Aroniabeeren: Vom Büro aufs Feld
Im Hauptberuf ist Gunnar Marquardt Bausachverständiger. Nach Feierabend zieht es ihn aufs Land: Im vorpommerschen Trinwillershagen baute der 48-Jährige im vorigen Herbst erstmals auf drei Hektar Aroniabeeren an.
Text und Fotos von Jürgen Drewes
So habe er sich das gewünscht. Tagsüber als Bausachverständiger im Büro oder vor Ort Kunden beraten. Und nach Feierabend ab aufs Feld. Sagt Gunnar Marquardt. Und reibt sich die dunkelblauen Hände. Waschechte Aroniafarbe.
Seit einem Jahr in der nebenerwerbslandwirtschaft
Seit einem Jahr ist der Experte für Immobilien auch ein Nebenerwerbslandwirt. Als der 48-Jährige davon hörte, dass im vorpommerschen Trinwillershagen rund 18 ha LF einer ehemaligen Gärtnerei zu vergeben sind, wollte er die Fläche haben – und hatte Glück. Fortan gab es an den Wochenenden, unterstützt von Freunden und Familie, viel zu tun. Das Garten-Gelände der einstigen Muster LPG „Rotes Banner“ war in keinem guten Zustand. Der letzte Gärtner hatte schon vor Jahren die Arbeit unter den Gewächshausdächern, wo einst DDR-Meister-Rosen gezüchtet wurden, eingestellt. Auch das ehemalige Wirtschafts- und Bürogebäude war dem Verfall preisgegeben. Zurück blieb eine Brache, die anderen als Müllkippe diente. Ein Gelände, um das viele im Dorf längst einen Bogen machten.
Gunnar Marquardt hatte einen Plan. Zu Hause, im eigenen Garten, war er auf den Geschmack der Aroniabeere gekommen. Ursprünglich im östlichen Nordamerika beheimatet, ist die Pflanze aus der Familie der Rosengewächse längst auch in Europa verbreitet. Erste Anbauflächen sind aus dem 17. Jahrhundert bekannt. Richtig in Schwung kam der Anbau erst vor ein paar Jahren. Vor allem in Sachsen, Brandenburg und Bayern. Die Früchte reifen an Sträuchern von bis zu zwei Metern Höhe. Gunnar Marquardt hat es in seinem Garten in Barth erfolgreich getestet.
Süß, säuerlich, herb
Die fast schwarzen, apfelförmigen Früchte mit einem Durchmesser zwischen 5 bis 12 mm haben einen süß-säuerlich-herben Geschmack und zeichnen sich durch einen hohen Anteil an Vitaminen aus. Nachgewiesen ist, dass der Fruchtextrakt oxidativen Stress, der unter anderem während der Chemotherapie bei Krebspatienten entsteht, dank seiner antioxidativen Wirkung signifikant reduziert. Die kräftige Fruchtfärbung dient außerdem als Ersatz für chemisch hergestellte Lebensmittelfarben.
Aronia-Produkte werden stark nachgefragt. Gunnar Marquardt hat im vergangenen Herbst die für den Anbau vorgesehenen Flächen beräumt. Wie viele Container mit Schutt und Müll die Ex-Gärtnerei verlassen haben, am Ende hat es niemand mehr gezählt.
Auf rund drei seiner 18 ha großen Fläche pflanzte „Bauer Günni“ im vergangenen Oktober knapp 13.000 Sträucher. Weil es an den Tagen davor und danach regnete, waren die jungen Pflanzen starkem Unkrautdruck ausgesetzt. Dennoch mussten in diesem Jahr nur wenige Fehlstellen erneut belegt werden. Alle Pflanzen stammen aus Polen. Die Bioobst Görnitz GmbH & Co. KG in Coswig gilt als einer der wichtigsten Anbauer bundesweit. In zahlreiche öffentliche Forschungsprojekte involviert, liefert das Familienunternehmen hochqualitative, biozertifizierte Aroniapflanzen aus einer Kooperation in Polen. Anerkannt durch den Stiftverband für die Deutsche Wissenschaft mit dem Gütesiegel „Innovativ durch Forschung“. Welche Sorten speziell für den deutschen Norden geeignet sind, testet die Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei auf ihrer Versuchsplantage in Gülzow bei Güstrow. Gartenbauexperte Dr. Frank Hippauf hat aktuell drei Sorten unter Beobachtung. Eine stammt aus Dänemark, Viking aus Finnland und Nero aus Russland – in Deutschland weiterentwickelt zu Nero Superberry, auch Elbaronia genannt. Noch ertragreicher und widerstandsfähiger bei geringerem Schnittbedarf, das sind die herausragenden Eigenschaften gegenüber dem schon viel gefragten Vorgänger. Der Anbauversuch in diesem Jahr bestätigte den Zuchtfortschritt: Trotz längerer Trockenheit im Frühjahr und Sommer wuchsen reichlich Früchte.
Ernte an einem Tag
In Trinwillershagen ist unterdessen die erste Ernte eingefahren. Rund 500 kg sind zusammengekommen. Per Hand gelesen von 70 Erntehelfern. Schulfreunde der Kinder der Familie, Verwandte und Freunde waren mit Eifer dabei. Ein Tag – und alle Sträucher waren leer. Die Hände bei allen, außer den Handschuhträgern, tiefblau. Die Farbintensität der Beeren ist beindruckend. Sicherlich sind es im nächsten Jahr schon mehr Früchte, dann nicht mehr überwiegend einzelne Beeren, sondern volle Dolden mit bis zu 15 Beeren. Schon jetzt haben die Pflanzen im Wuchs stark zugelegt. Nach vier Jahren sollen sie mit bis zu zwei Metern Höhe voll entwickelt sein und deutlich mehr Beeren tragen als im ersten Jahr. Wichtig ist, den optimalen Erntezeitpunkt abzupassen. Ein Refraktometer liefert dazu wichtige Informationen. Gunnar Marquardt hat das Messgerät von seiner Frau geschenkt bekommen. Es misst, ähnlich wie im Weinbau die Oechslegrade, die Konzentration der in der Beere gelösten Stoffe. Zur Ernte in diesem Jahr waren es über 80 Oechsle.
Aroniabeeren: Unkraut Mit Jätmaschine entfernen
Mittlerweile hat Gunnar Marquardt die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Ernte 2021 geschaffen. Gemeinsam mit Freund Helgo wurden mit einer ZUZA-Jätmaschine der Boden gelockert und Unkraut an den Pflanzen beseitigt. Ein Knochenjob, der nicht nur Kraft, sondern auch Geschick erfordert. Keine Pflanze soll dabei geschädigt werden. Ob alle gut über den Winter gekommen sind, wird sich im kommenden Frühjahr zeigen. Bis dahin gilt es die diesjährige Ernte zu vermarkten. Ursprünglich war geplant, Saft im Direktverkauf anzubieten. Mit Hinweis auf viele wertvolle Vitalstoffe, die das Immunsystem stärken und das allgemeine Wohlbefinden verbessern. Doch dann kam alles ganz anders: Schockgefrostet in einem benachbarten Unternehmen bei Marlow landete das Erntegut nach einigen Tagen Ende August in der Mosterei in Satow, wo die Saftpresse wartete. Doch für Juniorchef Benjamin Peters war schnell klar: „Die Maische der Beeren ist sehr fest, da fällt die Saftausbeute geringer aus.“ Geärgert hat sich darüber niemand. Eine neue Idee machte die Runde und versetzte alle Beteiligten in Begeisterung: Die Maische wird zu einem Beerenbrand verarbeitet. In limitierter Auflage, als Geschenk zu Weihnachten.
Mitarbeiter Florian Pribusch machte sich an die Arbeit. Unter Zugabe von Hefe und ständigem Rühren kam die alkoholische Gärung in Gang. Gut fünf Wochen später zogen Kontrolleure Proben. Alle Details wurden protokolliert. Letztlich verdient der Staat mit der zu erhebenden Branntweinsteuer kräftig mit. Nach der Verkostung stand fest – den Beteiligten ist ein ausgezeichneter Obstbrand gelungen. Aktuell wird am Outfit der Erstausgabe gefeilt. Nebenerwerbslandwirt Marquardt hat zudem einen neuen Förderer gefunden: Der überregional tätige Spirituosenhändler Rüdiger Hobe aus Ribnitz steht ihm zur Seite.
„Bleib-gesund-Hofsaft“
Gunnar Marquardt will sich weiter qualifizieren. „Es geht immer noch einen Tick besser“, sagt der Sachverständige und Ex-Inhaber eines Galabaubetriebes. Dass seine Frau und er das einstige Betätigungsfeld Ende 2018 verließen und die Firma verkauften, habe er zu keiner Sekunde bereut. Es sei zunehmend schwerer gewesen, qualifizierte Mitarbeiter zu finden. Da war der Schritt zu einer neuen Herausforderung als Nebenerwerbslandwirt reizvoll. „Das konnte ich mir nicht entgehen lassen“, so der zufriedene Neueinsteiger. Ende Oktober soll aus den übrigen Früchten auf dem ehemaligen Gärtnereigelände – Äpfel, Birnen, Holunder, Sanddorn, Himbeeren, Brombeeren und natürlich Aronia (aus dem Frost) – der „Bleib-gesund-Hofsaft“ gepresst und regional vermarktet werden.
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