Fahner Höhe: Obstpflücken mit Tradition
Die „Fahner Höhe“ ist Thüringens größter Obstgarten – mit langen geschichtlichen Wurzeln. Schon seit rund 230 Jahren wachsen hier köstliche Früchtchen, die bis heute viele Liebhaber haben. So kommen jährlich in der Erntezeit Selbstpflücker aller Generationen auf die Plantagen.
Von Birgitt Schunk (Text und Fotos)
Das Jahr 2020 war bislang wahrlich kein leichtes für die Obstbauern an der „Fahner Höhe“. Extreme Fröste Ende März dämpften recht schnell die Ernteerwartungen in Thüringens größtem Obstgarten. „Bei der Süßkirsche haben wir 70 Prozent Verlust, bei der Sauerkirsche fehlt die Hälfte“, sagt Jörg Dornberger, der geschäftsführende Vorstand der Genossenschaft „Fahner Obst“. Und auch bei den Äpfeln werden im Herbst wohl 40 Prozent weniger vom Baum geholt.
Das große Blütenfest alljährlich im Frühjahr fiel zudem wegen der Corona-Pandemie ins Wasser. „Da hatten wir keine Chance, alle großen Veranstaltungen wurden abgesagt, aber das Erntefest am letzten Septemberwochenende wollen wir auf alle Fälle durchführen – auch wenn wegen Corona einige Regeln eingehalten werden müssen.“ Das Veranstaltungsgelände ist weitläufig, für Abstand ist gesorgt. Dann soll mit 120 Metern auch wieder die längste Apfel-heke Thüringens aufgebaut werden. Diese zu bestücken fällt den Obstbauern dabei nicht schwer. Auf einer Hälfte der 1.000 Hektar großen Anbaufläche stehen Äpfel, auf der anderen wächst Steinobst. Im Sommer ist erstmal die Kirschenernte unter Dach und Fach gebracht worden. Weil es weniger zu ernten gab, war allerdings nur ein Drittel der sonst üblichen 300 Saisonkräfte, die aus Polen, Rumänien oder der Ukraine kommen, im Einsatz.
Rückbesinnung auf Frische und Geschmack
Auch bei den Thüringern ist das Ernten im Obstanbaugebiet zwischen Gotha, Bad Langensalza und Erfurt beliebt – Riesenmengen werden da natürlich nicht umgesetzt. „Es ist sozusagen Beigabe“, sagt Dornberger. „Aber die Selbstpflücker-Tradition wollen wir beibehalten.“ 36 Kirschsorten führt der Betrieb, zehn davon werden in größerem Stil angebaut. Wurden zu DDR-Zeiten über zwanzig Tage lang Kirschen angeboten, so sind es heute bereits über 50 Tage. „Neue Sorten haben dafür gesorgt, dass sich die Ernte und somit das Angebot länger hinziehen“, sagt Dornberger. Das gefällt dem Handel. Und auch die Kunden, die ihr Obst selbst pflücken wollen, sind so flexibler – die Abreife drängt sich nicht auf wenige Tage zusammen. Selbst geerntet werden darf zudem an sieben Tagen der Woche. Nicht nur fürs Naschen wird dabei fleißig gepflückt. „Die Leute holen das Obst für den Kuchen, fürs Einkochen, für Marmelade oder aber auch, um Wein zu machen – gerade die Sauerkirschen sind hierfür begehrt.“
Bei der Verarbeitung der Früchte kommt Technik zum Einsatz. Barbara Pennewiss im Hofladen.
Meist war es früher Sache der Älteren, für die Vorräte zu sorgen. Die Jungen hatten dafür oft wenig Sinn. „Wir hatten vor Jahren gedacht, dass die Stammpflücker deshalb immer älter werden und irgendwann niemand mehr kommt“, erzählt Jörg Dornberger. Doch das war nicht der Fall. Immer wieder rückt eine Generation nach, die Frische und Geschmack zu schätzen weiß. Und wer als Kind mit den Eltern einst zum Pflücken da war, kommt mit den eigenen Sprösslingen meist wieder. Hinzu kommt in Coronazeiten vielleicht auch wieder ein bisschen Rückbesinnung auf das Gute gleich vor der Haustür. Mike Retzlaff aus Erfurt und seine Freundin beispielsweise sind regelmäßig im Obstgarten und ernten. „Wir holen uns alle zwei Tage frische Kirschen“, sagt er. Die Leute vom Betrieb weisen die Selbstpflücker am Feldrand ein. Über eine Bandansage per Telefon erfährt jeder Anrufer, auf welcher Fläche gerade Erntezeit ist. Am Ende wird das Erntegut gewogen und bezahlt.
„Zu DDR-Zeiten waren vor allem die Leute aus dem Thüringer Wald unsere Erntehelfer“, berichtet der Vorstandschef. Viele Familien kamen gern und oft – sie versorgten sich so mit Obst. In den Höhenlagen mit langen Wintern wuchs nicht all zu viel an Menge und Sorten, und in den Geschäften war das Angebot an Obst in jener Zeit zudem wahrlich nicht üppig. Teilweise kommen die Leute vom Rennsteig aus Tradition sogar heute noch gern, obgleich die Supermärkte natürlich überall Kirschen anbieten. Die Frische machts. Dornberger kann sich noch an Vorwendezeiten erinnern, als manchmal am Samstag bis zu 1.000 Autos in Gierstädt anreisten. „Alle Leitungskräfte hatten da Dienst und wiesen Fahrzeug für Fahrzeug ein.“
Dabei galt einst als Faustregel: Drei Behälter – egal ob Eimer oder Korb – mussten für den Betrieb gepflückt werden, einen gab es dann zum Mitnehmen. Doch weil ins eigene Töpfchen meist nur die besten Kirschen kamen und die Pflücker es beim Erntegut für den Betrieb mitunter nicht so genau nahmen, wurde das System umgestellt. Nach der Ernte kann nun jeder seine Kirschen für vier Euro je Kilo kaufen. Dabei hat das eine oder andere Pfund einen weiten Weg vor sich. „Leute aus Vietnam, die hier leben, schicken sogar Kirschen per Luftfracht in ihre Heimat, weil die dort total teuer, aber begehrt sind“, erzählt Dornberger. Gut eingepackt sei dies durchaus möglich. „Das Obst ist dann auch nicht länger unterwegs als in die Supermärkte im Norden oder Süden Deutschlands.“
Magnet für Wanderer und Radfahrer
Der Obstanbau an der Fahner Höhe kann inzwischen auf eine lange Geschichte zurückblicken. Um 1791 begründete einst Pfarrer Johann Volkmar Sickler hier den Kirschanbau. Die frostgeschützte Hanglage und der Muschelkalkboden waren hierfür gute Voraussetzungen. Dem Obstanbau-Pionier ist auch ein Wanderweg rund um Gierstädt gewidmet.
Die Obstregion gilt heute als gute Adresse für Wanderer, Radfahrer und alle, die sich für den Obstanbau interessieren. Ein guter Einstieg für Besucher ist der Obstpark in Gierstädt mit seinem Aussichtturm, der eine wunderschöne Kulisse bietet. Hier wachsen zudem über 100 Apfelbäume der verschiedenen Sorten heran – darunter viele von anno dazumal. Allein dieses Areal, das unter Regie der Genossenschaft entstand, ist eine kleine Exkursion wert.
Darüber hinaus gibt es am Obstpark ein Grünes Klassenzimmer, einen Spielplatz und einen Hofladen. Hier ist nicht nur der Nachwuchs willkommen. „Wir haben oft auch Anfragen von Busunternehmen oder Seniorengruppen, die gern einen Ausflug zu uns planen und etwas über unseren Obstanbau erfahren wollen“, sagt Dornberger.
Kostenlos ins Grüne Klassenzimmer
Und weil ein bisschen Werbung in eigener Sache nichts schadet und man die Region einbinden will, wurden entsprechende Angebote entwickelt. Für Kitas und Schulen sind diese auf Anmeldung jeden Mittwoch im Grünen Klassenzimmer kostenlos. Dann können die Mädchen und Jungen basteln, Wissenswertes erfahren, Insekten beobachten – und natürlich Obst naschen. In diesem Jahr sorgte allerdings Corona auch hier für eine Zwangspause. „Sobald es möglich ist, werden wir die Angebote jedoch wieder aufnehmen“, sagt der Vorstandschef.
Heidelbeeren: Das blaue Sommerwunder
Sie ist leicht, extrem lecker, super gesund – die Heidelbeere. Vernascht wird die Frucht des Sommers am besten erntefrisch gekauft oder selbst gepflückt – wie im brandenburgischen Klaistow. mehr
Bis dahin konzentriert sich der Betrieb voll auf Ernte, Vermarktung und Verarbeitung, die unter dem Dach der Fahner Obst e.G. über einen Firmenverbund gestemmt werden. Moderne Technik sortiert und reinigt und sorgt dafür, dass nur beste Ware verpackt wird. So geht von Gierstädt aus nicht nur frisches Obst auf Reisen oder wird im Hofladen verkauft – Apfel, Kirsche, Pflaume & Co. werden hier auch zu Säften, Nektaren, Weinen, Obstbränden und –likören sowie Konfitüren veredelt und angeboten. 120 Mitarbeiter stehen heute hier in Lohn und Brot.