Mit dem Famulus auf Achse: Vom Fichtelberg bis Kap Arkona
Auf dem Weg der Entschleunigung gab es für die mitteldeutschen Traktorbegeisterten Jürgen Lehnert und Bernd Andrae einen großen Traum: Mit ihren Famulus-Traktoren vom Fichtelberg bis zum Kap Arkona zu fahren. Wir geben Einblicke in diese besondere Reise.
Das Interview führte Sabine Rübensaat
Fotos: Jürgen Lehnert
Es regnet Bindfäden. Ausgerechnet heute, zum Fototermin. Ich bin mit Jürgen und Bernd, zwei Famulus-Enthusiasten, die mit ihren Oldtimern, samt Campingwagen-Anhängern 700 km quer durch Ostdeutschland fahren, verabredet. Rückblende. Jürgen Lehnert, ehemals Zuckerrübenberater in Zeitz und jetzt im „Unruhestand“, schafft es immer wieder in die Bauernzeitung. Egal, ob es um die Rodung von Zuckerrübenparzellen geht (Bauernzeitung 43/2013), als Mitorganisator des historischen Erntefestes (Bauernzeitung 33/2016) oder in der Serie mit seinem Kumpel Horst Walther, in der die beiden einen schrottreifen Famulus rekonstruiert haben, mit anschließender, spektakulärer Fahrt durchs Brandenburger Tor (Bauernzeitung 33/2017). In diesem Jahr ist er nun mit dem Landmaschinenschlosser Bernd Andrae aus Lützen, Letzterer nur bekannt unter dem Namen „Schwan“, unterwegs. Warum „Schwan“? Das weiß kein Mensch. Beide haben gerade etwas Zeit, weil geplante Oldtimertreffen wegen Corona ausgefallen sind, und so nutzen sie die Gelegenheit für einen „Road-Trip“. „Außerdem ist der Famulus der beste Traktor, der jemals gebaut wurde und bleibt niemals liegen“, so Jürgen. Wir haben uns mittags in dem kleinen Örtchen Sewekow, Nähe Wittstock/Dosse in Mecklenburg-Vorpommern, verabredet.
Seit den frühen Morgenstunden sitzen die beiden auf ihren schaukelnden, bollernden Treckern. Der eine rot, der andere blau. Wir drehen ein paar Runden um die Kirche und finden dann Unterschlupf in Peter Ilgners Feriengut. Es schüttet nämlich inzwischen. Der Sachse zeigt uns noch schnell die Welpen seines sechs Wochen alten Hovawart-Wurfs, bevor wir mit dem Interview unter dem regendichten Sonnenschirm loslegen.
Wie geht’s euch?
Jürgen: Uns geht’s sehr gut, wenn das Wetter besser wäre, gings uns noch besser (lacht) .
Wo kommt ihr jetzt gerade her?
Jürgen: Aus Malchin. Heute Morgen sind wir gegen 8.00 Uhr vom Campingplatz losgefahren. Mit durchschnittlich 26 km/h und 40 PS kommt man ja nicht weit. Dann über Waren und Röbel bis Sewekow. Das sind gute 70 Kilometer.
Dann seid ihr aber gut durchgekommen.
Jürgen: Ja schon, aber das Fahren auf den Bundesstraßen ist schon ziemlich nervig. Wir sind ja mit zwei Traktoren und zwei Anhängern unterwegs und fahren langsam. Da bilden sich lange Schlangen hinter uns. Die Leute in den Autos, die von vorne kommen, grüßen dich, und die von hinten kommen drücken auf die Hupe, weil sie uns nicht überholen können. Nebenstraßen sind besser.
Nun aber mal von Anfang an. Vom Fichtelberg bis zum Kap Arkona. Wie kamt ihr auf die Idee?
Jürgen: Also, die Idee lebt schon drei Jahre. Mitteldeutschland vom südlichsten zum nördlichsten Punkt mit der DDR-Technik abzufahren, bei Tempo 25. Auf 1.030 Meter hoch und bis auf 30 Meter runter. Normalerweise sind wir und unsere „Artgenossen“ von April bis September immer auf irgendeinem Treckertreffen, damit sich die Frauen mal von uns etwas erholen können (zwinkert). Ich war schon auf dem Großglockner in Österreich, es musste immer ein bisschen mehr sein. Mein Traum war es immer, einmal mit drei Traktoren auf den Brocken zu fahren. Aber das war bis jetzt leider unmöglich, obwohl dreimal am Tag die Brockenbahn hochdampft. In Nordhausen sind die Traktoren gebaut und konstruiert worden, aber der Brocken war tabu … warum eigentlich?
Anmerkung: Von 1956 bis 1965 rollten in Nordhausen/Thüringen 37.857 Famulusse vom Band.
Also musste ein neues Ziel her?
Jürgen: Ja! Und da ich wirklich unser Mitteldeutschland liebe, war es für mich ein Anliegen, mit einem Traktor, der natürlich auch vor über 50 Jahren bei uns gebaut wurde, den Menschen zu zeigen, dass auch Qualität gebaut wurde. Unsere beiden Traktoren, Baujahr 1964, können das bewältigen. Es wurde bei uns nicht nur Schrott gebaut. Ab 1965 durfte kein Famulus mehr gebaut werden. Über Nacht wurde entschieden, dass nur noch „ZTs“ gebaut werden für die größere Landwirtschaft. Und damit war das Ende des Famulus besiegelt.
Aber ihr seid dem Famulus treu geblieben?
Jürgen: Da muss ich ein bisschen ausholen. Ich habe neben der Lehre in Halle immer Samstags, Sonntags mit einem 40er-Famulus Milch ausgefahren. Der fuhr sich wie ein Pkw. Die Lenkung, der Sitz, das war für mich klar, irgendwann wirst du auch so ein Ding haben, Bernd? (Bernd nickt)
Jürgen: Und diesen Traum haben wir uns eben erfüllt. Mit dem Auto von Zeitz bis an die Ostsee zu düsen, ist kein Vergleich zum Traktor mit 25 Stundenkilometern. Rechts und links die Landschaft zu sehen, die Felder, wie die Kulturen jetzt sauber dastehen. Auf Rügen haben wir sehr schöne Rübenbestände gesehen, die Reihen sauber geschlossen, da gucke ich natürlich besonders gerne hin. Alle Achtung.
Wie, wo und wann gings los?
Jürgen: Mittwoch den 10. Juni. Bernd kam aus Lützen, ich aus Zeitz, also mussten wir uns erstmal irgendwo treffen. Das war in Meuselwitz. Über Altenburg, Zwickau, war etwas verzwickt, Aue, Rittersgrün … und dann war die Welt zu Ende. Wir kamen nicht weiter, hätten eine 40 Kilometer lange Umleitung fahren müssen. Aber ein netter junger Mann hat uns ein paar Schleichwege gezeigt, sodass wir dann im dicksten Nebel auf dem Fichtelberg angekommen sind. Beim Abendbrot kriegte der Wirt mit, dass wir mit dem Traktor da waren und war gleich hellauf begeistert, hat uns mit offenen Armen aufgenommen.
Und die nächsten Tage?
Jürgen: Früh ging es weiter bis nach Riesa. Am dritten Tag nach Dahme, dort haben wir am Sportzentrum übernachtet. Es gab keine freien Campingplätze! Samstag (13.6.) nach Grünheide, bei Berlin. Als wir auf dem Platz ankamen fing es an zu schütten, wie jetzt (lacht). 65 mm sind runtergekommen.
Ihr bringt den Regen mit. Da freuen sich die Landwirte.
Jürgen: Ja, aber die auf dem Campingplatz nicht (lacht). Sonntag weiter (14.6.) über Prenzlau zum Uckersee. Aber als wir vor dem Campingplatz ankamen, lasen wir auf dem Schild „Noch im Bau“! Mist. So sind wir schließlich in Warnitz gelandet, am Oberuckersee. Montag (15.6.) über die Mühlenstadt Woldegk, inklusive Museumsbesuch, bis zum Greifswalder Bodden. Dienstag (16.6.) ging es über den alten Rügendamm, weil unser Navi verrückt gespielt hat. In Altenkirchen auf dem Campingplatz hatten wir dann mal Glück. Mit etwas Überredungskunst (zwinkert) konnten wir zwei Nächte bleiben. Und … wir haben sogar gebadet.
Brrrrrr, kalt?
Jürgen: Na ja, … ich hatte fast blaue Beine … (lacht) .
Ihr seid auf Rügen, das Ziel vor Augen. Auf zum Leuchtturm?
Jürgen: Ja! Aber, dann hat Bernd das Schild gesehen „Durchfahrt bei hoher Strafe verboten“. Was tun? Erstmal umdrehen, wieder runter nach Putgarten. Nachdenken. Wir überlegen noch beim Kaffee, was wir machen und kommen zufällig mit Andreas Heinemann ins Gespräch, der, wie sich rausstellte, Touristikchef des Ortes ist und ein offenes Ohr für unseren Plan hatte. 850.000 Urlauber kommen jährlich zum Kap und wenn jeder da hoch fahren würde … Katastrophe. Zweiter Anlauf am nächsten Morgen. Rauf auf den Radweg von Altenkirchen zum Leuchtturm.
Bernd: Und wir haben es tatsächlich geschafft.
Jürgen: Das war schon wirklich ein besonderes Erlebnis.
Glückwunsch! Wie siehts denn aus mit Pleiten, Pech und Pannen? Hat der Famulus mal schlapp gemacht?
Jürgen: NEIN, hat er NICHT! Ein paar Kleinigkeiten, einen neuen Blinkgeber haben wir einbauen lassen und die Wasserpumpe leckte, die haben wir aber dicht gekriegt.
Also nichts?
Jürgen: Außer … kurz vor Stralsund: Die Batterie ist explodiert. Einfach so. Wir dachten erst ein Reifen wäre geplatzt. Wir runter vom Trecker, drumherum gelaufen, nichts gesehen, überall Luft drauf und auf einmal sah ich die Batterie tropfen.
Bernd: Wie ein geplatzter Karton.
Jürgen: Schnell alles aufgefangen und dann eine Neue einbauen lassen. Vermutlich war die Batterie schon von Anfang an defekt.
Was gab es noch für Highlights?
Jürgen: Schön waren die Fahrten entlang der Silberstraße durchs Erzgebirge, die deutsche Alleenstraße auf der Insel Rügen. Nicht nur fahren, fahren, essen, schlafen. Aber ich habe auch über den Niedergang der Zuckerfabriken nachgedacht. Vor der Wende hatten wir 47 Zuckerfabriken, jetzt haben wir nur noch vier. Ich habe durch meinen Beruf miterleben müssen, wie eine nach der anderen dicht gemacht wurde. In Lützen, Döbeln, Oschatz, Prenzlau, Nauen, Genthin. Brottewitz wurde 2019 geschlossen.
Auf was freut ihr euch am meisten, wenn ihr wieder zu Hause seid?
Jürgen: Erzählen zu können, dass wir es nicht bereut haben, gemeinsam zu fahren. Denn du musst auch erstmal einen finden, mit dem du 14 Tage auskommst, der das Spiel mitmacht. Die meisten haben keine Zeit, nicht den richtigen Trecker und außerdem ist es auch eine anstrengende Tour. Manchmal bis zu zehn Stunden fahren bei Wind und Wetter, manchmal hast du 20 Kilometer Leitplanke. Der Konvoi auf den Bundesstraßen ist schon belastend. Und was machst du, wenn du plötzlich auf eine Schnellstraße kommst? Mindestgeschwindigkeit ist 50 km/h. Und wir mit 25.
Um die Ecke kommt Peter Ilgner, er muss los und wünscht den beiden zum Abschied „Immer ́n vollen Tank und drei atü auf dem Reifen“. Dem kann ich mich nur anschließen. Auf Wiedersehen, bis zum nächsten Abenteuer. Garantiert in der Bauernzeitung.