Vom Bauernhof ins Burnout

Landwirte am Limit: Wie Stress, Druck und Isolation zum Burnout führen – und was dagegen hilft

Ausgebrannt: Hohe Belastungen können zu Burnout führen. (Symbolbild) ROBERT KNESCHKE/STOCK.ADOBE.COM
Landleben

In der Landwirtschaft nehmen psychische Probleme zu, dennoch gibt es wenig Wissen darüber, wie es den Landwirten und Landwirtinnen geht. Die Bauernzeitung sprach darüber mit Stressberaterin Malea Birke.

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Gründe für Belastungen gibt es etliche: viel Arbeit im Stall und auf dem Acker, immer mehr Auflagen, Strukturwandel, Zukunftsängste … alles Gründe, die Landwirtinnen und Landwirte ausbrennen lassen. Umfragen zufolge gehören Landwirte zu den am häufigsten von Depression und Burnout betroffenen Berufsgruppen. Das Burnout-Risiko ist 4,5-fach erhöht im Vergleich zur Gesamtbevölkerung. Genaue Zahlen gibt es nicht, sagt Burnout-Beraterin Malea Birke aus Berlin.

Ursachen für Burnout bei Landwirten: Mehr als nur harte Arbeit

Porträtbild Malea Birke
Malea Birke, Stressberaterin für die Landwirtschaft und staatlich anerkannte Heilpraktikerin in Berlin. © privat

Frau Birke, Sie beschäftigen sich seit zehn Jahren mit Burnout speziell in der Landwirtschaft. Aus Ihrer Erfahrung – was führt dazu?
Es sind nicht nur die äußeren Faktoren, sondern oft auch Hofkonflikte, die Stress verursachen. Dann fehlt eine Streitkultur, in der man zuhört, wenn jemand ein Problem hat. Wer dann noch Perfektionist ist oder anderen Familienmitgliedern Arbeit abnehmen will, der wird schnell ausbrennen. Sowohl Perfektionisten als auch stark empathische Menschen spüren ihre Grenzen nicht. Sie sind rund um die Uhr im Einsatz und immer erreichbar. So fehlen wichtige Erholungsphasen. Auf Dauer beginnt so die Stressspirale.

Isolation und Eskalation: Wenn der Betrieb zur Belastung wird

Mit welchen Folgen?
Wir denken oft an chronische Erschöpfung bei Burnout. Zu Stress gehört aber alles, was sich wiederholt und chronifiziert. Das können Kopfschmerzen, häufige Infekte, Schlafstörungen und Angstzustände sein. Um Sorgen zu lösen, wird nicht selten zu Alkohol gegriffen.

Burnout verändert aber auch das soziale Umfeld. Es ist ein schleichender Prozess der Isolation. Am Anfang steht der Ehrgeiz, den Betrieb zu vergrößern oder zu verändern. Hochmotiviert packen alle mit an. Dann geht es nicht so schnell voran wie gedacht. Die Stimmung wird gereizt. Streit entsteht. Fehler passieren, und darüber wird nicht gesprochen. Am Ende redet keiner mehr mit dem anderen. Die Situation eskaliert. Jeder Betrieb kann betroffen sein. Ich gehe von einem erhöhten Risiko in Milchviehbetrieben und Familienbetrieben aus.

Und dann?
Laut SVLFG holen sich Betroffene viel zu spät Hilfe. Das Team geht von fünf bis acht Jahren aus, in denen besonders die ältere Generation versucht, Probleme allein zu lösen. Betroffene schämen sich, Schwäche zu zeigen. Oft ist erst der Punkt, an dem gar nichts mehr geht, der Punkt, wo Hilfe gesucht wird. Zum Glück ändert sich das mit der jüngeren Generation. Sie spricht offener über Ängste und Schwierigkeiten.

Regionale Unterschiede: Glaube als Resilienzfaktor im Westen

Gibt es beim Thema Burnout Unterschiede zwischen ost- und westdeutschen Landwirten?
Nein. Ein Burnout-Betroffener in Ostdeutschland erlebt die gleiche belastende Krise wie ein Betroffener in Westdeutschland. Es gibt einen Unterschied in den Angeboten. In Süd- und Westdeutschland existieren viel mehr Angebote durch die Kirchen. Glaube kann Krisen Sinn geben. Einfach, weil die Frage des „Warum?“ an eine äußere Kraft abgegeben wird. Daher gehe ich davon aus, dass Glaube ein guter Resilienzfaktor ist. In Ostdeutschland machen meiner Meinung nach mehr Menschen mit sich allein eine Krise aus. Doch Forschungen dazu fehlen noch.

Burnout bei Landwirten: Wer besonders gefährdet ist

Wer ist vor allem von betroffen?
Frauen und ältere Männer ab 51 Jahre. Frauen, weil sie oft den Betrieb zusammenhalten wollen. Als Mutter und Ehefrau wollen sie ihre Ehemänner und Kinder entlasten – dann auf eigene Kosten. Ältere, weil sie sich immer mehr überfordert fühlen von den steigenden Anforderungen. Immer mehr wird durch Maschinen ersetzt und muss hoch konzentriert bedient werden. Das minimiert die positive Arbeitsersparnis. Es entlastet nicht, wenn kein Fehler passieren darf. Als dritte Gruppe fallen mir die Betriebsleiter ein. Sie tragen viel Verantwortung und können sich keinen Ausfall leisten. Oft müssen sie allein entscheiden, wie der Betrieb zukünftig aufgestellt wird, um zu bestehen. Das ist ein enormer Druck.

Sie setzen in Ihren Beratungen nicht auf Therapie, sondern auf Prävention und Aufklärung. Warum?
Im Alltag verschwimmen die Grenzen zwischen Therapie und Beratung. Als Beraterin darf ich nicht therapieren. Manchmal aber bin ich die erste externe Vertrauensperson, und es geht um Stabilisierung, bevor sich ein Landwirt weitere Hilfe sucht.

Leider gibt es wenig Therapieangebote, die sich an Landwirte richten. Das wäre wichtig. Mit meiner Ausbildung kann ich das leisten, aber wichtig wäre es, mehr Berater und auch Therapeuten in Besonderheiten der Landwirtschaft zu schulen. Ich hoffe, dass Stressberatung politisch anerkannter wird. Fördergelder sind derzeit nicht zur Verbesserung der psychischen Situation von Landwirten vorgesehen.

Praktische Tipps: Wie Landwirte Burnout vorbeugen können

Was empfehlen Sie Landwirten, damit es nicht zum Burnout kommt?
Vier Dinge: Prävention, Druck ablassen, eine gute Streitkultur pflegen, Freunde haben. Prävention heißt, den Winter zu nutzen, um die letzte Saison auszuwerten: Was war gut? Was war anstrengend? Für wen und warum? Wer sich darum nicht kümmert, braucht seine Reserven auf.

Druck ablassen heißt Körperentspannung, die nichts mit dem Betrieb zu tun hat. Ich nutze in der Beratung eine dynamische Atemtechnik. Sport geht auch. Wichtig ist, dass es nicht wieder ein Spaziergang zur Kontrolle der Tränken oder Koppelzäune ist. Wir brauchen Zeiten, wo es um nichts weiter geht als um Abstand.

Gute Streitkultur, damit die Spirale der Isolation nicht greift. Und Freunde, weil wir Menschen sind. Wir brauchen einander. Wir brauchen Wertschätzung und Begegnung. Isolation tut uns nie gut.

Der Weg aus dem Hamsterrad: Ehrlichkeit und Körperarbeit

Um ganz persönlich aus dem Hamsterrad zu kommen, was raten Sie Landwirten?
Ehrlich werden. Wer das kann, weiß, was er braucht. Der weiß, wann er in einem Streit übertrieben hat. Wann er Pausen machen muss. Wann er Investitionen braucht, und wann es nicht geht. Um diese Ehrlichkeit zu entwickeln, empfehle ich Körperarbeit. Es geht darum, Kleinigkeiten wahrzunehmen. Der Körper sagt mir jeden Moment, wie es mir geht, und was ich brauche.

Burnout bei Landwirten: Dringender Bedarf an Hilfsangebote in Ostdeutschland

Wie schaut es mit Hilfsangeboten für Landwirte in den ostdeutschen Ländern?
Jeder Landwirt kann sich anonym an die 24-Stunden-Krisenhotline der SVLFG wenden. Sie ist kostenlos und vermittelt auch telefonische Begleitung bis zu sechs Monaten. Berater vor Ort jedoch gibt es im Osten wenige. Ich bin in Brandenburg derzeit allein. Genauso steht es in Sachsen-Anhalt mit einer Beraterin. In Mecklenburg gab es eine Stelle, die derzeit wegen Überlastung keinen mehr annimmt.

Eine Hofbegehung sammelt viele wertvolle Informationen über einen Betrieb. Das kann ein Telefonat nicht leisten. Zukünftig wünsche ich mir mehr Berater und dass betroffene Landwirte anderen Landwirten von ihren Erfahrungen berichten. Das würde ermutigen, sich nicht mehr allein zu fühlen.

Die 24-Stunden-Krisenhotline der SVLFG: Anonyme Hilfe für Landwirte

Anonyme Beratung durch erfahrene Psychologen und psychiatrische Fachpflegekräfte:

Tel.: 0561 785 – 10101
24 Stunden und 7 Tage die Woche

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Dr. Kenneth Anders
Dr. Kenneth Anders, 1969 in Naumburg geboren, studierte Kulturwissenschaften, Soziologie und Philosophie, schreibt über Landleben und -wirtschaft und leitet das Oderbruchmuseum. © Torsten Stapel

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