Pferde für den Busch
Einst waren sie erfolgreiche Turnierreiter – heute sind sie erfolgreiche Pferdezüchter: Andrea und Lutz Pietscher aus der Altmark in Sachsen-Anhalt. Wir haben in die Chronik einer begeisterten Pferdesportfamilie mit Landwirtschaftsbetrieb geblickt.
Von Meike Schulze-Wührl
Entweder richtig oder gar nicht – das ist das Lebensmotto von Lutz Pietscher aus Zethlingen, einem kleinen Dorf mit nicht mal 200 Einwohnern. Der 55-Jährige und seine Frau Andrea (54) genießen seit Jahren deutschlandweit den Ruf exzellenter Pferdezüchter. Ein Erfolg, für den sie vor 23 Jahren den Grundstein legten, als sie sich entschieden, den aktiven Pferdesport an den Nagel zu hängen und stattdessen „Pferde für den Busch“ zu züchten.
außerordentliche Zuchterfolge
Mit Asha P (vom Hengst Askari aus Hera von Heraldik xx) ist das vortrefflich gelungen. Die kernige Stute ist seit 2018 in der Pferdsportszene in aller Munde, nachdem sie unter der mehrfachen Olympiasiegerin Ingrid Klimke Weltmeisterin der siebenjährigen Vielseitigkeitspferde wurde und vergangenes Jahr mit seiner Reiterin den Deutschen Meistertitel in der Vielseitigkeit holte.
Aktuell können sich Pietschers über einen weiteren außerordentlichen Zuchterfolg freuen. Ihr Hengst Oganero P (Ogano Sitte-Lyjanero) wurde Sieger der Körung beim Schaufenster der Besten in Neustadt/Dosse und tritt dort jetzt seine erste Saison als Deckhengst an. „Das ist unser bisher größter Erfolg.“
Faszination Pferdesport: Wie alles begann
Doch der steigt dem Ehepaar nicht zu Kopf. Die Arbeit im eigenen Landwirtschaftsbetrieb, der Pietscher GbR, mit 140 melkenden Kühen sorgt ebenso für Bodenhaftung wie die Verwurzelung in der Altmark und die Verbundenheit zu Familie, Freunden und dem Pferdesport. Die Faszination für den Pferdesport entdeckten die Eheleute im Alter von etwa zehn Jahren. Andrea Pietscher lebte damals in Oschersleben mit ihrer Familie in einem Mehrgeschosser. Ihr Wunsch zu reiten, erfüllte sich durch eine Bekannte ihrer Mutter. So begann sie in Ausleben zunächst mit dem Voltigieren und erreichte 1982 bei der DDR- Meisterschaft mit der Gruppe sogar einen achten Platz. Im selben Jahr wechselte sie als Jugendliche in den Springsattel. Ihr größter sportlicher Erfolg war der Bezirksmeistertitel im Jugend-A-Bereich.
Lutz Pietscher hatte durch seinen großen Bruder Gefallen am Reiten gefunden. „Von meinem Vater habe ich dann ein Pony bekommen, mit dem ich ein bisschen Indianer gespielt habe.“ Ansonsten verrichtete der 1,40 Meter kleine kernige Schimmel namens Bubi, der ein Alter von stolzen 40 Jahren erreichte, Ackerarbeit für Familie und Dorfbewohner. Mit zwölf Jahren begann Lutz Pietscher in Kakerbeck aktiv zu reiten. „Das war eine sehr leistungsorientierte Sektion im Vielseitigkeitsreiten, und ich durfte die Pferde der Großen mitreiten“, erzählt er. Seine Turnierkarriere krönte er 1990 als 27-Jähriger mit dem DDR-Meistertitel in der Military. „Bis zur Wende waren wir sportlich sehr ambitioniert und wären auch gerne ins Ausland gefahren, aber das war damals nicht in der Sportförderung.“
Mit Double wurde Lutz Pietscher im Jahr 1990 der letzte DDR-Meister in der Military. (c) Privat Ein Bild aus der Familienchronik: Andrea und Lutz Pietscher mit den Pferden Double und Dupont. (c) Privat
Mit der politischen Wende in Deutschland standen Lutz und Andrea nicht nur vor einer ungewissen sportlichen, sondern auch beruflichen Zukunft. Beide hatten gerade ihr Agraringenieurstudium in Wernigerode abgeschlossen und wussten nicht, wie es weitergehen soll. Nur eines wussten sie: dass sie zusammenbleiben wollen. Dass die Eltern von Lutz Pietscher schon immer in der Landwirtschaft gearbeitet haben – „in den 1950er-Jahren wurden sie aus der Privatwirtschaft in die LPG gezwungen“ – war ein Grund dafür, dass der Junior aus dem Harz nach Zethlingen zurückkam.
Die Voraussetzungen hierfür waren alles andere als rosig, „weil wir zwar die Hofstelle, aber keine Gebäude mehr hatten“. Dank der glücklichen Fügung, im Nachbarort entsprechende Gebäude nutzen zu dürfen, konnte der Plan vom eigenen Landwirtschaftsbetrieb umgesetzt werden. „Am 16. März 1991 stallten wir 13 Kühe und zwei Färsen ein, die wir von der ehemaligen LPG Zethlingen als Inventarbeitrag bekamen. 40 Kuhplätze im Stall waren bald voll“, steht in der Familienchronik. Als Zwei-Mann-Betrieb gestartet, arbeiten in der GbR heute neben den Chefs drei Festangestellte und anderthalb Minijobber. Der Kuhbestand ist auf 150 angewachsen.
„Dann züchten wir“
Auch die Sache mit den Pferden entwickelte sich. Da leistungsorientiertes Trainieren nicht mehr wie bisher möglich war, zog Lutz Pietscher Mitte der 1990er-Jahre konsequent den Schlussstrich und sagte: „Dann züchten wir eben.“ Mit Alpenfee war der Grundstein bereits gelegt. Sie war 1993 aus Apenburg auf den Hof gekommen und die Urururur-Großmutter von Oganero P. Zuchtstute Nummer zwei wurde Astrid (Amethyst-Drilling). Die charakterlich starke und sehr schwierige Stute kam dreijährig zum Einreiten auf den Hof, „was aber erstmal nicht gelang“. Sie wurde dann vierjährig eingeritten, bei der Stutenprüfung vorgestellt und die Zucht mit ihr begann. „Sie ist die Begründerin der Linie, der auch Asha entstammt und sie läuft heute noch, mit 28 Jahren, putzmunter als Oma auf der Wiese.“
Die Paarung von Astrid mit Heraldik xx (er ist ein englischer Vollbluthengst und hat deshalb die zwei x hinter seinem Namen) erwies sich als Glücksgriff. Daraus entstand die Überleistungsstute Hera, „aus der sich dann viele Leistungspferde herauskristallisiert haben“.
Zwischenzeitlich gab es auch noch eine dritte Linie, zu der unter anderem Sandrino (Sac-cor-Derwisch, geboren 2003) gehörte, der bis zur Auflösung des sachsen-anhaltischen Landgestütes Prussendorf dort Landbeschäler war. Hatten Pietschers bei der Zucht lange auf ostdeutsches Blut gesetzt, waren sie mit Heraldik xx überregionaler geworden. „Diese Linie, zu der Oganero gehört, das sind alles wirklich sehr artige, rittige Pferde“, plaudert Lutz Pietscher aus dem Nähkästchen. Und dass er, „wenn das erste Fohlen nicht völlig aus der Bahn geraten ist“, jeden Hengst zweimal zum Zuge komme lässt. „Außer bei Askari (v. Akkort II-Lavall I) habe ich mal eine Ausnahme gemacht, da gibt es vier Vollgeschwister.“ Einer von ihnen ist Araldik, der fünfjährig Vizebundeschampion im Springen war.
Pferdezüchter Pietscher: Milch als Haupterwerb
Über die Zuchtstämme ließen sich ganze Bücher schreiben und darüber zu erzählen füllt Abende. Zeit, die Pietschers kaum haben. „Unser Haupterwerb ist die Milchproduktion.“ Aber sie hoffen, dass die Pferde irgendwann mal den Betrieb finanziell unterstützen. Bei allen Erfolgen sei bisher wenig übrig geblieben, da in der Vielseitigkeit keine Fohlen oder Jungpferde gekauft würden, sondern Pferde, die schon gezeigt haben, dass sie etwas können und eine entsprechende Ausbildung samt Beritt absolviert haben. Da brauchen Züchter einen langen Atem und gute Ausbildungsställe. „Wir sind sehr froh, dass wir mit Familie Deparade einen tollen Stall im 15 Kilometer entfernten Engersen haben.“ Dort wurde auch Oganero P oder besser gesagt Otto, wie er zu Hause einfach nur heißt, auf seinen Weg gebracht.
Und was ist Otto für ein Pferd? „Eine Persönlichkeit, sehr dominant, aber wenn er verstanden hat, worum es geht, sehr leistungsbereit und dann auch einfach zu handhaben.“ Vom Umgang her sei er sehr anhänglich, durchaus verschmust und pflegeleicht. Eigenschaften, die die meisten der drei bis sechs Fohlen ebenfalls haben, die jedes Jahr im Stutenstall der Pietscher GbR geboren werden. Seit einigen Jahren tragen sie das P hinter ihrem Namen, als Verweis auf die Züchterfamilie.
Haupterwerb der GbR Pietscher ist die Milchproduktion. Täglich sind 150 Kühe, davon 140 melkende, zu versorgen. (c) Meike Schulze-Wührl Zur Familie Pietscher gehört auch die fast zweijährige Berner Sennen-Hündin Nala, die den Hof bewacht. (c) Meike Schulze-Wührl
Unbezahlbare Hilfe
Allerdings ist nicht jedes Pferd ein „Kracher“. Das wird auch bei der sogenannten Fohlenparty-Runde diskutiert – eine Truppe aus befreundeten Züchterfamilien, die sich zur Begutachtung und geselligen Auswertung auf den jeweiligen Höfen trifft, wenn alle Fohlen des Jahrgangs geboren sind. „Das ist immer wie ein Familientreffen. Da gibt es keinen Neid oder so, sondern einfach nur eine ehrliche Einschätzung und auch gegenseitige Hilfe.“ „Überhaupt“, sagen Pietschers, „haben wir im Bekanntenkreis sehr viele Helfer und Unterstützer, ohne die es undenkbar wäre, zu Fohlenschauen zu fahren oder an züchterischen Events teilzunehmen. Die helfen und tun und machen, das ist unbezahlbar.“
Noch mal zurück zum Hof. Auf dem leben noch die Berner Sennen-Hündin Nala und 15 Katzen sowie Hühner, die für das Frühstücksei sorgen. Während des Sommers thront auf dem Dach auch ein Storchenpaar. Andrea Pietscher fühlt sich ein bisschen wie die Storchenbeauftragte, wenn sie jedes Jahr die geborenen Jungvögel zählt. Die mittlerweile erwachsenen Söhne des Paares, Hannes und Aaron, sind bereits ausgeflogen und studieren. Dass einer von ihnen mal den Hof übernimmt, ist noch nicht abzusehen. Aber wer weiß, vielleicht ist es eine Freundin mit Pferdetick oder besonderer Tierliebe, die das einmal günstig beeinflusst.