Jutta Quoos: „Lieber lästig als ungehört“

Künftig mehr Zeit für Hof, Hobbys und Reisen: Jutta Quoos in Schönewalde. (c) Wolfgang Herklotz
Reportage
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Hürden der Nachwendezeit, weiter andauernde zähe Kämpfe, die Wertschätzung für „Mutter Courage“ (Regine Hildebrandt) und die Lust am Ehrenamt: Wir sprachen mit Jutta Quoos, langjährige Vorsitzende des Brandenburger Landfrauenverbandes.

Die Fragen stellte Wolfgang Herklotz

Wie fühlt es sich an, nach fast drei Jahrzehnten an der Spitze des Brandenburger Landfrauenverbandes die Verantwortung abzugeben? Sind Sie erleichtert?
Ich habe gemischte Gefühle, muss mich auf die neue Situation erst einmal einstellen. Aber es ist ein gutes Gefühl, in dieser nicht einfachen Zeit einen gut aufgestellten Verband zu übergeben.

Ist vielleicht auch schon ein bisschen Wehmut im Spiel?
Natürlich. Aber die Freude überwiegt, das Amt an die nächste Generation weiterzureichen und es in guten Händen zu wissen.

Vorstandswahl Brandenburger Landfrauenverband: Einstimmig zur neuen Landesvorsitzenden wählten die Delegierten die 35-jährige Havelländerin Antje Schulze (3. v. l.), Manuela Scheil (3. v. r.) wird ihre Stellvertreterin. Neu im Vorstand ist Katja Liebenthal aus Ostprignitz- Ruppin (2. v. l.). Ulrike Weller, Sylvia Herrmann (v. r.), und Hanka Mittelstädt (l.)ergänzen die Landfrauen-Spitze.
(c) Ulrike Fechner/BLV

LANDFRAUEN MIT NEUER SPITZE

Nach fast 29 Jahren als Vorsitzende des Brandenburger Landfrauenverbandes wurde Jutta Quoos (4. v. r.) zur Ehrenvorsitzenden ernannt. Auch Wilma Nickel (4. v. l.) kandidierte zur Vorstandswahl am 18. August nicht mehr und wechselt in die Ehrenabteilung.

Einstimmig zur neuen Landesvorsitzenden wählten die Delegierten die 35-jährige Havelländerin Antje Schulze (3. v. l.), Manuela Scheil (3. v. r.) wird ihre Stellvertreterin.

Neu im Vorstand ist Katja Liebenthal aus Ostprignitz- Ruppin (2. v. l.). Ulrike Weller, Sylvia Herrmann (v. r.), und Hanka Mittelstädt (l.) ergänzen die Landfrauen-Spitze. Gäste der Veranstaltung waren Landtagspräsidentin Prof. Dr. Ulrike Liedtke, Frauenministerin Ursula Nonnemacher und Agrarminister Axel Vogel.

Woran denken Sie besonders gern zurück, woran weniger gern?
Wir haben es geschafft, den Frauen wieder Selbstachtung und Selbstbewusstsein zu geben. Das ist uns gelungen, weil wir ein mutiger, unabhängiger Verband sind. Ich schätze es sehr, dass ich immer das sagen konnte, was ich für notwendig erachtet habe. Ich musste mich nie verbiegen – und hätte es auch nicht getan.

Weniger gern denke ich an die Zeit der Gründung zurück. Sie war geprägt von Desillusionierung. Die Frauen waren nach der Wende auf das Abstellgleis geschoben und gaben sich teilweise sogar noch selbst die Schuld an ihrer Situation.

Eine denkbar ungünstige Ausgangsposition für den Verband.
Der elende, zähe Kampf um Projektmittel begleitete uns von Anfang an. Diese mussten und müssen immer wieder aufs Neue erstritten werden, um unsere Geschäftsstelle zu erhalten. Sie ist die Grundlage für das Überleben des Verbandes.

Erinnern Sie sich noch an die Demo 1995 vor dem Landtag, wo gegen die Sparpolitik auf dem Rücken der Frauenverbände demonstriert wurde?
Oh ja. Das Thema ist ja wieder aktueller denn je. Wegen Corona soll der Rotstift wieder in vielen Bereichen angesetzt werden. Die Politik unterschätzt immer noch, wie wichtig Frauenverbände sind. Und hat offensichtlich nicht auf dem Schirm, dass es gerade die Vereine und Verbände sind, die sich ehrenamtlich um die psychosozialen Folgen der Pandemie kümmern.

Bei der besagten Demo vor dem Landtag sind Sie sogar auf ein Trafohäuschen geklettert, um sich Gehör zu verschaffen. Bilder aus dieser Zeit zeigen Sie zugleich neben Regine Hildebrandt, Brandenburgs damaliger Sozialministerin, der „Mutter Courage des Ostens“. Was schätzten Sie an ihr?
Vor allem ihren Mut. Sie hat, egal, wo sie war, kein Blatt vor den Mund genommen. Ihr vehementer Einsatz für die Menschen war sehr notwendig und beispielhaft.

Was hat der Landfrauenverband in all der Zeit auf den Weg bringen können? Wo gibt es Defizite?
Da sie den Mund aufmachen und sagen, wo der Schuh drückt, werden Brandenburgs Landfrauen als Expertinnen für den ländlichen Raum geachtet und gehört. Sie stehen für viele tolle Projekte, die das Leben in Brandenburgs Dörfern bereichern. Das geht von kulturpolitischen Veranstaltungen über Verbraucheraufklärung bis hin zur Brauchtumspflege. Auf der Habenseite steht auch der enge Zusammenhalt innerhalb des Verbandes, ebenso der Aufbau eines starken Netzwerks für den ländlichen Raum Brandenburgs. Handlungsbedarf besteht vor allem noch darin, die jüngere Generation mit ihren spezifischen Problemen stärker in die Verbandsarbeit einzubeziehen.

Haben Sie sich nicht manchmal wie eine Kassandra-Ruferin gefühlt, die Unheil vorhersagt, aber kein Gehör findet?
Leider ja. Das zeigte sich damals, als wir vergeblich gegen die Wegzugsprämie für junge Frauen protestierten. Dies kam einem Aderlass für die ostdeutschen Bundesländer gleich. Heute fehlen diese jungen Leute, und die Politik zahlt Rückzugsprämien. Doch das kann nicht so richtig funktionieren, und auch darauf haben wir hingewiesen.

Sie haben sich immer vehement dagegen gewehrt, das Engagement der Landfrauen auf geselliges Beisammensein und das Binden von Erntekronen zu reduzieren. Macht Sie das immer noch wütend, wenn Sie derartige Äußerungen hören?
Natürlich. All diese Dinge sind Teil unseres Verbandslebens, aber nur ein Teil eben. Vor allem sind wir ein politischer Verband, wir stehen für eine pragmatische Sachpolitik, die weit über Kuchenblech und Kittelschürze hinausgeht. Zudem ist unser Verband ein Zusammenschluss von Frauen und Männern über die Parteien und auch Konfessionen hinweg. Unsere politischen Forderungen werden von den Mitgliedern getragen. Und es gelingt uns immer, einen Konsens für die Sache – die Zukunft des ländlichen Raumes – zu finden.

Sie haben neben dem zeitaufwendigen Ehrenamt auch die Geschäfte eines 2.000-Hektar-Betriebes im Süden Brandenburgs geführt. Wie haben Sie diese Doppelbelastung verkraftet? Was gab Motivation, was Rückhalt?
Es war nicht nur eine Doppelbelastung, denn ein Ehrenamt zieht das nächste nach sich. Landesbauernverband und Deutscher Landfrauenverband, Frauenpolitischer Rat, Verwaltungsrat rbb, Beirat Deutsche Bundesbank – ich hatte zahlreiche Ämter inne und saß in vielen Gremien im Laufe der Jahre. Das habe ich alles verkraftet, aber auch Lehrgeld bezahlt. Privates ist leider oft zu kurz gekommen.

Ich brauchte jedoch keine Extra-Motivation. Wenn ich etwas erreichen will, kämpfe ich hartnäckig um die Sache. Ich habe einfach die Einstellung, Ungerechtigkeiten zu benennen und beseitigen zu wollen. Dabei kann ich bisweilen auch sehr offen, stur und lästig sein. Rückhalt gaben mir die Familie, der Betrieb und Menschen, die mir nahestehen und mich beraten haben.

Sie gehörten seit 1995 dem Präsidium des Deutschen Landfrauenverbands an, wurden 2006 zur zweiten Vizepräsidentin gewählt. Was bedeutete das für Sie?
Die ostdeutschen Landfrauenverbände brauchten dringend eine Stimme, die sie vertritt. Das war mir sehr wichtig, und das erwies sich auch rückblickend als richtig. Die Unterschiede zwischen Ost und West sind da – so-wohl strukturell als auch in Bezug auf die Sozialisation der Frauen. Es galt, die Interessen und Sichtweisen ostdeutscher Frauen im Bundesverband einzubringen, gegenseitiges Verständnis zu wecken, Brücken zu bauen. Das war keine einfache Aufgabe! Ich habe mich übrigens dreimal der Kandidatur zur Vizepräsidentin gestellt und wurde es erst im dritten Anlauf. Wie gesagt, ich bin hartnäckig.

Gibt es Dinge, die Sie heute anders angehen würden?
Ich glaube nicht. Hinterher ist man natürlich immer schlauer. Zur Erfahrung gesellt sich die Gelassenheit. Im Rückblick wird dann klar, wie man die Kräfte besser hätte einteilen können. Aber es ist müßig, darüber nachzudenken. Die Zeit lässt sich nicht zurückdrehen.

Was möchten Sie Ihrer Nachfolgerin mit auf den Weg geben?
Dass es sich lohnt, so lange hartnäckig zu bleiben, bis das Ziel erreicht ist. Dazu gehört, selbstbewusst aufzutreten und sich nichts gefallen zu lassen. Lieber lästig sein als ungehört! Aber die Kräfte, über die man verfügt, sind nicht unendlich. Wie gesagt, man muss damit klug haushalten! Und ganz wichtig: Ehrenamt muss auch Spaß machen.

Sie werden künftig mehr Zeit für Privates haben. Worauf freuen Sie sich besonders?
Aufs Ausschlafen und darauf, mehr Zeit für mich selbst und keinen vollen Terminkalender mehr zu haben.

Hobbys, die bisher zu kurz kamen?
Ich lese und fotografiere gern, mag Blumen. Unser Hof gleicht jetzt schon einem Blütenmeer, da wird noch einiges hinzukommen. Und ich freue mich sehr darauf, nach Corona wieder die Welt ungestört bereisen zu können. Alaska wurde nur verschoben.

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