Lavendelhof Grimme: Eile mit Weile
Festina Lente, so obiges geflügelte Wort in seiner lateinischen Urform, hat ein polnisches Paar sein Familienunternehmen genannt, anspielend auf die entspannende Wirkung von Lavendel, den sie in der Uckermark anbauen.
Von Jutta Heise
Mindestens jeder Zweite hat ihn einmal – den Traum von einem Bilderbuch-Süden: Etwa wenn sich nasskalt-grauer Novembernebel bleischwer auf unsere Seele legt oder sich der hiesige Sommer nicht so aufführt, wie wir es uns vorstellen. Die Provence gehört zu solchen Sehnsuchtsorten: Sanft geschwungene Hügellandschaft, mit 3.000 Sonnenstunden im Jahr die wärmste und sonnenreichste Region Frankreichs, ockerfarbene Dörfer, in mildes Licht getaucht … ein Blütenmeer aus Lavendel, dessen Halme sich wie ein Band aus blauem Samt träumerisch im Wind wiegen.
Seit Kurzem kann man sich – unser CO2-Fußabdruck dankt es uns – die Reise in das Nachbarland sparen. Denn auch in unseren Breiten versuchen sich einige Wagemutige am Anbau der Lavandula angustifolia. Lavendel duftet nicht nur sehr angenehm, sondern, das weiß die Menschheit seit Langem, von ihm geht auch eine beruhigende, entspannende Wirkung aus.
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Lavendelhof Grimme: Letzte Chance im richtigen Alter
Unsere Straße nach Süden führt in die Uckermark, über einen Plattenweg, altbekannt aus LPG-Zeiten, gefolgt von Kopfsteinpflaster und Sommerweg. Joanna und Karol Olszewski schlugen vor sechs Jahren in Grimme, einem Ortsteil von Brüssow, 30 Kilometer von ihrer Heimat Szczecin entfernt, noch einmal neu ihre Zelte auf. In der Mitte des Lebens. Letzte Chance, aber genau im richtigen Alter, sagt Karol, der Spaßvogel.
Im Ernst, mit plus minus vierzig habe man eine Mischung aus vielerlei Erfahrungen gesammelt, aber immer noch Neugier und Mut – wenn man es denn richtig angestellt hat bis dato. Ihre Idee: Lavendel anbauen, verarbeiten und verkaufen. Die Uckermark mit ihren trockenen, steinigen Endmoränenböden mit hohem Kalkgehalt sowie relativ vielen Sonnenstunden scheint Olszewskis besonders geeignet für eine „Klein-Provence in der Provinz“. Wir stehen, wo alles seinen Anfang nahm und inzwischen Feld 1 genannt wird, denn man hat expandiert.
2017 haben Joanna, Agraringenieurin mit Hang zu Gartenbau und Floristik, und Karol, der in Polen als Sicherheitsinspektor gearbeitet hat, hier 2.500 Pflanzen auf 0,5 Hektar gesetzt, in den Sorten „Grosso“ (mit besonders hohem Ölgehalt) und „Hidcote Blue“, dank intensiven Geschmacks bestens geeignet, um daraus etwa Kosmetika und Lebensmittel herzustellen.
Während die Pflanzen Frost bis -25 °C wegstecken, mögen sie Schnee gar nicht. Der des vergangenen Winters hat manchen zugesetzt. Mai und Juni verliefen zudem mit kalten Temperaturen und Starkregen nicht optimal. Man rechnet 2023 mit einer etwas kleineren Ausbeute als im vorigen Jahr, als man 200 kg Blüten vermarkten konnte.
Lavendel: Marke Eigenbau für Pflege und Ernte
Die Ernte hat verspätet begonnen, sie dauert etwa zwei Wochen. Auf Feld 1 erfolgt sie manuell, mit Messer oder Schere. Nachbarn und Freunde, Tochter Marianna, 26, und Sohn Gabriel, 20, sind als Helfer quasi gesetzt. Dazu kommen mitunter junge Leute im Rahmen von „Work and Travel“. „Insgesamt sind wir jedes Mal ein Team von etwa zehn“, sagt Karol.
Nächste Station – Feld 2. Sieben Lavendel-Sorten stehen hier auf 1.000 m2, darunter eine rosafarbene, zusammen etwa 1.000 Pflanzen. „Wir wollen mittelfristig herausfinden, welche Sorten sich für das Klima der Uckermark besonders gut eignen und noch mehr Verarbeitungsmöglichkeiten bieten“, so Karol Olszewski.
Feld 3 mit seinen 12.000 Pflanzen ist erst 2022 angelegt worden. „Phenomenal Niko“ mit ihren tiefblauen, duftenden Blüten erfüllt jedes Lavendel-Klischee. Die Sorte, eine Kombination von „Grosso“ und „Hidcote Blue“, sei besonders robust, so Joanna. Erst ab fünf Hektar, heißt es, ist es sinnvoll, in speziell für den Lavendel entwickelte Ernte-und Pflegemaschinen (und eine eigene Destillerie) zu investieren. „Im Prinzip kannst du jedes Equipment kaufen, etwa in den USA“, sagt Karol. Olszewskis setzen auf Marke Eigenbau.
Das geht, wenn man technisch hochbegabt ist wie Karol und engagierte Leute vom Fach an der Seite hat wie jenen Hufschmied, der half, eine Kartoffellegemaschine für das Pflanzen von Lavendeljungpflanzen ein bisschen umzurüsten. Auf Feld 3 soll in naher Zukunft eine Erntemaschine eingesetzt werden, die eine einzige Reihe, 100 Meter lang, in 15 Minuten aberntet: Karol schwärmt schon jetzt. Doch drei Jahre dauert es, bis junge Pflanzen in voller Blüte stehen.
Lavendel trocknen und verarbeiten
Ob manuell oder maschinell – nach dem Schneiden muss die Ernte getrocknet werden. Das erfolgt auf dem Dachboden einer luftigen Scheune, an ausgedienten Lattenrosten (Karols Idee) büschelweise hängend. „In der Sonne würden die ätherischen Öle verbrennen, die Farbe würde ausbleichen.“ Um die Blüten vom Stängel abzutrennen, was mit viel Handarbeit verbunden ist, hat Karol ebenfalls eine Maschine entwickelt. Kernstück ist eine Bürste, wie man sie von den Straßenkehrmaschinen kennt. Einfälle muss man haben!
Bislang haben die Lavendelanbauer keinerlei staatliche Förderung in Anspruch genommen, sondern alle Investitionen mit Eigenmitteln oder Privatkrediten bestritten. Zwei Crowdfunding-Kampagnen verliefen leider erfolglos. Ursprünglich wollte Joanna Olszewska die Lavendelblüten selbst verarbeiten. Doch die Auflagen hierzulande sind hoch und sie zu erfüllen, meist mit Geld verbunden. Mehrheitlich machen stattdessen nun lokale Manufakturen die Lavendelblüten etwa zu Öl, Seifen, Honig. Die wässrige Extraktion von Lavendel zur Lavendelsud-Gewinnung, etwa für Lebensmittel, übernimmt Karol selbst. Duftsäckchen und –stäbchen, Entspannungskissen fertigt die Familie.
Idee für deutsch-polnisches Netzwerk
Verkauft werden die insgesamt zwölf Produkte in einem kleinen Laden, dem ein Raum für Workshops angeschlossen ist, und online. Feld 1 wird als ebenso beruhigende wie anregende Location für Qigong- oder Yoga-Kurse oder als Kulisse für Fotoshootings genutzt. Wer möchte, kann einen Picknick-Platz buchen. Einen Teil der Blüten liefern Olszewskis an einen experimentierfreudigen Eismacher nach Mecklenburg-Vorpommern und nach Polen, wo es etwa 20 Lavendelanbauer geben soll. Karol schwebt ein deutsch-polnisches Netzwerk vor, auch um Produkte auszutauschen. Aber selbst innerhalb von EU-Ländern gelten mitunter nicht kompatible Regeln …
Die Unterstützung von „Regionalmarke Uckermark“, der Wirtschaftsfördergesellschaft des Landkreises, loben die Olszewskis über allen Klee. „Man hat uns geholfen, uns zu etablieren, Kontakte herzustellen, uns bekannt zu machen.“ Und erwähnen einen Werbefilm oder kostenfreie Teilnahme an Ausstellungen und Messen wie der KulinariUM Schwed.
Insektenhotel: Büfett und Lebensort
„Unsere Felder sind eine Insektenoase, auch für Wildbienen und spezielle Spinnenarten interessant. Vögel bauen ihre Nester in den Büschen“, hält Karol allen entgegen, die Lavendelanbau als Monokultur kritisieren. Er hat ein Insektenhotel gebaut, ein Imker wird seine Beuten aufstellen.
Die Universität Bochum will Messungen starten, um die CO2-Retention durch den tief wurzelnden Lavendel im Boden zu messen. Karol selbst hat vor, Versuche mit Vulkan-Substraten zur Düngung anzustellen. Ein Gebiet, in dem er sich möglicherweise auch beruflich orientieren will. „Der Lavendelanbau bleibt eine Nischenproduktion und unser Nebenerwerb.“
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