Hof Prädikow: Was aus dem größten Hof Brandenburgs wurde
Der Hof Prädikow war einmal der größte Hof in Brandenburg. Nach einem Verfall über Jahrzehnte schreibt eine Wohngemeinschaft eine ganz eigene Auferstehungsgeschichte und schlägt die Brücke zwischen (Haupt-)Stadt und Land.
Das geschmiedete Hoftor ist offen. „Das war nicht immer so“, erzählt Detlef Hermann. Er ist auf dem Hof aufgewachsen, hat wie sein Vater vor ihm als Brennmeister gearbeitet, kennt jeden Stein auf dem Hof, hat DDR-Zeit und Nachwende-Kapriolen erlebt und ist jetzt Rentner. Dass das Tor seit dem letzten Wechsel des Besitzers wieder offen ist, dass die Hofbewohner mit den rund 250 Dorfbewohnern gemeinsame Sache machen, dass da etwas zu wachsen begonnen hat, das den Verfall aufhält und neues Leben ins Dorf bringt, hat er lange nicht mehr zu hoffen gewagt.
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„Schwarzer Storch“: Wie das Café zu seinem Namen kam
Gleich hinter dem Hoftor steht ein saniertes Backsteingebäude mit riesigen Fenstern. Seit 2021 ist „Die Scheune“ das öffentliche und multifunktionale Zentrum des Hofes. Auch der Prädikower Gemeinderat tagt hier, sagt Hermann und erzählt vom „Schwarzen Storch“, dem das benachbarte Café seinen Namen verdankt. Sie hat sich dem Brennmeister zufolge in den 80ern zugetragen: Ein Jungstorch war in den Brennereischornstein gefallen. Er überlebte den Sturz durch die verrußte Röhre, wurde geborgen und aufgepäppelt und gesellte sich später wieder zu seinen Artgenossen, war aber an seinem anthrazitfarbenen Gefieder fortan gut zu erkennen.
Der Schornstein der Brennerei steht noch. Bis 2002 hat Hermann hier mit seinen Kollegen jährlich 600.000 l hochprozentigen Alkohol hergestellt, der von Spirituosenherstellern wie Schilkin und Goldstern verarbeitet wurde.
Ein Blick zurück in die Geschichte des einst größten Hofes in Brandenburg
Die Brennerei wurde 1823 gebaut, Gutsverwalterhaus, Scheunen, Pferde- und Rinderställe, Schmiede, Stellmacherei und mehrere Speicher entstanden bis 1900 unter der Ägide derer von Eckardstein.
Weil die sich später mit den Nazis eingelassen hatten und nach der Befreiung durch die Rote Armee in den Westen geflohen waren, wurden sie enteignet und Prädikow ein Volkseigenes Gut (VEG). Rund 100 Leute arbeiteten hier, bauten Kartoffeln und später Getreide für die Brennerei an und kümmerten sich um 3.000 Schweine, 1.000 Schafe, 2.500 Bullen, 450 Milchkühe und Geflügel. Die standen natürlich nicht alle direkt auf dem Hof, sondern im Dorf, genau wie die Betriebskantine und eine Kneipe mit Tanzsaal und Bühne. „Bis heute erinnern sich Alteingesessene an den Hof als sozialen Mittelpunkt des Dorfes“, informiert heute eine Tafel am Hoftor.
Mit der Wende war es vorbei mit dem „sozialen Mittelpunkt“. Die Hoftore schlossen sich, die Treuhand übernahm. Die 600 Hektar, die zum VEG gehört hatten, wurden bis 1998 verkauft, 1999 auch die Brennerei und vor allem die an sie gebundenen Brennrechte. Der sie kaufte, baute westwärts ein neues Werk, nahm die Rechte mit und verkaufte den Rest der Brennerei drei Jahre später wieder.
Den zweiten Nachwende-Besitzern waren die beiden 8.000-Liter-Kochtöpfe mit Rührwerk und Kühlschlange, die 16 Gärtanks, á 16.000 l und all der Rest des kupferreichen Interieurs letztlich nur noch den Altmetallpreis wert. Dabei hatten sie große Pläne, wollten einen Bildungs- und Kulturort aus dem zunehmend von Verfall geprägten, aber immer noch vollständigen und 2003 unter Denkmalschutz gestellten Hofensemble machen. Herrmann erzählt von einem Hubschrauber, der einmal auf dem Hof gelandet sei: Ein reicher Verwandter wollte sehen, wo sein Geld hinfließen würde. Doch die staatliche Förderung blieb aus, die Pläne wurden fallengelassen, der Hof Prädikow stand zum Verkauf.
Ausgeweidete Brennerei: Vieles existiert nur noch in Erinnerungen
Wenn Herrmann heute Besucher über den Hof führt, erzählt er auch diese Geschichten, die die Dorfbewohner skeptisch stimmten, wenn neue Leute mit neuen Plänen kamen. Und er führt sie auch zu den Ruinen seines einstigen Reiches, in den ausgeweideten Brennereikeller. Nur der
Trennturm, auch Destillationskolonne genannt, steht noch. Alles andere existiert nur noch in Herrmanns Erinnerung.
Industrielle Alkoholherstellung in aufsteigenden Stichpunkten: aus drei Kilo Getreide wird ein Liter Alkohol, Einmaischen – ein Teil Mehl auf drei Teile Wasser –, Hefezusatz, drei Tage stehen lassen, Siedepunkt des Ethanols 78,6 Grad, steigt nach oben als Geist, der Rest heißt Schlempe und ist Futter für die Tiere, was sie ausscheiden, nährt den Acker. Ein hochprozentiger Wertschöpfungskreislauf schließt sich – und schloss sich 2002 endgültig.
Leben im Wohnprojekt: Gruppen-Entscheidungen und hohe Mitverantwortung
Hinaus aus dem Keller und hinauf auf den Innenhof des weitläufigen Gevierts: Hier beschneidet eine junge Frau frisch gepflanzte Obstbäume. Dort bringen Kinder mit ihren Eltern trockene Äste zur Feuerschale. An einer anderen Ecke sitzen junge Leute, ihre Kleinkinder auf dem Schoß oder in der Karre, mit Thermoskannen vorm Schweizer Haus und genießen die erste Frühlingssonne. Der Hof hat sich belebt, die ersten der 14 denkmalgeschützen Häuser wurden erfolgreich reanimiert. In das Schweizer Haus in dem früher die Melker wohnten, zogen im Oktober 2021 sechs Parteien.
Gegenüber leuchtet das frisch verputzte Gutsverwalterhaus mit zehn sanierten Wohnungen, die seit Herbst 2022 bezugsfertig sind. Die Wohnungen im Erdgeschoss sind barrierefrei, eine dient als „Dorfwohnung“ der Unterbringung von Gästen. In einer anderen wohnt Birgit Gewehr, die vor drei Jahren aus dem Wendland nach Prädikow gezogen ist. Sie führt mit Detlef Herrmann die Gruppe über den Hof und hat dabei vor allem Gegenwart und Zukunft im Blick.
Inzwischen sind 50 Erwachsene und 20 Kinder mit dem Hof Prädikow verbunden. Viele haben vorher in Berlin gewohnt und gehen Berufen nach, die man auch vom Dorf aus erledigen kann.
Viel von ihrer freien Zeit stecken sie in die Gestaltung ihres Lebensumfeldes: insgesamt neun Hektar, inklusive Park und Garten. Es gibt 25 Arbeitsgruppen, erzählt Birgit Gewehr, und man versucht auf der Grundlage ausgehandelter Werte zu agieren. Bei Gruppenentscheidungen würde der Widerstand gegen eine eingebrachte Idee abgefragt. Wer Einwände hat, sollte am besten auch eine Alternative benennen, am Ende stehe eine Lösung mit hoher Mitverantwortung. Das Ganze nennt sich Soziokratie und ist ein Werkzeug, auf das die Neu-Prädikower nicht mehr verzichten möchten.
Genossenschaftsgeist für 650 Euro pro Quadratmeter
Grundlage für all dies war jedoch ein Akt, der schon acht Jahre zurückliegt. 2016 kaufte die Stiftung Trias, eine gemeinnützige Stiftung für Boden, Ökologie und Wohnen mit Sitz in Hattingen (Ruhr) das Hofensemble. Die Berliner Baugenossenschaft Selbstbau e. G. übernahm es in Erbbaupacht und saniert nach und nach die Gebäude. Der Genossenschaftsanteil der Mieter liegt bei 650 Euro pro Quadratmeter, die Miete bei Euro pro Quadratmeter. Für ländliche Verhältnisse ein stolzer Preis, für Berliner relativ normal.
Die Scheune mit dem „Schwarzen Storch“ ist für Neusiedler – und immer öfter auch für die Dorfbewohner – der neue soziale Mittelpunkt. Sie ist das Ergebnis intensiver Konzept- und Entwicklungsarbeit und vieler Arbeitseinsätze, erzählt Birgit Gewehr. Und wirklich ist aus der Scheune ein lichter, offener Ort geworden. Zwar ist der „Schwarze Storch“ zu an diesem Tag, aber mit etwas Fantasie sieht man, wie die bunten Stühle im Außenbereich ihrem Zweck dienen werden, wenn es wärmer wird. Und vielleicht schauen wir nächstes Jahr Ostern wieder vorbei, um zu sehn, wie sie sich entwickelt, diese ganz besondere Auferstehungsgeschichte des Hofes Prädikow.
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