Caromatisches: Ökogemüse und -obst aus dem Havelland
Sie mag alte Sorten wie „Ochsenherz“ oder „Bunte Forelle“, ohne Althergebrachtes einfach hinzunehmen. Mit Carolin Harras sprachen wir über die Mühen und Freuden beim Anbau von Ökogemüse sowie die unbändige Lust auf Nachhaltigkeit.
Von Wolfgang Herklotz
Was macht eine erfolgreiche Jungunternehmerin aus? Ist es vor allem ihr Gespür, zur rechten Zeit das Richtige zu tun, damit es schon bald in der Kasse klingelt?
Carolin Harras, die Hände tief in den Taschen der weiten Latzhose vergraben, muss eine Weile nachdenken. Es ist schon wichtig, dass sich harte Arbeit irgendwann auszahlt, meint sie. „Aber Erfolg nur an Zahlen und Umsätzen zu messen, ist zu kurz gegriffen. Für mich zählt, eine Idee zu haben. An die muss man fest glauben und darf sich davon nicht abhalten lassen.“ Auch wenn es Rückschläge gibt, die wohl unvermeidlich sind, wenn eine junge Frau Ende Zwanzig wie Carolin vor zwei Jahren den Schritt in die Selbstständigkeit wagt.
„Caromatisch“: Ohne Kredit zum eigenen Betrieb
Ihr Ziel ist überaus ehrgeizig: Aus eigener Kraft will sie einen kleinen Betrieb aufbauen, um Verbraucher aus dem Umland mit Ökogemüse und -obst zu versorgen. Doch dafür einen Kredit aufzunehmen und sich zu verschulden, kommt nicht infrage. Lieber setzt sie ihre Ersparnisse ein.
Das Eigenkapital reicht, um Saatgut zu kaufen, zwei Folientunnel aufzubauen und Pacht zu zahlen. Der lehmige Acker wird mühsam von Hand bearbeitet. Das geht ordentlich über den Rücken, schont aber den Boden.
Die Eltern finden anfangs das Projekt äußerst bedenklich, raten ab. Doch Carolin lässt sich nicht davon abbringen. Sie trotzt den Schädlingen und der Trockenheit, die ihr im ersten Sommer zu schaffen machen, bringt die erste Ernte ein.
„CAROMATISCH“: Namenskürzel und Anspruch in einem
Wir treffen Caro, wie ihre Freunde sie nennen, an diesem sonnigen Maitag auf dem knapp einen Hektar großen Areal am Rande von Paretz. Hier, wenige Kilometer vor den Toren Potsdams, hat ihr Betrieb seinen Sitz. Dessen Name „Caromatisch – ökologischer Gemüsebau“ steht für ein Programm: Das Kürzel des Vornamens verbindet sich mit dem Anspruch, wohlschmeckendes Gemüse und Obst feldfrisch anzubieten.
Unter Folie reifen auf mehr als 400 Quadratmeter Tomaten unterschiedlichster Sorten, ebenso Gurken, Melonen, Auberginen, Paprika, Chilis, Kohl, Salate, Lauch und Radieschen, aber auch Artischocken, Ingwer, Kurkuma oder Physalis.
Weitere Kulturen, darunter Kartoffeln, Zwiebeln, Erdbeeren und Rhabarber, gedeihen auf dem Freiland, umgeben von Streuobstbäumen.
Zwischen den Parzellen finden sich zahlreiche Blühstreifen, um Lebensräume für Insekten zu schaffen. „Mir ist es sehr wichtig, gesunde Lebensmittel zu produzieren und gleichzeitig auch für Artenschutz zu sorgen“, versichert Caro. „Nachhaltigkeit kann nur dann funktionieren, wenn sich Mensch und Umwelt im Einklang befinden.“
pflanzenaufgüsse statt pflanzenschutzmittel
Da Pflanzenschutzmittel und mineralischer Dünger für einen Ökobetrieb tabu sind, kommen Brennnesseljauche sowie weitere selbstangesetzte Pflanzenaufgüsse gegen tierische Schädlinge zum Einsatz.
Gedüngt wird mit Pferdemist und geringen Mengen Urgesteinsmehl. Kompost sowie Mulch tragen dazu bei, den Boden vor Austrocknung zu schützen, die Lebewesen darin zu aktivieren und Humus zu mehren. Am Anfang habe sie sich eine Fuhre Kompost anliefern lassen, berichtet Caro. „Inzwischen bereite ich den selber und gewinne auch jede Menge Mulch, wenn ich die Wiese mähe.“
„CAROMATISCH“: „F1 kommt mir nicht ins Beet!“
Das Saatgut bezieht die Gärtnerin von ausgewählten Anbietern wie dem in der Uckermark ansässigen Verein zur Erhaltung und Rekultivierung von Nutzpflanzen (Vern). Diesem geht es darum, alte und seltene Kulturpflanzen zu erhalten.
Caro zeigt auf die bunt gesprenkelten Salatköpfe der Sorte „Bunte Forelle“, die von besagtem Verein angeboten wird. „Ich mag solche alten Sorten, weil sie so robust sind und sich auch äußerlich von vielen hochgezüchteten Sorten unterscheiden.“ Völlig inakzeptabel sind für sie die sogenannten Hybridzuchten, um die Vorzüge bestimmter Sorten noch zu steigern. „F1 kommt mir nicht ins Beet“, betont die Paretzerin mit aller Bestimmtheit.
Mit Tomaten fing alles an
Ihr Faible für Pflanzen unterschiedlichster Spezies ist offensichtlich, aber wo kommt es her? Schon als Jugendliche habe sie sich für Tomaten interessiert, berichtet Caro. „Die wuchsen bei uns in Falkensee im Vorgarten. Ich habe sie nicht nur gern gegessen, sondern mich mit meiner Mama auch um die Pflege gekümmert. Ich fand es spannend zu beobachten, wie sich aus den Pflänzchen solch wohlschmeckende Früchte entwickeln.“
Da mittlerweile viele Tomaten im Selbstversorger-Garten heranreiften, wurden die Überschüsse zum Verkauf angeboten. Als Geschäftsmodell kam das aber derzeit nicht infrage.
Caro begann nach dem Abitur an der Berliner Humboldt-Uni zu studieren, erwarb den Bachelor im Bereich Erziehungswissenschaft und Philosophie. „Aber ich habe schnell gemerkt: Das ist es nicht, was ich wirklich will!“
Kurzentschlossen tauscht sie den Hörsaal gegen einen Ausbildungsplatz als Gärtnerin, Fachrichtung Gemüsebau, auf dem Florahof in Potsdam, arbeitet dann als Gartenbauassistentin in der Biokräuterei Oberhavel. Sie sammelt viele Erfahrungen, von denen sie heute noch profitieren kann. „Ich habe gelernt, die Abläufe im Betrieb besser zu verstehen und was es heißt, die Ernte effektiv für den Verkauf aufzubereiten.“
Dabei entwickelt sie eigene Vorstellungen, die aber schnell mit dem Althergebrachten kollidieren. Das weckt den Wunsch, sich auf eigene Füße zu stellen und eigene Ideen zu entwickeln. Caro konsultiert eine in Potsdam ansässige Existenzgründerwerkstatt, lässt sich beraten, knüpft Kontakte.
Camper-Dasein auf dem Hofgelände
Eher zufällig gerät sie an eine Unternehmerin aus Paretz, die langfristig Flächen verpachten möchte. Die Konditionen dafür sind günstig, die beiden Frauen werden sich schnell einig, im Frühjahr/Sommer 2019 meldet Carolin Harras die Neugründung ihres Betriebes gemäß den Öko-Richtlinien der EU an. Eine ebenso aufregende wie arbeitsintensive Zeit begann, die bis heute anhält.
Schmunzelnd erinnert sich Caro an ihr Camper-Dasein in den ersten Monaten. „Ich habe bis spät am Abend gearbeitet, konnte mich einfach nicht losreißen und habe deshalb gleich nebenan ein Zelt aufgestellt.“ Inzwischen bewohnt sie eine kleine Mietwohnung in der Nachbarschaft. Das ist wesentlich komfortabler, doch an einen Feierabend vor 20 oder 21 Uhr im Frühjahr und im Sommer ist weiter nicht zu denken. Kein Problem für die junge Frau: „Ich genieße es, selbst entscheiden zu können, wie lange ich arbeite. Dafür gönne ich mir dann auch schon mal eine längere Mittagspause in der Sommerhitze.“
(c) Sabine Rübensaat
Abokisten mit klassikern und exoten
Mittlerweile wachsen rund 60 verschiedene Gemüse- und Obstkulturen unter dem Label „Caromatisch“, die Sortenzahl liegt bei 400. „Ich mag einfach die Vielfalt an Farbe, Form und Geschmack.“ Dazu gehören solche Exoten wie weiße Radieschen und Möhren sowie blaue Kartoffeln. Favorit sind natürlich die Tomaten, darunter solche Klassiker wie das „Ochsenherz“, eine rosa-rot gefärbte, herzförmige Fleischtomate. Ursprünglich standen allein 200 verschiedene Tomatensorten auf dem Anbauplan, der praktischerweise jedoch um mehr als zwei Drittel reduziert wurde.
Caro reagiert damit auch auf Verbraucherwünsche. Sie bietet Abokisten an, die wöchentlich von Juni bis Oktober nach Paretz und Potsdam geliefert werden, das Stück für 20 Euro. Darüber hinaus versorgt die Jungunternehmerin einen speziellen Laden in Potsdam mit ihrer frischen Ware, der für maßvolles Einkaufen ohne Verpackung wirbt, zudem einen Feinkosthändler und gelernten Koch, der ihre Tomaten zu delikaten Chutneys verarbeitet.
Mit Existenzgründerpreis und Wirtschaftsförderpreis ausgezeichnet
Die Nachfrage ist groß, allein die Zahl der Abokisten von derzeit 50 könnte gut und gern verdoppelt werden. Doch das hieße, den Anbau zu erweitern und Mitarbeiter einzustellen, was für Caro nicht infrage kommt. „Ich will das alles weiterhin weitgehend allein stemmen!“ Was aber Änderungen nicht ausschließt, um die Arbeit zu erleichtern.
So wurde jetzt ein beheizbarer Anzuchttisch für Jungpflanzen installiert, um sie vor Nachtfrösten zu schützen. Zumindest schon gedanklich ist der Einsatz von Solarzellen in Planung, um eine eigene Stromversorgung zu sichern.
Dass „Caromatisch“ inzwischen mit dem Existenzgründerpreis und obendrein mit dem Wirtschaftsförderpreis des Landkreises Havelland geehrt wurde, sieht die 29-Jährige als Anerkennung, weniger als Aufforderung noch zuzulegen. „Ich tue einfach weiter das, wovon ich überzeugt bin!“