Schwarzwild: Vom Ruhekissen ins Feld
Ideale Lebensbedingungen finden Wildschweine im Thüringer Nationalpark Hainich. Ein interessantes Nahrungsangebot bieten ihnen die angrenzenden Felder. Neue Forschungsergebnisse sollen helfen, die Wildschäden zu minimieren.
Von Alisa Klamm, Nationalpark-Verwaltung Hainich
In ganz Deutschland sind steigende Schwarzwild-Bestände zu verzeichnen. Ein Rückgang ist sehr unwahrscheinlich. Auch in Thüringen ist diese Situation allgegenwärtig. Das Forschungsprojekt „Entwicklung und Raumnutzung eines Schwarzwild-Bestandes in Abhängigkeit von den naturräumlichen Gegebenheiten des Buchenwald Nationalparks Hainich und dessen intensiv landwirtschaftlich genutzten Umfeldes“ widmete sich dieser Entwicklung.
Im Zeitraum 2016 bis 2019 fanden Untersuchungen zur Anpassung des Schwarzwildes in einem für Mittel- und Nordthüringen typischen Landschaftsmosaik aus großflächigen Laubmischwäldern und ausgedehnten landwirtschaftlichen Flächen statt. Im Fokus standen Fragen zur Raumnutzung und Bestandesdichte der Tiere sowie zur Habitatqualität und den vorhandenen Nahrungsressourcen im Projektgebiet. Zudem waren die Kommunikation mit den verschiedenen Akteuren vor Ort und der Wissenstransfer wichtige Bestandteile.
Projekt: Schwarzwildschäden wirkungsvoll reduzieren
Das gesamte Projektgebiet mit ca. 25.000 ha umfasste dabei den Nationalpark Hainich mit seinen 7.500 ha und die umliegenden Acker-, Wiesen- und Waldflächen. Partner waren der Landesjagdverband, das Forstliche Forschungs- und Kompetenzzentrum Gotha (Thüringen Forst) sowie die Nationalparkverwaltung Hainich.
Mithilfe der GPS-Satellitentelemetrie konnten im Zeitraum 2017 bis 2019 von insgesamt 64 verschiedenen Wildschweinen Laufwege und Raumnutzung überwacht werden. Es zeigte sich, dass die Tiere überwiegend standorttreu waren und nur selten größere Wanderungen unternahmen (max. zurückgelegte Entfernung: 19,5 km). Die Jahresstreifgebiete eines Tieres sind im Durchschnitt ca. 3.000 ha groß, wobei die jährlichen Kerngebiete weitaus kleiner sind.
Details zum Projekt und den Ergebnissen unter www.schwarzwild-hainich.de.
Für Rückfragen steht Projektkoordinatorin Alisa Klamm zur Verfügung: schwarzwild-hainich@nnl.thueringen.de
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Die Jagdruhezone im Nationalpark (umfasst aktuell ca. 44 Prozent der Gesamtfläche des Nationalparks) hatte einen Anteil von etwa 42 Prozent am Jahresstreifgebiet der untersuchten Tiere. Sie stellt somit einen wichtigen Teillebensraum dar. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Tiere in dieser Zone betrug ca. 13 Stunden. Die Sendertiere wechselten also täglich in benachbarte Bereiche, wo eine Bejagung möglich ist. Durch die Schätzung des Frühjahrsbestandes der Wildschweine im Nationalpark mittels sogenannter Kot-Geno-Typisierung wurde 2018 eine Bestandesdichte von 11,7 Tieren/100 ha ermittelt. Dieser Wert ist ein Ausdruck der optimalen Habitatbedingungen, in welchem das vorhandene Nahrungsangebot ausschlaggebend ist. Aufbauend auf diesem Ergebnis und den ausgewerteten Streckendaten konnte aufgezeigt werden, dass aktuell keine Limitierung des Schwarzwild-Bestandes erfolgt. Künftig ist sogar mit einer Verbesserung der Lebensbedingungen zu rechnen.
Die Telemetrie-Daten geben Aufschluss darüber, dass für ein wirkungsvolles Schwarzwildmanagement der gesamte Lebensraum, also Nationalpark und das weitere Umfeld (ca. 25.000 ha), betrachtet werden muss. Erst wenn die beteiligten Akteure kooperieren und zusammenarbeiten, können kurz- und langfristige Lösungen für die Reduzierung von Schwarzwildschäden im Umfeld des Nationalparks gefunden werden. In diesem Zusammenhang ist die Erarbeitung eines gemeinsamen Konzepts zum Schalenwildmanagement von großer Bedeutung. Damit begann die Nationalparkverwaltung bereits. Zukünftig soll es darüber hinaus eine Arbeitsgruppe „Schwarzwild“ für den regelmäßigen Austausch geben.
Landwirte wollen Ergebnisse!
Mühlhausen/Eisenach. Auf einer Videokonferenz zur Schwarzwildsituation im Nationalpark Hainich tauschten sich kürzlich Vertreter der Nationalparkverwaltung, der Jägerschaft, der Landwirtschaft sowie der CDU-Landespolitik aus.
Unter Einbeziehung der Ergebnisse der Abschlusstagung des Projektes „Schwarzwild im Hainich“ wurde intensiv und konstruktiv diskutiert. Das Konfliktpotenzial zwischen „Natursein lassen“ und der angrenzenden landwirtschaftlichen Nutzung waren schnell ausgemacht. Bei derzeit rund 900 Stück Schwarzwild und einer Entnahme von nur 37 Prozent des Zuwachses werde sich die Situation eher noch verschärfen, hieß es.
Landwirtschaft und Jägerschaft forderten daher die kurzfristige Umsetzung abgestimmter Maßnahmen, sowohl für die Prävention als auch für die Entnahme. Die Regulierung von Wildschäden, so eine Feststellung, wird zu einer kaum mehr zu stemmenden finanziellen Belastung. Die Kreisbauernverbände der Region erarbeiten derzeit ein Forderungspapier, das sie an den Agrarausschuss und die Landtagsfraktionen adressieren wollen. red
Schwarzwild: Was ist zu viel?
Weiterhin sollen Methoden zur Steigerung der Schwarzwildstrecke etwa durch Verlängerung der Jagdzeit (Nationalpark) sowie der Einsatz von Nachtsichtgeräten und Saufängen (Nationalpark und Umfeld) im Rahmen von Pilotprojekten getestet und gegebenenfalls etabliert werden. Ausgehend von den Ergebnissen wird zudem die Entwicklung eines Monitorings zur Beeinträchtigung landwirtschaftlicher Flächen angestrebt. Hier geht es um Antworten auf die Frage: Was ist zu viel?
Die Ergebnisse aus dem Projekt sind nicht nur für die Hainich-Region bedeutsam. Sie können insbesondere dort übertragen werden, wo wie im Hainich großflächige Laubmischwälder an fruchtbare Ackerflächen grenzen. Ein 2020 gestarteter Moderationsprozess soll u. a. dauerhafte Gesprächsstrukturen schaffen und gemeinsame Strategien zur Verminderung der Wildschäden erarbeiten. Damit die aus dem Projekt abgeleiteten Handlungsempfehlungen zügig in die Praxis umgesetzt werden können, besitzt der regelmäßige Austausch und Kontakt mit Landwirten und Jägern hohe Priorität. Bedauerlicherweise erschwert die Corona-Lage persönliche Gesprächs- und Diskussionsrunden, die in diesem Prozess essenziell sind.
Erste Schritte gegen Hainich-Schwarzwild
Bei der Eindämmung von Wildschäden auf landwirtschaftlichen Flächen um den Nationalpark Hainich gibt es konkrete Schritte. Wie Manfred Großmann, Leiter des Nationalparkes, auf Anfrage informierte, soll in der Feldflur Kammerforst nun ein Pilotvorhaben umgesetzt werden. Darauf einigten sich die Parkverwaltung, Jäger und die Gemeinde Oberdorla. Seitens der Nationalparkverwaltung sei bei einem Treffen auf die Handlungsempfehlungen aus dem Schwarzwild-Forschungsprojekt verwiesen worden.
Konkret geht es um die Bejagung der Wildschweine im Randbereich des Nationalparks auch in den nächsten Monaten. Damit würde die derzeitige Jagdruhe im gesamten Randbreich (400 m von der Nationalparkgrenze ins Schutzgebiet hinein) aufgehoben. Nachtzieltechnik soll in dem Pilotprojekt ebenso zum Einsatz kommen wie Saufänge. Zudem ist die Errichtung von Wildzäunen zur Schaffung von Zwangswechseln anvisiert. Am 16. April sollte es dazu mit Jägern und Landwirten im Bereich Kammerforst einen Vororttermin gegen. fh