Pandemie legt dörfliches Leben lahm

Corona auf dem Dorf: Bürgernähe mit Abstand

Bürgermeister Hubert Dierkes im Bürgergespräch vor dem Gemeindehaus. (c) Birgitt Hamm
Reportage
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Kein Tanz im Festzelt, kein gemeinsamer Sport und keine Treffen der Gemeindevertretung – die Corona-Pandemie legt das dörfliche Leben überall nahezu lahm. Kann sich da ein ehrenamtlicher Bürgermeister nicht getrost zurücklehnen? Wir haben uns in der Gemeinde Gneven- Vorbeck in Mecklenburg-Vorpommern umgeschaut und den Bürgermeister durchs Dorf begleitet.

Von Birgitt Hamm

Die Gemeinde Gneven-Vorbeck im Landkreis Ludwigslust-Parchim, 12 Kilometer östlich von Schwerin, besteht aus zwei kleinen Dörfern rechts und links der Warnow, die alles haben, was zu einer richtigen Idylle gehört: Wälder und Wiesen, Hügel und Seen, eine hübsche kleine Kirche, schmucke Herrenhäuser – und eine 775-jährige Geschichte, die die 380 Einwohner in diesem Jahr ausgiebig feiern wollten. Doch noch bestimmt die Corona-Pandemie das öffentliche Leben in Gneven. An Tanz im Festzelt und andere Jubiläumsveranstaltungen oder die beliebte Wald- und Wiesenolympiade ist nicht zu denken. Die Aktivitäten im Reitstall und auf dem Golfplatz sind eingestellt, das Gemeindehaus ist geschlossen für die Bürgerinnen und Bürger, die sich hier jede Woche treffen, um zu spielen, Handarbeiten zu machen, zu klönen, sich mit Sport und Yoga fit zu halten oder Familienfeste zu feiern.

Ortsschild Gneven
(c) Birgitt Hamm

Nicht einmal die Gemeindevertretung kann sich treffen, um die Geschicke des Dorfes zu lenken. Eine gute Zeit für den ehrenamtlichen Bürgermeister, die Hände in den Schoß zu legen – könnte man meinen. Doch Hubert Dierkes, der diese Funktion in der Gemeinde Gneven seit 2014 in der zweiten Amtszeit innehat, empfindet das keineswegs. Im Gegenteil, das Dorfleben trotz der Schutzmaßnahmen zu managen, erfordert sogar Mehrarbeit. „Ich bin jeden Tag im Gemeindebüro, denn der Berg von Verwaltungsarbeit bleibt – mit dem üblichen amtlichen Schriftverkehr, Telefonkonferenzen, der Begleichung von Rechnungen. Auch die Pflegearbeiten der über 300 gemeindeeigenen Bäume und der Streuobstwiese wollen ebenso organisiert sein wie die Erweiterung des Blühstreifens, die Ausschreibungen zum Spielplatz und der barrierefreie Umbau des Gemeindehauses und der Bushaltestelle. Um Letztere in Gang zu setzen, musste der Bürgermeister sogar ohne die gewählten Vertreter Eilentscheidungen treffen.

Aktion Dorfputz

Sozusagen Kür ist dabei eine Corona-kompetente Jubiläumsfeier. Geplant sind jedoch lediglich Veranstaltungen in der Natur wie die beliebte Seen-Wanderung, die im vergangenen Jahr aufgrund von Corona ausfallen musste, und Pflanzaktionen, über die die Gemeindevertretung noch entscheiden muss. „Nachdem der Dorfputz zweimal ausfallen musste, würde ich gern im Frühjahr wieder dazu einladen. Wenn wir jeder Familie eine Fläche zuordnen, dann klappt das schon mit dem Abstand.“ Auch ohne den anschließenden kleinen Imbiss kann sich Hubert Dierkes auf seine Gnevener während der Corona-Pandemie verlassen. „20 bis 30 Leutekommen immer mit Harken, Schaufeln, Heckenscheren, Schubkarren und packen mit an.“ Richtig gefeiert werden soll dann in zwei Jahren. 777 Jahre sind doch durchaus auch ein Anlass.

Gneven ist auch Bienen-Blüten-Reich und damit Teil des deutschlandweiten Netzwerkes Blühende Landschaften. Die Bienenweide, vor drei Jahren mitten im Dorf angelegt, wird erneuert und erweitert. „Bevor wir sie im Sommer mähen, lade ich alle ein, sich einen Sommerblumenstrauß zu pflücken.“ Ein Vorschlag, der typisch ist für den studierten Bauingenieur und begeisterten Hobbygärtner. Alles, was er plant, soll Gutes für die Bürger bringen.

Als er 2014 als einziger Kandidat der Gnevener Wählergemeinschaft aufgestellt wurde, war ihm die Bürgernähe sehr wichtig. „Ich wollte von Anfang für alle immer ansprechbar sein“, sagt er. „Extra-Sprechstunden brauchen wir nicht, ich wohne ja mitten im Dorf. Da sieht man sich und kommt ins Gespräch.“ Zudem organisierte er Ausflüge per pedes. Die erste Tour, bei der 30 begeisterte Wanderer mitkamen, führte rund um sechs der sieben Seen des Dorfes. Seitdem freuen sich viele Gnevener und Vorbecker, wenn ihr Bürgermeister sie zweimal im Jahr einlädt, zu Fuß die idyllische Umgebung zu entdecken. Und trotz Corona-Pandemie gibt es immer die Gelegenheit, ihn in Gneves auf der Straße oder über den Gartenzaun anzusprechen und Fragen loszuwerden: Wie geht es zum Beispiel weiter mit der Entsorgung des Grünschnitts? Wann sind wieder Seniorentreffen im Gemeindehaus möglich? Wie kommt man ohne eigenes Auto in das Impfzentrum nach Parchim?

Dass der Bürgermeister vor zwei Jahren mit großer Mehrheit wiedergewählt wurde, ist folgerichtig. Er hat ein offenes Ohr für jede Bürgerin, jeden Bürger, unterstützt die Senioren ebenso wie die Feuerwehr oder den Verein Dorfleben, die Interessengemeinschaften Froschzaun und Gemeindetreff. Sie alle schätzen seine sehr zupackende Art, Probleme zu lösen. „Das Bürgermeisteramt folgte direkt auf mein Ausscheiden aus unserem Ingenieurbüro“, erzählt der 70-Jährige. „Mein Prinzip, die Dinge gleich zu erledigen, habe ich nahtlos übernommen. Da warte ich nicht aufs Amt.“ Was aber auch bedeutet, dass er gut mit dem Amt zusammenarbeiten muss. „Im Berufsleben haben wir überwiegend öffentliche Aufträge abgearbeitet“, so der Bauingenieur, „da habe ich die notwendige Geduld und Hartnäckigkeit gelernt.“

Gneven: Sorgenkind Radweg

Beides wird beim wichtigsten Projekt der Gemeinde Gneven auf eine harte Probe gestellt: Die Straße zum Ortsteil Vorbeck schlängelt sich rund 1,5 km lang nicht nur idyllisch durch die leicht hügelige Landschaft, sie ist schmal und löchrig, für Fußgänger und Radfahrer gefährlich. „Schon bis 2009 sollte dort in eigener Planung ein Radweg entstehen“, erzählt Hubert Dierkes. Den gibt es noch immer nicht, denn für die Kreisstraße ist der Landkreis zuständig, der der Gemeinde alles aus der Hand nahm. Seit Jahren wird dort nun eine sechs Meter breite Fahrbahn plus Radweg geplant. Was aber nicht heißt, dass der Bürgermeister die Füße hochlegen darf. „Ich bin bei den wichtigsten Beratungen dabei, muss ja die Belange der Anwohner vertreten.“ Und seit die Vorbereitungen in die heiße Phase eingetreten sind, bespricht man sich mehrmals in der Woche. Wenn alles gut geht und der Kreistag im Juli zustimmt, damit die Aufträge vergeben werden können, wird es 2021 nun wirklich losgehen, hofft der Bürgermeister und verspricht: „Wenn in zwei Jahren ein Teil des Radweges fertig ist, werden wir richtig feiern. Die erste Etappe beim Straßenbau und den 777. Geburtstag von Gneven-Vorbeck.“