Reportage

Schäfer und Flüchtling: Auf Augenhöhe

Schäfer Olaf Kolecki möchte seinen Helfer Goodwin Koto Sama aus Kamerun nicht mehr missen. (c) Sabine Rübensaat
Reportage
Artikel teilen

Der Schäfer aus Brandenburg und der Flüchtling aus Kamerun sprechen unterschiedliche Sprachen. Aber sie verstehen sich trotzdem. Gemeinsam sorgen sie für das Wohl der Herde.

Von Wolfgang Herklotz

Von Weitem schon hat uns der Herdenschutzhund gesehen. Mit großen Sätzen springt er hin und her, während die Schafherde hinter ihm gelassen weiter weidet. Als wir näherkommen, stellt sich der stattliche Vierbeiner mit dem zotteligen, weißen Fell auf. Attacke? Von wegen! Der wedelnde Schwanz gibt ein anderes Signal. Als Erster steigt Goodwin Koto Sama aus dem Wagen vor uns, lüftet den braunen Filzhut zur Begrüßung. Dann, nachdem er den Strom-Akku außer Betrieb gesetzt hat, überwindet er den Elektrozaun und krault dem wachsamen Pyrenäeberghund das weiche Fell. Braver Hund!

Wir sind unterwegs mit Schäfer Olaf Kolecki aus dem brandenburgischen Falkensee und jetzt auf einer seiner Weideflächen im Landkreis Havelland angelangt, wo Rauhwollige Pommersche Landschafe, Skudden und Bentheimer sowie Merinos auf Futtersuche sind, mittenmang ein paar Ziegen. Die Rassenvielfalt scheint kein Problem zu sein. Einträchtig marschieren die Vierbeiner durch die märkische Landschaft und genießen offenbar so wie wir die milde Frühlingsluft. „Die haben unterschiedliches Temperament, aber kommen letztendlich doch alle miteinander klar“, meint Kolecki. Der Mann schmunzelt vielsagend in seinen grauen Bart und zieht am Zigarillo. „So sollte es ja auch sein!“

Hilfe kam rasch

Rückblick auf einen Sommertag im vergangenen Jahr: Der Schäfer war gerade in Potsdam, als er einen alarmierenden Anruf bekam. Ein Teil seiner Herde war ausgebrochen und rasches Handeln gefordert. Woher aber schnell Hilfe bekommen?

Kurzentschlossen telefonierte Kolecki mit der Leiterin des Flüchtlingsheimes in Schönwalde-Glien, schilderte die Situation. Keine Stunde später stoppte er vor dem Eingang des Heimes, um Goodwin Koto Sama und zwei weitere Helfer an Bord zu nehmen. Gegen Abend war die Herde wieder in Sicherheit und der aus Kamerun Geflüchtete fortan eine wichtige Stütze. „Ich habe sofort gemerkt, dass Goodwin gut mit den Schafen und den Hunden umgehen kann“, erinnert sich Kolecki.

Trotz der Sprachbarriere habe der Afrikaner, der Englisch und Französisch spricht, aber nur wenige Wörter Deutsch beherrscht, schnell die wichtigsten Handgriffe gelernt. Dazu gehört, Weidezäune stabil aufzubauen und umzusetzen. Zugleich gilt es regelmäßig zu kontrollieren, ob ausreichend Tränkwasser für die Tiere vorhanden ist und der Weidezaun die erforderliche Spannung hat. „Auf Goodwin kann ich mich verlassen“, betont der Schäfer.

Der Schäfer und der Flüchtling: ein eingespieltes Team. (c) Sabine Rübensaat

Wie wir von Goodwin Koto Sama erfahren, ist ihm der Umgang mit Schafen nicht fremd. Sein Bruder betreibe daheim in Kamerun eine Farm. „Ich habe dort oft ausgeholfen.“ Doch beruflich hatte er mit ganz anderen Dingen zu tun, war Polizist, 30 Jahre lang. Warum dann die Flucht nach Europa? „Nach der Pensionierung wurde ich bedroht. Man warf mir vor, Rebellen unterstützt zu haben. Doch das stimmt nicht!“ Politische Unruhen bestimmen seit einiger Zeit die Situation in Kamerun, Separatisten destabilisieren die Lage ebenso wie die Terrormilizen von Boko Haram.

Nachdem drei ehemalige Kollegen von Goodwin Koto Sama von ihnen umgebracht worden waren, musste auch er um sein Leben fürchten. Über die katholische Kirche gelang es ihm, ein Visum für Frankreich zu bekommen und auszureisen. Mitte September 2019 traf er in Deutschland ein, zunächst in Eisenhüttenstadt, dann in Doberlug-Kirchhain. Seit Mai vergangenen Jahres ist er nun im Asylbewerberheim in Schönwalde-Glien untergebracht. Dieses wurde in Container-Bauweise 2016 eingerichtet, war zwischenzeitlich geschlossen und ist seit Februar 2019 mit einem Block wieder in Betrieb. Derzeit leben hier rund 100 Menschen, nachdem der Flüchtlingsstrom nachgelassen hatte. Übergangsweise waren hier auch Bewohner aus anderen Heimen untergebracht worden, die sich mit Corona infiziert hatten.

Herdenschutzhund
Und der Pyrenäenberghund hat einen sehr wachsamen Blick auf seine Herde. (c) Sabine Rübensaat

Das Heim auf dem Gelände des Gewerbegebietes Erlenbruch am Rande von Schönwalde ist von einem Metallzaun umgeben und wird bewacht, wie auf dem Schild am Tor zu lesen ist. Nachdem wir uns offiziell über die Pressestelle des Landkreises angemeldet hatten, heißt uns Malaika Hittmeyer, die Leiterin des Heimes, willkommen und gibt Auskunft. Sie ist in Deutschland geboren, verrät sie eingangs, hat aber mehr als vier Jahrzehnte in Afrika gelebt und dort auch in der Flüchtlingshilfe gearbeitet. Die Mutter dreier Kinder und eines Adoptivsohnes spricht mehrere Sprachen, darunter Suaheli. Eine kompetentere Übersetzerin, das merken wir schon bald, kann man sich nicht wünschen. „Der Nationalität nach bin ich Deutsche, aber der Stammeszugehörigkeit nach Kenianerin“, erklärt sie lächelnd. Die ebenso freundliche wie energiegeladene Frau führt uns durch einige Räume der Einrichtung, in der die Bewohner getrennt untergebracht sind: junge Mütter mit ihren Kindern auf einem Flur, Männer wie Goodwin Koto Sama auf einem anderen. Im Eingangsbereich ein Raum mit Wachschutzleuten.

Malaika Hittmeyer
Malaika Hittmeyer: Der Nationalität nach Deutsche, der Stammeszugehörigkeit nach Kenianerin. (c) Sabine Rübensaat

Es gibt Gemeinschaftsräume sowie separate Wasch-, Koch- und Sanitärbereiche. Sie sind zweckmäßig ausgestattet, beheizt und sauber, doch alles andere als luxuriös. Wenn wie hier Angehörige verschiedenster Nationalität unter einem Dach wohnen, lassen sich Spannungen nicht ganz vermeiden. „Aber wir tun alles dafür, das Miteinander so reibungslos wie möglich zu machen“, versichert Malaika Hittmeyer. Im Heim finden Integrations-Deutschkurse statt, wo gemeinsam gelernt wird. Eine weitere wichtige Rolle für ein gutes Zusammenleben spielt die Initiative „Neue Nachbarn in Schönwalde“, in der Einwohner der Gemeinde organisiert sind. Die Initiative betreibt eine Kleiderkammer, kümmert sich um Nachhilfe in Deutsch für die Geflüchteten und sorgt auch für Kinderbetreuung und Beschäftigung, beispielsweise in einer Fahrradwerkstatt. Zum Programm vor Corona gehörten ebenso Ausflüge nach Berlin und Grillfeste. „Dabei gilt es natürlich auf bestimmte Unterschiede bei den Essgewohnheiten zu achten. Aber so ein lockeres Beisammensein wird gut angenommen“, so Malaika Hittmeyer.

Kein frommer Wunsch

Wenn sich Bewohner für gemeinnützige Arbeiten engagieren, gibt es dafür ein bescheidenes Entgelt. 80 Cent pro Stunde werden gezahlt, pro Monat maximal 96 Euro. Für viele der Geflüchteten steht nicht das Geld im Vordergrund, sondern die Tatsache, sich wieder nützlich machen zu können. „Ich kann doch nicht die ganze Zeit rumsitzen“, erklärt Goodwin Koto Sama.

Er gibt zu, dass ihm die Familie sehr fehlt. Seine drei Töchter sind zwar erwachsen, haben sich eine eigene Existenz aufgebaut. Aber wer wisse schon, wie lange das in solch unruhigen Zeiten gutgehe. Jedes Wochenende telefoniert er mit seiner Frau, um sich auszutauschen. So gern würde er sie nach Deutschland holen. Aber daran sei gegenwärtig ebenso wenig zu denken wie an eine Rückkehr nach Kamerun. Deshalb ist es so wichtig, dass sich Goodwin Koto Sama hier ein neues Leben aufbauen kann, meint Malaika Hittmeyer. Und das sei kein frommer Wunsch jenseits der Realität. „Es gibt mittlerweile einige ehemalige Heimbewohner, die in Brandenburg richtig Fuß gefasst haben. Sie haben ein eigenes Einkommen, sind als Sozialarbeiter oder in der IT-Branche tätig, andere im Gartenbau oder in einer Werkstatt.“

Olaf Kolecki jedenfalls möchte seinen Helfer nicht mehr missen. Mit seinen Schafen ist er auf verschiedenen Weideflächen unterwegs, für die er Pflegeverträge abgeschlossen hat, zumeist mit Kommunen. „An manchen Tagen bin ich bis zu 200 Kilometer unterwegs, um regelmäßig nach dem Rechten zu sehen. Ohne Goodwin wäre das nicht zu schaffen!“

Zeichen seiner Dankbarkeit sind nicht nur die Lebensmitteleinkäufe, die der Schäfer aus Falkensee für den Kameruner übernimmt. Er hat ihm auch ein Fahrrad geschenkt. Mit dem ist Goodwin Koto Sama natürlich nicht so schnell unterwegs wie mit dem Dienst-Motorrad seinerzeit in der Heimat. Aber das kann ja alles noch werden …