Annemarie Paulsen: Agri-Influencerin im Interview
Seit Ende 2022 mischt Annemarie Paulsen die Agri-Blogger-Szene auf: Kurz und knackig sind ihre Reels, die sie auf Instagram postet, die Themen aus dem prallen (Dorf-)Leben – zugespitzt, und sehr humorvoll die Pointen. Dafür präsentiert sich die Landwirtin und dreifache Mama „nature“ oder schlüpft in Rollen. Die Zahl der Follower geht durch die Decke.
Von Jutta Heise
Gute Nerven und stabile Reifen musst du haben, wenn du dich im Januar zum Biohof Paulsen durchkämpfen willst: Buckelpiste wechselt mit „Lochstickerei“ in Schotter und Asphalt. In der Weite der uckermärkischen Landschaft in Zollchow, einem 150-Seelen-Flecken, findest du: LPG-Altsubstanz, zwei neuere Ställe, einer davon mit zwei Melkrobotern ausgerüstet, Stroh-Bergehalle, Maschinenpark.
Annemarie und ihr Mann Martin haben sich in dem verwinkelten ehemaligen Genossenschaftsbüro eingerichtet, mit viel Platz für die vier Kids (bei denen es nicht bleiben soll, so Annemarie, die mit sieben Geschwistern aufgewachsen ist.). Die Küche – warm vom Duft geschmolzener Butter und Zimt. Apfelkuchen! Not for me, weil – ich mag keinen Zimt (eine Macke muss man haben), was nun auch Annemaries Follower wissen. (Danke!)
Die, 30 Jahre alt, Schnellsprecherin, wohl weil die Gedanken nur so fliegen, lässt das Babyphone nicht aus den Augen: Das jüngste Paulsen-Kind, Marte, hält Mittagsschlaf. Ihre Geschwister, Tilda und Hans, bleiben heute länger als gewohnt in der Kita – unseretwegen. Sonst wären am Ende sie wohl die Hauptakteure dieser Story geworden.
Heute schon gebloggt, Annemarie? Noch keine Zeit gehabt, einer der drei Melker ist krank, die Lücke im Workflow muss gefüllt werden. Marte hat ihren Mittagsschlaf beendet. Annemarie aktiviert die Mutterrolle, derweil wir mit Martin Paulsen schnacken.
Familienleben: Annemarie und Martin
Wenn man so will, ist dieser Donnerstag ein besonderer. Er und Annemarie sind genau sieben Jahre ein Paar. Kennengelernt haben sich beide auf einem kleinen Schleswig-Holsteiner Hof, wo er sein erstes Lehrjahr absolvierte. „Auf einen 2.000er Milchviehbetrieb wollte ich damals nicht, sondern in einem Familienunternehmen lernen.“ Stünde er heute vor der Wahl, hätte er anders entschieden. „Ein großes Unternehmen hat andere Arbeitsabläufe und eine andere Personalführung, das ist auch spannend.“
Zu zweit im Doppel-10er-Melkstand, das war easy, sagt Annemarie, die mit Baby Marte auf dem Arm zurückkehrt. Ihre Warm-up Frage, wie es der Neuling denn so mit der Religion halte, bringt seinerzeit eine kontroverse Diskussion in Gang, man kommt sich näher.
Beide absolvieren ein Studium der Agrarwissenschaften, sind Bachelor of Agricultural Sciences. Annemarie hat ihre Abschlussarbeit auf Englisch verfasst, einer Sprache, in der sie ziemlich firm ist, nützlich, wenn man wie sie gern travelt. Seit 2021 leben beide in der Uckermark, arbeiten auf dem Familienbetrieb von Martins Eltern.
Familienbetrieb in der Uckermark
Viola und Hans-Jürgen Paulsen, Diplom-Agraringenieure, gebürtige Schleswig-Holsteiner, entdeckten 1991 die Uckermark und die Möglichkeiten, hier einen eigenen Betrieb zu gründen. Die Bewerbung – handschriftlich – für die ausgeschriebenen Stallanlagen, für Acker- und Viehbestand der LPG, die sich in Auflösung befindet, haben sie wie etliche andere Dokumente und Fotos aufbewahrt.
Ebenso wie die Erinnerung an die hilfsbereiten Zollchower, die ihnen damals beistanden, bei der Anbauplanung helfen, Steine vom Acker sammeln, ihnen zeigen, dass sie willkommen sind, weil sie wagen, was die anderen auch gern probiert hätten, derweil ihre Biografie Brüche bekommt … 300 Milchkühe und 30 Färsen kaufen sie aus der LPG heraus, stottern das Geld dafür ab, sechs Jahre lang.
Biohof-Paulsen: Naturland-Betrieb
Heute hat der Betrieb, ein Einzelunternehmen, für das Hans-Jürgen Paulsen haftet, zwei Azubis, drei Mitarbeiter, 420 ha in Bewirtschaftung, 200 ha sind Eigentum. Man baut die Hauptgetreidekulturen an, dazu Mais und Luzerne, für den Verkauf und den Eigenbedarf, hält 320 Milchkühe, 250 Kälber.
Seit 2017 ist man Naturland-Betrieb, hat ein Jahr später die erste Biomilch geliefert. 33 Liter pro Kuh werden täglich ermolken, gehen an die Gläserne Molkerei im brandenburgischen Münchehofe, die 60 Cent pro Liter zahlt. „Der Preis hat sich auch für die konventionell Wirtschaftenden angeglichen, das freut uns für unsere Kollegen“, sagt Martin. Zwischen den Alt- und den Jungbauern ist Arbeitsteilung abgesprochen. Man hält sich daran und trennt sogar Berufliches von Privatem.
Alltag zwischen Kuhstall und Videodreh
Annemarie und Viola sind für die Tiere zuständig. Um sechs beginnt der Tag mit der Tierkontrolle, es folgt eine kurze Teambesprechung, um sieben startet der Arbeitstag in die Vollen. „Zweimal in der Woche kommt eine Haushaltshilfe, dann habe ich Zeit für aufwendige Arbeiten, etwa das Trockenstellen“, sagt Annemarie. In eineinhalb Jahren, so ist der Plan, soll die Verantwortung für den Hof an die Junglandwirte übergehen.
Erfreulich zu hören, dass ihnen deshalb schon jetzt sehr viel Mitspracherecht zugestanden wird, wenn es um die Zukunft geht. Aktuell dreht sich alles um den Bau eines Kälberstalls – „als Frontoffenstall mit 68 Tierplätzen, komplett auf Stroh, mit Auslauf, Weidehaltung und eventuell einer Überdachung“, erklärt uns Martin. Beim Bauantrag hakt es gewaltig. „Wir bewegen uns voll im Gesetzesrahmen, planen bedeutend mehr Tierwohl-Maßnahmen als es Naturland fordert. Warum geht es trotzdem nicht voran?“, ärgert sich Viola Paulsen.
Beste Newcomerin
So, Leute, das war ein bisschen Hintergrundmalerei, jetzt solltet ihr ausreichend verortet sein und wissen, woher Annemarie ihre Basics schöpft, wenn sie ihre Videos dreht, über die ihr euch in der Mittagspause auf dem Acker oder nach der Frühschicht im Melkstand schlapplacht. Nach ihrem ersten Post hat sie inzwischen round about 15.000 Follower und beim Agri Influencer Award, den die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft ausgelobt hat, den Preis in der Kategorie „Beste Newcomerin 2022“ eingeheimst.
Ihr gelingt das Einfache, das bekanntlich am schwersten zu machen ist. Kurz, knapp, knackig, mit Witz und lebensnah bringt sie Alltagssituationen aus dem Land- und Landwirte-Leben auf ihren Kanal. Kostprobe für alle Noch-Nicht-Follower.
Tiefer Griff ins wahre Leben
Da hat man, obwohl von der Schwiegermutter per Handy gelotst, fast das Feld des Nachbarn gepflügt; man bekommt demonstriert, wozu sich eine Weidetränke an Sommertagen noch so eignet; erfährt, was es beim Melkgeschirr mit einem Pi-nö-pel auf sich hat und wo ein Taschenmesser schon überall herumgetobt ist, bevor man einen Apfel damit schneidet; wie eine Entrümpelungsaktion auf dem Hof endet (nämlich mit mehr Schrott als zuvor, weil man schließlich alles noch mal gebrauchen kann, irgendwann).
Video: Annemarie Paulsen – Taschenmesser
Manchmal schlüpft sie in Latzhose und Karohemd, (nie ohne Basecap!) in die Rolle des Bauern Helmut. Er ist ein liebevolles Ebenbild ihres Vaters: das Gegenteil von schwatzhaft, wenn schon redend, dann sparsam, prägnant. Er, sagt Annemarie, habe ihr auch beigebracht, selbst in schwierigen Situationen den Optimismus nicht zu verlieren, das Leben – soweit möglich – von der heiteren Seite zu sehen, sich selbst nicht so ernst zu nehmen.
Video: Annemarie Paulsen – Helmut wir wollen los
Nicht zu lang dürften die Videos sein, sonst fühle sich der Follower ge-mentor-t. Die Pointe muss sitzen, krachen wie ein Silvesterböller. Ja, der Job bietet viele Ansatzpunkte, aber schnell mal das Smartphone draufhalten bei der Arbeit im Melkstand oder bei den Kälbern, so läuft das nicht. „Ich trenne das strikt“, sagt Annemarie. Circa eine Woche lang grübelt sie über das Thema des nächsten Reels nach, dann müsse alles schnell gehen.
Mit Klichees aus der Landwirtschaft spielen
Die beste Perspektive suchen, drehen, texten … Mitunter seien bis zu 20 Schnitte nötig, sagt die Perfektionistin. „Unser Beruf hat viele Aspekte, die will ich widerspiegeln, dabei den Alltag etwas ironisieren.“ Dem Einwand, sie bediene Klischees, hält sie entgegen: „Dessen bin ich mir bewusst, aber wir spielen ja damit. Weil ich das Metier kenne, darf ich das und manches auf den Keks nehmen.“
Der Jubel ist groß. Negative Kommentare reiben sich an Einzelheiten, etwa am „dreckigen Weidemann“, fürchtend, dass sie dem teils immer noch verzerrten Bild der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit weiter Nahrung geben könnten. Ja, sagt die Bloggerin, sie müsse betrieblich mehr auf Details achten. Schweigen kann sie nicht, wenn ein öffentlich-rechtlicher Fernsehsender es zulässt, dass hanebüchene, fast gemeingefährliche Fakes über moderne Landwirtschaft unwidersprochen herausposaunt werden dürfen, wie kürzlich in der Talkshow 3 nach 9.
„Ich musste darauf reagieren und mal etwas Politisches machen. Ansonsten halte ich mich auf diesem Feld zurück, es gibt schon so viele, sehr gute Kanäle für agrarpolitische Argumentation.“
Online Feedback und analog Pakete
Annemarie Paulsen- oder Bauer Helmut-Fan zu sein, kennt kein Alter. Ihre Follower sind 17, aber auch Best-Ager zwischen 40 und 60. Dass ihre Reels auch zum Zusammengehörigkeitsgefühl der Branche beitragen und sich besonders viele Frauen in den Videos gesehen und verstanden fühlen wie in einem Safe Space, freue sie sehr, sagt Annemarie, die online massenhaft Feedback, aber auch ganz analog Pakete mit Geschenken bekommt.
Bemerkenswert, dass in letzter Zeit Leute zu ihren Followern stoßen, die in landwirtschaftsfernen Branchen tätig sind. Ziel erreicht! Die Frage aller Fragen, was sie antreibe, immer wieder auf Instagram aktiv zu sein, hat sie kürzlich an „euch, ihr Creators da draußen“ weitergereicht. Außer dass sie viel Spaß empfinde, sich immer wieder etwas Neues auszudenken, fehlten ihr da ein bisschen die Worte … Führst doch sonst ne flotte Zunge …
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