Weihnachtsbaum: Fällen mit Vorfreude und Distanz

Erfolgreich: Gleich drei Bäume haben Karl-Heinz Müller, Tochter Jenny und Enkelsohn Pepe aus Schwante „geerntet“.
Reportage
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Auf dem Krämerwaldhof im brandenburgischen Neu-Vehlefanz kann man den Weihnachtsbaum seiner Wahl fällen. Und im Zwei-Stunden-Slot etwas über ungeschriebene Gesetze und die Meinungsvielfalt von Förstern erfahren.

Von Wolfgang Herklotz*

Weihnachtsbäume ohne Ende! Auf rund sieben Hektar erstreckt sich die Plantage am Rande von NeuVehlefanz im brandenburgischen Landkreis Oberhavel. Serbische Fichten sowie Rot- und Blaufichten unterschiedlicher Wuchshöhe stehen hier, zudem Nordmanntannen, Kiefern und Douglasien. Wer es mag, sich zur Vorweihnachtszeit den Baum seiner Wahl selbst zu schlagen, wird auf dem Krämerwaldhof fündig. Und erfährt, dass dieser schon seit mehreren Generationen bewirtschaftet wird. „Dies geht bereits auf meinen Urgroßvater zurück“, berichtet Günter Köhler. Der heute 85-Jährige hatte zu DDR-Zeiten in der hiesigen LPG und danach in der Gärtnerischen Produktionsgenossenschaft gearbeitet. Er kümmerte sich um den Transport von Milch, Gemüse und Kartoffeln, später um Langholzfuhren. Mit Weihnachtsbäumen hatte er damals allerdings nicht zu tun. Deshalb habe er erst mehrere Förster konsultiert, ehe er sich vor zwei Dutzend Jahren an das Anlegen einer Plantage wagte, vorerst auf zwei Hektar. „Aber ich musste dann feststellen: Fünf Förster, fünf Meinungen!“

Tannenzweig

Ganz offensichtlich gibt es eben verschiedene Wege, die zum Ziel führen. Zumal sich die zwei- bis vierjährigen Setzlinge, von mehreren Baumschulen bezogen, je nach Sortenspezifik unterschiedlich entwickeln. Überdies spielt die Beschaffenheit des Bodens eine wichtige Rolle. Gerade die Kiefern, aber auch die Tannen und Fichten bevorzugen leichtere, durchlässige Böden. „Im Prinzip richtig, aber es gibt immer wieder Überraschungen“, erklärt Günter Köhler. Denn auch das Wetter nimmt großen Einfluss darauf, wie die Bäumchen gedeihen. Wenn einem milden Winter ein warmes Frühjahr folgt und dann plötzlich Bodenfröste auftreten, sterben schnell die Triebe ab oder verkümmern. Das hat zur Folge, dass sich die Zweige des Baumes nicht gleichmäßig ausbilden. „Es gab aber auch Fälle, wo sich so mancher Patient wieder berappelte“, so Köhler. Mitunter hilft sich die Natur selber, aber zumeist sind zusätzliche Gaben von mineralischem Dünger und Wasser unverzichtbar. Da in den letzten Jahren die Trockenperioden immer länger und extremer wurden, muss kräftig bewässert werden. Ein verregneter Sommer wie vor Jahren dürfte da ein Glücksfall gewesen sein. „Nein, das war zu viel des Guten“, erinnert sich Günter Köhler. „Staunässe im Boden macht die Wurzeln krank!“ Extreme Bedingungen führen somit zu extremen Erfahrungen und daher zu unterschiedlichen Meinungen. Die Förster lassen grüßen!

Ein anderes Metier

Es ist ebenso unterhaltsam wie lehrreich, an diesem kalten Dezembertag mit dem 85-Jährigen durch die Anlage zu gehen. Zuvor hatte uns sein Enkelsohn Vincent begrüßt. Dieser führt jetzt die Geschäfte auf dem Krämerwaldhof, obwohl eigentlich in einem ganz anderen Metier unterwegs. Nach dem Studium an der Technischen Universität Berlin und zwei Auslandssemestern in Istanbul schreibt er nun an seiner Masterarbeit über die Entwicklung von Wasserstoffzellen. Spätestens im Mai nächsten Jahres soll diese vorliegen. Im Moment liegt sie quasi auf Eis, denn das Weihnachtsbaumgeschäft hat Vorrang. „Es ist ein ungeschriebenes Gesetz in unserer Familie, dass wir in dieser Zeit alle mit anpacken!“ Wozu neben Schwester Sophie auch Bruder Jasper, Mutter Annelie sowie Vater Steffen gehören, ebenso Vincents Freundin Lou Pelosoff. Und Opa Günter muss ebenfalls immer nach dem Rechten sehen, versteht sich!

Während in den vergangenen Jahren zur Adventszeit immer Hochbetrieb auf dem Krämerwaldhof herrschte, drückt nun Corona dem Treiben unbarmherzig seinen Stempel auf. Ein Hygienekonzept musste her, um vor der Pandemie zu schützen und dennoch den Baumverkauf aufrechtzuerhalten. Die Käufer müssen sich vorab per Mail, Fax oder Telefon anmelden, die Zahl der Besucher ist begrenzt. „Es gibt sogenannte Zwei-Stunden-Slots, in denen sich maximal 150 Leute auf dem Hof aufhalten dürfen“, erläutert Vincent Köhler. Mundschutz zu tragen und auf den vorgeschriebenen Mindestabstand zu achten, ist Pflicht, Hinweisschilder an den verschiedensten Stellen des Hofes erinnern daran. Jene, die Appetit auf eine Bratwurst vom Grill oder einen Glühwein verspüren, können weiter den Imbissstand nutzen, aber in gehöriger Distanz bitte! Anschließend in gemeinsamer Runde zu sitzen, ist tabu. „Sicherlich schade“, bekennt Vincent Köhler, „denn das war früher immer noch ein Erlebnis obendrauf. Aber im Moment geht das eben leider nicht!“

Sägen strengt an

Dafür haben Petra Ganzel und ihr Sohn Kai durchaus Verständnis. Für die beiden, die aus dem nur wenige Kilometer entfernten Bötzow kommen, ist der Ausflug zum Krämerwaldhof dennoch eine Premiere. Und die Nordmanntanne eigenhändig abzusägen ebenso. „War schwieriger als gedacht“, gesteht Kai Ganzel, Busfahrer von Beruf. Und auch der Abtransport will gemeistert sein. Das Fest wird er gemeinsam mit den Eltern verbringen, am zweiten Weihnachtsfest stößt dann noch seine Schwester mitsamt Ehemann dazu. Als Ersatz für die abgesagte Betriebsweihnachtsfeier hatte der junge Mann einen Gutschein bekommen und löst ihn hier nun ein. „War eine tolle Idee!“

Zu den Stammkunden, die seit vielen Jahren nach Neu-Vehlefanz kommen, gehören Anja und Thomas Matthes aus Stolpe. Sie haben heute ihre fünfjährige Tochter Marie mitgebracht, die bei der Auswahl des Baumes mithelfen durfte. Das klappte offensichtlich reibungslos, denn schon nach zehn Minuten war die passende Tanne gefunden. Und wenig später: Gleich drei prächtige Exemplare haben Jenny Müller, ihr Sohn Pepe und Opa Karl-Heinz Müller heute „geerntet“. Wenn man wie die drei aus einem Mehr-GenerationenHaushalt in Schwante, ebenfalls Oberhavel-Kreis, stammt, darf es für das Fest wohl schon etwas mehr sein. Wie der sechsjährige Pepe versichert, habe er dem Opa beim Sägen mitgeholfen. Der ist zwar Landwirt und im Umgang mit Handwerkzeugen durchaus geübt, aber man weiß ja nie …

Stumpf wertvoll

Damit die Weihnachtsbäume der Wahl, vorzugsweise Nordmanntannen und Fichten, den Transport gut überstehen, werden sie in Netzen verpackt. Auf Wunsch kann auch gleich noch der Stamm angespitzt werden. Dafür sorgt Christian Wohlfahrt, wetterfest gekleidet und immer zu einer freundlichen Bemerkung aufgelegt. „Suchen Sie sich in Ruhe etwas aus, und wenn Sie nichts finden sollten, geben Sie einen Notruf ab“, fordert er eine der Besucherinnen auf. Der studierte Agrarökologe versteht sich als „freischaffender Haus- und Hofgärtner“, wie er schmunzelnd bemerkt. Seinen Bachelorabschluss machte er im Gartenbau, daher stellt er gern auch sein Wissen um eine ausreichende Versorgung mit Magnesium, Kali und Phosphor sowie den integrierten Pflanzenschutz zur Verfügung. Beeindruckt ist er vom immensen Erfahrungsschatz, den Opa Köhler hat. „Dass man die Setzlinge am besten jeweils neben einem Baumstumpf platziert, hat man uns an der Uni nicht vermittelt. Das habe ich hier gelernt.“ Denn bevor der Stumpf verrottet, gibt er noch Nährstoffe an die junge Pflanze ab.

Worauf sich Günter Köhler einschaltet. „Es dürfen aber keine Reste von Zweigen am Stumpf sein, sonst treibt er neu aus. Wenn ich durch die Plantage gehe und so etwas entdecke, schnappe ich mir gleich eine Säge!“ Bewährte Praxis wie so vieles auf dem Hof der Generationen.


Erfahren Sie hier mehr: https://www.kraemerwaldhof.de/

*Beitrag erstmals veröffentlicht am 19. Dezember 2020