Kuhstallgeschichten: In aller Freundschaft
Sie können stur, ängstlich, selbstbewusst und sogar Plaudertaschen sein – jede Kuh hat durchaus einen anderen Charakter. Wie der sich äußert, hat unsere Autorin Susanne Gnauk erlebt und im Teil 5 ihrer Kuhstallgeschichten für die Bauernzeitung aufgeschrieben.
Von Susanne Gnauk
Kühe haben ihren eigenen Rhythmus, darüber habe ich im letzten Teil meiner Kuhstallgeschichten geschrieben (sie wurde in der Bauernzeitung 42/2021 veröffentlicht). Sie passen eigentlich so gar nicht in unsere hektische Welt. Kühe laufen gerne Kurven, geradlinig wäre ja auch zu schnell und zu langweilig. Der wahre Grund dafür ist, dass sie so ihren Blickwinkel erweitern und ihre Umgebung besser abchecken können. Das Rind bewegt sich sowieso am liebsten in gemächlichen drei bis vier Stundenkilometern vorwärts. Im Melkstand, wo Zeit ein knappes Gut ist, hat mich das immer wieder wahnsinnig gemacht. Aber besser man passt sich dem Rhythmus der Kühe an. Doch Kühe haben nicht nur ihren eigenen Rhythmus. Jede Kuh hat auch ihren eigenen Charakter, und mit manchen schließt man so etwas wie Freundschaft.
KUHSTALLGESCHICHTEN: ICE verpasst und Freundin gefunden
Die 148 ist eine ganz schöne Zicke. Die kleinrahmige schwarze Färse mit Jerseyblut und kleinen Hörnern legt sich gerne mal mit ihren Kolleginnen in der Gruppe an. Vielleicht hat sie nur eine Freundin – und die bin ich. Ich hoffe aber eigentlich, dass sie auch eine Kuh-Freundin hat. Denn Kühe sollen tatsächlich Freundschaften untereinander schließen. Man sieht immer mal wieder Tiere einträchtig zusammen stehen oder nebeneinander liegen, wobei sie sich gerne gegenseitig mit ihren großen Zungen bearbeiten.
Ich erinnere mich noch gut, als die 148 in der Gruppe der Frischabkalberinnen stand. An einem besonders stürmischen Tag schoss die gesamte Gruppe, die immer zum Schluss gemolken wird, auf dem Weg zurück zum Stall wie eine Horde durchgegangener Pferde an mir vorbei. Ein heftiger Wind hatte in die Jalousien vom Vorwartehof reingedroschen, der Lärm muss die Fluchttiere erschreckt haben. Nur die 148 hatte den Anschluss an diesen „Kuh-ICE“ verpasst. Verloren stand die kleine Schwarze im Treibegang, noch nie war sie diesen Weg vom Melkstand zurück in die Gruppe gegangen. Und weder von mir noch von meinem Kollegen ließ sie sich dazu bewegen. Ich holte eine ruhige Altkuh von den Abkalberinnen zurück, die auch brav mit mir zur 148 zurücktrottete. „Na komm schon!“, muhte sie die 148 an und spannte sich vor sie. Die junge Kuhdame lief tatsächlich ein paar Meter hinter ihr her. Dann blieb sie wieder wie angewurzelt stehen. Es war nichts zu machen. Altdame 133 ging mit schaukelndem Euter im gemächlichen Kuhgang allein zurück in den Stall.
Die 148 haben wir dann in die Gruppe 3 mit dem kürzesten Weg vom Melkstand gebracht, dazu konnten wir sie gerade noch bewegen. Und dort stand sie anfangs oft am Tor, schaute mich erwartungsvoll an und ließ sich den Hals tätscheln. Wenn ich in Gruppe 3 die Kuhbetten „aufschüttelte“, begleitete sie mich auf Schritt und Tritt. Einmal sah ich sie ganz verloren hinter den Kühen, die alle aufgereiht am Fresstisch standen. Sie traute sich nicht zwischen die Altkühe und ließ sich auch von mir nicht auf den letzten freien Fressplatz ganz am Ende des Futtertisches locken. Eine sture, ängstliche Jungkuh mit Jerseyblut – und die haben oft ihren ganz speziellen Charakter. Doch wie bereits beschrieben, kann sie sich aber mittlerweile ganz gut durchsetzen.
Seitdem hatte ich eine neue Freundin im Kuhstall in Wolde, die mich immer wieder erdete, wenn ich zu hektisch wurde und die Kühe schnell zum Melkstand treiben wollte. Mach mal halblang, schien sie mir zu sagen. Eine Streicheleinheit ist ja wohl noch drin. Einen Apfel, den ich mit ihr teilte, hat unsere Freundschaft vertieft. Mitunter kehrte sie nach dem Melken um und besuchte mich nochmal im Melkstand. Noch heute denke ich an die 148, wenn ich die Delle in meinem metallenen Kaffeebecher sehe. Scheuchte ich die Jerseydame fort, lief sie in übermütigen Bocksprüngen davon.
Dürres Mädel mit Sonderrechten
Die 29 war dagegen eine großrahmige schlanke, ja nahezu dürre Milchdame, eine typische Holstein, die alle ihre Energie in die Milch zu stecken schien. Einmal haben wir fast übersehen, dass sie „auf dem Zahnfleisch kroch“, sie hatte körperlich total abgebaut. Unserer Herdenmanagerin ist sie schließlich aufgefallen, und sie behandelte sie. Seitdem beobachtete ich die 29 besonders genau beim Treiben der Kühe zum Melkstand. Sie hatte ein Sonderrecht bei mir, und das wusste sie. Sie kostete es aber nie über Gebühr aus. Sie stand immer mit als Letzte auf, ließ sich von mir streicheln, trottete dann zum Futtertisch und fraß. Ich ließ sie gewähren, während ich den Mist von den Strohbetten entfernte und alle anderen Kühe bereits zum Vorwartehof des Melkstandes gingen. Das „dürre Mädel“ musste schließlich „was auf die Rippen“ bekommen! Mein letzter Akt, bevor es zurück zum Melkstand ging, war immer das Reinigen der Tränken. Das wusste die 29, das war ihr Signal. Sie kam dann stets selbst vom Futtertisch zur Tränke gelaufen, soff noch etwas Wasser und trottete dann der Herde hinterher in den Vorwartehof zum Melkstand. Nie musste ich sie extra holen, sie wusste immer, wann der Zeitpunkt gekommen war zu gehen.
Die 29 verstarb leider sehr plötzlich. Eines Morgens lag sie tot im Stall für die Trockensteher. Ich habe es nur einmal erlebt in sieben Monaten Kuhstallarbeit in Wolde, dass eine Kuh bei uns in den Ställen gestorben ist. Wir vermuten, dass sie ein Verdauungsproblem hatte. Und so ist sie mir in Erinnerung geblieben: Ich säubere eine Tränke, während sie noch aus der anderen daneben säuft. Dann schaut sie mich mit triefendem Maul an, nickt mir zu und trottet zum Melkstand. Vielleicht hat sie mir nicht zugenickt – in meiner Erinnerung schon.
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Ich sage immer scherzhaft: Die 60 war früher ein Mensch! Die große, fast weiße Kuh will sich ständig mit den Melkern unterhalten. Sie steht auf dem Vorwartehof und muht. Sie steht im Melkstand und muht. Beim Melken neigt sie oft ihren hübschen weißen Kopf nach unten und hat mich durch die Beine der Kuh vor ihr, wenn ich dieser das Melkzeug ansetzte, gemustert. Und sie muht auch gerne, wenn sie wieder rausgeht, bleibt auch gerne stehen und lässt sich gerne mehrfach bitten. Sie ist total „vertoort“, hat unsere Herdenmanagerin gesagt. Schon als Kalb wurde sie sehr verwöhnt. Sie gibt aber viel Milch, zappelt nie beim Melken oder Euter anrüsten und erfreut sich einer robusten Gesundheit. Ich habe nie erlebt, dass sie mal behandelt werden musste. Eine besondere Kuh aus den Kuhstallgeschichten.
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Teil 1 bis 4 der Kuhstallgeschichten von Susanne Gnauk sind in den Ausgaben 14/2021, 21/2021; 27/2021 sowie 42/2021 erschienen.