Blick in die Zukunft der Landwirtschaft

Jeder Standort benötigt die für ihn optimale Technik. Die gibt es selten von der Stange und sollte deshalb weiter angepasst werden. ©Mzuri/Werkbild
Junges Land
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Bei einer Veranstaltung der Jungen DLG blicken junge Landwirte in die Zukunft der Land- und Lebensmittelwirtschaft. Wie sollen sie die Strategien ihrer Betriebe auf künftige Entwicklungen ausrichten?

Von Klaus Meyer 

Wissen Sie, was im Jahre 2009, also vor zehn Jahren, das beliebteste Handy war? Wahrscheinlich nicht. Felix Hollmann hat dem Publikum in der Anmoderation zur Junge-DLG-Tagung während der DLG-Unternehmertage in Magdeburg diese Frage gestellt und auch gleich die Antwort dazu geliefert: es war das Nokia N 95, ein Schiebehandy mit Tastatur. Ausgerüstet mit WLAN war es eines der ersten Handys mit Internet. Heute im Zeitalter der Smartphones und Apps kann sich kaum noch einer daran erinnern. Der Berater von der LBB Ländliche Betriebsgründungs- und Beratungsgesellschaft mbH in Göttingen wollte damit zeigen, wie schnell die technische Entwicklung voranschreitet und wie schwer es ist, zehn Jahre in die Zukunft der Landwirtschaft zu schauen, denn die Tagung stand unter dem Motto „Future of Farming: wenn morgen schon 2030 wäre!“ Das, was uns heute futuristisch vorkommt, gehört dann vielleicht zum Alltag. Das ist wichtig, sich vor Augen zu führen, denn Landwirte sind Unternehmer und müssen täglich Entscheidungen fällen, Entscheidungen, die die Zukunft des Unternehmens betreffen.

Wie Praktiker die Zukunft sehen 

Seit zwei Jahren engagiert sich Thinius Glitz hauptsächlich im elterlichen Betrieb. Vorher hat der 38-jährige Agraringenieur unter anderem acht Jahre als Produktmanager für Precision Farming bei Claas gearbeitet. Der Betrieb mit drei Standorten in Ostwestfalen umfasst 280 ha Ackerbau, 20 ha Grünland und 4.700 Mastschweine. Glitz und sein Vater wirtschaften auf schweren Tonböden mit bis zu 1.000 l/m2 Niederschlag jährlich.  

Felix Hollmann
Felix Hollmann

Michael Wustmans
Dr. Michael Wustmans
Thinius Glitz
Thinius Glitz
Peter Pickel
Peter Pickel

Um den Betrieb fit zu machen für die Landwirtschaft der Zukunft, hat der Landwirt im Vorfeld Thesen aufgestellt, wie der Ackerbau seiner Meinung nach in zehn Jahren aussehen könnte. Danach zählt am Standort Deutschland in Zukunft Klasse statt Masse, denn der Marktdruck aus ungeregelten Märkten wie Ukraine oder Russland wird weiter zunehmen. Der Pflanzenbau wird mit geringerem chemischen Pflanzenschutz und Düngungsaufwand auskommen müssen. Der ökologische Pflanzenschutz wird an Bedeutung gewinnen. Es geht zurück zu naturraum- und witterungsangepasster Bewirtschaftung. Der Landwirt wird zum Bewirtschafter der Kulturlandschaft. Eine Pflanzenproduktion, die Kohlendioxid im Boden bindet, wird monetär belohnt. In der Wertschöpfungskette Futter- und Lebensmittelproduktion wird es völlige Transparenz geben. Der Wettbewerb in der Agrarproduk-tion wird weiter zunehmen. Deshalb gewinnen Innovationen und Kostensenkung weiter an Bedeutung. Aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen wird man nur noch durch angepasste Strategien Geld verdienen können. 

Was bringt die Zukunft der Landwirtschaft?

Auch zur zukünftigen Schweinehaltung hat sich Glitz Gedanken gemacht. Seiner Meinung nach stehen Komfort und Tierwohl über allem. Auch hier geht der Weg zu Klasse statt Masse. Die Tierbestände werden in Deutschland weiter sinken, denn in zehn Jahren kommen Teile der Fleischproduktion aus dem Reagenzglas. Russland, China und Südamerika werden ebenfalls zur Marktversorgung beitragen. In Europa ist dann nur noch eine Schweinefleischproduktion nach höchsten Standards mit Maximal-Tierwohl möglich. Insgesamt wird der Konsum stagnieren, denn die westliche Welt wird weniger Fleisch verzehren. 

Diese Entwicklungen brach der Landwirt auf die zukünftigen Herausforderungen für den eigenen Betrieb herunter. Er rechnet mit einem steigenden Wettbewerb um die Produktionsfaktoren, insbesondere beim Boden. Gleichzeitig werden die Kosten für die Betriebsmittel weiter steigen. Fortschreitende Resistenzen auf den Gräserstandorten müssen ebenso bewältigt werden wie zunehmende Einschränkungen im Bereich Düngung und Pflanzenschutz. Da ein Teil der Tierproduktion noch in Altgebäuden erfolgt, muss er Denkmalschutz und Tierwohl in Einklang bringen. Die Kosten für die Mechanisierung werden seiner Meinung nach unbezahlbar werden. Außerdem wird eine immer größere Gefahr von Wetterextremen ausgehen. Die Folge von alldem sind sinkende Erträge und Margen. 

Lösungen im eigenen Betrieb 

Aufgrund dieser Herausforderung hält Glitz Wachstum um jeden Preis nicht für die Lösung der Probleme, sondern setzt auf Intensivierung durch Innovation. Innovation bedeutet für ihn Idee plus Mut plus Geschwindigkeit. Zur Ideenfindung sollten Landwirte sich Zeit nehmen für Recherche, Tagungen, Exkursionen und auch den Blick über den Tellerrand wagen zum Beispiel durch Reisen. Wichtig dabei ist das Interesse am Thema und gut zuhören zu können. Die Nutzung der digitalen Medien (Facebook, YouTube, WhatsApp usw.) ist genauso wichtig wie der Austausch in Arbeitskreisen oder unter Freunden. Man sollte jeden Tag das Verfahren und das eigene Tun infrage stellen. Seiner Meinung nach sollten auch Landwirte genauso wie große Unternehmen einen gewissen Teil ihres Budgets in die Forschung und Entwicklung investieren.  

Der Landwirt setzt seit zwei Jahren auf Strip-Till im Ackerbau, weil es sich auf seinem Standort bisher gut bewährt hat. Auf anderen Standorten kann das ganz anders sein. Er möchte den Pflanzenbau ökologischer und umweltorientierter machen, Stichwort regenerative Landwirtschaft. Die Bodenbearbeitung soll reduziert und das Bodenleben aufgebaut werden, um so Wetterextremen besser standhalten zu können. Ein weiteres Ziel ist der Aufbau von Dauerhumus. Bei der Düngung und im chemischen Pflanzenschutz möchte er durch den Einsatz von Digitalisierung und Precision Farming sowie angepasste Applikationstechnik maximale Effizienz erreichen. Den chemischen Pflanzenschutz möchte er durch den zunehmenden Einsatz von biologischen und mechanischen Verfahren reduzieren. Eine zunehmende Diversifizierung im Unternehmen, im Ackerbau und in der Fruchtfolge sieht er als Lösungsweg. Seine Ziele für die Zukunft lauten: 

  • Nachhaltiger wirtschaften, das heißt mit weniger Input den gleichen Ertrag erzielen. 
  • Eine kohlendioxidorientierte Landwirtschaft, das bedeutet für ihn mit möglichst wenig Treibstoff möglichst viel Kohlendioxid im Boden binden. 
  • Den Arbeitsaufwand durch Mechanisierung und Digitalisierung reduzieren. 
  • Die Effizienz durch aktuellste Technik erhöhen und diese für zusätzliche Einnahmen überbetrieblich einsetzen. 
  • Aufbau eines weiteren Betriebsstandbeines (Maschinenhandel). 
  • Optimierung des Strip-Till-Systems. 
  • Entscheidungsfindung durch digitale Werkzeuge unterstützen. 

Mehr mit weniger produzieren 

Prof. Dr. Peter Pickel von John Deere stellte die Anforderungen der Gesellschaft in den Vordergrund. In dem Zusammenhang nannte er die Stichworte digitale Transformation, Landwirtschaft 4.0, der neue Mobilfunkstandard 5 G, Treibhausgasemissionen, Nitratemmissionen, Herbizide (insbesondere Glyphosat) und die Elektromobilität. Das sind seiner Meinung nach alles Themen, mit denen wir, also auch die Landwirte, sich auseinandersetzen müssen. Die Gesellschaft erwartet von uns, dass wir zwei große Herausforderungen der Menschheit bewältigen, die Nahrungsmittelsicherheit und den Klimawandel. Die Cema (Europäischer Verband der Landmaschinenindustrie) hat dazu schon vor Jahren das Leitprinzip „Mehr produzieren mit weniger Mitteln“ herausgegeben. Pickel erweiterte dieses Leitprinzip um den Grundsatz Unabhängigkeit. „Wir müssen unabhängig werden von endlichen Ressourcen. Sie sind begrenzt und damit müssen wir zurechtkommen“, betonte er. Dazu zählen zum Beispiel die fossilen Treibstoffe und die landwirtschaftliche Fläche. Darauf aufbauend hat er vier notwendige Technologietrends benannt: 

  • Wir brauchen die Steuerung einer nachhaltigen Produktentwicklung beziehungsweise nachhaltige Landmaschinen.  
  • Als zweiten Punkt nannte er die präzise Automatisierung und autonom agierende Landtechnik, 
  • Der dritte Technologietrend ist die Elektrifizierung.  
  • Und viertens Smart Farming über das Internet oder die Vernetzung aller Daten und Maschinen über die Cloud.  

Pickel nannte einige Gründe, warum die Elektrifizierung so wichtig ist. Sie ist hocheffizient, bietet die höchste Leistungsdichte und beste Steuerungs- und Regelungseigenschaften. Letzteres ermöglicht in Zukunft die individuelle Behandlung einzelner Pflanzen. Die hohe Leistungsdichte erklärte er damit, dass schon vom Bauraum her gesehen mit zwei relativ kleinen Elektromotoren ein kompletter Traktor angetrieben werden kann, vom Fahrantrieb über die Hydraulikanlage bis hin zur Zapfwelle. Die Schwäche eines solchen Systems ist bis heute die viel zu große Batterie mit viel zu geringer Kapazität. 

Als möglichen Lösungsansatz stellte er einen voll elektrischen und vollautonomen Konzepttraktor für eine nachhaltige Zukunft vor, der mittels eines kilometerlangen Elektrokabels auf einer Kabeltrommel im Frontanbau mit Strom versorgt wird.  

Als letzten Grund nannte er die einfache Nutzung erneuerbarer Energien, die größtenteils sogar selbst auf dem landwirtschaftlichen Betrieb durch Photovoltaik- und Windenergieanlagen erzeugt werden könne.  

Landwirtschaft 4.0 ist für Pickel die IT-basierte vertikale und horizontale Integration der Landmaschinen in die Produktion von Lebens- und Futtermitteln. Dazu gehört die optimale Behandlung jeder einzelnen Pflanze und jedes einzelnen Tieres entsprechend ihren Bedürfnissen. Diese Art der Landwirtschaft erfülle damit gleichzeitig die Anforderungen der Gesellschaft. 

Frischmilchautomaten

Von der Evolution zur Disruption 

Michael Wustmanns stellte die Zukunft aus Sicht eines Innovationsforschers vor. Er arbeitet an der Universität Bonn am Lehrstuhl für Technologie und Innovationsmanagement im Agribusiness. Das AgriFood-System der Zukunft ist komplex. Trotzdem rät Wustmanns, dass man  alle Teilnehmer der Wertschöpfungskette im Blick haben sollte, insbesondere im Hinblick auf die Frage: Wer möchte eigentlich was von mir? 

Traktor mit Stromkabel auf dem Acker
Traktor am langen Kabel: Fahrerlos und elektrisch erfolgt möglicher- weise in Zukunft der Ackerbau. (c) Werkbild John Deere

Zur Wertschöpfungskette der Lebens- und Futtermittelproduktion gehören unter anderem die Wissenschaft, neue Technologien, politische Rahmenbedingungen und die Wünsche der Verbraucher. Die zunehmende Komplexität bildet sich auch in den Produkten und Technologien ab. Zukünftige Plattformen (Abb.) können mithilfe der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz den Zugang zu bestehenden und neuen Produkten und Technologien vereinfachen. Solche Plattformen werden sich aber nur durchsetzen, wenn sie für alle Beteiligten einen Vorteil bieten. 

Die Wertschöpfungskette der Lebens- und Futtermittelproduktion steht vor großen Aufgaben und Problemen. Der Wissenschaftler nannte unter anderem das Wachstum der globalen Bevölkerung, die Urbanisierung, die nachhaltige Produktion, die vollständige Vermeidung von Abfall, natürlich den Klimawandel und den ethischen Konsum. Die Digitalisierung ist einerseits ein Trend und andererseits kann sie zur Lösung der Probleme beitragen. Als weitere zukünftige Trends nannte er die Insektenzucht, In-vitro-Fleisch, Bio-Engineering, Vertical Farming und natürlich Precision Farming. In-vitro-Fleisch beziehungsweise Laborfleisch wird durch Gewebezüchtung in industriellem Maßstab erzeugt. Beim Bio-Engineering, auch Bioverfahrenstechnik genannt, werden Prinzipien der Ingenieur- und Naturwissenschaften auf Gewebe, Zellen und Molekülen angewandt. Unter Vertical Farming versteht man vor allem die Produktion von Gemüse in Hochhäusern (vertikal) hauptsächlich in Städten. So ein Anbau von pflanzlichen und tierischen Erzeugnissen kann durch die Nähe zum Verbraucher Transportzeit und -kosten einsparen. 

Durch den Einfluss der Digitalisierung auf den Lebensmittel- und IT-Sektor verschwimmen laut Wustmanns die Branchengrenzen zunehmend. IT-Größen wie Amazon, Google, Microsoft oder der chinesische Konzern Alibaba investieren zunehmend in den AgriFood-Sektor, auch über Start-ups, oder kooperieren mit Firmen aus der Lebensmittelbranche.