Traditionsberufe: Die Gerberei Oettrich
Brüder für fast alle Felle: Wenn es um Leder geht, gibt es in Brandenburg eine renommierte Adresse: Doberlug-Kirchhain. Mit dem uralten Handwerk der Gerberei verdienen dort zwei Brüder bis heute ihr Brot.
Von Bärbel Arlt
Es sind die Brüder Manfred (54) und Andreas (53), die das uralte Handwerk der Gerberei fortführen. „Schon in fünfter Generation“, erzählen sie stolz. Und während sie auf dem Gerberbaum kraftvoll Schaffelle entfleischen, machen sie gleich einen Schwenk zur Geschichte des Ortes und der Familie Oettrich.
400 Jahre lang gehörte die Gerberzunft zu Doberlug-Kirchhain. Grund dafür, weshalb sich das Handwerk gerade hier angesiedelt hatte, sei das weiche, eisenfreie Wasser der Kleinen Elster gewesen, aber auch viel Wald, der die Rinden fürs Gerben lieferte, und die Schafzucht. „1900 gab es im Ort noch 100 Betriebe, die sich wie eine Perlenkette an der Kleinen Elster entlangreihten“, weiß Gerbermeister Manfred Oettrich, dessen Familie mit dazugehörte. Schon seit 200 Jahren ist sie in Kirchhain ansässig und war immer im Gerberhandwerk tätig. „Das Grundstück, auf dem wir wohnen und arbeiten, ist seit 1850 eine Gerberei. Unsere Großmutter bekam es von ihrem kinderlosen Onkel als Hochzeitsgeschenk – mit der Maßgabe, die Gerberei weiterzuführen.“ Was auch passierte. „Zu DDR-Zeiten haben wir vor allem Schweinsleder für Arbeitshandschuhe gegerbt. Und Großvater war zehn Jahre lang, von 1951 bis 1961, Obermeister der Gerber in Brandenburg“, erinnert sich Manfred Oettrich, der am Tag der deutschen Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 als jüngster Gerbermeister der DDR in die Geschichte einging.
Gerberei: Handwerkstradition wiederbelebt
Doch mit dem Fall der Mauer ging es in Doberlug-Kirchhain mit der Lederherstellung den Bach hinunter. Den Gerbern schwammen sprichwörtlich die Felle davon. Das Handwerk wurde nicht mehr gebraucht, die Produktion war nicht rentabel und Leder kam billig aus Fernost. „1994 hat unser Vater Richard den Betrieb schließen müssen“, erzählt Andreas Oettrich. Mit der Währungsunion 1990 hatten die beiden Brüder bereits ihren Job verloren und machten sich auf in den Westen. Während Andreas dort dem Gerberhandwerk über viele Jahre treu blieb, schulte Bruder Manfred 1993 um zum Industriekaufmann und orientierte sich im Marketing beruflich neu. Doch seine Leidenschaft für den Gerberberuf blieb und 2006 erweckte er den Familienbetrieb aus dem Dornröschenschlaf. Auch Kundschaft ließ nicht lange auf sich warten, und als die Aufträge allein nicht mehr zu schaffen waren, kehrte Bruder Andreas nach Kirchhain zurück. Seitdem gerben sie wieder Felle – wie es schon Generationen vor ihnen gemacht haben. Und wenn man den beiden kräftigen Kerlen in ihren Werkstatträumen zuschaut, fühlt man sich in alte Zeiten zurückversetzt, denn hoch technisierte Produktion ist fehl am Platz. Hier lebt traditionelles Handwerk.
Manfred Oettrich erklärt uns den Prozess des Gerbens mit einem schelmischen Schmunzeln: „Wir lassen von anderen das Fell über die Ohren ziehen, gerben unseren Kunden das selbige und verlangen dafür auch noch Geld.“ Doch Spaß beiseite, denn das Gerben ist Knochenarbeit pur. Zuerst wird die von den Kunden gelieferte Rohhaut durch Einfrieren oder Trocknen konserviert. Meist aber wird das Fell gesalzen, um der Haut das Wasser und damit die Fäulnisbakterien zu entziehen und den Verwesungsprozess zu stoppen. Nach etwa fünf Tagen kommen die Felle in eine hölzerne 1.000-Liter-Trommel, in der sie gewaschen und von Salz und Schmutz befreit werden. Wobei jedes Fell anders zu waschen und zu behandeln ist.
Nach dem Waschen wird das Wasser abgewelkt (herausgedrückt) und das Fell auf einem Gerberbaum mit einem riesigen Schabemesser entfleischt. Das heißt, Fett- und Fleischreste werden Zentimeter für Zentimeter kraftvoll, aber auch mit viel Feingefühl abgeschabt, darf doch die Haut nicht beschädigt werden. Dann kommen die Felle wieder in das Walkfass und werden mit einer Salz-Säure-Lösung auf einen bestimmten pH-Wert eingestellt, damit die Gerbstoffe – entweder Baumrinde, Alaun oder Fettgerbstoff – in die Haut eindringen können. Durch die Gerbung wird aus der unbehandelten Haut dann das Leder. In Doberlug-Kirchhain hat vor allem das Gerben mit Alaun – also das Weißgerben – Tradition. Auch die Oettrich-Brüder sind Weißgerber, beherrschen aber auch alle anderen Methoden, haben sie doch den Beruf von der Pike auf gelernt. Ist die Haut dann gegerbt, wird das Leder noch gestreckt, getrocknet, geschliffen, und die Wolle wie beim Schaffell gekämmt. Ein mühevoller und arbeitsreicher Prozess, der fünf, sechs Wochen dauern kann.
Felle und Werkzeuge für den Medicus
So freut es uns zu hören, dass diese traditionelle handwerkliche Arbeit wieder immer mehr geschätzt wird. Kunden aus ganz Deutschland lassen Haut, Felle und Bälger bei den Oettrichs gerben. Die Palette reicht von kleinen Dachs-, Kaninchen- oder Fuchsfellen, über Schaf- und Wildschweinfelle bis hin zur Kuh- und Zebuhaut. Ein Exot ist das Trommelfell (Pergament). Es wird aus Tierhäuten von Pferd, Schaf, Ziege, Reh aus der Region durch Trocknen hergestellt und vor allem für Musikins-trumente verwendet. „Wir liefern bis nach Frankreich“, sagt Andreas Oettrich. Begehrt sind die gegerbten Felle und Pferdeschweife übrigens auch auf Mittelalterfesten, sogar Filmproduzenten klopfen im kleinen Handwerksbetrieb an. So wurden im Historienfilm „Medicus“ Schaffelle und Werkzeug wie Streicheisen und Gerberbaum verwendet. „Auch die Produzenten von ‚Inglourious Basterds‘ hatten angefragt, doch die gewünschten Felle hatten wir nicht auf Lager“, so Andreas Oettrich, der uns erzählt, dass es aber nicht nur Anerkennung für ihre Arbeit gibt. „Auf Märkten vor allem in großen Städten müssen wir uns zum Beispiel anhören, dass die Tiere ja nur wegen des Fells geschlachtet werden. Und so mancher weiß gar nicht, dass es selbstverständlich sein soll, von Schlachttieren vom Fleisch über die Knochen bis zum Fell alles zu verarbeiten.“ Dieses Denken und diese Unwissenheit ärgern den 53-Jährigen, vor allem auch dann, wenn an einem Nebenstand Billigfelle aus Fernost gekauft werden, in denen viel Chemie steckt, die in ihren gegerbten Fellen nicht enthalten ist. „Unsere Produkte sind EU-zertifiziert, werden kontrolliert und geprüft, Salz und Wasser recycelt und mehrfach genutzt“, versichert er und wirft einen Blick in die Geschichte, als das Gerberhandwerk „zum Himmel stank“:
Ob Schuhe oder Stiefel, Pferdesattel, Lederwams, Schürze oder Gürtel – zwar wurde Leder dringend gebraucht, doch die Herstellung war extrem anrüchig. Denn die Felle wurden in den Flüssen vom Schmutz befreit und auch die faulende Haut, die mit Salz, Baumrinde oder Alaun versetzt wurde, stank widerlich. So wohnten die Gerber meist vor den Städten und zählten zu den „unreinen Berufen“. Auch gesundheitlich setzte ihnen die Arbeit zu. Tag für Tag standen sie in großen schwarzen Schaftstiefeln im Fluss, in den Werkstätten war es nass und kalt. Gicht, Rheuma und Milzbrand waren an der Tagesordnung. Ein alter Gerberspruch bringt es irgendwie auf den Punkt: „Eigelb, Pinkel, Hundeschiete geben dem Leder besondere Güte“. Und noch eine Redewendung hat ihren Ursprung im Gerberhandwerk: Beim Einweichen im Fluss konnte es passieren, dass die Felle davon trieben. Damit war die Arbeit umsonst und man sah bildlich „seine Felle davonschwimmen“. Die Oettrich-Brüder erzählen gern über ihr Handwerk und geben ihr Wissen bei Führungen und Schulungen im eigenen Betrieb und auch im Weißgerbermuseum von Doberlug-Kirchhain, dem einzigen in Deutschland, weiter – in der Hoffnung, dass der Gerberzunft selbst nicht gänzlich die Felle davon schwimmen.