Brachen für die Artenvielfalt

Feldhasen in Mecklenburg-Vorpommern: Geheimtipp Klepelshagen

Schon seit Januar feiern die Feldhasen auf den Äckern Hochzeit. Dabei fliegen ordentlich die Fellfetzen, denn sie läuft nie ohne hitzige Zweikämpfe ab. © Naturfoto Hofmann
Landleben
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Wenn es hierzulande einen Ort gibt, wo Wildtiere wahre Freudensprünge machen, dann rund ums Gut Klepelshagen. Dort versteckt der Hase zwar auch keine Ostereier, aber die Feldhasen werden gezählt. Warum fühlen sie sich dort besonders wohl?

Von Christoph Feyer

Würden Feldhasen tatsächlich die Ostereier verstecken, wäre Klepelshagen der Geheimtipp schlechthin: Die Flächen rund um den kleinen Ort im südlichen Mecklenburg-Vorpommern sind pures Hasenland und ein wahres Paradies für Wildtiere – trotz Landbewirtschaftung und Jagdbetrieb. Nein, eigentlich muss man sagen, gerade wegen der Land- und Forstwirte sowie der Jäger, die dort tätig sind. Oder anders ausgedrückt: wegen des Guts Klepelshagen und der Deutschen Wildtier Stiftung.

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Feldhasen in Mecklenburg-Vorpommern: Gut Klepelshagen

Das Gut ist ein stiftungseigener, Bioland-zertifizierter Landwirtschaftsbetrieb, der von Christian Vorreyer geleitet wird und sich die Artenvielfalt als eines seiner wichtigsten Betriebsziele auf die Fahnen geschrieben hat. „Mit unserer täglichen Arbeit wollen wir zeigen, dass wildtierfreundliche Landwirtschaft auch ökonomisch möglich ist“, erklärt der 54-Jährige. Dazu machten er und sein 15-köpfiges Team so einiges anders.

Als Beispiele nennt er den sehr späten Termin für den ersten Schnitt und die Vorweide mit Fleischrindern, Hecken, Blühstreifen und Brachen, die immer wieder die Schläge teilen, sowie das Schließen von Drainagen, was zu wiedervernässten Flächen und alten Bachläufen führe. Hinzu kämen ein nur kurzzeitiger Holzeinschlag, Habitatbäume und Totholz im Wald sowie die Einrichtung von Wildruhezonen und Fallenjagd für die Niederwildhege. Ihre Wirtschaftsweise gehe deutlich über das hinaus, was Biobetriebe sonst so leisteten würden.

„Wir haben dafür rund zehn Prozent unserer Flächen aus der Nutzung genommen“, erläutert Prof. Dr. Klaus Hackländer, Vorstand der Wildtier Stiftung und Inhaber des Lehrstuhls für Wildtierbiologie und Jagdwirtschaft an der Universität für Bodenkultur (BOKU) in Wien. „Der Lohn dafür ist ein einzigartiger Lebensraum für über 2.900 Tier- und Pflanzenarten, den wir hier in mittlerweile 27 Jahren auf 2.574 Hektar geschaffen haben.“

Für den Schutz der Wildtiere – Der Feldhase als Indikator

Die Stiftung setze sich für den Schutz der heimischen Wildtiere und ihrer Lebensräume ein, richte dabei ihr Augenmerk aber nicht nur auf die großen und imposanten Tierarten, sondern immer wieder auch auf die kleinen, unscheinbaren. „Die sind ökologisch oft besonders bedeutsam.“ Unscheinbar sei der Feldhase zwar nicht gerade, aber ein wichtiger Indikator. „Zum Glück bevölkern noch immer einige wenige Millionen Exemplare unser Land“, erklärt der Stiftungsvorstand. „Trotzdem gibt es in vielen Regionen Deutschlands nur noch sehr wenige von ihnen, und das ist beunruhigend. Wenn schon für den anpassungsfähigen Feldhasen die Lebensbedingungen immer schlechter werden, sind andere Arten in unserer Agrarlandschaft längst ausgestorben!“

Feldhase
Feldhasen benötigen täglich 1.300 bis 1.400 g Nahrung. © Michael Tetzlaff / Deutsche Wildtier Stiftung

Schutz der Wildtiere: Frühes Abschleppen, sehr spätes Mähen

Die hasenfreundlichen Maßnahmen der Klepelshagener finden auf Ackerflächen wie auf Grünland statt. Letzteres wird nur dort, wo wirklich notwendig, und nur bis Ende Februar abgeschleppt und gewalzt. Der erste Schnitt erfolgt dann aber nicht Ende April/Anfang Mai, denn das ist genau die Zeit, in der die meisten Junghasen den Mähmaschinen zum Opfer fallen. Die Uckermärker werfen ihre Häcksler nicht vor dem 20.  Juni an. Dann sind die Junghasen und der andere Wildtiernachwuchs flink genug, um die Wiesen schnell zu verlassen.

In den Morgenstunden vor dem Häckseln wird die Fläche zudem mit Drohnen abgesucht, um Rehkitze und Bodenbrüter aufzuspüren. Auch der Einsatz von Balkenmähern sowie eine geringere Arbeitsbreite und -geschwindigkeit schützen die Wildtiere zusätzlich.

Zudem nutzt das Gut Hochschnittkufen, die dafür sorgen, dass die Halme erst 12–15 cm über dem Boden abgeschnitten werden (üblich sind sonst 6–8 cm). Der hohe Schnitt schützt auch Amphibien, Reptilien und Insekten. Die Flächenobergrenze, die an einem Tag bearbeitet werden darf, liegt bei 30 Hektar. So können die Wildtiere immer wieder Schutz finden. Da Feldhasen überwiegend dämmerungs- bzw. nacht­aktiv sind und sich in der Dunkelheit sicher fühlen, wird das Grüngut im Hasenland nur bei Tageslicht geerntet. Und auch dass jährlich nur zwei Mähtermine stattfinden, erhöht die Zahl der jungen Langohren, die die Erntearbeiten überleben.

Gut Klepelshagen Grünland
Grünland wird auf Gut Klepelshagen jährlich höchstens zwei Mal gemäht. Der erste Schnitt erfolgt nicht vor dem 20. Juli. © Christian Vorreyer

Angus-Rinder, Uckermärker und Blühstreifen

Die Klee- und Ackergrasflächen des Betriebes werden von gut 350 Deutsch Angus und einigen Uckermärkern sowie Kreuzungsrindern kurzgehalten. Die Weide vor der Futterernte sichert den späten Mahdtermin und trägt ebenfalls entscheidend dazu bei, dass es hier viel mehr Hasen als anderswo gibt und dass es überall zwitschert, pfeift und tiriliert, weil auch die Bodenbrüter ihre Jungen erfolgreicher aufziehen können.

An den Waldrändern und Söllen lassen die Landwirte breite Streifen, die sie nicht bewirtschaften, und sorgen so für eine Vielfalt an Kleintieren. Das Team von Christian Vorreyer legt zudem Blühstreifen an, teilt die Schläge mit Hecken und Grünstreifen und lässt Flächen brachliegen. Das führt dazu, dass die Mümmelmänner ihre berühmte Hasenapotheke voller Kräuter und Wildgräser finden, wo sie in Ruhe äsen und sich zurückziehen können. Zusätzlich Schutz und Sicherheit finden sie in der gut strukturierten Landschaft auch durch Altgrasstreifen und Feldgehölze.

Blühstreifen
In Blühstreifen findet der Feldhase wie auf Brachflächen das ganze Jahr über Deckung und Nahrung. © Michael Tetzlaff / Deutsche Wildtier Stiftung

Feldhasen zählen: Nachts mit Rotlicht und Wärmebildkamer

Dass all diese Maßnahmen Wirkung zeigen, kann Christian Vorreyer mit Zahlen belegen. Seit 2018 (nur 2020 fiel die Bonitur coronabedingt aus) ermitteln sie zweimal im Frühjahr und zweimal im Herbst ihre Feldhasenbesätze. Dazu fahren Zähltrupps, ausgestattet mit Wärmebildkameras, wildschonendem Rotlicht und Schreibbrett, auf festen Routen durchs Offenland.

Wärmebildkamera
Berufsjäger Thomas Bardehle beim Hasenzählen mit Wärmebildkamera. © Christian Vorreyer

Routiniert halten sie so fest, wie viele Langohren im Dunklen umherhoppeln. Gleichzeitig erfassen sie Wind, Niederschlag, Bodenbeschaffenheit, Mondphase, Sicht und Temperatur. So können sie auch temporäre Einflussfaktoren auf ihre Zählung bewerten. Die taxierte Fläche wird anschließend mithilfe des geografischen Informationssystems GIS errechnet und vom Jagdbetrieb ausgewertet. Ihr Monitoringprogramm orientiert sich am bundesweiten Wildtier-Informationssystem der Länder Deutschlands (WILD) des Deutschen Jagdverbandes. Aber sie nutzen keine Scheinwerfer, sondern Wärmebildgeräte zum Hasenzählen in der Nacht.

Die jüngste Zählung fand erst letzte Woche auf knapp 900 Hektar statt. Dabei wurden 182 Hasen erspäht, was einem Besatz von 20,23 Hasen/100 Hektar entspricht. – „Erneut ein tolles Ergebnis“, ist Christian Vorreyer erfreut und ordnet das für uns ein. „In Mecklenburg-Vorpommern gibt es – wie im gesamten nordostdeutschen Tiefland – im Durchschnitt nur noch etwas mehr als fünf Hasen pro Quadratkilometer. Und wenn wir schon 20 haben, findet man auf etlichen anderen Standorten demnach gar keine mehr.“ Hinzu käme, dass der Hasenbesatz zur Herbstzählung noch einmal leicht steigen wird, weil dann auch der diesjährige Nachwuchs mitgezählt werden kann.

Dann berichtet der Betriebsleiter, der auch Jäger ist, dass neben dem passenden Habitat die Bejagung der Prädatoren für den Hasenbestand und das gesamte Niederwild sehr wichtig ist. Mit rund 20 Lebendfallen konnten sie im vergangenen Jagdjahr 150 Stück Raubwild entnehmen. „Ihre Bälge haben wir anschließend zum Kürschner gegeben“, ergänzt Klaus Hackländer.

Nicht nur der Feldhase braucht die Brache

Warum die Wildtier Stiftung gerade auf diese Tierart ein so besonderes Augenmerk legt, erläutert der Wildtierexperte wie folgt: „Der Feldhase ist als Schirmart für einen Lebensraum zu sehen. Wenn es ihm gut geht, können sich wie unter einem Schirm auch andere Wildtiere und -pflanzen entfalten.“ Würde Brüssel hier die richtigen Weichen stellen, könne man mit einem Minimum an Maßnahmen dem fortschreitenden Artensterben auf dem Acker die Dynamik nehmen.

„Es ist wissenschaftlich belegt, dass wir für die Artenvielfalt eine positive Trendwende erreichen, wenn wir nur sieben Prozent der genutzten Ackerfläche als unproduktive Fläche der Natur überlassen“, betont Hackländer. „Landwirte brauchen nur die richtigen finanziellen Anreize – und das Wildtiersterben würde mit einfachen Mitteln eingedämmt werden.“ Ein Umstand, der sicher nicht nur die Hasen zu Freudensprüngen animieren würde

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