Schäferei Nesges: Familienbetrieb mit Frauenpower
Sie sind jung, sie sind Schwestern – und sie sind Geschäftsführerinnen einer der größten Schäfereien in Brandenburg: Anna und Marie Nesges führen den väterlichen Betrieb mit viel Leidenschaft weiter.
Ostern und Lämmer – sie gehören seit Jahrtausenden zusammen. So ist das Lamm von jeher Symbol für das Leben. Jesu selbst wird als „Lamm Gottes“ bezeichnet, das der Welt die Sünde wegnimmt. Auch war es im christlichen Glauben üblich, zu Ostern ein Lamm zu schlachten, das Fleisch unterm Altar zu weihen und am Ostersonntag als Braten und erste Mahlzeit nach der langen Fastenzeit zu essen. Soweit der Blick in die Geschichte. Doch wie sieht es in der Gegenwart aus?
Unsere Top-Themen
• Schwerpunkt Stallbau
• Intelligent düngen
• Großer Schleppertest: Teil II
• Märkte und Preise
Schäferei Nesges: Das Lebenswerk des Vaters weiterführen
Bekanntlich erlebt die Schäferei in Deutschland schwere Zeiten. Umso bewundernswerter ist es, dass sich zwei junge Schwestern, die 24-jährige Marie und die 26-jährige Anna Nesges, aufgemacht haben, das Lebenswerk ihres Vaters weiterzuführen – einen Betrieb mit 5.000 schwarzköpfigen Fleischschafen, 1.000 Ziegen, einem Schlachthof sowie rund 1.000 ha Acker- und Grünland.
Nicht zu vergessen sind eine Zebuherde, Herdenschutzhunde und rund 50 Mitarbeiter. Deshalb haben wir uns aufgemacht nach Liedekahle, einem klitzekleinen Ort im Dahmetal. Marie und Anna erwarten uns, auch wenn ihre Zeit in diesen Zeiten mehr als begrenzt ist, denn noch immer ist Lammzeit und jeden Tag kommen an die 20 bis 30 Lämmer zur Welt.
Auch im Schlachthof des Familienbetriebes im Nachbarort Heinsdorf herrscht Hochbetrieb: Das Osterfest steht vor der Tür, und der islamische Fastenmonat Ramadan hat begonnen. Da verlassen am Tag schon mal an die 450 frisch geschlachtete Lämmer den Hof vor allem Richtung Berlin.
Walliser Schwarznasenschafe: Hobby und Ruhepol
Doch bevor wir uns im Schaf- und Ziegenstall in Liedekahle den blökenden und meckernden Jungtieren und ihren Müttern widmen, möchte uns Marie erstmal ihre Ruheoase zeigen. Und die entpuppt sich aus einem fröhlichen Beisammensein von kuschligen Walliser Schwarznasenschafen, einem anhänglichen Zebukalb namens Valentin, das von der Mutter verstoßen und von der Familie mit der Flasche aufgezogen werden musste, sowie den zwei aufgeregten Herdenschutzhunden Anuschka und Iwan.
Sie drängeln sich beim Fototermin immer wieder in den Vordergrund, während das schwarze Dexterrind Monti im Hintergrund mit lautem Brüllen unentwegt auf sich aufmerksam machen möchte. Und letztlich kommen noch etliche Hühner um die Ecke. „Wie auf dem Bauernhof – ist das nicht schön!“, sagt Anna. Auch sie genießt die Tier-WG fernab ihres Alltags im Schlachtbetrieb. Dabei wollte die 26-Jährige noch vor wenigen Jahren vom Dorfleben nichts mehr wissen, wollte was erleben, wie sie sagt.
In Potsdam studierte sie Fitnessökonomie. Doch die Stadt, die vielen Menschen, das alles war ihr dann doch zu stressig. „Ich hab mich immer irgendwie allein gefühlt.“ Und so kehrte die Sehnsucht nach dem Dorfleben zurück – zuerst mit dem Plan, ein Fitnessstudio zu öffnen, zu Coronazeiten aber kaum umsetzbar. So kam eine freie Stelle in der Buchhaltung des väterlichen Schlachtbetriebes gerade recht.
Bildergalerie Schäferei Nesges
Mit Leidenschaft für Tiere
Marie wiederum hat das Dorf nie verlassen. Warum auch, hier habe sie alles, was sie glücklich mache – ihre Tiere. Und die halten sie ganz schön auf Trab, vor allem dann, wenn sich Schaf- und Ziegenställe in eine große quirlige Geburtsstation mit Kinderstube verwandeln, was viel Arbeit bedeutet, muss sie sich doch nahezu rund um die Uhr um Mutterschafe und Nachwuchs kümmern. Doch was heißt muss – sie will!
Tiere sind ihre Liebe und Leidenschaft von Kindesbeinen an, und so hat sie auch im familieneigenen Betrieb eine Ausbildung zur Tierwirtin mit der Fachrichtung Schäferei absolviert. Dennoch – den Betrieb des Vaters zu übernehmen, das stand bei beiden Töchtern zunächst überhaupt nicht im Lebenslauf.
Doch nun ist es so gekommen. „Wir sind da reingewachsen, das hat sich einfach so entwickelt“, begründet Anna die Entscheidung. Seit Mitte 2022 sind beide Geschäftsführerinnen – natürlich ganz zur Freude von Papa und Schäfermeister Johann Nesges.
Schäferei Nesges: Vom Saarland nach Brandenburg
1990 war der heute 61-Jährige und Landwirt in dritter Generation mit 400 Mutterschafen aus dem Saarland und Rheinland-Pfalz nach Brandenburg gekommen. Denn in den Wirren der Wendezeit, so erzählt er, sei er seine Schafe nicht mehr für gutes Geld losgeworden, wurden doch die ostdeutschen Tiere zu Spottpreisen verhökert.
So wagte er sich getreu dem Motto, wer nichts wagt, der nichts gewinnt, mit seinen Schafen in den Osten, zumal es hier riesige Weideflächen gab, die für einen Appel und ein Ei verscherbelt oder sogar verschenkt wurden.
Johann Nesges ließ seine Schafe zunächst auf rekultivierten Bergbauflächen weiden, die Zahl der Muttertiere nahm rasant zu, und frisches Lammfleisch war vor allem bei Kunden aus Berlin begehrt. Kurzum, das Geschäft florierte – woran sich bis heute nichts geändert hat. Doch die Fleischproduktion ist nur ein Standbein des Betriebes.
Beweidung mit Schafen
Die Schafherden werden vor allem das Jahr über auch zur Landschaftspflege in Brandenburg eingesetzt und von Schäfern gehütet. So beweiden die Tiere zum Beispiel Naturschutzflächen in der Döberitzer Heide, Flugplätze, rekultivierte Tagebauflächen und Solarparks. Und in der Beweidung solcher Flächen sieht Johann Nesges auch die Zukunft für die Schäfereien und den Schäferberuf, dem es leider an Nachwuchs fehlt. Umso glücklicher ist er über die Entscheidung einer Töchter, seinen Betrieb weiterzuführen, was nicht selbstverständlich ist. Denn so eine Schäferei ist kein Streichelzoo, wie er sagt.
Hinzu kommen die aktuell schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen und Herausforderungen, allen voran die Wolfsproblematik – erst kürzlich gab es 16 Risse in einer Herde – und der Personalmangel. Doch die Mädels stellen sich der Verantwortung. „Und das machen sie gut“, lobt der Papa, der seine Töchter natürlich auch weiterhin unterstützt – sofern sie es zulassen.
Anna und Marie haben von ihm viel gelernt, aber dennoch ihre eigenen, selbstbewussten Pläne für den Betrieb. So haben sie einen Tierarzt eingestellt, wollen den Tierbestand reduzieren, den Betrieb modernisieren. Auch bieten sie Sachkundelehrgänge für das Töten von Schafen, Lämmern und Ziegen an.
Was aber immer bleibt, ist die Liebe zu den Tieren. So genießen sie trotz der vielen Arbeit jeden Moment, den die Aufzucht mit sich bringt, auch wenn ihre Lämmer mitunter nur ein kurzes Leben haben. Doch so ist nun mal der Kreislauf.