Skuddenhof im brandenburgischen Weseram

Skuddenhof: Die Matte muss runter, MAYKE!

Der aktuelle Bestand an Skudden in Deutschland wird mit 8.000 Tieren angegeben, davon sind ca. 2.600 Mutterschafe. Zuchtzentren sind Berlin, Brandenburg und Sachsen. Dort wird die Haltung der Rasse staatlich gefördert. (c) Fritz Fleege
Reportage
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Auf dem Skuddenhof im brandenburgischen Weseram ging es der kleinen Schafrasse an die Wolle. Doch was tun mit der Haarpracht, die sich gegen künstliche und pflanzliche Konkurrenz behaupten muss und kaum Geld einbringt?

Von Jutta Heise

Tausend Mal musst du es getan haben, so die Profis, dann erst darfst du von dir behaupten: Ich hab´s drauf. Wir reden von der Schafschur. Von der magischen Zahl sei sie noch ein Stück entfernt, lacht Katja Behling. Aber wie sie das Jährlingsschaf ruhigstellt, das um die 25 Kilogramm auf die Waage bringt, nötigt einem Respekt ab, deutet auf Übung, Selbstsicherheit und Einfühlungsvermögen: Grundvoraussetzungen, um ein Schaf schmerz- und verletzungsfrei von der Wolle zu befreien.

Schur-Premiere: Maykes erstes Mal

Erst stellt sich Mayke, 18 Monate alt, ein bisschen zickig an, macht artgemäß einige Fluchtversuche („Skudden sind scheu und schnell, können förmlich fliegen“, sagt Behling.). Noch dazu ist es Maykes erstes Mal.

Auch für Katja Behling ist heute, an einem Tag Ende Mai, Schur-Premiere für diese Saison. „Wir haben euch bisher noch alle nackig gekriegt!“ Was wie eine sanfte Drohung klingt, scheint Mayke zu beruhigen. Sie ahnt wohl, dass die Prozedur unumgänglich ist und ihr am Ende sogar guttut: Sommerhitze wird erträglicher, Parasiten haben es schwerer, sich festzusetzen.
Zwischen Mitte Mai nach den Eisheiligen oder Anfang Juni nach der Schafskälte werden die Skudden wie fast alle ihre Artgenossen landauf, landab geschoren. Der Zeitpunkt werde bei ihr von Tier zu Tier individuell festgelegt, sagt Behling.

Skuddenkopf mit Hörnern
(c) Fritz Fleege

Manuelles statt maschinelles Scheren

50 Muttertiere der kleinsten in Deutschland gehaltenen, vom Aussterben bedrohten Rasse leben als Basis auf ihrem Hof in Weseram, westlich von Berlin. Dazu kommen die derzeit getrennt von der übrigen Herde gehaltenen Zuchtböcke und die Nachzucht.

Die 60 Lämmer sind allesamt vor Ostern – positiv für den Absatz – auf die Welt gekommen. Jetzt genießen sie mit ihren Müttern während der Umgewöhnung von Trocken- auf Frischfutter ihre Kinderstube auf vier Hektar Grünland, das dank der kühl-feuchten Witterung im Frühjahr besonders gut steht.

Katja Behling bevorzugt das manuelle Scheren. „Die Maschine ist teuer, rentiert sich bei unserer Herdengröße nicht und hat ihre Tücken, kann sich schnell heiß laufen.“
Die Arbeit an Mayke geht zügig voran. Zuerst wird die Bauchwolle, dann die Bein- und Schwanzwolle, darauf die Kopfwolle geschoren. Nun wird das Vlies am Hals gelöst und in einem Stück vom Rücken und den Seiten abgeschoren.

Wolle: Nachwachsender Rohstoff mit hervorragenden Eigenschaften

Die Wolle soll schon bei der Schur nach Qualitäten getrennt werden. Minderwertige Partien an Kopf, Bauch und Beinen werden separat vom Hauptvlies geschoren. Nach einer Viertelstunde ist Mayke von 1,5 Kilogramm befreit. Katja Behling hat ein Auge drauf, dass das Vlies nicht verschmutzt. „Wolle ist ein nachwachsender Rohstoff mit hervorragenden Eigenschaften, kein Abfall, deshalb muss man schon in der Haltung darauf sehen, dass sie möglichst sauber bleibt.“

harter Wettbewerb mit synthetischen und pflanzlichen Fasern

Das Naturprodukt ist immer noch ein wichtiger Teil der Schafhaltung. Doch steht es seit Längerem in hartem Wettbewerb mit synthetischen und pflanzlichen Fasern. Geschätzte 8.000 Tonnen Wolle jährlich fallen in Deutschland an, heißt es: ein Tropfen im Meer gegen die drei Milliarden Tonnen Weltproduktion und nur vier Prozent der hierzulande benötigten Menge.

Der rasante Preisverfall für Wolle hat dazu geführt, dass viele Schäfer sie hierzulande nach dem Scheren ungenutzt entsorgen. Wirtschaftlich ist es ein No-Go, den Rohstoff zu vermarkten, so die allgemeine Meinung. Behling sieht das anders, verweist auf die natürlichen Thermoregulationseigenschaften der Wolle, die im Faserinneren Wasserdampf aufsaugen kann, die Oberfläche stößt Wasser dagegen ab.

Schafwolle nimmt wenig Gerüche auf, hat eine natürliche Selbstreinigungsfunktion, ist farbbeständig und schwer entflammbar. Letzteres prädestiniert sie etwa zum Einsatz als Dämmstoff oder in den Sitzen von Autos. Sogar Schadstoffe soll sie aus der Luft filtern können.

Skuddenwolle: nachhaltige Einsatzmöglichkeiten

Fest steht aber auch: Skudden tragen Mischwolle, also sowohl grobe Haarfasern als auch sehr feine Unterwolle. Die Haarfasermaße sind dreimal so dick wie die der Merinos, die auf eine der hochwertigsten Wollen gezüchtet wurden mit einer Feinheit, die das menschliche Haar weit übertrifft. Skuddenwolle kann da nicht mithalten, taugt nicht dazu, zu Kleidungsstücken verstrickt zu werden.

Gleichwohl gibt es nachhaltige Einsatzmöglichkeiten. Die Wolle eignet sich, gewaschen und gekämmt, hervorragend als Füllung von Kissen oder Bettwaren. Katja Behling fand ein Görlitzer Unternehmen, das Kopfkissen und Bettdecken herstellt und nunmehr seit zehn Jahren die Wolle als „Innenleben“ verwendet.

Ihre fünf Ferienwohnungen auf dem Hof hat Behling ebenfalls damit ausgerüstet, was ihre Gäste als angenehm und authentisch empfinden. Überdies kauft sie Stücke aus der Görlitzer Kollektion ein, um sie – in normalen Zeiten – auf Märkten anzubieten. Zehn Prozent des Warenwertes kann sie mit Rohwolle bezahlen. Ein guter Deal.

Erfreulich auch: Die Wertschätzung für regionale Schafwolle und das Interesse an deren Verarbeitung sowie für Schafwollprodukte als individuelle Erzeugnisse wächst. „Nordwolle“, ein junges Mecklenburger Unternehmen, das aus dem Wollkleid der Rauhwolligen Pommerschen Landschafe nachhaltige, allwettertaugliche Mode macht, ist auf bestem Wege, eine Erfolgsstory zu werden.

Erste Landschaftspfleger der Geschichte

Begonnen hat Behling als Quereinsteigerin. Ihre Wurzeln liegen im Wendland. Die Einzelhandelskauffrau trifft ihren späteren Mann, der seinerzeit als Zuchtleiter Schafzucht Berlin-Brandenburg arbeitete, siedelt ins Havelland über. Zwei Hektar Grünland, die zum Vierseithof gehören, den Behlings ausbauen, müssen von Anfang an regelmäßig kurz gehalten werden. Naheliegenderweise mit Schafen, den ersten Landschaftspflegern der Geschichte.

Zufall, sagt Katja Behling, dass es Skudden wurden, die ihnen ein Züchter anbot. Vorzeigetiere waren es nicht, doch die Entscheidung für die Rasse sei goldrichtig gewesen. Die aus Ostpreußen stammenden, früher als Kleine-Leute-Schaf, weil aufwandsarm geltenden Tiere können ganzjährig extensiv draußen gehalten werden, lammen eigenständig, sind robust. Ausgewachsen, ob Muttern, ob Böcke, überragen sie kaum 60 Zentimeter und wiegen etwa 35 Kilo (weiblich) respektive bis 50 kg (männlich), das macht den Umgang nicht zu schwer. „Sie sind klein und quirlig wie ich!“, lacht Behling.

„Vier Schafe, acht Lämmer, 200 Prozent Aufzuchtergebnis, das hatte ich später nie wieder“

Wie sie tiergerecht gehalten werden, hat sie sich Stück für Stück angeeignet. Katja Behling geht mit großer Ernsthaftigkeit an den Start. Das überzeugt ihren Mann, sie zu unterstützen und fachlich an die Hand zu nehmen. Am 12. Januar 2002 wurde ihre erste Nachzucht geboren. „Vier Schafe, acht Lämmer, 200 Prozent Aufzuchtergebnis, das hatte ich später nie wieder.“

Mit Leistung und Engagement hat sie sich den Ruf erworben, erfolgreich, beharrlich, durchsetzungsfähig, aber auch streitbar in der Sache zu sein. Ihre Herdbuchzucht – sie züchtet konsequent auf reinweißes Vlies – wurde mehrfach ausgezeichnet. Sie bringt sich überdies, nachdem sie von 2008 bis 2019 den geschäftsführenden Vorsitz im Schäferverein Fläming innehatte, in den Vorstand des Brandenburger Schafzuchtverbandes, bei den Landfrauen ein.

Wolle und Fleisch direktvermarktet

Wie die Wolle setzt Katja Behling auch das Fleisch in Direktvermarktung ab. Neun bis elf Monate alt und 25 bis 30 Kilo schwer kommen die Tiere zum zwei Kilometer entfernten Schlachter. Ein alteingesessener Fleischermeister verarbeitet das zarte, im Geschmack wildbretähnliche Fleisch zu Salami und Schinken. Die Lammpreise seien derzeit so hoch wie nie. Auch würden einige Tiere zur Zucht verkauft. „Wirtschaftlich tragen wir uns aber nicht. Mir geht es um das Gesamtkonzept. Meine Schafe sind bezahltes Hobby.“

Seit 2020 sind die Skudden Passagiere auf der Arche des Geschmacks von Slow Food Deutschland. Dort sind 21 Tierrassen vertreten, die man unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen als bedeutungslos einstuft und so in Gefahr sind, ausgelöscht zu werden. Slow Food will sie wieder stärker in den Fokus der Fachwelt und des öffentlichen Bewusstseins rücken. Katja Behling trägt ihrerseits ein gutes Stück dazu dabei.

Skuddenherde unter Baum
(c) Fritz Fleege

Der aktuelle Bestand an Skudden in Deutschland wird mit 8.000 Tieren angegeben, davon sind ca. 2.600 Mutterschafe. Zuchtzentren sind Berlin, Brandenburg und Sachsen. Dort wird die Haltung der Rasse staatlich gefördert.
Ihr Überleben verdanken Skudden dem Direktor des Münchner Zoos, der von den quirligen Kleinen angetan war und sie in den 1940er-Jahren gemeinsam mit Leipziger Kollegen als Genreserve zu retten begann.

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