das EIP-Projekt ist angetreten, die Lücke zwischen Anbau und Nachfrage zu schließen und hat sich dabei im ersten Schritt auf die Hackfrucht Kartoffel fokussiert. Das vielschichtige Projekt zeigt, wie viel Koordination, Kommunikation und Ausdauer es braucht, um Wertschöpfungsketten dauerhaft zu etablieren.

IM GESPRÄCH MIT …
Wilfried Dreyer, Kartoffelfachberater bei Naturland. Er begleitet das EIP-Projekt „Regionales Bio-Gemüse aus Brandenburg.
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Herr Dreyer, Sie sind seit 25 Jahren als Fachberater für den Biokartoffelanbau tätig. Was dachten Sie, als Sie für das EIP-Projekt in Berlin-Brandenburg angefragt wurden?
Auf der einen Seite ist in Brandenburg der Ökokartoffelanbau von vergleichsweise geringer Bedeutung, auf der anderen Seite gibt es gerade im Großraum Berlin einen riesengroßen Absatzmarkt, der meist aus anderen Regionen Deutschlands bedient wird. Vor diesem Hintergrund ist es ein sehr interessantes Projekt, die regionale Erzeugung zu fördern.

Warum ist der Kartoffelanbau in Brandenburg so unterentwickelt?
Früher, zu DDR-Zeiten, wurden die Kartoffeln für Berlin in Brandenburg erzeugt. Nach der Wende hat sich die Agrarstruktur vollkommen verändert. So ist zum Beispiel auch die ehemals vorhandene Bewässerung aus Oberflächenbewässerung untersagt worden.
Jetzt prägen in Brandenburg vor allem Kulturen, die mit wenig Finanzkraft verbunden sind, den Anbau. Einen Hektar Biokartoffeln anzubauen, kostet – alle Faktoren, wie Bewässerung, Pflanzgut, Anbau, Pachten und Lagerung zusammengenommen – rund 7.000 Euro. Und das bevor die Kartoffeln vermarktet werden können. Bei Getreide sind es etwa 300 bis 400 Euro pro Hektar. Die nach der Wende neu entstandenen Betriebsstrukturen in Brandenburg, seien es Agrargenossenschaften oder Privatbetriebe, haben nur zu einem ganz kleinen Teil dieses finanzielle Wagnis auf sich genommen.

Sie kommen aus Niedersachsen, eine wichtige Kartoffelanbauregion. Warum klappt der Kartoffelanbau dort so gut?
Es gab keinen Bruch in den gewachsenen Strukturen wie in Brandenburg. Die Betriebe, die Kartoffeln anbauen, haben schon vor 50 oder 100 Jahren Kartoffeln angebaut. Es konnte kontinuierlich in Beregnung und Lagerung investiert werden und Strukturen wie Lohndienstleistungen konnten sich etablieren. Es gibt Lohnunternehmer, die Kartoffeln pflanzen und roden. Es ist schwierig, wenn man diese kostspieligen Maschinen braucht, aber anfangs noch nicht die Fläche hat, mit der man sie auslasten kann. Außerdem ist in Niedersachsen der Zugang zu entsprechendem Know-how einfacher.

Wie steht es in Brandenburg um die Beratungsstrukturen?
Meines Wissens nach gibt es bei Biokartoffeln in Brandenburg keinen Fachberater, den man anrufen kann. Hier in Niedersachsen habe ich im Hintergrund ein Netzwerk von mehreren Beratungskollegen, von Handelsstrukturen, von konventionellen Kollegen, Forschungseinrichtungen und so weiter. Diese ausgebauten, vernetzten Strukturen gibt es in Brandenburg nicht. Es ist projektbezogen eines der größten Anliegen, Know-how zum Kartoffel- und Gemüseanbau in die Region zu bringen.

Und wie findet das konkret statt?
Für den Know-how-Transfer braucht man zum einen die, die das Know-how praktisch für Landwirte aufbereiten und an die Landwirte herantragen können. Das bieten wir im Projekt in Form von Fachseminaren und Feldtagen. Außerdem haben wir auf drei Betrieben unter verschiedenen Anbaubedingungen, mit und ohne Beregnung, Sortendemonstrationen durchgeführt. Auch das ist exemplarisch für die Beratungssituation in Brandenburg, es gibt keine Feldversuche für Kartoffeln in Brandenburg. Und wir fanden das wichtig, um zu klären, welche Sorten sich für die regionalen Bedingungen eignen.
Zum anderen bedarf aber es aber auch einer relativ intensiven Begleitung und damit einer Nähe zu den Betrieben. Mein Kollege Reinhard Bade ist oft in Brandenburg und viele ganz praktische Fragestellungen und Lösungen ergeben sich erst, wenn die Zusammenarbeit relativ eng ist. Es braucht jemanden vor Ort, der auch die Bedingungen kennt. Wenn das Projekt ausgelaufen ist, dann sind Reinhard Bade und ich als Berater wieder weg. Da gibt es jetzt Verbindungen zu einzelnen Betrieben, aber es gibt dann immer noch keine Beratungseinrichtung, wo man als Betrieb anfragen und seine grundsätzlichen Fragen loswerden kann.

Das EIP-Projekt steht in Brandenburg, einem Bundesland, das viel vorhat im Bioanbau, vor großen Aufgaben. Was hat bisher gut funktioniert?
Die Kartoffeln aus dem Projekt sind im Markt, die kann man bei Rewe kaufen. Das ist schon einmal eine Riesensache. Auch bei den beteiligten Betrieben ist einiges passiert: Der Kartoffelanbau wurde neu begonnen oder Betriebe haben sich weiterentwickelt. Der Biohof Schöneiche hat zum Beispiel vorher konventionelle Stärkekartoffeln angebaut, jetzt produziert er Biospeisekartoffeln, die im Verbund mit den anderen Betrieben vermarktet werden, der Biohof Klaas hatte gar keine Kartoffeln und hat jetzt sogar ein eigenes Lager gebaut. Außerdem haben sich mit den Veranstaltungen und den Sortendemos Anlaufpunkte für Betriebe entwickelt. Man kann sich jetzt etwas in der Praxis ansehen und sich vor Ort informieren. Die Betriebe bekommen regelmäßig mein Rundschreiben, sie haben meine und Reinhard Bades Telefonnummer und können Fragen loswerden. Es muss viel ausgebaut und verbessert werden. Aber ein Anfang ist gemacht.
(Das Gespräch führte Jennifer Brandt)

IM GESPRÄCH MIT …
Hannes-Peter Dietrich, Betriebsleiter auf dem Ökohof Kuhhorst und Mitglied der Operationellen Gruppe des EIP-Projekts
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Herr Dietrich, der Ökohof Kuhhorst hat den Zusammenschluss regionaler Biokartoffelerzeuger mit begründet. Warum? Wir wollten etwas tun, um die Wertschöpfung hier in der Region zu halten. Und wir, als kleiner Betrieb, brauchen uns nicht allein mit einer Rewe einlassen. Mit Betrieben zusammenzuarbeiten, die dasselbe Interesse haben, ist für uns auch eine Absicherung. Wenn es zum Beispiel Hagel gegeben hat und wir keine Ware haben, oder meine Maschine geht kaputt, dann habe ich Partner, die ich fragen kann: „Kannst du für Rewe noch 15 Paletten packen?“
Es ist wichtig, dass es uns gelingt, die Brandenburger Kartoffelbauern zusammenzubringen, sich zumindest auszutauschen, damit man sich nicht gegenseitig ausspielen lässt. Es geht ja auch darum, eine Größe zu haben gegenüber dem Handel und Mitbewerbern, die von außerhalb auf den regionalen Markt kommen.

Welche Vorteile birgt die Kooperation in Bezug auf Austausch und Vernetzung untereinander?
Wir haben den Vorteil der praxisorientierten Sortentests auf unseren Betrieben. Wir können uns austauschen, wie die Sorten auf den verschiedenen Böden wachsen, wie sie sich unter Trockenstress, wie unter Beregnung verhalten. Wir sind für die Saatguterzeuger eine ernstzunehmende Größe. Die Züchter stellen jetzt auch neue Sorten dazu, und fragen, sind die vielleicht für euch interessant im Bioanbau?

Es wird oft gesagt, Kooperationen zwischen Landwirten entstehen nicht von selbst. Warum ist das so?
Das Problem ist, zwischen Betrieben, die eigentlich miteinander in Wettbewerb stehen, Vertrauen aufzubauen. Das merken wir auch im Projekt. Vertrauen ist unser höchstes Gut. Denn was mache ich zum Beispiel, wenn ein Betrieb Ware liefert, die nicht die Qualität hat, die man braucht? Wie kriegt man dann einen Absatzweg hin, ohne den Betrieb vor den Kopf zu stoßen? Wir wollen fair miteinander umgehen. Jeder führt seinen Betrieb unterschiedlich, und das zusammenzubekommen und nach außen geschlossen aufzutreten, ist der wichtigste Punkt. Und da muss sich jeder zurücknehmen, das müssen wir auch lernen. Wenn man da aber Lust drauf hat, dann kann so ein Projekt richtig gut werden. Wichtig ist dabei auch der lange Atem.

Was wünschen Sie sich für die Erzeugergemeinschaft zukünftig? Was sind die nächsten Ziele?
Ich würde mir wünschen, dass wir die Kooperation vertiefen, mehr Mengen absetzen und gemeinsam weitere Vertriebswege erschließen.

Was ist aus landwirtschaftlicher Perspektive der Grund für die Diskrepanz zwischen Anbau und Nachfrage von Biogemüse in der Region?
Verarbeitung und Handel. Es muss Lagerkapazitäten geben. Wenn jeder einzeln anfängt, Lager zu bauen und Maschinen wie Möhrenroder anzuschaffen, sind das unheimliche Erstinvestitionskosten. Und dann brauchen wir Fachberatung. Von uns Landwirten wird immer verlangt, alles zu können. Steuerberatung, Personalführung und dann noch Sonderkulturen anbauen. Das muss gut koordiniert werden. Denn erstens hat man hohe Investitionskosten und zweitens braucht es auch hier Vertrauen, dass es zum Beispiel einen Fachberater gibt, der wirklich fähig ist und mir hilft, wenn es mal schwierig ist.

Wie sollen neue Strukturen für den Gemüseanbau und die Vermarktung Ihrer Meinung nach entstehen?
Das muss von allen Seiten angestoßen werden. Es braucht solche Projekte, wie dieses, es braucht eine Einkommensalternative. Da müssen alle – Verarbeiter, Verbände, Politik, Landwirte – an einem Strang ziehen und sagen: „Wir wollen eine starke Region und wir gucken gemeinsam, wie wir die Produkte aus der Region vermarktet bekommen.“ Und natürlich müssen die Landwirte auch bereit sein, etwas Neues auszuprobieren.
(Das Gespräch führte Jennifer Brandt)

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Ackern in der „Hölle“

Geboren auf einem Bauernhof in Bayern, LPG-Aktivist in der DDR und seit vielen Jahren Nebenerwerbslandwirt – Johann Scheringer hat eine bewegte Lebensgeschichte. Auch mit fast 85 Jahren ist er noch aktiv.

Von Jürgen Drewes

Eine herrliche Gegend. Weite Wiesen und Felder, mittendrin fließt die Recknitz, Boote sind unterwegs, Angler versuchen ihr Glück, Fahrradtouristen erkunden die Landschaft. In Sichtweite die Kleinstadt Marlow. Mit dem wohl schönsten Vogelpark Deutschlands. Noch so ein Besuchermagnet. Und hier soll es zur Hölle gehen?

Willkommen bei den alten teufeln

Kurze Nachfrage in Camitz. Ein Bewohner im Pflaumenweg weiß Bescheid. Etwas abseits habe immer ein Hinweisschild „Zur Hölle“ gestanden. Das wurde wiederholt geklaut. Irgendwann wurde die permanente Neuanschaffung der Gemeinde zu teuer. Und ohnehin sei da nichts los. Gerade mal zwei Familien würden in alten Siedlerhäusern wohnen, einer sei Landwirt, so die Aussage.

Genau dort will ich hin. Anfangs ein Plattenweg, wohl dem ländlichen Wegebau nach der Wende zu verdanken. Dann wird’s ungemütlich. Ein Feldweg mit tiefen Löchern. Am Ende wird das Ziel sichtbar. Ein Haus, voll im Schatten alter Bäume. Familie Scheringer steht auf einem Schild im Vorgarten von Zur Hölle 1.

Johann Scheringer wartet schon. „Willkommen bei den alten Teufeln. Wer hier heil durchkommt, hat die Hölle überstanden“, gibt er lächelnd zu verstehen. Im Juli wird er 85. Das sieht man ihm nicht an. „Als Bauer bleibt man ewig jung und immer voller Tatendrang“, lautet die Antwort. Und führt mich sogleich voller Stolz zu seinem 10 ha großen Roggenschlag gleich neben dem Haus.

„Die Ähren sind sehr groß, der Bestand total gesund und gut über den Winter gekommen. Und endlich hat auch mal wieder das Wetter mitgespielt. Der viele Regen bis Ende Mai war ein Segen. Die gefürchtete Frühjahrstrockenheit ist ausgeblieben. Nun muss es nur noch mit der Ernte klappen“, schaut Johann Scheringer mit Zuversicht auf die im Wind wogenden Ähren. Und der erfahrene Landwirt hat noch eine gute Nachricht zu vermelden: Die Aufkaufpreise für Getreide seien aktuell so hoch wie schon seit Jahrzehnten nicht mehr.

Das Schlosshotel an der ehemaligen LPG-Wirkungsstätte  in Semlow.
Das Schlosshotel an der ehemaligen LPG-Wirkungsstätte in Semlow. (c) Jürgen Drewes
Zur Hölle Nr. 1 fi ndet man nicht so leicht wie gedacht. Man erreicht sie nur über einen Feldweg.
Zur Hölle Nr. 1 findet man nicht so leicht wie gedacht. Man erreicht sie nur über einen Feldweg. (c) Jürgen Drewes
Alles vorbereitet für den Wohnungsneubau im ehemaligen Stall.
Alles vorbereitet für den Wohnungsneubau im ehemaligen Stall. (c) Jürgen Drewes

Faire preise

1953, so die Aussage des Mannes mit der langen Berufserfahrung, lag der Preis für Weizen zwischen 42 und 44 DM pro hundert Kilo, also je Dezitonne. Derzeit seien es 22 € – das heißt nahezu identisch. Fast 70 Jahre lang sei es zuletzt nur bergab gegangen. Die Liberalisierung des Agrarmarktes durch die EU seit Mitte der 1990er-Jahre habe erst recht zu einem nachhaltigen Preisverfall geführt. Das sei schmerzhaft für die gesamt Branche gewesen. Der Getreidepreis sei letztlich der Schlüsselpreis für alle Produktionszweige, nicht zuletzt auch für die Tierhaltung. Das Einkommensausgleichsgesetz, das parallel auf den Weg gebracht wurde, sei wenig hilfreich gewesen. Im Gegenteil, die sogenannte Flächenprämie habe zu negativen Aussagen innerhalb der Gesellschaft geführt. Viele Menschen würden das als Geschenk für die Landwirte sehen. „Aber das ist es nicht. Wir wollen keine Geschenke, wir wollen faire Preise“, redet sich Nebenerwerbslandwirt Johann Scheringer in Schwung.

Und er lässt viel Lebenserfahrung einfließen. Groß geworden mit zehn Geschwistern auf einem bayerischen Familienbetrieb, war für ihn mit Blick auf die Unternehmensnachfolge kein Platz. „Das war alles viel zu klein. Mich haben vielmehr die großen LPG in der DDR interessiert. Mit meiner Berufsausbildung und einem Studium an der Hochschule in Meißen bin ich 1961 dann endgültig rübergemacht“, erzählt Johann Scheringer. Dass er vermutlich als einziger ausgerechnet im Jahr des Mauerbaus die Seiten wechselte, als Tausende die umgekehrte Richtung von Ost nach West einschlugen, will er so nicht stehen lassen. „Es sind damals rund eine halbe Million Menschen in die DDR übergesiedelt, vielleicht sogar mehr. Das ist nie richtig aufgearbeitet worden“, gibt Scheringer zu verstehen, der in jenen Jahren zu einem steilen beruflichen Aufstieg bis zur Wende 1989 startete.

Vorwiegend im damaligen Kreis Ribnitz-Damgarten. Erste Station war Daskow. Es folgte Semlow, anfangs als Leiter der Schweineproduktion, ab 1972 als gewählter Vorsitzender der LPG. 1978 zog es ihn in die Vorzeige-LPG nach Trinwillershagen, anschließend noch für kurze Zeit ins nahe gelegene Eixen. Überall hat er seine ganz persönliche Handschrift hinterlassen. „Er hat die Genossenschaften richtig gut bzw. noch besser, als zuvor gemacht“, erinnern sich einstige Mitglieder an die damalige Zeit.

Nebenerwerbslandwirt seit 60 jahren

1990 – mit der Wende – war Schluss mit Landwirtschaft im Haupterwerb. Da zog es den damals Mittfünfziger in die Politik. Als Mitglied der PDS anfangs in die Volkskammer, nach deren Auslösung in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern. Im Einigungsprozess hat Johann Scheringer maßgeblich am Landwirtschaftsanpassungsgesetz mitgewirkt. Als Basis für den Übergang der einstigen Produktionsgenossenschaften in die Marktwirtschaft. „Ein schwieriger Prozess, am Ende aber erfolgreich, ein Gesetz, das bis heute Bestand hat“, bilanziert Johann Scheringer, der sich auch in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen engagiert hat. Zeitweise in bis zu sieben Ehrenämtern. Sein Markenzeichen: Rote Socken. Das ist bis heute so geblieben. Jeden Tag aufs Neue. Ehefrau Ilse sorgt permanent mit fleißiger Nadel für Nachschub. „Andere wollten mich für die Socken schon in die Hölle schicken. Aber da bin ich ja längst angekommen“, lacht Scheringer. Vieles andere sei inzwischen Geschichte.

„Das Alter fordert seinen Tribut. Heute bin ich nur noch Vorsitzender der Jagdgenossenschaft hier in der vorpommerschen Region und Nebenerwerbslandwirt“. Und das seit nunmehr 60 Jahren. Was den Arbeitsumfang betrifft, auch hier kein Vergleich mehr zu früheren Zeiten.

Zwölf Schweine und ein Rind in der Mast, ein Pferd, ein großer Garten mit Gemüseanbau, Kartoffeln, Rüben, Heu. Und Tomaten für den öffentlichen Handel. Sowie bis zu 20.000 Stiefmütterchen jedes Frühjahr. „Die haben wir für die Stadtwirtschaft in Stralsund produziert. Sie haben uns ihre Fischkisten über den Zaun geworfen und wir haben sie vollgemacht“, lacht Ehefrau Ilse. Sie hat ehemals als Ökonomin in der LPG gearbeitet. Nebenerwerbslandwirtschaft nach Feierabend habe einfach dazu gehört. Als Ausgleich und Entspannung zugleich.

IIse und Johann Scheringer in ihrem Garten.
IIse und Johann Scheringer in ihrem Garten. (c) Jürgen Drewes
Niederschlagskontrolle.
Johann Scheringer bei der Niederschlagskontrolle. (c) Jürgen Drewes

Optimistischer blick in die zukunft

Im Garten stehen fünf Tomatenpflanzen in großen Kübeln, einiges im Gewächshaus und ein paar Stiefmütterchen im Garten. Plus der zehn Hektar Acker und zwei Hektar Wald, der vor allem für die Selbstversorgung der seit 1993 betriebenen Holzvergaserheizung auf dem Hof bewirtschaftet wird. „Das reicht. Mehr geht nicht“, heißt es unisono, während Ehemann Johann den Füllstand im alten Regensammler kontrolliert. Mit Blick auf den kleinen Haussee, der gerade entschlammt wurde und der im Winter gern zum Eisstockschießen genutzt wird. Inzwischen gelebter, etwas ruhigerer Alltag, nach vielen intensiven Arbeitsjahren.

Doch so soll es nicht bleiben. Neues Leben wird auf dem Nebenerwerbshof einziehen. Die Unternehmensnachfolge, vielerorts ein Problem, ist geregelt. Sohn Alexander kehrt zurück. Der 43-Jährige ist Pferdespezialist, hat sich intensiv mit der medizinischen Wirkung von Stutenmilch beschäftigt und ist als Therapeut unweit von Bützow im Landkreis Rostock tätig. Die künftige Adresse soll der elterliche Hof sein, mit einer neuen Nebenerwerbsfacette: Pferde sollen hinzukommen. Das Baumaterial für den Ausbau einer eigenen Wohnung im ehemaligen Stall ist bereits geliefert. Demnächst soll es losgehen.

„Wir freuen uns. Nebenerwerbslandwirtschaft ist so wichtig. Mehr als die Hälfte aller Landwirte in Deutschland wirtschaften im Nebenerwerb. Ich habe mich im Bauernverband viele Jahre für diese Ausrichtung engagiert, weil die Tätigkeit für Vielfalt steht“, blickt Johann Scheringer gemeinsam mit seiner Frau von der Hölle aus optimistisch in die Zukunft.

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Gläserner Kuhstall der Agrarprodukte Kitzen eG

Um Erfahrungen auszutauschen, besuchte der Interessenverband der Milcherzeuger in diesem Jahr in die Agrarprodukte Kitzen eG am Rande der Messestadt Leipzig. Hier entstanden ein Stall und ein neues Melkzentrum mit 17 Robotern.

Text und Fotos von Fritz Fleege


Unter dem Motto „Erfahrungen austauschen, ist noch immer die beste Investition“ richtet der Interessenverband der Milcherzeuger (IVM) regelmäßig eine Jahrestagung einschließlich Betriebsbesichtigung in Mitgliedsbetrieben und in Unternehmen mit modernen Milchviehanlagen aus. Aktuelle Themen aus Wissenschaft, Forschung und Praxis sowie der Agrarpolitik stehen im Mittelpunkt des Meinungsaustausches bei den Tagungen mit mit renommierten Referenten. Außerdem wird eine Fachexkursion zu modernisierten oder neu errichteten Milchviehanlagen angeboten. Diesmal, 30 Jahre nach der Gründung des Verbandes, führte die Exkursion zum „Gläsernen Kuhstall Leipzig“ der Agrarprodukte Kitzen eG.

Verbraucher erhalten Einblick in den Kuhstall

Die Agrargenossenschaft Kitzen, in unmittelbarer Nähe der Messestadt Leipzig, bewirtschaftete zwei Milchviehanlagen an unterschiedlichen Standorten mit knapp 800 Kühen. Am Standort Leipzig-Großzschocher wurde bzw. wird die alte Milchviehanlage komplett um- und ausgebaut. Maßgeblich daran beteiligt ist die Planungsbüro Zemelka GmbH aus Wittenberge. Neben einem neuen Kuhstall und einer Biogasanlage ist ein modernes Melkzentrum mit 17 Melkrobotern.

Als Besucher wurden wir zunächst in einem Raum in der oberen Etage des Melkhauses empfangen. Von dort aus kann man durch große Fenster das Melken der Kühe beobachten. Das Besondere daran: Es verläuft vollautomatisch und zu festen Zeiten.

Ein Auslauf und ein Futtertisch mit  Überdachung wurden an beiden Seiten  des Kuhstalles eingerichtet.
Ein Auslauf und ein Futtertisch mit Überdachung wurden an beiden Seiten des Kuhstalles eingerichtet.

Woher kommt die Milch? Wie werden die Nutztiere heutzutage gehalten? Verbraucher und Gesellschaft haben immer mehr Fragen zur Erzeugung und Herkunft von Lebensmitteln. Die landwirtschaftliche Produktion steht zunehmend im Fokus der Öffentlichkeit und wird häufig kritisiert. Aber in den vergangenen Jahren hat sich die Landwirtschaft enorm weiterentwickelt und durch moderne Technik das Tierwohl gestärkt, die Lebensmittelqualität gesteigert und den schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen nachhaltig verbessert.

Darauf verwies in seinen einleitenden Worten zur Veranstaltung Hans-Uwe Heilmann, Vorstand der Agrarprodukte Kitzen eG. So soll der „Gläserne Kuhstall“ eine perfekte Plattform bieten, um den Verbrauchern die Leistungen der multifunktionalen Landwirtschaft zu vermitteln, Einblicke in den Arbeitsalltag der Mitarbeiter und die Haltungsbedingungen der Rinder zu geben. Der Agrargenossenschaft ist es wichtig, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und zu informieren, wie Milchkühe heute gehalten werden. Schließlich könne man nur im Dialog das Vertrauen der Bürger in die landwirtschaftliche Tierhaltung stärken. Deshalb habe man ein Konzept der landwirtschaftlichen Tierhaltung entwickelt, das dem Verbraucher einen unverfälschten Blick in die moderne Tierhaltung ermöglichen soll. Interessierte Besucher, ob Nachbarn oder Schulklassen, können sich hier erkundigen und sich einen eigenen Eindruck von der Landwirtschaft machen. Nach den einleitenden Worten von Hans-Uwe Heilmmann hielt Prof. Dr. Alexander Starke von der Univesität Leipzig einen Vortrag zum Thema „Tierärztliches Gesundheitsmanagement in großen Milchviehanlagen“. Anschließend konnten wir den neuen Kuhstall und die Melktechnik sowie den Klauenpflege- und den Tierarztstand in Augenschein nehmen.

Viel Tierwohl in neuen Unterkünften bei der Agrarprodukte Kitzen eg

Hans-Uwe Heilmann ist Vorstand der Agrarprodukte Kitzen eG
Hans-Uwe Heilmann ist Vorstand der Agrarprodukte Kitzen eG,

Besonders auffallend ist der neue Kuhstall. Er ist 48 m breit, 78 m lang und im First 15 m hoch. Der First ist offen, die Seitenwände lassen sich automatisch gesteuert mit Jalousien verschließen. Der Stall ist hell und luftig gebaut. Die Südseite des Daches ist mit Solarzellen belegt. Längs in der Stallmitte befindet sich ein breiter Futtergang. Links und rechts davon sind je ein Fressgang und zwei Reihen mit breiten Doppelliegeboxen und Laufgänge angeordnet. Die Tiefliegeboxen bestehen aus einer Stroh-Kalk-Matratze und werden wöchentlich neu eingestreut. Die Kühe liegen darauf sauber und bequem. An rotierenden Bürsten können die Tiere ihr Fell pflegen. Draußen befinden sich an beiden Stallseiten noch überdachte Fressgänge und somit sonnige Ausläufe. Die Kühe können also drinnen und draußen fressen. Man sieht es ihnen an, dass sie sich wohlfühlen.

Gute Bedingungen gibt es auch für die Kälber, die zunächst in Hütten unterkommen und später nach Kitzen umquartiert werden. Dort erfolgt die weitere Aufzucht. Hochtragend kommen die Färsen dann vor dem Kalben zurück nach Großzschocher. Die laktierenden Kühe sind in fünf Gruppen unterteilt, in Frischlaktierende, Hoch- und Mittelleistende sowie Altmelker. Die Trockensteher sind derzeit noch in Kitzen untergebracht, bis der Reproduktionsstall mit Abkalbeboxen in Großzschocher fertiggestellt ist.

Die Kühe gelangen über kurze Treibewege in aller Ruhe zum Melken und kommen nach einer guten Stunde wieder entspannt zurück. Sie werden zweimal täglich bedarfsgerecht mit einer Total-Misch-Ration versorgt. Das meiste Futter wird im eigenen Unternehmen erzeugt. Die Entmistung der planbefestigten Laufgänge erfolgt per Schiebeschild. Die Gülle wird in einer Bioasanlage energetisch verwertet und anschließend als Pflanzendünger genutzt.

Agrarprodukte Kitzen EG: Modernes Melkhaus mit 17 Robotern

Eine Besonderheit weist das Melkhaus auf. Als Schlüsseleinrichtung für die Melktechnik hat man sich für das System M2erlin BatchMilking 4.0 von Lemmer-Fullwood entschieden. Basis dieses Konzeptes ist ein zentraler kreisrunder Vorwartehof, der eine große Kuhgruppe aufnehmen kann. Dahinter sind die Melkroboter sternförmig angeordnet. Der sich im Vorwartehof drehende Nachtreiber ermöglicht eine kontinuierliche Beschickung des Wartebereiches und somit einen gleichmäßigen Kuhverkehr zu den Melkrobotern. Sobald eine Melkbox frei ist, kann die nächste Kuh schnell in gerader Richtung eintreten. Dann läuft alles wie am Schnürchen. Kameras erfassen, wie die Kühe stehen und Elektromotoren steuern den Roboterarm unter das Euter. Auf einem großen Display an der Melkbox oder auch im Büro werden alle Daten der Kuh und ihre Leistung sichtbar. Über einen Touchscreen können alle Steuerungen per Fingertipp durchgeführt sowie der jeweilige Betriebsstatus der Maschine abgerufen werden. Neben einer leichten Bedienbarkeit ermöglicht das auch eine gute Übersicht. Alle Informationen stehen als Echtzeitdaten während des Melkens zur Verfügung, darunter ein Milchflussdiagramm, Kuhnummer und Status. Serienmäßig verfügt der M2erlin auch über eine automatische Tierbeobachtung. Die wichtigsten Daten einer jeden Kuh werden dazu erfasst, darunter Ruhezeiten, Milchmenge und -inhaltstoffe. Das System ermöglicht zudem eine sichere Brunsterkennung und frühzeitige Informationen zu Erkrankungen.

Wenn die Kühe vom Melkroboter kommen, gelangen sie durch einen Selektionsbereich. Dort können zum Beispiel kranke, für den Klauenschnitt vorgesehene oder zu besamende Kühe ausgesondert werden. Alle anderen sind wieder schnell am Futtertisch und können dort fressen oder sich in ihren Boxen hinlegen und den Auslauf aufsuchen. Damit ist ein reibungsloser, schneller Kuhverkehr gewährleistet.

Wenn die Kühe vom Melkroboter kommen, gelangen sie durch einen Selektionsbereich. Dort können zum Beispiel kranke, für den Klauenschnitt vorgesehene oder zu besamende Kühe ausgesondert werden. Alle anderen sind wieder schnell am Futtertisch und können dort fressen oder sich in ihren Boxen hinlegen und den Auslauf aufsuchen. Damit ist ein reibungsloser, schneller Kuhverkehr gewährleistet.

Mit diesem Melksystem wurden anfangs nur die Kühe aus dem neu errichteten Stall gemolken. Der daneben befindliche Altbau wird nun modernisiert, dann kommen dort die Kühe aus Kitzen unter. Alle 800 Kühe der Milchviehanlage lassen sich dann ins Melkhaus treiben. Ein Durchgang wird etwa 6,5 Stunden dauern. Derzeit wird täglich zweimal am Tag gemolken, bei Bedarf ist auch dreimaliges Melken möglich. Jeweils eine Arbeitskraft ist für das Melken und den Reproduktionsbereich zuständig. Ihre Tätigkeit ist deutlich leichter und attraktiver geworden.

Spezialstände für Behandlungen

Die zu behandelnden Kühe kommen in Extrabereichen unter, wo Spezialstände aufgestellt sind. So kann der Klauenpfleger gleich mit seinem Auto und den Gerätschaften vor dem Stand vorfahren und bald darauf mit der Arbeit beginnen. In das Sonderabteil passen 18 Tiere.

Von dort aus gelangen sie einzeln und relativ stressfrei in einen Stand der DEFI Woldegk GmbH, wo die Tiere auch besamt werden, bzw. wo man Trächtigkeitsuntersuchungen vornehmen kann oder es weiter in den Klauenpflegestand bzw. in den Tierarztbereich geht. In dem speziellen Stand zur Klauenpflege zeigt uns Detlev Findeisen, wie er ohne weitere Hilfe eine Kuh arretieren und in die richtige Position für die erforderliche Klauenbehandlung bringen kann. Die Arbeit kann dann mit Spezialwerkzeug und in bequemer Körperhaltung erfolgen.

Das Abteil, in dem der Tierarzt eine Kuh behandelt, erläutert uns Prof. Dr. Alexander Starke. Die Kühe lassen sich im Fangstand sicher arretieren und behandeln. Der Tierarzt kann spezielle Untersuchungs- und Analysetechnik aus der Klinik mitbringen und entsprechend im Abteil unterbringen. Danach gibt es noch in einer Hygieneeinheit Möglichkeiten, sich zu reinigen und umzuziehen.

Dank des Klauenstands hat  Detlev Findeisen als Klauenpfl eger  gute Arbeitsbedingungen.
Dank des Klauenstands hat Detlev Findeisen als Klauenpfleger gute Arbeitsbedingungen.

Verbraucher können auch die Kühe sehen

Besonderen Wert legt man in der Agrarprodukte Kitzen eG auf viel Milch hoher Qualität. So wurden im Vorjahr je Kuh 8.900 kg Milch erzeugt. Im neuen Stall mit viel Tierwohl und Automatik erwartet man eine noch höhere Leistung. Der Tagesdurchschnitt der laktierende Kuh ist bereits auf über 30 kg Milch gestiegen. Die Milch der 800 Kühe wird in zwei Kühltanks gespeichert und von dort überwiegend an die Molkerei frischli Weißenfels geliefert.

Ein Teil wird aber auch bereits seit Jahren über Milchtankstellen direkt vermarktet. So kann pasteurisierte Frischmilch aus der Agrargenossenschaft Kitzen an Automaten in neun großen Supermärkten in Leipzig gezapft werden. Rohmilch direkt von der Kuh gibt es an den Automaten in den Ortsteilen Kitzen und Großzschocher, die gut angenommen wird. Ein Liter Milch kostet dort 1 €. Über diese kleine Vermarktungsschiene wird zwar die Milcherzeugung kaum wirtschaftlicher, doch was nicht zu unterschätzen ist: Die Verbraucher interessieren sich für die Milchviehhaltung und besuchen gern die Milchviehanlage Großzschocher am Rande von Leipzig.

Ziel des „Gläsernen Kuhstalles“ ist es, das Bild der Nutztierhaltung, welches in der breiten Öffentlichkeit herrscht, zu verbessern und zu erweitern. Der Agrarprodukte Kitzen eG ist das bereits gelungen. Die Milchviehanlage ist bei vielen Einwohnern der Messestadt und der Umgebung schon längst zu einem Begriff geworden. Und nach der Corona-Pandemie werden auch wieder Besucher zum neuen Melkhaus und zu den Stallungen geführt. Die Bevölkerung kann also sehen und beurteilen, wie heute moderne Milchviehhaltung mit höchsten Standards erfolgt.

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Schachbrettmethode gegen Landverlust in der Ukraine

Ukrainer dürfen jetzt Land kaufen, ausländische Bewirtschafter müssen weiterhin pachten. Was die Bodenreform für sie bedeutet, berichten zwei deutsche Landwirte, die nahe Lviv Ackerbau betreiben.

Die Fragen stellte Astrid Thomsen

Landwirtschaftliche Flächen in der Ukraine durften bislang nicht gehandelt, sondern ausschließlich gepachtet werden. Viele Experten sahen dar in ein Hindernis für die Entwicklung einer leistungsfähigen Landwirtschaft. Die lange geplante Bodenreform wurde seit vielen Jahren aber immer wieder verschoben. Im Mai 2020 trat sie mit dem Gesetz Nr. 552-IX in Kraft.

Vorgesehen ist danach, dass ab dem 1. Juli ukrainische Staatsbürger zunächst bis zu 100 ha Land kaufen dürfen. Ab 2024 sollen sie auch größere Flächen erwerben können. Ausländischen Landwirten und Investoren ist weiterhin ausschließlich die Pacht erlaubt. Wie gehen sie mit dieser Einschränkung um? Torben Reelfs und Tim Nandelstädt bewirtschaften seit 2009 einen Ackerbaubetrieb in der westukrainischen Region Mykolaiv, südlich von Lviv (Lemberg) gelegen, und geben Auskunft.


Dramatischer Himmel, Sturm, Getreidefeld,
(c) IMAGO / Westend61

Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine?

Russlands Überfall auf die Ukraine trifft die Agrarmärkte tief ins Mark. EU-weit wird mit gestörten Warenströmen und steigenden Preisen gerechnet. Welche Auswirkungen hat der Krieg auf die Agrarmärkte und die Ernährungssicherheit? mehr


Könnten Sie bitte Ihren Betrieb kurz vorstellen?
Reelfs: Unser Betrieb, die Biorena GmbH, wurde 2009 gegründet und bewirtschaftet 1.600 ha. Wir sind zwei Eigentümer und haben 20 Mitarbeiter. Unsere Fruchtfolge: Winterraps, Winterweizen (direkt danach Zwischenfrucht), Zuckerrüben, Körnermais, Soja, Wintergerste. Wir haben 800 Verpächterinnen und Verpächter, die gemittelt drei Stücke Land (etwa drei Hektar) besitzen. Die Verträge werden auf sieben bis 20 Jahre abgeschlossen.

Unsere Gesprächspartner, Tim Nandelstädt (l.) und Torben Reelfs  gründeten vor zwölf Jahren ihren Landwirtschaftsbetrieb nahe Mykolaiv.
Unsere Gesprächspartner, Tim Nandelstädt (l.) und Torben Reelfs gründeten vor zwölf Jahren ihren Landwirtschaftsbetrieb nahe Mykolaiv. © privat

Welche Auswirkungen erwarten Sie mit der Bodenreform für Ihren Betrieb?
Nandelstädt: Kurzfristig, also in den nächsten drei bis fünf Jahren, erwarte ich für unseren Betrieb keine allzu großen Auswirkungen, da wir langfristige Pachtverträge abgeschlossen haben. Und laut dem Gesetz wird Pachtrecht ja vor Kauf gehen. Das bedeutet, dass unsere Pachtverträge gültig bleiben, auch wenn der Besitzer wechselt.

Und längerfristig?
Nandelstädt: Langfristig, etwa nach fünf Jahren, erwarte ich, dass die Pacht erheblich teurer wird. Viele starke Investoren werden beginnen, möglichst viel Land zu pachten, um es anschließend nach Möglichkeit zu kaufen. Wenn die Pachtpreise vor dem Hintergrund der Spekulation extrem hoch werden, sind sie für unser Wirtschaften nicht mehr rentabel, und wir verlieren Fläche.
Ich gehe davon aus, dass etwa zehn bis 15 Prozent unserer jetzigen Verpächter in den nächsten drei Jahren ihr Land verkaufen werden. Wir können es als Ausländer nicht kaufen. Also werden unsere Verpächter an unsere ukrainischen Nachbarn verkaufen. Kurzfristig hat das wie gesagt keine Auswirkungen, da unsere Pachtverträge noch mindestens fünf Jahre Gültigkeit haben. Aber langfristig verlieren wir das Land, da bin ich sicher. Denn ich gehe davon aus, dass die Landwirte in der Nachbarschaft kein Interesse daran haben, uns das Land zu verpachten, sondern selbst darauf arbeiten wollen. Nach und nach steigen dann die Kaufpreise des Ackerlands, und immer mehr private Landbesitzer verkaufen ihre zwei bis drei Hektar. Schleichend werden wir jedes Jahr Fläche abgeben müssen.

Auf eigener Achse brachten die Betriebsgründer ihren ersten Mähdrescher aus Deutschland mit. Inzwischen ist er verkauft.
Auf eigener Achse brachten die Betriebsgründer ihren ersten Mähdrescher aus Deutschland mit. Inzwischen ist er verkauft. © privat

Wie werden Sie reagieren?
Nandelstädt: Wir als Betrieb wollen natürlich darauf reagieren. Es gäbe theoretisch die Möglichkeit, über ukrainische Strohmänner Land zu kaufen und maximal lange Pachtverträge von 49 Jahren abzuschließen. Allerdings haben wir uns sehr schnell dagegen ausgesprochen, da wir nicht abhängig von Strohmännern sein möchten. Ich habe das Gefühl, dass ein solcher Weg mit sehr viel Stress, Unruhe und Unsicherheit verbunden ist.

Welcher Weg kommt stattdessen infrage?
Nandelstädt: Wir haben im letzten Jahr mit vielen unserer Verpächtern gesprochen, um sie davon zu überzeugen, langfristige Pachtverträge über zehn oder 20 Jahre mit uns abzuschließen. Einige haben es getan, einige aber leider auch nicht. Wir erhoffen uns dadurch, dass unser Land in Zukunft nicht so attraktiv für die großen Investoren ist, da wir ja zum Beispiel auf einigen Flächen eines Schlages für 20 Jahre Pachtverträge haben. „Schachbrettmuster“ – oder auch „Schachmatt“ – nennen das die Ukrainer. Große Schläge werden natürlich uninteressanter, wenn überall mittendrin einzelne Teilschläge nicht zu bewirtschaften sind, weil wir dort noch arbeiten dürfen. Ob sich diese Strategie als richtig erweist, hängt stark davon ab, wie viele Verpächter uns in den nächsten Jahren das Vertrauen aussprechen und langfristige Pachtverträge mit uns abschließen.
Reelfs: Durch unsere langen Pachtverträge sehen wir keine starken direkten Auswirkungen. Allgemein haben wir auch viele Vorteile des Moratoriums – den Aufschub der Bodenreform – gesehen, den andere beklagt haben. Wenn man mal sieht, wie der Handel mit dem Boden zum Beispiel in Deutschland abläuft, dann bleibt auch dort das nachhaltige Wirtschaften mitunter auf der Strecke. Und die politischen Eingriffe in das landwirtschaftliche Handeln, etwa durch die Düngeverordnung, sorgen auch dort für Frust bei den Landwirten.
Ein wichtiger sozialer Aspekt ist, dass bisher fast jede Familie im ländlichen Raum ihre Pacht in Form von Tierfutter erhält. Das sind zwar keine großen Mengen, aber doch genug, um sich Tiere halten zu können. Ein einmaliger Geldsegen durch den Landverkauf wird häufig nicht lange halten, und vermutlich geben dann viele Selbstversorger auf. Durch die geringe Kaufkraft kann sich die Armut weiter verschärfen.

Meinen Sie denn, der Regierung in Kiew sind die Sorgen der ausländischen Landwirte bewusst?
Reelfs: Um auf die Lage der ausländischen Investoren aufmerksam zu machen, haben sich 2020 ausländische Landwirte zusammengeschlossen und über ihre Verbände dem Landwirtschaftsministerium ein Schreiben überreicht, in dem ihre Forderungen deutlich gemacht wurden.

Nur Weizen ist Wahres: Der Pachtzins wird ausgezahlt.
Nur Weizen ist Wahres: Der Pachtzins wird ausgezahlt. © privat

Machen Sie sich Sorgen um Ihren Betrieb oder meinen Sie, das wird sich schon regeln?
Nandelstädt: Natürlich sind diese Entwicklungen für alle ausländischen Betriebe in der Ukraine – und damit auch für uns – besorgniserregend. Aber wir haben uns in den vergangenen zwölf Jahren daran gewöhnt, dass es viel weniger Planungssicherheit als zum Beispiel in Deutschland gibt. Und auf irgendeine Art und Weise regeln sich die Sachen dann meistens. Ich schaue positiv in die Zukunft, werde die Entwicklungen des offenen Bodenmarktes aber ganz genau beobachten, um gut darauf reagieren zu können.

Sehen Sie die Bodenreform als notwendig und richtig an? Hätte Sie Vorschläge, was besser zu machen wäre?
Nandelstädt: Ich halte die Bodenreform für überfällig. Denn ich bin der Meinung, dass sich ein Landbesitzer viel mehr um seinen Boden kümmert als ein Pächter. Außerdem glaube ich, dass durch den Landbesitz langfristige Investitionen attraktiver werden, zum Beispiel in Meliorationsmaßnahmen, Kurzumtriebsplantagen und Biogasanlagen.
Aus der Sicht der ausländischen Betriebe, die schon lange in der Ukraine arbeiten, fühlt sich das Gesetz trotzdem wie ein Schlag vor den Kopf an. Ich habe in Deutschland keine abgesicherte Rückzugsmöglichkeit. Mit knapp 30 bin ich mit meinem Kollegen in die Ukraine gegangen, weil wir unseren Traum verwirklichen und einen Landwirtschaftsbetrieb aufbauen und führen wollten. Viel Herzblut ist dabei geflossen. Und es ist in diesen zwölf Jahren viel Liebe zur Ukraine und zu den Menschen hier entstanden. Und jetzt sehe ich das alles in Gefahr. Das fühlt sich sehr ungerecht an.

Reelfs: Unserer Meinung nach sollte beim Recht auf Landkauf nicht nur nach Nationalität und Herkunft entschieden werden. Es ist doch auch ein großer Unterschied, ob ein Betrieb seit zwölf Jahren vor Ort Landwirtschaft betreibt oder sich erst kürzlich auf den Markt gedrängt hat. Die Vermutung, dass das Streben nach Landbesitz bei Letzteren im Vordergrund steht, liegt nahe. Der Boden wird automatisch am besten gepflegt, wenn der davon abhängige Landwirt auch der Besitzer ist. Dadurch werden solche Aufgaben wie Humusaufbau, Bodenproben ziehen, Fruchtfolgen gestalten oder Bodenstruktur verbessern automatisch besser gemacht. Deshalb sind wir dafür, dass Betriebe auch mit ausländischen Investoren, die vor 2015 gegründet wurden, Land kaufen dürfen. Außerdem sind wir für eine Obergrenze, die Landkauf zum Beispiel bis 9.999 ha ermöglicht. Das klingt viel für deutsche Verhältnisse, aber hier gibt es gigantische Großbetriebe, die teilweise über 100.000 ha pachten.

Pflügen mit ortsüblicher Technik.
Pflügen mit ortsüblicher Technik © Astrid Thomsen

Wissen Sie, wie die ukrainische Bevölkerung darüber denkt?
Nandelstädt: Ich denke, dass die Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung im Dorf gegen die Bodenreform ist. Sie haben Angst, dass wenige große, auch ausländische Investoren sich das Land für wenig Geld „unter den Nagel reißen“. Ein kleinerer Teil findet die Bodenreform gut, da sie etwas Geld mit dem Verkauf ihres Landes machen können.
Reelfs: Viele sind skeptisch, aber werden dennoch verkaufen, weil irgend etwas immer nötig gebraucht wird. Langfristig wird die Bevölkerung davon nicht profitieren.

Weitere Nachrichten aus den Bundesländern


Schweizer Volksabstimmung: Faktenfrei und aggressiv

In zwei Volksabstimmungen sollten die Schweizer über eine „pestizidfreie“ Landwirtschaft entscheiden. Wie es dazu kam und wie es ausging, ordnet unser Schweizer Autor Jürg Vollmer ein.

Von Jürg Vollmer


Wenn wir Schweizer nicht so verdammt überkorrekt wären, dann hätten wir uns den ganzen Zirkus sparen können. Aber nein, die Eidgenössische Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) musste ja unbedingt die neuesten Analysemethoden für Metaboliten (Abbauprodukte) von Pflanzenschutzmitteln im Trinkwasser haben.

Auf Krawall gebürstet

Diese neuen Analysen finden sogar 0,1 Mikrogramm Metaboliten pro Liter Trinkwasser. Das entspricht einem Zehntel eines Millionstel Grammes pro Liter. Weil diese Dosis schwer vorstellbar ist, hier ein Vergleich: Trinkt man Wasser mit einer Konzentration von 0,1 Mikrogramm Aspirin, müsste man 1.400 Jahre lang täglich einen Liter davon trinken, um die Dosis einer einzigen Aspirin-Tablette aufzunehmen. Homöopathische Präpaprate sind dagegen „knallharte Pharmazeutika“.

Aber wenn man etwas messen kann, dann machen wir Schweizer daraus gleich auch ein Gesetz. Über Nacht wurde deshalb der zulässige Grenzwert zum Beispiel für Metaboliten des Fungizids Chlorothalonil von 10 auf 0,1 Mikrogramm pro Liter Trinkwasser gesenkt, also um den Faktor 100.

Eine Überschreitung dieses neuen Grenzwertes führt nicht etwa zu Gesundheitsschäden. Viel-mehr wurden die 0,1 Mikrogramm pro Liter vor 40 Jahren festgelegt, als man mit den damaligen analytischen Methoden keine niedrigeren Konzentrationen messen konnte. Wasser mit einer Fremdstoffkonzentration unter 0,1 Mikrogramm pro Liter war sozusagen die „analytische Null“.

Für die Kantons-Chemiker (die obersten Wasserkontrolleure der Schweizer Bundesländer) war das so klar wie das Quellwasser in einem unberührten Bergtal. Nicht so für einige auf Krawall gebürstete Medien, deren Schlagzeilen die Bevölkerung beunruhigten: „Die Pestizid-Höllen der Schweiz – die Daten fördern Brisantes zutage: Die verseuchten Gebiete erstrecken sich über die ganze Schweiz“, hieß es da etwa.

Umstrittenes Kampagnenplakat zur Volksabstimmung in der Schweiz. Es erinnert an vergangene Glyphosat-Kampagnen in Deutschland.
Umstrittenes Kampagnenplakat zur Volksabstimmung in der Schweiz. Es erinnert an vergangene Glyphosat-Kampagnen in Deutschland. QUELLE: INITIATIV-KOMITEE

Zwei Gruppen von Aktivisten witterten daraufhin ihre Chancen und sammelten je 100.000 Unterschriften für Volksinitiativen (Volksentscheide), mit denen die Bundesverfassung geändert werden sollte: Die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative (Kasten).

Beobachter schätzen, dass hinter den beiden Volksinitiativen insgesamt kaum mehr als 100 Landwirte stehen. Ihnen gegenüber stehen 50.000 Schweizer Landwirte, davon 15 % Biolandwirte. In einigen Gebirgsregionen wirtschaften sogar 60 bis 100 % der Landwirte mit dem Label „Bio Suisse“.

Die Initiatorin der Trinkwasserinitiative dagegen war Flugbegleiterin, ein Beruf, dessen ökologische Bilanz nicht gerade berauschend ausfällt. Franziska Herren saß im Abstimmungskampf gerne in Podiumsdiskussionen und erklärte Nicht-Landwirten die Schweizer Landwirtschaft. Da hatte sie ziemlich viel Meinung für nicht gerade viel Ahnung.

Die Initiatoren der Pestizidinitiative waren eine Gruppe Ökowinzer, die anstelle von „synthetischen Pestiziden“ ihre Reben mit dem Schwermetall Kupfer spritzen. Ihr Kampagnenleiter, der 23-jährige Dominik Waser, wollte bereits 2019 die Klimazerstörung mit einem Hungerstreik aufhalten, was naturgemäß eher nicht so viel brachte.

Als diese beiden Gruppen ihre Entwürfe für die Verfassungsänderung vorlegten, schüttelten die Schweizer Agronomen nur den Kopf. Um nur zwei Details herauszugreifen: Mit der Trinkwasserinitiative hätten die Schweizer Landwirte ihren Tierbestand nur noch mit betriebseigenem Futter füttern dürfen. Selbst für viele Ökolandwirte ein Ding der Unmöglichkeit. Mit der Pestizidinitiative hätte der größte Schweizer Kartoffelchips-Hersteller seine Produktion einstellen müssen, weil er jährlich 700 t Gewürze importiert, die er durch Biogewürze hätte ersetzen sollen. Die Schweizer Schokolade- und Kaffeeproduktion (Nescafé, Nespresso) hätte praktisch vollständig ins Ausland verlagert werden müssen.

Mit Mord gedroht

Die Fachleute bemerkten solche Fehler in den Initiativtexten sofort. Der Schweizer Bauernverband, die Dachorganisation Bio Suisse und sogar Urs Niggli als legendärer Vordenker des biologischen Landbaus besuchten Franziska Herren deshalb – und wurden von ihr mehr oder weniger freundlich vor die Türe gestellt. Beratungsresistent sei die Initiatorin, emotional und faktenfrei – so die Charakterisierung der Verbandsleute im Nachhinein.

Volksinitiativen müssen von der Schweizer Regierung (Bundesrat) zwingend den Bürgern zur Abstimmung vorgelegt werden. Das Parlament könnte diesen Initiativen einen Gegenentwurf gegenüberstellen, der meist eine abgeschwächte Form der Volksinitiative ist. In diesem Falle verzichtete das Parlament aber darauf, was ziemlich mutig war. Denn die ersten Umfragen einige Monate vor den Abstimmungen zeigten über 60 % Zustimmung.

Biolandwirt Markus Ritter,  Präsident des Schweizer Bauernverbandes, wartet am Abstimmungssonntag nervös auf die  Resultate der extremen Initiativen.
Biolandwirt Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes, wartet am Abstimmungssonntag nervös auf die Resultate der extremen Initiativen.

Pandemiebedingt mussten die Abstimmungen um ein Jahr auf den 13. Juni 2021 verschoben werden. Das verlängerte den Abstimmungskampf – und brachte ihn zum Eskalieren. Die Initiatoren und andere Befürworter bekamen Morddrohungen, der Schweizer Bauernpräsident und andere Widersacher ebenso. Plakate der jeweils anderen Gruppe wurden massenhaft zerstört, Wagen mit Abstimmungsplakaten der Initiativgegner brannten und „Nachtbuben“ schossen auf Pflanzenschutzspritzen am Feldrand.

Auslöser der Eskalation waren nicht etwa bodenständige Bauern, die im wahrsten Sinne des Wortes handfeste Argumente in die Diskussion einbrachten. Das Grundübel war die Negativ-Kampagne der Initiatoren.

So überschwemmte zum Beispiel die Pestizidinitiative das Land mit Plakaten von Schweizer Babys, die gemäß „wissenschaftlicher Untersuchungen“ von Pestiziden vergiftet wurden. Tatsächlich war es ein hemdsärmeliger Test von 33 Schulkindern (und nicht Babys), in deren Urin Metaboliten gefunden wurden:
■ Pyrethroid (u. a. gegen Kopfläuse)
■ Chlorpyrifos (u. a. gegen Bettwanzen)
■ Phthalate (Weichmacher aus Folien, Farben, Radiergummis etc.)
■ Bisphenole (findet sich in Plastikflaschen und -spielzeugen)
■ Parabene (in Cremes, Lotions, Seife, Sonnenschutz und Shampoo).

Und neben all diesen Stoffen auch einzelne Metaboliten von Wirkstoffen chemischer Pflanzenschutzmittel. Wobei zum Beispiel die Metaboliten von Glyphosat genauso gut von einem Teller Spaghetti hätten stammen können, deren Hartweizen aus Italien kommt, wo die in der Schweiz streng verbotene Sikkation (Vorerntebehandlung) exzessiv durchgeführt wird.

Stunde der Wahrheit bei VOlksabstimmungen in der Schweiz

Neben den beiden „Initiativ-Komitees“ kam noch ein dritter Faktor dazu: Die Umweltverbände WWF, Pro Natura, Greenpeace und Bird-Life lancierten eine millionenteure, flächendeckende „Agrarlobby stoppen“-Kampagne. Diese Kampagne machte alle Landwirte zu schmutzigen Kumpanen einer Lobby aus Agrarchemie, der (tatsächlich mächtigen) Agrargenossenschaft Fenaco und dem Schweizer Bauernverband.

WWF, Pro Natura, Greenpeace und BirdLife ließen sich ihre Kampagne vom Multi-Milliardär André Hoffmann finanzieren, dem Besitzer der Hoffmann-La Roche AG. Derselbe Konzern, dessen Tochterfirma Givaudan 1976 in Seveso eine der größten Umweltkatastrophen Europas verursachte, bei der hochgiftiges Dioxin freigesetzt wurde. Eine Tatsache, welche die Kampagne nicht glaubwürdiger machte.

Beide Volksinitiativen wollten die Landwirtschaft mit der Brechstange und mit den Millionen des größten Pharmakonzerns der Welt verändern. Das löste Ängste und Gehässigkeiten aus – und hatte wohl auch einen starken Einfluss auf das Ergebnis.

Am 13. Juni 2021 sind die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative klar gescheitert: Die Stimmbürger haben beide mit je 61 % Nein-Stimmen abgelehnt. Laut der Nachbefragung stimmten Wähler der Sozialdemokraten, Grünen und Grünliberalen mehrheitlich für die Trinkwasser- und die Pestizid-initiative. Das sind vor allem Bewohner der Großstädte Zürich, Genf, Basel und Bern. Die 61 % der Nein-Stimmen kamen von Wählern der bürgerlichen Parteien – und vor allem aus den ländlichen Regionen und den städtischen Perepherien. Interessanterweise stimmten die jungen Wähler von 18 bis 34 Jahren mehrheitlich gegen die beiden Initiativen.

Die Ziele der Volksabstimmungen in der Schweiz
Trinkwasser: Die Schweizer Landwirtschaft soll dafür sorgen, dass die Bevölkerung mit sauberem Trinkwasser versorgt werden kann.
■ Die Schweizer Landwirtschaft soll dafür sorgen, dass die Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln versorgt werden kann.
■ Die Schweizer Landwirtschaft soll pestizidfrei produzieren.
■ Schweizer Landwirte erhalten keine Direktzahlungen, wenn sie in der Tierhaltung Antibiotika prophylaktisch oder regelmäßig einsetzen.
■ Die Schweizer Landwirtschaft darf ihren Tierbestand nur mit betriebseigenem Futter füttern.
■ Die Schweizer Landwirtschaft soll vom Bund überwacht werden, damit sie diese Vorschriften einhält. Der Bund soll die Öffentlichkeit regelmäßig über die Ergebnisse dieser Überwachung informieren.
Pestizide: Der Einsatz synthetischer Pestizide in der landwirtschaftlichen Produktion und Verarbeitung sowie in der Boden- und Landschaftspflege ist verboten.
■ Die Einfuhr zu gewerblichen Zwecken von Lebensmitteln, die synthetische Pestizide enthalten oder mithilfe solcher hergestellt worden sind, ist verboten.

Volksabstimmung in der Schweiz: Zeichen der Zeit wurden erkannt

Mit diesem doppelten Nein bekennt sich die Stimmbevölkerung der Schweiz zur heutigen Agrarpolitik. Eine Agrarpolitik, die alles andere als optimal ist. Aber Regierung, Parlament und der Schweizer Bauernverband haben die Zeichen der Zeit erkannt. Nach dem Nein dieser beiden Volksabstimmungen braucht die Schweiz eine Agrarpolitik, die Landwirtschaft, Umwelt, Raumplanung, Gesundheit, Wirtschaft und Gesellschaft kohärent aufeinander abstimmt.

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Kitzrettung: Raus aus der Wiese

Vor und bei der Grasmahd setzt der Ökohof Salzfurtkapelle technische Hilfsmittel zur Wildvergrämung ein. Zudem unterstützen freiwillige Helfer vom Tierschutzverein Zörbig die Landwirte bei der Kitzrettung.

Von Karsten Bär

Vor der Wiesenmahd setzt der Ökohof Salzfurtkapelle in diesem Jahr versuchsweise ein weiteres technisches Hilfsmittel zur Rettung von Rehkitzen ein. Dabei handelt es sich um ein Kombigerät eines süddeutschen Herstellers, mit dem auch Wild von landwirtschaftlichen Kulturflächen vergrämt werden kann.

Wie schon im Vorjahr kommt bei der Mahd zudem eine Schallkanone zum Einsatz (Bauernzeitung 23/2020, S. 14). Dieses akustische System ist auf der Schutzhaube des Frontmähwerks installiert, das zur Mähwerkskombination an dem Schlepper des beauftragten Lohnunternehmens gehört.

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Kitzrettung: Doppelte Warnsignale

Andreas  Hänsch
Andreas Hänsch (c) Detlef Finger

Die Ökohof GmbH, eine Tochtergesellschaft der Agrargenossenschaft Löberitz, bewirtschaftet rund 300 ha Wiesen und Weiden in der Fuhneaue im Landkreis Anhalt-Bitterfeld. Von etwa der Hälfte dieser Fläche wird – je nach Silofüllung – der Aufwuchs siliert. Die übrigen Areale dienen der Heugewinnung bzw. als Weideland für die Fleckviehrinder.

Ende Mai stand der erste Schnitt auf dem natürlichen Dauergrünland in der Flussniederung an. Am Abend vor der Mahd, kurz vor Eintritt der Dunkelheit, stellte Produktionsleiter Andreas Hänsch die Geräte auf den zur Ernte anstehenden Flächen auf. Vier Geräte samt Aufsteckpfahl zum Setpreis von rund 130 Euro hat der Betrieb angeschafft. Zusammen mit dem Stab, an dem es aufgehängt ist, erinnert das Gerät in seiner Form an eine Silvesterrakete.

Ihre Aufgabe erledigen die Geräte mittels kombinierter akustischer und optischer Signale. Bei Dämmerung schalten sie sich automatisch ein und senden variable Licht- und Tonsignale aus, die das Wild von gefährdeten Flächen fernhalten sollen.

Mit dem Kreiselzettwender breitet Schlepperfahrer Dominik Hänsch das  Gras nach der Mahd zum Anwelken auf der Fläche aus.
Mit dem Kreiselzettwender breitet Schlepperfahrer Dominik Hänsch das Gras nach der Mahd zum Anwelken auf der Fläche aus. (c) Detlef Finger

Ein Mikrochip im Gerät sorgt dafür, dass diese Signale in willkürlichen Zeitabständen und mit unterschiedlicher Dauer abgegeben werden. Durch das Zufallsprinzip soll eine Gewöhnung des Wildes an die Signale ausgeschlossen werden. Über vier Programme kann das Gerät auf die unterschiedlichen Anwendungen wie Rehkitz-Rettung bzw. Wildvergrämung eingestellt werden.

Video: Ein Rehkitz wird freigelassen

Durch ihre 360-Grad-Bauweise erreichen die Geräte eine in alle Richtungen gleichmäßige Vergrämungswirkung in einem Umkreis von mindestens 100 m. Das entspricht einer Fläche von etwas mehr als 3 ha pro Gerät. Der zeitliche Aufwand für das Aufstellen ist minimal. Aufgrund seines geringen Stromverbrauchs und des leistungsstarken externen Akkus soll das Gerät bis zu 35 Tage mit einer Aufladung funktionieren.

Einfach zu handhaben

Offensichtlich verrichten die Wildretter ihre Aufgabe auch auf den weitläufigen Wiesen an der Fuhne erfolgreich. Wie Andreas Hänsch gegenüber der Bauernzeitung berichtete, waren alle Flächen, auf denen die Warngeräte standen, frei von Kitzen. Das hätten Kontrollen mittels einer Drohne ergeben.

Andreas Hänsch ist auch von der einfachen Handhabung der Warngeräte angetan. Der Einsatz von Drohnen zur Kitzrettung sei hingegen kostenintensiv und personalaufwendig, sagt der Landwirt. Zudem lauerten auch hier bürokratische Hindernisse, etwa in Form erforderlicher Bedienberechtigungen oder luftfahrtbehördlicher Erlaubnisse.

Hilfreiche Unterstützung bei der Kitzrettung bekam der Ökohof übrigens von Mitgliedern des Tierschutzvereins Zörbig um dessen Vorsitzende, Rebecca Hübsch. Zusammen mit weiteren freiwilligen Helfer/innen suchten sie das Grünland vor der Mahd nach Rehkitzen ab. „Das könnten wir als Betrieb personell gar nicht leisten“, sagt Andreas Hänsch. Als Landwirt und passionierter Jäger sowie ehrenamtlicher Hegeringleiter für das Niederwild in der Kreisjägerschaft Bitterfeld liegt es auch in seinem Interesse, das Wild zu schützen. Insofern ist er für jegliches Engagement dabei dankbar.

Neben dem Kitztod bedeutet jeder Kadaver im Silo Botulismusgefahr für den Tierbestand.

Kitzsuche: Mit Adleraugen über das Grünland

Die Kitzsuche mit Drohnen ist im Trend. Doch trotz der modernen Technik ist der Aufwand hoch. Die Kombination Wärme- und Normalbild verbessert die Trefferquote. Und so funktioniert´s…mehr

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Wenn es wieder so heiß wird für die Milchkühe

Auf dem Fachtag Bau und Technik in Köllitsch stand dieses Jahr Hitzestress bei Milchkühen im Mittelpunkt. Welche technischen Lösungen können auch im Sommer für gutes Stallklima sorgen?

Von Fritz Fleege

Alljährlich werden auf dem Fachtag Bau und Technik im Lehr- und Versuchsgut Köllitsch (Sachsen) aktuelle Themen behandelt und auf der Baulehrschau Exponate gezeigt.

In diesem Jahr stand die Minderung von Wärmebelastung bei Milchkühen im Mittelpunkt. Dieses Thema ist sicherlich den vergangenen drei heißen Jahren geschuldet, wo die Temperaturen deutlich über dem Durchschnitt lagen und der Landwirtschaft große Sorgen bereiteten.
Das betraf auch die Milchviehhaltung. So stiegen in den Sommermonaten in vielen Kuhställen die Temperaturen steil an, was zu Hitzestress bei den Tieren führte. Solche Extreme wirken sich ungünstig auf Gesundheit, Leistung und Wohlbefinden aus.

Hitzestress: Hochleistungskühe brauchen mehr Kühlung

Leider lässt sich in den Ställen nicht alles von heute auf morgen ändern. Doch so manches kann zeitnah abgestellt und beim Neubau generell berücksichtigt werden. Darauf machte mit seinen einleitenden Worten Dr. Uwe Bergfeld vom Landesamt für Umweltschutz, Geologie und Landwirtschaft des Freistaates Sachsen aufmerksam.

So sind für die Kühe ausreichend Aktionsflächen, weiche Liegeflächen, rutschsichere und trockene Laufwege sowie eine verletzungsfreie Stallausrüstung zu garantieren. Für ein optimales Stallklima ist zu sorgen – also eine angemessene Lufttemperatur und -feuchtigkeit sowie geringe Belastung der Luft mit Schadgasen.

Des Weiteren kommt es auf eine gute Beleuchtung und hohe Arbeitssicherheit an. Und schließlich sind auch Kosten und Umweltverträglichkeit zu berücksichtigen. Es ist somit ein breites Spektrum bei der Weiterentwicklung der Haltungssysteme zu bedenken.

Hochleistungskühe haben echtes Wärmeentsorgungsproblem

Die Wärmebelastung für das Milchvieh nimmt nicht nur mit steigenden Temperaturen zu, sondern auch mit steigender Leistung. So kommt eine kleinere Kuh bei einer Jahresproduktion von 5.000 kg Milch auf eine Wärmeerzeugung von 1.000 W. Eine größere Kuh mit einer Milchleistung von 12.000 kg kommt schon auf über 1.500 W und gibt auch mehr Wasserdampf ab.

Hochleistungskühe haben demzufolge ein echtes Wärmeentsorgungsproblem. So schaffen es die Tiere mit ihren natürlichen Mechanismen vor allem an Hitzetagen nicht mehr, die Wärme abzutransportieren. Bei einer Stalltemperatur bis 12 °C ist dies alles unproblematisch, doch im Sommerhalbjahr liegt sie weit darüber. Das ist beim Um- und Neubau der Ställe unbedingt zu berücksichtigen.

Große Ventilatoren direkt unter dem offenen First erhöhen die Luftbewegung und beschleunigen den Luftaustausch im Stall
Große Ventilatoren direkt unter dem offenen First erhöhen die Luftbewegung und beschleunigen den Luftaustausch im Stall. (c) Fritz Fleege

Dachfarbe und -isolation sind entscheidend

Die baulichen Maßnahmen zur Reduzierung von Hitzestress in Milchviehställen standen im Mittelpunkt des Vortrages von Peter Stoetzel, Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft.
Er widmete sich dem Thema aus baulicher Sicht, um Ställe mit guter Belüftung zu schaffen und auch die Strahlung von außen vor allem über die Dächer reduzieren zu können.

Er machte darauf aufmerksam, dass Tiere schon im Außenbereich stark unter Hitzestress leiden können. So ermittelte man bei Messungen in Oberbayern zwischen 800 und 900 Stunden im Jahr Lufttemperaturen über 20 °C. Eine geringe Luftbewegung ist ein weiteres Problem.

Viel problematischer sind die Innentemperaturen in herkömmlichen Ställen, die meistens noch höher sind als die Außentemperaturen. Dann kommt noch Strahlungswärme von den umschließenden Bauteilen und der Tiere hinzu. Weil die Belastung in Zukunft noch steigen wird, muss man den sommerlichen Wärmeschutz in Stallgebäuden künftig stärker berücksichtigen als bisher.

Bei niedriger Deckenhöhe ist der  Einbau von Ventilatoren wichtig.
Bei niedriger Deckenhöhe ist der Einbau von Ventilatoren wichtig. (c) Fritz Fleege

Untersuchungen anhand unterschiedlicher Gebäude mit zwei-, drei- oder vierreihiger Aufstallung und gleicher Tierzahlbelegung zeigen, dass die Firstausrichtung bei geringem Wind kaum Einfluss hatte. Der Gebäudetypus – bei längeren Gebäuden ist das Dach flacher und bei breiteren höher – hatte nur wenig Einfluss.

Allerdings schnitt ein zweischaliger Dachausbau mit Holzschalung deutlich besser ab als ein einschaliger mit Ziegeldeckung. Auch Dächer ohne Oberlichter schnitten besser ab. Von Vorteil erwiesen sich Ställe mit offener Trauffassade und weitem Dachüberstand. Die Farbe der Dacheindeckung spielte ebenfalls eine Rolle. Helle Dächer schnitten besser ab. Geringster Hitzestress trat in Gebäuden mit schweren Gründächern und Bewässerung oder hoher Speichermasse mit Stahlbetonbauteilen auf. Großen Einfluss hatte die Fassadenöffnung an der Traufe – je größer, desto besser.

Versuch: Simulation mit Dachazufbauten

In einem Versuch wurden auf einem dreireihigen Stall unterschiedliche Dachaufbauten simuliert. Erheblichen Einfluss hatten die Verschattung (Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung) und die Luftwechselrate (Größe der Luftöffnungen). Einen mittleren Einfluss hatten die Helligkeit der Oberflächen (Absorptionszahl der Dachfläche) und der Gebäudetyp. Nur geringen bzw. keinen Einfluss hatten das Gebäudeluftvolumen (Dachneigung) und die Orientierung (standortabhängig). Als passive Kühlmaßnahmen mit erheblichen Einfluss erwiesen sich die Bewässerung (bei Gründächern) und die Lüftungssteuerung (nur bei Gebäuden mit hoher Speichermasse).

Peter Stoetzel zog folgendes Fazit: Es fehlen für die Kühe validierte Schwellenwerte für den Grad der Hitzebelastung unter Berücksichtigung von Rasse, Körperkondition und Gesundheitsstatus sowie für Lufttemperatur, -geschwindigkeit, -feuchte und Strahlungs-werte.
Die Planung von Stallanlagen wird aufgrund der Hitzestressproblematik anspruchsvoller (lokalklimatische Fragen, Zusammenspiel von aktiven und passiven Maßnahmen). Neben den Baukosten werden die Betriebskosten wichtiger.

Offene Seitenwände und starke Ventilatoren

Thomas Heidenreich, Köllitsch, bestätigte die Aussagen seines Vorredners und ging vor allem auf technische Lösungen zur Minderung der Wärmebelastung ein. So brauchen Hochleistungskühe im Stall bei Außentemperaturen von 22 °C schon hohe Luftraten, damit sich der Stall nur um 3 °C erwärmt. Da werden durchaus 900 bis 1.000 m3 Luft pro Kuh und Stunde gebraucht, um die direkte Wärme abzuführen.

Zusätzlich kann noch über ungedämmte Dächer ein Wärmeeintrag in den Stall von knapp 1.000 W je Kuhplatz hinzukommen. Um die Wärme abzuführen, braucht man eine Lüftungszulage von über 1.000 m³ je Kuh. Deshalb riet Heidenreich, Lichtplatten nur noch auf der Ostseite eines Stalles einzubauen, damit es nicht zu einem erheblicheren Wärmeeintrag kommt.

Für Kühe mit hohen Leistungen braucht man 1,0–1,5 m2 Zu- und Abluftfläche je Tier. Man sollte Ställe bauen, deren Wände komplett offen sind, aber deren flexible Jalousiesysteme die gesamte Stallwand bedecken können. Und man braucht Steuersysteme, die in der Lage sind, auf die Sonneneinstrahlung zu reagieren, um bei Bedarf auch die Liegeboxen zu beschatten.

Hitzestress nicht vermeidbar

Trotzdem wird man Hitzestress nicht vermeiden können. Anzeichen dafür sind erhöhte Atemfrequenz (bis zu 80 Atemzüge je Minute), Reduzierung der Futteraufnahme und Erhöhung der Wasseraufnahme bzw. Erhöhung der Körpertemperatur auf 39 bis 40 °C. Das kann zu einem Abfall der Milchleistung um bis zu 4 kg je Kuh und Tag und zu einem Anstieg der Zellzahl in der Milch führen.

Auch auf die Fruchtbarkeit wirkt sich Hitzestress und hohe Luftfeuchtigkeit mit geringeren Östrusraten und möglichem embryonalen Frühtod ungünstig aus. Beim Auftreten von Hitzestress in den letzten drei Trächtigkeitsmonaten kann es zu geringeren Geburtsgewichten bei den Kälbern, Stoffwechselproblemen bei den Kühen nach der Abkalbung und Milchleistungseinbußen in der Folgelaktation kommen.

Mit kühler Luft steigt die Milchleistung

Viel Frischluft ist für die Kühe  auch beim Fressen wichtig.
Viel Frischluft ist für die Kühe auch beim Fressen wichtig. (c) Fritz Fleege

Heidenreich riet, bereits bei der Stallbauplanung und der Auswahl des Standortes darauf zu achten, dass Hitzestress möglichst vermieden werden kann. So lässt bei breiten Ställen und Querlüftung die Windgeschwindigkeit von der Luv- zur Lee-Seite deutlich nach.

Hindernisse bremsen im Stall die Windgeschwindigkeit erheblich. In vorhandenen Bauten lässt sich so manches besser gestalten. Die Luftbewegung im Stall kann durch entsprechende Ventilatoren beschleunigt werden. Im Aufenthaltsbereich der Kühe, also in den Liegeboxen, sollte die Windgeschwindigkeit 2,5 m/sek. betragen. Dazu sind Ventilatoren über dem Kopfbereich der Kühe beim Fressen und über den Liegeboxen mit ausreichender Wurfleistung anzubringen.

Große Deckenventilatoren drücken die Luft nach unten. Allerdings steigt diese dann ab einer gewissen Breite wieder nach oben. Deshalb sollten diese Lüfter auch mehr über den Liegeboxen der Kühe angeordnet werden, was aber meistens eine doppelte Anzahl an Ventilatoren bedeutet. Strömungsgeschwindigkeiten > 2,5 m im Stall sind entscheidend. Die Steuerung der Ventilatoren erfolgt am einfachsten thermostatisch.

Tunnellüftung empfehlenswert

Als beste Variante schätzt Heidenreich die Tunnellüftung ein. Sie kann in flachen Ställen längs und in breiten quer angeordnet werden. Bei Querbelüftung sollte man bei den Liegeboxen Leitbleche anbringen, damit die Luft zu den Tieren heruntergeleitet wird. In den USA erfolgt dies standardmäßig, aber weil solche Ställe dunkel sind, entsprechen sie hierzulande nicht dem Tierschutz.

Einflussfaktoren auf die Ventilatorauswahl und -anordnung haben neben der Stallform auch die Höhe, Länge und Breite des Gebäudes. Sogar die Lage der Wohnbebauung und die Entfernung zu Biotopen haben Einfluss darauf. Und nicht zuletzt sind der Preis, der Energiebedarf und die Haltbarkeit entscheidende Kriterien. Ein weiterer Schritt zur Kühlung sind Befeuchtungssysteme.

Dazu muss zuerst ausreichend Luft in den Stall geführt werden, damit der Stall durch die Befeuchtung nicht zu nass wird. Die Befeuchtung muss im Intervall laufen, damit der Stall danach wieder austrocknen kann. Durch die Wasserverneblung ist noch ein zusätzlicher Effekt möglich: Die Lufttemperatur sinkt. Die Anlagen sind allerdings teurer und daher nur für Abteile mit Kuhgruppen höchster Leistung effektiv. In den letzten Jahren kam auch wieder Schlauchlüftung zum Einsatz. Deren Vorteile sind eine gleichmäßige Luftströmung und diffuse Verteilung. Sie ist vor allem für Melkstände und auch für Kälberställe geeignet. Derzeit getestet werden belüftete Liegematten und Wasserbetten.

Gute Ventilation in den Ställen bewirkt auf jeden Fall eine höhere Leistung bei den Kühen und damit ein positives finanzielles Ergebnis. „Und wenn alles nicht hilft, müssen wir die Kühe, wie es die Inder mit ihren Wasserbüffeln tun, ins kühle Bad schicken. Das bringt aber hygienische Probleme“, meinte Heidenreich zur Aufmunterung abschießend.

Geprüfter Spezialist für ökologischen Landbau

Die berufsbegleitende Fortbildung zum geprüften Spezialist für ökologischen Landbau soll ab September beginnen. Unter der Voraussetzung landwirtschaftlicher Berufserfahrung, kann man sich jetzt für den Kurs anmelden.

Die Fortbildung „Geprüfter/Geprüfte Berufsspezialist/Berufsspezialistin für ökologischen Landbau (d/w/m)“ erlebt eine zweite Auflage. Der 18-monatige Premierenkurs, der im Herbst 2019 startete, wird Ende August seinen Abschluss finden.

Neues Modul: „Umwelt- und Klimaauswirkungen der (ökologischen) Landwirtschaft“

Das vom Dachverband Ökoherz im Jahr 2018/19 mit Mitteln aus dem Etat des Agrarministeriums entwickelte berufsbegleitende Angebot soll Mitte September beginnen. Zu den bisherigen 14 Modulen gesellt sich dann ein 15. hinzu: „Umwelt- und Klimaauswirkungen der (ökologischen) Landwirtschaft“.

Über 18 Monate hinweg (drei- bis viertägige Module pro Monat) wurde und wird den Teilnehmern Fachwissen in den Bereichen Betriebswirtschaft, Tierhaltung, Ackerbau, Gartenbau, Vermarktung sowie Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen im Ökolandbau vermittelt. Im Fokus stehen nicht nur die landwirtschaftliche Primärproduktion, sondern auch die nachgelagerten Bereiche der Wertschöpfungskette.

Spezialist für ökologischen Landbau: Viel Praxiswissen

In jedem Modul finden thematisch passende Exkursionen zu Partnerbetrieben statt, auf denen die Teilnehmenden nicht nur von den Erfahrungen der Öko-Landwirte profitieren, sondern auch einen umfassenden Überblick über die Biobranche erhalten. Zudem werden verschiedene Experten eingeladen, um den am staatlichen Rahmenlehrplan orientierten Unterricht anschaulich zu vermitteln.

Viele der Referenten stehen auch nach den Kursen für Fragen zur Verfügung und können den Unterricht teilweise an die Bedürfnisse der Teilnehmenden anpassen. Trotz Corona konnte der jetzt auslaufende erste Kurs weitgehend praxisnah organisiert werden, informierte das Ökoherz.



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Prüfung mit drei Fachbereichen

Am Ende des Kurses besteht die Möglichkeit, sich zur Abschlussprüfung anzumelden, um den staatlich anerkannten Berufsabschluss „Geprüfter Berufsspezialist für ökologischen Landbau“ zu erwerben.

Die Prüfung schließt drei Fachbereiche ein: Verfahren des Pflanzenbaus und der Tierhaltung – hier wird in acht Wochen eine schriftliche Hausarbeit verfasst und in einem Fachgespräch diskutiert. Dabei reichen die Prüflinge drei thematische Vorschläge ein, aus denen die Prüfungskommission (u. a. TLLLR) eines bestimmt.

Im zweiten Teil erfolgt die schriftliche Überprüfung des betriebswirtschaftlichen und fachrechtlichen Wissens. Zu guter Letzt muss bei einem Kundengespräch das Geschick in der Vermarktung unter Beweis gestellt werden. Für die zwölf Teilnehmer des auslaufenden Kurses wird diese dritte Prüfung Ende August stattfinden. red

JETZT ANMELDEN
Voraussetzung für die Teilnahme ist u. a. eine nachgewiesene landwirtschaftliche Berufserfahrung.
Anmeldeschluss für den mit maximal 15 Leuten besetzten neuen Kurs, der nicht nur Thüringern offensteht,
ist der 15. August. Auskunft über Ablauf, Kosten und gegebenenfalls eine Förderung gibt das Thüringer Ökoherz unter
Tel. (03643) 8 81 91 40 oder per E-Mail m.schoeber@oekoherz.de.


Details unter www.bio-thueringen.de

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Bodenbelag im Kuhstall: Ja, wo laufen sie denn?

Wenn es um Klauengesundheit, Milchleistung und Aktivität der Kühe geht, kommt immer auch der Stallboden ins Spiel. Jeder fragt dann, ob er trittsicher, trocken und leicht zu reinigen ist.

Von Prof. Dr. Norbert Kanswohl, Dipl. Agr. Ing. Doreen Tobi, Dr. Jörg Burgstaler, Dr. Denny Wiedow, Universität Rostock/Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei MV

Die Gestaltung des Stallbodens in Liegeboxenlaufställen ist in den letzten Jahren in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt. Hintergrund dafür sind im Wesentlichen die hohe Klauenerkrankungsrate und daraus resultierend das gestörte Lauf- und Brunstverhalten der Kühe sowie Verletzungen aufgrund von nicht tiergerechter Bodengestaltung. Inzwischen sind über die Hälfte der Milchkühe in Deutschland von Klauenerkrankungen betroffen, wodurch erhebliche wirtschaftliche Verluste aufgrund der Verringerung der Milchleistung, der Behandlungskosten, Störungen im Produktionsablauf, des erhöhten Arbeitszeitaufwandes sowie einer erhöhten Reproduktionsrate auftreten.

Die jährlichen Gesamtkosten von Klauenerkrankungen werden für Deutschland auf über 100 Mio. € beziffert. Nach einer britischen Studie verursachen sie 27 % der direkten Gesundheitskosten und liegen damit an zweiter Stelle nach Mastitis.

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Bodenbelag im Kuhstall: Auf gutem Fundament

Laufflächen sollen den Tieren angemessene Bedingungen zur Ausübung ihres natürlichen Körper-pflege-, Sozial- und Sexualverhaltens bieten. Bei den Laufflächen wird zwischen unelastischen (Beton, Asphalt, Epoxidharz) und elastischen Bodenbelägen (Gummi) unterschieden.

Ein wesentlicher Nachteil von Beton ist jedoch die schnelle Abnahme des Rutschwiderstandes. Die Böden sind dann nach kurzer Zeit häufig zu glatt und damit nicht mehr rutschfest und trittsicher. Die Trittsicherheit und Rauheit (Oberflächentextur) des Bodens sind aber von sehr großer Bedeutung, da sie die Bewegungsmöglichkeit und -geschwindigkeit, aber auch die Klauengesundheit entscheidend beeinflussen. Untersuchungen ergaben signifikant höhere Lahmheitsvorkommen auf sehr glatten Böden.

Bei planbefestigten Stallböden Laufgängen sollte für das Abschieben von Kot und Harn stationären Geräten gegenüber der mobilen Variante Schlepper mit Räumschild der Vorzug gegeben werden. Zu den stationären Geräten zählen Breit- und Faltschieber, die mit Kunststoff- oder Gummischienen ausgerüstet den Verschleiß der Bodenoberfläche verringern können. Sie ermöglichen über die Automatik ein häufigeres Entfernen des Dungs aus den Laufgängen als es bei Einsatz eines Traktors wegen des hohen Arbeitszeitaufwandes realisierbar ist.

Beton mit Profil

Im Interesse einer über Jahre anhaltenden guten Trittsicherheit und damit eines hohen Laufkomforts sollte bei Einrichtung planbefestigter Laufgänge Beton mit hohem Verschleißwiderstand verwendet werden. Die Betongüteklasse sollte mindestens B 35 betragen. Durch das Einprägen eines Profils (Rautenmuster) in den frischen Beton wird die Rutschfestigkeit zusätzlich erhöht. Allerdings verbleiben beim Abschieben der Laufflächen Kot- und Harnreste in den Rillen.

Das Auftragen von geeignetem Gussasphalt (Güteklasse GE 10 oder 15) mit einer Deckschicht von 3–4 cm auf einem Betonunterbau hat sich in der Praxis aus Sicht der Trittsicherheit in der Regel als eine sehr dauerhafte Variante bewährt. Die in einigen Betrieben schon nach vier bis fünf Jahren auftretenden Verschleißerscheinungen über das Auswaschen von Bindemittel und damit das starke Aufrauen der Oberfläche hängen häufig mit der Verwendung billiger Asphaltmischungen und dem unsachgemäßen Verlegen des Gussasphalts zusammen.

Beim Herstellen der Deckschicht sollte darauf geachtet werden, dass die Oberfläche nicht zu rau wird. Sehr raue Böden erhöhen zwar die Trittsicherheit, aber die Gefahr der Klauenüberlastung steigt aufgrund der wesentlich höheren punktuellen Maximaldrücke. Sehr raue Oberflächen wirken sich auch auf das Laufverhalten der Kühe negativ aus, bei Verwendung von scharfkantigen Materialien kommt es im Vergleich zu rundkörnigen zu erhöhtem Klauenabrieb.

Spaltenböden als Stallboden im Kuhstall

Werden die Laufgänge mit Spaltenböden eingerichtet, entstehen aufgrund der notwendigen Unterkellerung gegenüber der planbefestigten Variante deutlich höhere Investitionskosten. Bei Einsatz von Spaltenböden sollten die Schlitzweiten maximal 35 mm betragen, um ein Abkippen der Klauen in den Schlitz und damit Klauenverletzungen zu verhindern.

Der Einsatz von Gummimatten auf den Laufgängen – darüber sind sich viele Fachleute einig – führt zu einem fast natürlichen Bewegungsablauf, vermindert das Ausrutschen, erhöht die Tieraktivität und verringert Stress bei den Kühen. Zum Einfluss von weichen Gummibelägen auf Klauengesundheit und Fruchtbarkeit ergaben Untersuchungen im In- und Ausland hingegen ein differenziertes Bild. So wurden in einigen Untersuchungen positive Einflüsse der elastischen Bodenbeläge auf Klauengesundheit und Fruchtbarkeit festgestellt, in anderen Untersuchungen ergaben sich zumindest teilweise sogar negative Auswirkungen auf die Klauengesundheit. So wurden bei elastischen Bodenbelägen weniger mechanisch-traumatische Klauenbefunde ermittelt, aber gleichzeitig ein Anstieg der infektiös bedingten Klauenbefunde festgestellt.

Ursache dafür sind vermutlich schlechtere hygienischen Bedingungen, da Laufflächen mit Gummi auflagen in der Regel deutlich feuchter sind als reine Beton- oder Asphaltböden. Außerdem können bei Spaltenböden in Abhängigkeit von der gewählten Gummiauflage Probleme beim Durchtreten des Kotes auftreten. Tabelle 1 zeigt Richtwerte für die Einrichtung des Lauf- und Fressbereichs sowie der Tränken in Milchviehlaufställen. Tabelle 2 zeigt die Analyse und Bewertung elastischer Laufflächenbeläge nach DLG-Prüfberichten.

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