Rixmanns Hof: Gemüseanbau in Linum
Das sind in unserem Fall 307 Gemüsesorten und der Spaß am Experimentieren mit hierzulande noch Unbekanntem. Ein Besuch auf Rixmanns Hof im Storchendorf Linum vor den Toren der Hauptstadt.
Von Jutta Heise
Fotos von Sabine Rübensaat
Jegliches hat seine Zeit. Während in unsere Haus- und Hofgärten schon der Jahresend-Blues einzieht, ein einsamer Apfel tapfer in blattleeren Zweigen schaukelt, die letzte Rose des Sommers furchtzitternd dem ersten Nachtfrost entgegensieht, geht es bei den Profis, jedenfalls wenn sie saisongerecht arbeiten, noch mal hoch her: Es ist Wintergemüse-Zeit. Wobei: Tomaten, drall-rotes Sinnbild für den Sommer, am ersten, ja am zweiten Advent noch, nachgereift, aus dem Folientunnel? So etwas haben Sabine Schwalm und Georg Rixmann nicht oft erlebt. Dieses Jahr hat seine Eigenheiten …
Sabine Schwalm, studierte Germanistin und Theaterwissenschaftlerin, ins Gartenfach (mit Ausbildung und Abschluss) umgesattelt, sowie Georg Rixmann, aus einer Familie in Niedersachsen stammend, die ihre Bauerntradition bis ins 13. Jahrhundert belegen kann, sind – Rixmanns Hof, seit 1996 in Linum ansässig, knappe 60 Kilometer von Berlin entfernt. Sie bewirtschaften etwas mehr als 15 Hektar und nach dem Einstieg mit einer Erdbeer-Selbstpflücke auf 5 Hektar bauen sie nun auf etwa der gleichen Fläche Gemüse an. Dieses Jahr waren es sage und schreibe 307 Sorten, davon allein 38 von Tomaten. Besondere Kennzeichen: alte bis uralte Sorten in großer Vielfalt und: Mut zu Sonderkulturen, Exotischem, ja, Extravagantem, was den (mutigen) Käufer neugierig (und danach abhängig) machen soll.
Wer bei Rixmanns Hof vorfährt, kriegt auch Klassisches, aber eben nicht „von der Stange“. Alles in hoher (deshalb höherpreisiger) Qualität, die auch Berliner Gastronomen und die Kunden der Markthalle Neun, eine Hausnummer für regionale Produkte in der Hauptstadt, schätzen, die zu den Abnehmern zählen. Die beiden Gemüsebauern sind jedoch vorwiegend Direktvermarkter. Ihren Hofladen haben sie derzeit nach draußen, in den Innenhof des Anwesens verlagert – eine Vorsichtsmaßnahme zwar, seit Corona uns mehr oder weniger im Griff hat. Doch diese Variante unter freiem Himmel gefällt; sie schafft eine marktähnliche Atmosphäre.
Unter freien Himmel verlegt wurde der Hofl aden in Corona-Zeiten bei fast vollem Sortiment. Der Hokkaido führt hierzulande unangefochten die Top-Ten-Liste der beliebtesten Kürbssorten an.
Wer eintritt (mit Maske), fühlt sich Produkten wie dem Anbau näher, hat vielleicht sogar mehr Fragen als im Laden. Und das ist gewünscht. Aufgetischt sind Schwarz- und Grünkohl, bunter Mangold, der es wieder in die Gunst des Verbrauchers und damit der Erzeuger geschafft hat, Knoblauch, Topinambur, verschiedene Bete, alles hofeigen produziert, anderes, etwa Kartoffeln, ist von Kollegen zugekauft. Liebhabern der Möhre haben es die im Spätsommer geernteten und eingelagerten Sorten dieser anbaustärksten Kultur in Deutschland angetan. „Ochsenherz“, mittelspät, 1884 in Frankreich als Sorte eingetragen, punktet, nehmt unsereinen als Zeuge, mit unvergleichlich reichem, süßlichem Geschmack. Schon optisch fällt die breite, kurze, spitz zulaufende Rübe aus dem ansonsten uniformen Rahmen. Dank solcher Qualitäten ist „Ochsenherz“ bereits seit der zweiten Novemberhälfte ausverkauft.
Bete ‚Albina veredura‘ Bete ‚Chioggia‘ Kleine Bete, Mix Bete „Boro“ Möhren „Pariser Markt“
Konkurrent Schwarzkohl
Wir arbeiten uns zum Schwarzkohl vor, dem Stammvater nachfolgender Kohlsorten, auch Urkohl oder Palmkohl genannt. Kenner schätzen ihn wegen seines sehr milden Aromas. Er ist laut Georg Rixmann trendy geworden, hat einen festen Platz in der Kundenschar erstritten und macht dem Grünkohl ernsthafte Konkurrenz. (Warum der insbesondere in Norddeutschland wie eine Diva gefeiert wird, bleibt ohnehin nebulös.) Beide Kohlsorten werden derzeit auf Bestellung frisch geerntet.
Ein bisschen vermisst man den Feldsalat oder die Schwarzwurzel, landläufig als Wintergemüse etikettiert. Ach, sagt Georg Rixmann, es gebe noch so viel, was regelrecht darauf warte, wenigstens probeweise in die Erde gesetzt zu werden. Historische Kartoffelsorten beispielsweise anzubauen, würde ihn höllisch reizen. Aber bei mehr als 300 verschiedenen Gemüsesorten dieses Jahr sei die absolute Schmerzgrenze erreicht, sind die Kapazitäten in einer ohnehin arbeits- und ressourcenaufwendigen Branche komplett erschöpft. Abgesehen von zwei rumänischen Erntehelferinnen, unter den außergewöhnlichen Umständen dieser Zeit für den Sommer nach Linum geholt (Genehmigungen erstreiten, Flugtickets kaufen etc.), wuppt das Paar, da die festangestellte Mitarbeiterin krankheitsbedingt seit einigen Monaten ausfällt, übers Jahr das meiste allein, von der Direktsaat, der Aufzucht der Jungpflanzen, Hege und Pflege bis zu Ernte und Vermarktung. Respekt!
Unversehens (war doch Absicht!) sind wir im Kerngeschäft gelandet. Für seine Kürbisse ist Rixmanns Hof berühmt. Ohnehin hat die facettenreiche Kultur in den letzten Jahren überall einen absoluten Höhenflug hingelegt. Für Sabine Schwalm und Georg Rixmann hatten erste Versuche ein bisschen „Spielerei-Charakter“, erzählen sie.
Inzwischen haben sie die Anbaufläche von anfangs einem halben Hektar im Jahr 2000 stetig ausgedehnt. Der dicke, fette Speisekürbis, der fast wie von selbst auf dem Kompost in Omas Garten gedieh und den man dann, süßsauer eingelegt, mit ebensolcher Miene „genoss“, dient schon längst nicht mehr als Synonym für die Kultur. 120 Sorten standen dieses Jahr auf Rixmanns Hof im Feld. 2019 waren es sogar noch mehr. Vor dem Anbau steht eine penible Sortenrecherche. Der Samen wird teils aus den USA importiert. Weltweit, schätzt das Paar, gibt es ca. 2.000 Sorten, und es werde immer weiter gezüchtet. Der Hokkaido führt nach wie vor die Top-Ten-Liste hierzulande an. Auf der japanischen Insel, nach der er benannt ist, kennt ihn allerdings niemand, schmunzelt Rixmann. Er führt uns wie ein wandelndes Kürbis-Lexikon durch seine Galerie mit Exemplaren der interessantesten Sorten, erläutert Herkunft, Geschmack, Inhaltsstoffe, Verwendungsmöglichkeiten. Rondini (beliebt in Südafrika), Hidemi, Butternut, Acorn, Linumer Maronenkürbis, Muskat- und Moschuskürbis – unzählige Formen und Farben, von Weiß über das beliebte Orange bis Grau- oder Dunkelgrün, sind vertreten.
Sabine Schwalm, die sich auch perfekt auf Konfitüren, Liköre, Chutneys versteht, die im Hofladen angeboten werden, liefert die Rezepte für die Zubereitung dazu, eine Einstiegshilfe in unbekanntes Terrain.
Experimentierfreudig
Lust am Experimentieren, am Austesten von Neuem, das man eigentlich in Asien oder Amerika, nicht aber in Brandenburg verorten würde, ist für Sabine Schwalm und Georg Rixmann wohl so ein bisschen das Sahnehäubchen am Beruf. 2018 haben sie erstmalig Kardone, auch Cardy genannt, angebaut. Das leicht bitter schmeckende, a rtischockenähnliche Gemüse stammt aus der Toskana. So hat der Name im Italienischen seine Wurzeln und bezieht sich nicht auf einen Mafia-Boss, sondern auf die Bestachelung der Pflanze. Gegessen werden die gebleichten Blattstiele, bisweilen auch die graugrünen Blätter. Rixmann ist nach wie vor weit und breit der einzige Anbauer. Violetter Rosenkohl, roter Spitzkohl, die Yambohne aus Mexiko oder die stachlige Inka-Gurke standen auch mal im Feld. Nicht alles klappt, gesteht Rixmann, manches schaffe es nicht in die Gunst der Kunden oder habe Haken beim Anbau. In puncto Meerkohl etwa ist es bei ersten Versuchen geblieben. Jeder Bekannte oder Verwandte, der ins Ausland reist, wird nach wie vor „verdonnert“, ein Tütchen Samen von diesem, eins von jenem mitzubringen. Aber gerne!
Was wir 2021 in dieser Hinsicht von Rixmanns Hof erwarten können, darüber wird Stillschweigen gewahrt. Erst mal werden die Kataloge studiert: Arbeitsvergnügen im Winter. Georg Rixmann wirft Stichworte in die Debatte, so den Knollenziest, eines der schlicht vergessenen Gemüse, das wie eine Mischung aus Artischocke, Blumenkohl und Haferwurzel schmecken soll. Interessant …
Ein Lieblingsgemüse?
Zum Schluss ein Muss: Gibt es ein Lieblingsgemüse? „Zucchini!“ Die Antwort kommt prompt: Sabine Schwalm schwärmt von der Vielfalt dieser zur Pflanzenfamilie der Kürbisgewächse gehörenden Früchte, die weiß, gelb, cremegrün, dunkelgrün oder gestreift daherkommen, ist angetan von der großen Varietät von Formen und Geschmacksnoten, den attraktiven Blüten. Georg Rixmann setzt dagegen: „Ich liebe jedes Gemüse – außer Zucchini!“ Harmonischer geht’s nicht!
Tomaten aus den drei Folientunneln gab es, zum Teil im Warmen nachgereift, bis zum 2. Advent. Bemerkenswert. Salat wird frisch geerntet.
Ob Sie sich noch kurz vor Weihnachten mit Gemüse von Rixmanns Hof eindecken können, hängt von Wetter und Vorräten ab. Wenn beides passt, geht es für jeweils eine Woche in die Verlängerung. Den aktuellen Stand entnehmen Sie der Website.