Die Sorten-Prüfer
Sie haben einen spannenden Job. Davon konnten wir uns bei einem Besuch in der Prüfstelle des Bundessortenamtes im sächsischen Wurzen überzeugen. Dort werden unzählige neue Obstzüchtungen auf Herz und Nieren geprüft – naschen darf man auch.
Von Achim Werner (GartenFlora) und Bärbel Arlt
Es ist Erntezeit – auch im Bundessortenamt in Wurzen unweit der sächsischen Metropole Leipzig. Immerhin wollen Äpfel und Birnen von den Bäumen, Herbsthimbeeren und Brombeeren von den Sträuchern. Das erledigt das Team der Prüfstelle gemeinsam mit gärtnerischen Helfern, von denen viele einst auch im Bundessortenamt ihre Ausbildung absolvierten. Bei den 600 Sorten Äpfel zum Beispiel rechnet Stefan Eschke, der Technische Leiter der Prüfstelle, mit rund zwölf Tonnen Ertrag. „Das ist ein sehr gutes Ergebnis. Auch mit Fruchtqualität, Ausfärbung und Geschmack sind wir sehr zufrieden.“ Interessant ist für den Sortenprüfer, dass die älteren der rund 2.500 Apfelbäume in diesem Jahr einen geringeren Behang haben als die jüngeren. „Wahrscheinlich haben sich die alten Bäume in den trockenen Vorjahren zu sehr verausgabt und die jungen punkten mit ihrer jugendlichen Frische“, sagt er etwas scherzhaft. Ein Teil des geernteten Obstes dient der Merkmalserfassung, der Rest geht an Schulen, Kitas, Seniorenheime und Tierparks in der Region. Fallobst kommt zum Saftpressen.
Doch die Obsternte ist nicht die eigentliche Arbeit des hochkarätigen Expertenteams. Es hat die Aufgabe, Tausende von Obstgehölzen in Hunderten von Sorten – altbewährten und brandneu gezüchteten –, die hier wachsen, zu prüfen. Prüfstellenleiter Dr. Erik Schulte führt uns auf die Freilandflächen, wo gut 2.000 Sorten von rund einem Dutzend Obstarten teils über Jahre, manche gar über Jahrzehnte kultiviert werden.
An scheinbar endlosen Himbeerreihen treffen wir Brigitte Schramm. Mit Stift und Block aus-gerüstet, geht die Gartenbauingenieurin an den Spalieren entlang und notiert, was ihr die Beerenobstgehölze in die Feder diktieren. Festgehalten werden Eigenschaften wie Fruchtform, Fruchtfarbe und Reifezeitraum. Zu anderen Jahreszeiten können es Blütezeit oder Wuchshöhe, Rutenanzahl oder Bestachelung sein. Handelt es sich um eine Neuzüchtung, muss diese Prozedur mindestens drei Jahre lang erfolgen, damit sie als Sorte registriert wird. Hat der Züchter darüber hinaus den sogenannten Sortenschutz beantragt, darf er seine Züchtung allein unter dem Begriff „Geschützte Sorte“ vermarkten – eine Art Patent.
Die Ergebnisse dieser objektiven Prüfungen werden veröffentlicht. Eine wertvolle, zudem kostenlose Entscheidunghilfe für Obstanbauer, Baumschuler, Händler und auch Hobbygärtner, um die besten Sorten für Plantage und Gartencenter bzw. Hausgarten zu finden.
Die farbigen Sorten sind im Trend
Aber was ist überhaupt eine Sorte? „Sie muss unterscheidbar, homogen und beständig sein“, erfahre ich von Stefan Eschke, dem Technischen Leiter. „Unterscheidbar heißt, dass es keine andere Züchtung mit exakt den gleichen Merkmalen geben darf. Sonst wären es ja keine eigenen Sorten“, ergänzt er. Dann könnte sie nicht als neue Sorte registriert werden und keinen Sortenschutz erhalten. Das leuchtet ein. „Homogen bedeutet“, ergänzt Sortenprüferin Brigitte Schramm, „dass alle Individuen einer Sorte gleich sein müssen, und beständig, dass sich ihre Eigenschaften nicht verändern dürfen.“
Bei vegetativ vermehrten Gehölzen wie Obstgehölzen liegt das auf der Hand. Schließlich sind sie genetisch identische Kopien ursprünglich einer einzigen Mutterpflanze. Meine Annahme ist nicht verkehrt, doch kann es gelegentlich zu spontanen, zufälligen Mutationen kommen, erfahre ich. Daraus gingen und gehen attraktive Farbvarianten hervor, etwa der Apfel ’Roter Boskoop‘ aus der unauffällig grau berosteten Traditionssorte ’Boskoop‘. Gartenmeister Andreas Zschammer, der inzwischen im Ruhestand ist, erklärt: „Das ist ein ganz allgemeiner Trend im Obsthandel und im Garten. Farbige Sorten sind bei sonst identischen Sortenmerkmalen mehr gefragt denn je. Beispielsweise ist die Birne ’Rote Williams Christ‘ eine Farbvariante der ’Williams Christ‘.“
Ein Kraftmessgerät bestimmt ganz genau, wie fest das Fruchtfleisch beispielsweise eines Apfels ist. Alte Obstsorten sind nicht vergessen. Im Gegenteil, sie werden wieder neu gepflanzt, und sie sind wichtiges Vergleichsmaterial, wenn neue Sortenanwärter geprüft werden. Viele altbewährte Züchtungen eignen sich auch heute noch für den Hausgarten.
Nicht nur das Aroma bestimmt die Auswahl
Als Trendbarometer taugt so ein Sortenamt also auch. Selbst in Bezug auf Klimatrends und deren Folgen: Nur dort, wo Obstsorten über Jahrzehnte stehen wie in Wurzen, können verlässliche Daten erhoben werden. So blühen Obstgehölze heute um Wochen früher als noch vor 30 Jahren und sind deshalb empfindlicher gegenüber Blütenfrösten. Um diesen vorzubeugen, sollte die Bodenoberfläche unter den Kronen vor kalten Nächten aufgebrochen und Mulchschichten entfernt werden. So strahlt das Erdreich Wärme nach oben ab. Das kann zumindest einen Teil der Blüte retten.
Keine Geheimniskrämerei
Die Sorteninfos, die das Bundessortenamt erarbeitet, stehen hier kostenlos zur Verfügung. Sie sind dort als „Beschreibende Sortenlisten“ in kompakter Form und mit jeweils einem Sortenfoto zusammengefasst. Viele der Listen gibt es auch als gedruckte Broschüren. Andere Prüfstellen, verteilt im gesamten Bundesgebiet, prüfen u. a. Gemüse, Zierpflanzen, Kartoffeln, Stauden.
So viel zur Praxis. Jetzt probieren wir die eine oder andere Beere, bekommen unterschiedliche Äpfel angeboten – und stellen beträchtliche Unterschiede im Geschmack fest. Mit die wichtigste Eigenschaft, die hier selbstverständlich ebenfalls geprüft, mit denen anderer Früchte verglichen und bewertet wird. „Das Aroma spielt beim Hobbygärtner sicher die größte Rolle bei der Sortenwahl. Das kann aber leicht zu Fehlentscheidungen führen. Er sollte auch Resistenzen und Toleranzen gegenüber wichtigen Pilzkrankheiten im Blick haben“, rät Stefan Eschke. Stimmt, ich beispielsweise hole mir keine Sorte mehr in den Garten, ohne zuvor geprüft zu haben, ob sie mit wenig oder sogar ohne Pflanzenschutzmitteleinsatz gedeihen kann. Deshalb rät Experte Eschke von beliebten Sorten wie ’Gloster‘, ’Granny Smith‘, ’Golden Delicious‘ oder ’Jonagold‘ dringend ab und empfiehlt, auf schorf- und mehltauresistente Apfelsorten auszuweichen, etwa Pi-Sorten wie ’Pilot‘ oder Re-Sorten wie ’Rebella‘ sowie den leuchtend roten ’Topaz‘ oder den wenig allergenen Apfel ’Santana‘.
Bei Birnen achte man auf feuerbrandfeste Sorten wie ’Harrow Delight‘. „Und viele ältere Stachelbeersorten wie die einst beliebte ’Hönings Früheste‘“, weiß Sortenprüferin Brigitte Schramm, „sind wegen ihrer starken Anfälligkeit gegenüber Amerikanischem Stachelbeermehltau heute nicht mehr gartenwürdig“.
Das bedeutet jedoch nicht, dass alle alten Obstsorten aus unseren Gärten verbannt werden sollten. Im Gegenteil. Viele von ihnen sind in Gärten entstanden und machen sich noch heute gut auf der privaten Scholle. Sie zu bewahren, ist eine von Brigitte Schramms Aufgaben. Hier in Wurzen stehen ganze Sortimente erhaltungswürdiger Birnen-, Brombeer- und Himbeersorten. Die Wildobstsammlung zum Beispiel mit Goji oder Sanddorn befindet sich im Aufbau. Ganz praktische Traditionspflege. Aber nicht nur das: Auch weniger attraktive alte Sorten können wertvolle Eigenschaften vererben, die nicht verloren gehen dürfen. So viel Information am Rande der Apfelernte – ein Glück, dass das Bundessortenamt sie gern teilt.