Reportage

Mosterei Kirchhoff: Saften statt predigen

Henning Kirchhoff, hilft an der Presse. (c) Silvia Kölbel
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Im Herbst dreht sich bei der Pfarrerfamilie Kirchhoff im vogtländischen Geilsdorf (Sachsen) alles um reife Früchtchen. Unweit der Kirche werden in der Mosterei Kirchhoff Äpfel, Birnen und Co aus den Gärten der Region zu frisch gepressten Säften.

Von Silvia Kölbel

Pfarrer Tilo Kirchhoff tauscht in jedem Jahr ab September seinen schwarzen Talar gegen eine rot-schwarze Jacke mit der Aufschrift „Mosterei Kirchhoff“. Denn gemeinsam mit seiner Familie betreibt er ein paar Meter von der Kirche entfernt eine Obstpresse, die im Herbst auf Hochtouren läuft. Immerhin durchlaufen in guten Apfeljahren bis zu 75 Tonnen Obst – meist Äpfel, aber auch Birnen und Quitten – die Zwei-Band-Presse.

Pfarrer Tilo Kirchhoff im Portrait
Tilo Kirchhoff ist Pfarrer und betreibt im Herbst in Kirchennähe eine Mosterei in Geilsdorf, in der auch Ehefrau und Kantorin Heidi sowie Sohn Henning kräftig mit anpacken. (c) Silvia Kölbel

Für Pfarrersfrau und Kantorin Heidi Kirchhoff bedeutet das an der Abfüllanlage Schwerstarbeit. In Spitzenjahren füllt sie an sechs Wochenenden bis zu 45.000 Liter Saft ab – in Drei-Liter-, Fünf-Liter- oder Zehn-Liter-Bag-in-Box-Beuteln. „Jeder einzelne Beutel muss in die Hand genommen werden“, beschreibt der Ehemann die körperliche Herausforderung, die in dieser Zeit zu meistern ist. Heidi Kirchhoff fügt hinzu: „Das ist mehr als ein Hobby, das ist schon fast ein zweiter Beruf. Als wir angefangen haben, war diese Entwicklung nicht absehbar.“

Auch die Kinder, die inzwischen fast alle aus dem Haus sind, unterstützen die Eltern, wenn sie Zeit haben. Dieses Jahr war unter anderem Sohn Henning mit im Einsatz. Der 24-Jährige sagt: „Im Herbst bestimmt das Pressen des Obstes den Alltag. Für mich ist die körperliche Arbeit ein schöner Ausgleich zum Studium.“

Streuobstwiese brachte die zündende Idee

Die Obsternte der letzten drei Jahre war im Vogtland eine Berg- und Talfahrt. Im vergangenen Jahr war sie fast eine Nullrunde, in diesem Jahr schaut es etwas besser aus. Von der sehr guten Ernte 2018 war das Obstjahr 2020 jedoch weit entfernt. Spätfröste im Frühjahr ließen einen Großteil der Obstblüten erfrieren. Die Kirchhoffs boten ihre Dienste deshalb in diesem Jahr nur an vier halben Tagen an.

Zu ihrer ungewöhnlichen Zweitbeschäftigung, die den landläufigen Vorstellungen von einem Hobby wegen des großen Arbeitsaufwandes längst nicht mehr entspricht, kamen Kirchhoffs eher zufällig. „Zum Pfarrhaus gehört auch eine Streuobstwiese. Wir haben überlegt, wie wir das Obst sinnvoll nutzen können. Anfänglich fuhren wir mit unseren Äpfeln nach Bayern zum Pressen. Die dortige Anlage hat uns beeindruckt und uns kam die Idee, unsere Äpfel selbst zu verarbeiten. Die Geräte, die es für den Hobbybereich gibt, sind aber zu klein, eine größere Obstpresse ist jedoch nur mit unseren Äpfeln nicht ausgelastet.“

So hielt im Hause Kirchhoff 2008 eine mobile Saftpresse Einzug. „Unser Plan war, dass wir mit der Presse zu den Leuten fahren. Doch wir haben schnell gemerkt, dass die Leute viel lieber zu uns kommen“, berichtet Tilo Kirchhoff. Welche Tücken so eine mobile Saftpresse bereithält, merkte die Familie schnell. „Ende Oktober hatten wir einmal einen zeitigen Wintereinbruch und mussten dann im Schneegestöber pressen und anschließend noch vier Stunden sauber machen. Das war schon sehr unangenehm.“

Von ihrem Plan, Baumbesitzern eine Alternative zur Verwertung ihres Obstes anzubieten und so vielleicht das Fällen der Obstbäume zu verhindern, ließen sich Kirchhoffs deshalb aber nicht ab- bringen. Ein paar Jahre später stand der Familienentschluss fest: Eine neue, eingehauste stationäre Anlage ersetzt die mobile Presse. Tilo Kirchhoff hätte es auch gern gesehen, die Presse an einen anderen Betreiber abzugeben. „Es gab ein paar Interessenten, aber ich glaube, das stundenlange Reinigen nach der eigentlichen Arbeit hat alle abgeschreckt.“

Mosterei lebt von Mund-Propaganda

Werbung muss Tilo Kirchhoff für seine Mosterei nicht machen. Es gibt zwar eine Website www.kifru.de, die sein Sohn Richard betreut, aber eigentlich ist die Mosterei ein Selbstläufer, der nur von Mund-Propaganda lebt. „Sicher wäre das Angebot ausbaufähig. Aber wir wollen nicht weiterwachsen“, sagt Kirchhoff. Einzig das Anschaffen einer kleinen Presse zur Verarbeitung kleiner Mengen, sei eine Überlegung wert, denn: „Die kleinste Verarbeitungsmenge für diese Anlage liegt bei 50 Kilogramm.“ Je nach Apfelsorte und Reifegrad erhält der Kunde pro 100 Kilogramm Obst zwischen 50 und 70 Liter Saft.

Die Pressung erfolgt kalt, nachdem die Früchte die Waschstraße durchlaufen haben. Der Pasteur erhitzt den Saft auf 74 Grad, tötet dabei zuverlässig alle Mikroorganismen ab und sorgt so für eine etwa einjährige Haltbarkeit. Die Qualität und der Geschmack des Saftes seien so gut wie die Äpfel, sagt Kirchhoff. Er hat in den zurückliegenden elf Jahren viel über Kernobst gelernt. „Reife Äpfel, die schon mehlig sind, geben wenig Saft ab. Am besten schmeckt ein Saft aus verschiedenen Apfelsorten. Der Boskoop zum Beispiel ist zwar ein saurer Apfel, aber ein guter Saftlieferant.“ Die Sommeräpfel zu pressen, lohne sich fast kaum, „das sind mehr Musäpfel“, so Kirchhoff.

Eine KIste mit Obst wird über eine Rutsche in eine Saftpresse einer Mosterei gekippt.
Vom Großkistenkipper aus kommt das Obst direkt in den Waschbehälter. (c) Silvia Kölbel

Dieses Jahr lieferten die Kunden vergleichsweise viele Birnen an. Auch Quitten eignen sich zum Pressen. „Diese geben mehr Saft ab, als man angesichts dieser harten Früchte meinen könnte“, so Kirchhoff. Manche Kunden erweisen sich auch als experimentierfreudig und geben zum Kernobst Holunderbeeren, Möhren, Rote Bete, Zitronen oder Aroniabeeren dazu. Auf Extrawünsche gehen Kirchhoffsgern ein, allerdings müssen stark färbende Beeren immer als letztes die Presse durchlaufen. „Es reichen schon ein paar Aroniabeeren, um den ganzen Saft rot zu färben. Auch die nachfolgenden Partien würden nach dem Pressen von Aroniabeeren rot aussehen“, so Kirchhoff. Die Maische, also das, was vom Obst nach dem Pressen übrigbleibt, holen Jäger und Landwirte ab.

Nach dem Pressen folgt das Reinigen der Edelstahl-Anlage. Alle Schläuche müssen gespült werden. „Wir brauchen dafür Reinigungsmittel, kleine runde Reinigungsschwämmchen für das Innere der Schläuche, wie sie auch in der Gastronomie zum Einsatz kommen, viel Wasser und Zeit“, berichtet Tilo Kirchhoff. Das Gewissheit, den Saft der eigenen Früchte wieder mit nach Hause nehmen zu können, wissen viele Kunden zu schätzen. Christine Kelpin aus dem Nachbarort Schloditz bringt seit mehreren Jahren ihre Äpfel zum Pressen nach Geilsdorf. „Manchmal bis zu einer Tonne. Dieses Jahr war die Ernte aber nur mittelmäßig. Die Abläufe hier funktionieren gut. Es geht schnell und ich weiß, dass es der Saft aus meinen Äpfeln ist, den ich mit nach Hause nehme.“

Auch Jörg Tempel, Mitglied der „Bürgerinitiative zum Schutz der Natur und Umwelt von Gold- und Rosenbach“ hat seine Fühler Richtung Mosterei ausgestreckt. „Dieses Jahr habe ich erstmals meine eigenen Äpfel zum Saften gebracht. Die Anlage überzeugt mich. Ich bin beeindruckt. Selbst die Verpackung des Saftes ist schön und eignet sich auch zum Verschenken. Unser Verein hat vor ein paar Jahren eine Streuobstwiese mit mehr als 200 Bäumen gepflanzt. Diese beginnen allmählich zu tragen. Wenn es die erste größere Ernte gibt, wissen wir, wo wir die Früchte zum Verarbeiten hinbringen können.“

Mit den Kunden ins Gespräch kommen

Zu den Kunden gehört außerdem die Montessori-Schule Plauen und auch ein paar Kindergärten aus der Umgebung. Die Montessori-Kinder haben das Obst von einer Plauener Streuobstwiese gebracht und die Aktion mit einem Projekttag verbunden. Die Kindergarten- Kinder organisierten Sammelaktionen in ihren Einrichtungen, immer mit dem Ziel, den gepressten Saft dann in der jeweiligen Einrichtung zu trinken.

Auch Berufskollegen von Tilo Kirchhoff bringen Äpfel aus den Pfarrgärten, in denen häufig alte Obstbäume stehen. Gewundert haben sich die Kollegen nicht darüber, dass sich ein Pfarrer in seiner Freizeit bei Wind und Wetter an die Apfelpresse stellt. „Die mich kennen, wissen, dass ich oft verrückte Einfälle habe“, sagt Kirchhoff. Auch im Dorf weiß inzwischen jeder, womit die Pfarrersfamilie im Herbst ihre freie Zeit verbringt. Eine Familie aus dem Ort hilft an der Presse, wenn Not am Mann ist. „Unsere Helfer nehmen sogar Urlaub, um uns hier unterstützen zu können“, so Tilo Kirchhoff.

Manchmal kommen aber auch Kunden, die nicht wissen, dass es die Pfarrersfamilie ist, die dort an der Obstpresse steht und von dieser Besonderheit dann eher zufällig erfahren. „Manche sind überrascht und mit manchen komme ich auch ins Gespräch. Manchmal reden wir dann über Gott und die Welt. Und genau das ist einer der Gründe, warum ich das mache. Ich begegne Menschen, die ich sonst nie treffen würde.“ An manchen Tagen bleibt allerdings für intensive Gespräche keine Zeit, denn die Kunden liefern ihre Äpfel an der Annahmestelle ab und können eine Viertelstunde später bei Heidi Kirchhoff den ersten, noch heißen Saft schon in Empfang nehmen.