Birkenwasser: Nebennutzung des Waldes nahe Leipzig
Das Gewinnen von Birkenwasser war im Colditzer Forst nahe Leipzig über Jahrzehnte eine einträgliche Nebennutzung des Waldes. Damit das Wissen nicht verloren geht, veranstaltet das Forstrevier Zapfkurse für Auszubildende.
Von Wolfgang Rudolph
Früher Morgen im Colditzer Forst, einem 3.500 Hektar großen Waldgebiet südlich von Leipzig. In einem lichten Bestand drückt Auszubildender Andreas Geiler den Bohrvorsatz der Motorsäge etwa 30 cm über dem Waldboden an einen Birkenstamm.
„Noch ein kleines Stück höher und schräg nach oben bohren“, korrigiert Lehrmeister Ulrich Zillmann. Schließlich gibt der angehende Forstwirt Gas und versenkt den rotierenden Bohrer gut 5 cm in das Splintholz. Dann reinigt er mit einem Draht das Bohrloch. Ein anderer Auszubildender schlägt mit einigen Hammerschlägen eine Hülse aus Edelstahl in die Bohrung. Gemäß Vorgabe gerade so tief, dass sie straff sitzt, sich aber auch wieder ohne großen Kraftaufwand aus dem Stamm herausziehen lässt.
Wenig später tropft Xylemwasser in ein darunter gestelltes Glasgefäß. Auch um das Röhrchen außen herum quillt Flüssigkeit heraus. „Das dichtet sich schnell selbst ab“, sagt Zillmann. Der 58-jährige Forstwirt war viele Jahre unter anderem in diesem, heute exotisch anmutenden Bereich der Waldnebennutzung tätig und gibt seine Erfahrungen in einem fakultativen Lehrgang an den Berufsnachwuchs im Staatsbetrieb Sachsenforst weiter.
„Dies war früher ein reiner Birkenbestand, in dem von März bis Mai, wenn der Saft in die Bäume steigt, jeder vitale Baum bezapft wurde.“ Auch Birken entlang der Hauptschneisen habe man für die Gewinnung von Birkenwasser genutzt, sofern sie in Brusthöhe einen Durchmesser von mindestens 20 cm aufwiesen.
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Birkenwasser: Anbohren anfangsmit der Brustleier
Inzwischen ist Revierleiterin Barbara Kotschmar hinzugestoßen. Die 64-Jährige leitet das Revier seit 1985. Als gebürtige Colditzerin und in einer Försterfamilie aufgewachsen, kennt sie Fakten und Zahlen zur Geschichte der Birkensaftproduktion: Das Anbohren erfolgte bis Anfang der 1960-er Jahre mit Muskelkraft und Brustleier, später mit elektrischen Bohrmaschinen, für deren Betrieb Kabel von einem Notstromaggregat durch den Wald verlegt werden mussten.
Nach 1990 fiel die Entscheidung, die Birkensaftgewinnung, im Gegensatz zur ebenfalls rege betriebenen Kiefernharzung, fortzuführen. Bis wirtschaftliche Erwägungen 1999 letztlich doch das Aus für diese Nebennutzung erzwangen, standen den Forstleuten nun Bohrvorsätze für Motorsägen zur Verfügung. Unabhängig vom verwendeten Werkzeug galt es, ein erneutes Aufbohren der in den Vorjahren zum Saisonende mit einem Holzpfropfen verschlossenen Bohrlöcher zu vermeiden. Dies mindert ansonsten den Ertrag. Keine leichte Aufgabe in Anbetracht einer vieljährigen Nutzung der Birken für die Saftproduktion. Denn einerseits behindern die Wurzelausläufer an vielen Stellen ein standsicheres Aufstellen der handelsüblichen 5-Liter-Gurkengläser am Stammfuß. Andererseits durften die Röhrchen nicht zu hoch über den Auffanggefäßen platziert werden, da sonst die Gefahr bestand, dass Wind die austretenden Tropfen wegweht.
„Ein ständiges Ärgernis waren dabei die Einsteckhülsen“, erinnert sich Kotschmar. „Die anfangs verwendeten Holz- und Glasröhrchen zerbrachen schnell, Plastik war zu weich und Kiele von Putenfedern erwiesen sich als völlig unpraktikabel. Aber auch die dann bis zur Wende genutzten Aluminiumhülsen verbogen sich bei jedem nicht gerade geführten Hammerschlag.“
Birkenwasser: Erlös vielfach höher als von der Holznutzung
Trotz all dieser Probleme habe man es geschafft, in jedem Frühjahr um die 3.000 Birken im Revier mit bis zu drei Zapfstellen zu versehen. „Unsere Rekordernte erzielten wir 1983 mit insgesamt 142.600 Litern Birkenwasser. Dafür wurden 3.181 Bäume angezapft und 5.710 Gläser aufgestellt“, entnimmt die Revierförsterin alten Unterlagen.
Es habe immer fleißige und faule Zapfbirken gegeben, also solche, aus denen täglich bis zu 30 Liter tropften, sodass die Gläser mehrmals am Tag geleert werden mussten, und solche, an denen sich bis zum nächsten Morgen nur ein kleiner Schluck im Glas gesammelt hatte. Dies konnte von einem zum anderen Jahr durchaus wechseln. Die Gründe dafür blieben im Dunkeln.
Der Gewinn aus der Birkensaft-Produktion (zu DDR-Zeiten gab es etwa eine Mark pro Liter) überstieg den Erlös aus der Holznutzung um ein Vielfaches. „Der Verkauf der Birken als Wertholz war dennoch uneingeschränkt möglich“, betont Kotschmar. So manche gute Birke habe nach dem Gesundschnitt, wie das Abtrennen des unteren Stammabschnittes mit den zahlreichen verpfropften Bohrlöchern bezeichnet wurde, bei den Submissionen gutes Geld gebracht.
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Birkenwasser: Florena war Hauptabnehmer
Täglich entleerten Waldarbeiter während der drei- bis vierwöchigen Birkensaft-Kampagne in den frühen Morgenstunden die Auffanggläser in Milchkannen und gossen deren Inhalt dann in einen 10-Kubikmeter-Fasswagen, den ein Traktor entlang der Wege und Rückegassen zog. Zwischen den Leerungen durfte es nicht zu stark geregnet haben. In diesen Fällen galt der Birkensaft als verwässert und wurde weggeschüttet.
In dem mobilen Sammelfass befand sich bereits ein Ansatz aus 2 Liter Isopropanol (einwertiger Alkohol) und 180 Gramm P-Hydroxybenzonsäuremethylester (Konservierungsmittel) pro 100 Liter, was die Gärung des zuckerhaltigen Xylemwassers verhindert. Ohne den Zusatz von Ester und Alkohol hält sich Rohbirkensaft maximal 14 Tage bei kühler Lagerung.
Auf dem Maschinenhof des Forstamtes musste der Birkensaft vor dem Verkauf noch mittels Filtertechnik, wie sie in Keltereien zum Einsatz kommt, von Schwebstoffen gereinigt werden. „Das war wegen der ständig verstopften Filterscheiben eine zeitaufwendige und mühselige Arbeit, ebenso wie das gründliche Säubern aller verwendeten Utensilien zum Saisonschluss“, erinnert sich die Revierleiterin.
Abnehmer der 60-Liter-Weinballons mit aufbereitetem Birkensaft war in erster Linie die Kosmetikindustrie, allen voran die heute zur Beiersdorf AG gehörende Firma Florena im sächsischen Waldheim, die daraus das traditionelle Birken-Haarwasser herstellte.
Birken-Saft-Getränk: Mit und ohne Alkohol?
In den 1970er-Jahren versuchte sich eine Mosterei im nahe gelegenen Geithain an der Vermarktung eines alkoholfreien Birkensaftgetränkes, das trotz des Hinweises, dass die Limo nicht nur erfrischt, sondern auch schlank wie eine Birke macht, nur eine geringe Nachfrage fand.
Kein Verkaufsschlager war ebenso der von der Leipziger Likörfabrik Horn von 1997 bis 1999 produzierte Fruchtschnaps auf Basis von Xylemsaft. Dafür eignet sich vermutlich besser der trübe, invertzuckerhaltige Saft aus dem Bast der Birke (Phloemsaft), der sich, ähnlich der Kiefernharzung, in den Sommermonaten durch das Anritzen der Rinde gewinnen lässt. Diese zweite Variante der Birkensaftproduktion wird wegen der dadurch verursachten Schädigung der Bäume in Deutschland jedoch nicht praktiziert.
Birkensaft als regionales Naturprodukt
Mit dem Austrieb der Blätter und dem damit einhergehenden Wechsel vom Druck in den Gefäßen zum Kapillarsog schwindet die Ausbeute an Xylemwasser. Es wird durch einen zunehmenden Anteil schleimiger, pektinöser Substanzen trüber, wodurch sich der Reinigungsaufwand erhöht. Dies war der Grund dafür, trotz Bruchgefahr gläserne Auffanggefäße zu verwenden. So ließen sich Eintrübungen sowie hereingefallene Fremdkörper sofort erkennen und Entscheidungen über eine weitere Nutzung treffen.
Spätestens Anfang Mai entfernten die Forstleute die eingesteckten Röhrchen und verschlossen die Zapfkanäle mit einem Holzdübel. Durch Wundgummibildung überwuchsen die Bohrungen rasch und boten keine Eintrittspforte für pilzliche Erreger.
Mit Abschluss der Saison 1999 endete das letzte Kapitel der Birkensaftgewinnung im Colditzer Forst. „Dies war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sich die Wirtschaftlichkeit immer schwieriger darstellen ließ und die Firmen den Xylemsaft billiger als Konzentrat aus Osteuropa, Skandinavien oder China bezogen, sondern hat auch etwas mit dem deutschen Branntweinsteuergesetz zu tun. Wegen des hohen Alkoholgehalts der Substanzen zur Haltbarmachung des Birkensaftes hätten wir ständig Zollbeamte mit der Plombierzange im Haus gehabt. Das war uns dann doch zu aufwendig“, begründet Kotschmar die Entscheidung.
Naturprodukt Birkenwasser erlebt Renaissance
Seit einigen Jahren erlebt das klare, mineralhaltige und leicht süßlich schmeckende Naturprodukt Birkenwasser eine Renaissance, etwa als trendige Limonade mit nahezu null Kalorien oder für äußere und innere Heilanwendungen in der Alternativmedizin. Birkensaft ist mit und ohne Aromazusätze ab ca. drei Euro pro Liter im Handel erhältlich, auch in Bioqualität und es gehört mittlerweile zum Sortiment einiger Discounter.
Zusammen mit dem Verbraucherwunsch nach regionalen Produkten könnte das die heimische Birkensaftgewinnung wieder wirtschaftlich attraktiv machen und – mit Blick auf die angestrebte Artenvielfalt in unseren Wäldern – den Anbau der als Forstunkraut verrufenen Baumart Birke befördern.
Die Teilnehmer des Lehrgangs zur Birkensaftgewinnung, die gemäß altem Colditzer Brauch nach dem Anzapfen mit Birkenwasser anstießen, wissen nun, wie es geht.
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