Fischerei Schröder: Von dem Fischer un sine Cru
Die Brandenburger Fischerei Schröder hat sich mit ihren Brassen den Förderpreis des „Zu gut für die Tonne!“ – den Bundespreis des Bundesernährungsministeriums – geangelt. Aus diesem Anlass ein Blick ins Bauernzeitungsarchiv: Bereits 2015 haben wir Fischer Wolfgang Schröder am Gülper See besucht.
Von Jutta Heise
Der Gülper See im Westhavelland: Seit seiner Ausweisung 1967 zählt das Gewässer mit über 660 Hektar zu den ältesten Naturschutzgebieten Deutschlands und gilt europaweit als wichtiges Nahrungs- und Brutgebiet für Wasser- und Watvögel. Wildgänse und Tausende Kraniche landen hier zu den Zugzeiten, um sich für ihre langen Überlandflüge zu rüsten. Zugleich werden drei Viertel des Sees fischereiwirtschaftlich genutzt. Wie das geschieht und warum er seinen Berufsstand vom Aussterben bedroht sieht, erfuhren wir bei einem (Fisch-) Zug mit Wolfgang Schröder, der die Fischerei Schröder als Familienbetrieb in vierter Generation führt.
Eher unspektakulär sind die ersten Arbeiten am Ufer vor Schröders Betrieb in Strodehne, an einem Altarm des Rhin. Die sechs Männer laden Netze auf die vier, zu je einem Doppelboot zusammengebundenen Kähne. Die tragen Frauennamen, sind zwar altgedient, tun aber voll ihren Dienst. Die Crew bunkert auch Kanister mit Diesel für den Bootsmotor und die Seilwinde, die Winsch, wie wir Seeleute sagen, sowie andere nötige Utensilien wie Kescher, große Plastikbottiche.
Fischereri Schröder: Harter Fischeralltag
Die Männer sind sämtlich saisonal beschäftigt, heißen zweimal Ingo, Jeff, Georgy und Thomas. Vor- oder Spitznamen müssen reichen zur Kommunikation auf (dem) See, aber selbst die erfahren wir erst später. Ebenso, dass das Quintett schön rumflachsen kann. Doch erst mal lauschen wir – dem Schweigen der Männer. Denn auch Chef Wolfgang Schröder verliert nur die nötigsten Worte. Die Watthose sitzt, ebenso Schiffermütze (beim Chef), Basecap, bei Thomas das Piratentuch – wir legen ab.
Schnell merken wir: Hier wird kein Softprogramm für Journalisten abgespult, es findet der ganz gewöhnliche, harte Fischeralltag statt. Ein Wunder, dass wir nicht auch noch eingesetzt werden, an der Winsch oder als Kielschwein. Es ist kalt an diesem frühen Morgen Mitte Juni. Und obwohl wir noch einmal unsere Winterjacken hervorgeholt haben, frösteln wir, bis uns gegen Mittag die Sonne wärmt.
Der röhrichtgesäumte See ist ruhig heute, die klare Luft, das Zwitschern, Trällern, Zirpen, Knattern, Knätschen der vielen Vogelarten entschädigen uns von der ersten Minute an. Später wird gar ein Seeadler über uns kreisen, hoch oben. Außer den Fischern darf nichts, was sich bewegt, auf den See. Noch nicht mal Kanus oder Ruderboote, ausgenommen das Kontrollboot des Landesumweltamtes, das uns denn auch kreuzt, nachdem es nahe der Seeschwalbeninsel gesehen hat. Doch wir sind weder ornithologisch noch romantisch-touristisch unterwegs.
Der Gülper See wird auf etwa 550 Hektar von drei Fischereibetrieben bewirtschaftet, in Familienhand allesamt. Der mit durchschnittlich 1,20 m Tiefe sehr flache See stellt einen idealen Laichplatz für zahlreiche Fischarten dar. Wolfgang Schröder geht auf 15, bei 380 Hektar. Er hofft heute auf Barsch, Zander und Hecht, auch Plötze, vielleicht diesen oder jenen Aal, Arten, die sich gut vermarkten lassen.
An diesem Tag werden er und seine Crew „drei Züge machen“ (an normalen Arbeitstagen sind es fünf). Als Zug werden alle Arbeitsschritte der Zugnetzfischerei bezeichnet, beginnend mit dem Aussetzen des Netzes bis zum Aufdecken des Sackes, in dem sich der Fang sammelt.
Denkt man sich den die Seilwinde antreibenden Motor weg, so sind Fischer schon vor 400 Jahren auf diese Weise auf „Beute“ gegangen. Die Mannschaft teilt sich jetzt. Der Chef persönlich stößt das zweite Boot mit einer langen Stange ab. Es bezieht uns gegenüber in etwa 100 Meter Entfernung Position, wobei jede Crew nun ihren Teil des Netzes auslegt, sodass ein weiter Kreis entsteht. Der wird später immer enger zusammengezogen, wobei sich beide Boote wieder annähern. Der Fachmann spricht von bewegter Fischerei im Gegensatz beispielsweise zur starren Reusenfischerei. Ein Zug dauert etwa eine Stunde, und er ist kräftezehrend, wie wir später sehen.
Familienbetrieb in der vierten Generation
Bis es spannend wird, ist Zeit für einen Plausch. Fischer wollte er immer werden, sagt der 52-jährige Schröder und meint, die Affinität zu diesem Beruf müsse angeboren sein. Schwer sei der, körperlich und heutzutage auch anderweitig kompliziert. Bei Schröders hat er eine lange Tradition, der heutige Chef führt den Familienbetrieb in der vierten Generation.
1880 hatte man den Gülper See gar erworben, verlor in der Folgezeit durch Erbschaft dieses und jenes Teilstück. 1911 wurden Grund und Boden der Familie (infolge eines dann doch nicht realisierten) Plans zum Bau einer Wasserstraße enteignet. Zuvor, 1904, hatte Julius Schröder Senior den Familienbetrieb gegründet, der von seinen Söhnen weitergeführt wurde und später an Schröders Vater Günter überging, der ihn Sohn Wolfgang übergab. Der lernte den Beruf von der Pike auf und arbeitete bis zur Wende in einer Fischereigenossenschaft.
Fischereirechte sind heutzutage nicht mehr an Grund und Boden gebunden. Seit 2010 ist der Gülper See Eigentum der Nabu-Stiftung. Hinsichtlich der Bewirtschaftung gebe es in dem Naturschutzgebiet kaum Beschränkungen. „Elektrofischerei ist untersagt, und Setzlinge mancher Fischarten dürfen wir auch nicht aussetzen. Fangquoten dagegen gelten für die Binnenfischerei nicht, das Stellnetz ist ebenfalls erlaubt“, erklärt Schröder knapp, der an zwei weiteren Fangplätzen in der Elbe und im Hohennauener See fischt.
60 Tonnen insgesamt fängt er im Jahr, davon sind 40 Tonnen Brassen. 10 bis 15 Tonnen (die Erträge seien unterschiedlich, was auch mit der Erneuerung der Bestände etwa aller fünf Jahre zusammenhängt) holt er aus dem Gülper See.
Wasserhaltung in der Havel spalte Landwirte und Fischer
Die Ernte vermarktet er (teils geräuchert und anderweitig verarbeitet) ab Hof in einem kleinen Laden sowie in Gaststätten in Havelberg und Rathenow, neuester Kunde ist das Landgut Borsig in Groß Behnitz.
Da auf den Niedermoorstandorten am Seeufer extensive Weidehaltung betrieben wird, erkundigen wir uns nach der Zusammenarbeit mit den Bauern. Schnelle Antwort: Die Wasserhaltung in der Havel spalte Landwirte und Fischer. „Für uns ist ein Frühjahrshochwasser, das möglichst bis Mai, Juni steht, von Vorteil. Dann sind die Fische aktiver, besser genährt.“
Zwei Jahre lang ist so ein Hochwasser ausgeblieben. Das wiederum freut die Landwirte, die ihre Rinder so früh wie möglich auf die Weide treiben wollen. Ein klassischer Interessenkonflikt. Damit müsse man leben, doch irgendwann eben auch einen Schnitt machen, sagt Schröder nüchtern, den Status quo respektieren und nicht immer wieder neu auf alten Positionen verhandeln wollen. Wir haben einen Stein ins Rollen gebracht: „Wir bekommen auch keine Flächenförderung, müssen uns mit unserem Fisch auf die Marktpreise einstellen. Dabei produzieren wir doch ebenfalls Nahrungsmittel. Die EU-Politik befasst sich sowieso, wenn überhaupt, nur mit der Küsten- und Hochseefischerei, wir Binnenfischer sind außen vor.“
Im Inland habe regionaler, also Süßwasserfisch trotz steigender Nachfrage immer noch einen schlechten Ruf, moderig schmecke er und erst die Gräten, sagen die Gastronomen, angeblich im Namen ihrer Gäste und ordern ihn erst gar nicht! Schröder rührt die Werbetrommel für das, was in natürlichen heimischen Gewässern heranwächst, leistet Überzeugungsarbeit beim brandenburgischen Hotel- und Gaststättenverband, gründete mit Köchen und Bäckern die Initiative „HavelArt“ zur effizienteren Vermarktung von Fisch aus dem Naturpark Westhavelland und zur Aufwertung dessen Images.
„Fisch muss teurer werden, um unsere Kosten zu decken und Gewinn zu generieren“
Ein hartes Brot! „Zander soll es sein, Barsch.“ Stattdessen sind eben manchmal 10 t Brassen im Netz! „Wir sollten mit dem leben, was uns die Natur gibt“, sagt Schröder, der Mitglied des Nabu ist, für dessen wichtigstes Vorhaben in der Region, die Havelrenaturierung, einsteht und seine Affinität zur Natur als eine große Motivation dafür nennt, dass er noch immer Spaß am Beruf hat.
„Die Deutschen kaufen gern billig ein, doch der Fisch muss teurer werden, um unsere Kosten zu decken und Gewinn zu generieren.“ Aber die deutschen Großhändler winken bereits jetzt ab: 35 t seines 2013er Fanges hat Schröder nach Polen verkauft. Auch der Hofladen, wo der Chef persönlich am Wochenende hinterm Tresen steht, um Personalkosten zu sparen, trägt weniger ein als gedacht, besonders in der Grillsaison.
Aussterbender Beruf
Und: Auch die BUGA bringe ihm keinen Aufschwung, im Gegenteil. Die medienbeworbenen Hotspots der Gartenschau ziehen die Gäste an, schöpfen sogar noch die wenigen Radler ab, die früher bei ihm anlandeten. Deshalb ist Schröder auf ein Angebot für Touristen gekommen: gemeinsames Zugnetzfischen, um den Beruf des Fischers und den Gülper See von der Wasserseite kennenzulernen. Ein Test mit Spitzenmanagern ist erfolgreich verlaufen.
Trotzdem: „Fischer ist ein aussterbender Beruf“, sagt Schröder resümierend. In den alten Bundesländern sind gerade mal noch zehn Flussfischer aktiv. „Da kenne ich jeden beim Namen.
Überdies werden die gesetzlichen Auflagen immer schärfer, insbesondere für Betriebe mit Verarbeitung wie meinen.“ Nachwuchs fehlt. In diesem Jahr werden in Brandenburg gerade mal zwei Fischwirte ausgebildet. In der länderübergreifenden Berufsschule im sächsischen Königswartha wird aus Mangel an Bewerbern nur noch alle zwei Jahre eine Klasse aufgemacht.
Schröders Kinder gehen beruflich ebenfalls andere Wege. Der Sohn studiert Kartografie, die Tochter will Friseurin werden. An sich schade es ja nichts, wenn man erst mal seinen Horizont erweitert, sagt der 52-Jährige, der sich ebenfalls bei Kollegen in anderen Ländern umgesehen hat.
Ein bisschen Hoffnung klingt heraus, dass sich vielleicht eines der Kinder später doch noch anders entscheidet. Neueinsteigern werden hierzulande ohnehin Steine in den Weg gelegt: „Als Fischer brauchst du große Flächen. Wenn es ans Verpachten geht, sind die Anglerverbände finanziell immer in der besseren Position, können höhere Pachtpreise zahlen, sind politisch eine stärkere Kraft.“
Fischerei Schröder: heute leider kein guter Fang
Inzwischen wurde das Netz mit der Winsch immer enger gezogen. Den letzten Teil übernehmen die Männer mit Muskelkraft (in flacherem Wasser geht das komplett per „Muckis“). Schröder korrigiert: „Ist noch zu schnell, gaanz sachte!“ Die Crew muss den Rhythmus finden. Schröders Erklärung: „Montag waren wir auf Wollhandkrabben und Aale in der Elbe, gestern mit einem kleineren Netz unterwegs. Mit dem großen heute haben die Männer zwei Monate lang nicht gefischt, sind noch nicht in der Übung.“
Nähert sich das Netzende, wird das Tempo forciert: Mit einem „Hoop!“ des Chefs wird der Sack mit dem Fang hochgezogen. Die Stunde der Wahrheit: 200 Kilo, schätzt Schröder. „Jau!“, heißt dann sein Kommando, und „Jau!, und Jau!“. Ingo befördert eine Fischladung nach der anderen per Kescher aus dem Sack in die Bottiche. Wolfgang Schröder sortiert die Fische, die getrennt in den auf dem Boot befindlichen wassergefüllten Kammern gebunkert werden: Hepp, in die Plötzenkammer! Zack, in die Brassenkammer! Über Bord! Zum Weiterwachsen oder als Nahrung für die Vögel, die den Fischern selten ins Gehege kommen. „Eng wurde es nur mal mit den Kormoranen. 480 Brutpaare hatten sich hier versammelt und den Jungfisch weggefressen. Nachteilig für das gesamte Ökosystem, weil der Nachwuchs fehlt“, erzählt Schröder.
„Ich will noch´n Aal sehen heute!“, treibt der Boss an. Auf geht’s wieder. Dann: Bilanz nach drei Zügen – jeweils 150 bis 200 Kilo. Das heißt? „Von den Mengen her eher gering, du musst die Fische eben suchen. Vielleicht sind sie auch zu unruhig heute“, mutmaßt der Fischer aus Erfahrung, „morgen soll es Sturm geben.“
Von den Arten her sind Brassen, Plötze, Hecht zu fast gleichen Teilen vertreten, dazu Zander, Schlei, Wels, die aber eher in Einzelexemplaren – kein Aal. „Schade, besonders vom Barsch hätte ich gern mehr gefangen“, bedauert Wolfgang Schröder. Neptun, oder wer auch immer den Gülper See regiert, war anderer Meinung. Oder hat es sich doch bewahrheitet, dass Frauen an Bord Unglück bringen? Wir unsererseits weisen das entschieden zurück. Und die mittlerweile recht flotten Scherze der Männer auf der Rückfahrt interpretieren wir als Wohlwollen, nicht als Groll.