Spur der Steine: Eine Kirche zieht um

Die zierliche Kapelle von Kleinwudicke, zwar lädiert, aber zumindest außen noch nicht allzu arg von Vandalismus gezeichnet. (c) Jutta Heise
Landleben
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Die Kapelle von Kleinwudicke muss abgerissen werden. In Jerchel, fast nebenan, ist der Platz, auf dem seine Kirche stand, lange verwaist. Die Idee: Ihn mit einem Gemeindehaus für religiöse und weltliche Nutzung zugleich füllen. Mit dem Kleinwudicker Kleinod, abgetragen und wiedererrichtet, als Kernstück.

Von Jutta Heise

Hier möchte ruhen, ganz zuletzt, wer empfindsam ist. Der Friedhof von Kleinwudicke, eingekuschelt in dickichtartiges Grün, fünf, sechs Gräber, dominiert von der Kapelle: Der 1778 errichtete Fachwerkbau im Besitz der Gemeinde Milower Land, Nordwestbrandenburg, und seit Mitte der 1970er-Jahre ungenutzt und entwidmet, ist eingezäunt: Einsturzgefahr.

Einsturzgefahr der Kapelle in Kleinwudicke. (c) Jutta Heise

Nichtsdestotrotz ein Ort von eigener Strahlkraft. Kleinwudicke. Ein paar Dutzend Ein-, Zweifamilienhäuser, Natur reichlich, Ruhe! Hatte uns ein Schild am Ortseingang nicht „vorgewarnt“? Sackgasse! Mal kein Durchgangsverkehr, himmlisch! Um das Schicksal ihrer kleinen Kapelle hat die Bürgerschaft seit mehr als einem Jahrzehnt immer mal wieder gerungen. Abreißen, so die einen, sanieren dagegen die anderen, aber wovon, fragten die dritten. Des Widerstreits müde, erlosch später das Interesse an dem Bauwerk, worauf man eine Trauerhalle auf dem Gelände errichtete. Zugleich verpasste man jene wenngleich kurzen Zeiten, in denen es leichter war als später, Gelder der öffentlichen Hand für eine Sanierung zu ergattern. Heute, da man noch zwei aktive Kirchenmitglieder zählt, fehlt der Evangelischen Hoffnungskirchengemeinde im Elb-Havel-Winkel, zu der Kleinwudicke gehört, die finanzielle Kraft mehr denn je. Das Bauordnungsamt erließ vor einigen Monaten eine sogenannte Ordnungsverfügung, eine Aufforderung zum Rückbau, heißt: Abriss! …

Eine Kirche Von Kleinwudicke nach Jerchel

Glockenstuhl in Jerchel. (c) Jutta Heise

Wir steuern unser zweites Ziel an, begleitet von Radfahrern mit einem Equipment, das auf straffe Körperertüchtigung hinweist. Der Havel-Radweg, 371 Kilometer lang, ist gut frequentiert. In Jerchel, etwa 20 Kilometer von Kleinwudicke entfernt, deuten nur ein freistehender Glockenstuhl mit zwei Glocken und ein Wandgemälde am Giebel des alten Feuerwehrhauses, die ehemalige Kirche darstellend, darauf hin: Auf diesem zentralen Dorfplatz stand mal ein Gotteshaus, eine Patronatskirche, errichtet 1590, wie die Kleinwudicker Kapelle ein Fachwerkbau. Warum ihr Denkmalschutzstatus aufgehoben worden ist, obwohl sie noch intakt gewesen sein soll, und nachfolgend 1982 wegen Baufälligkeit abgerissen wurde, darüber gibt es nur Spekulationen.

Hannelore Proske ist auch Ostchronistin. (c) Jutta Heise

Zeitweilig treffen sich die etwa 30 Mitglieder des Kirchspiels Nitzahn, zu dem Jerchel gehört, in den unteren Räumen des bereits verkauften, weil nicht mehr genutzten Pfarrhauses. „Wir haben uns in den letzten Jahren nicht nur einmal Gedanken um ein neues Domizil gemacht. Der Gemeindekirchenrat ist ohne Bleibe, für unsere Seniorentreffs und Gemeindenachmittage fehlt uns ein Treffpunkt. Also haben wir unterschiedliche Modelle durchgespielt. Aber die Realisierung selbst des kleinsten Projektes scheiterte immer am Geld“, so Hannelore Proske, Mitglied des Gemeindekirchenrates.


Idee: Eine Kirche zieht um?

Was Finanzspritzen für solche Objekte angeht, sind dem Bürgermeister der Gemeinde Milower Land mehr oder weniger die Hände gebunden. Ohnehin setzt Felix Menzel in die Stärkung von Kitas und Schulen. Das hält junge Familien oder zieht gar welche an. Doch manchmal sind Ideen mindestens genauso viel wert wie Geld, zumal wenn einem wie ihm Gemeinsinn nicht gleichgültig ist. Sein Vorschlag: Ließe sich die Kapelle von Kleinwudicke, zu dessen 120 Einwohnern er selbst mit Familie zählt, nicht nach Jerchel versetzen? Science fiction! Aber sind nicht schon Kirchen – spektakulär – vor heranrückendem Kohletagebau gemeinsam mit den Bewohnern „umgezogen (worden)?“ Eine wagemutige Idee (nicht von jedem in Kirchenleitung, Denkmalschutzbehörden und vor Ort geteilt), die inzwischen deutlich mehr Befürworter als Gegner hat, nimmt Gestalt an.

Pfarrerin Magdalena Wohlfarth stützt das Vorhaben nach Kräften. (c) Jutta Heise

Pfarrerin Magdalene Wohlfarth, für das zum Evangelischen Kirchenkreis Elbe-Fläming zählende Kirchspiel mit Jerchel zuständig, ist hochmotiviert. „Ein sakrales Bauwerk wie die Kapelle von Kleinwudicke zu retten und anderenorts wieder aufzubauen, um dem Wunsch nach einem wie auch immer genutzten neuen Kirchengebäude zu entsprechen, ist zwar eine schöne Aufgabe, war uns aber zu wenig.“ Man strebe eine höhere Qualität an, wolle ein offenes Haus schaffen, mit sakraler und weltlicher Bestimmung zugleich, einen Ort der Begegnung für alle. „Wir denken an eine Rad- und Kulturkirche, um den neuen Raum mit Leben zu füllen“, sagt Wohlfarth. Hannelore Proske weiß: „Manchen Tag zählen wir über 100 Radler, die hier vorbeikommen, aber derzeit weder eine Gelegenheit zur Andacht noch zur Einkehr haben.“

Weitere Nutzungsmöglichkeiten sieht das Konzept in Lesungen, Konzerten, Bildungsangeboten. Mit einem Flyer, der das Projekt erläutert, sind Pfarrerin Wohlfarth und Mitglieder des Gemeindekirchenrates in Jerchel von Haus zu Haus gegangen, warben um Unterstützung. Das positive Feedback überwog. Inzwischen ist man breit aufgestellt. Es konstituierte sich ein Freundeskreis mit Mitgliedern aus allen fünf Gemeinden des Kirchspiels. Ihnen gelang es, Kooperationen mit mehr als zehn Partnern zu vereinbaren, die das Gemeindehaus künftig nutzen wollen. Darunter zwei Musikschulen, der Nabu, der Tourismusverband Havelland, die Landfrauen.


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Eine GROSSE HERAUSFORDERUNG

Innenraum der Kleinwudicker Kapelle. Der Leerstand hat verheerende Spuren hinterlassen. (c) Archiv

Nur mit dem beschriebenen modernen Ansatz, der die Region stärkt, hat das Projekt ernsthafte Chancen, 75 Prozent derBausumme, geschätzte 380.000 Euro, aus europäischen Fördergeldern zu bestreiten. Zugleich stehen Mittel der Landeskirche Sachsen-Anhalt abrufbereit. Ein positiver Förderbescheid liegt zwar noch nicht vor. Doch laufen die Vorarbeiten zügig. „Das Vorhaben ist eine Herausforderung, so etwas haben wir, obwohl auf denkmalpflegerische Projekte fokussiert, bisher nicht auf dem Tisch gehabt“, sagt Heidrun Fleege vom Architekturbüro Fleege+Oeser. Das eine Projektskizze erstellt hat, einen Vorschlag, wie die Kapelle in Jerchel in Harmonie neben dem Glockenstuhl stehen könnte, um, ein weiterer Gewinn, ein leeres Areal räumlich neu zu fassen.

„Die Kapelle soll an einen anderen Platz, eine Mammut-Aufgabe für sich. Das Material muss am alten Standort abgetragen, begutachtet, sortiert, nummeriert werden, bevor es zum Wiederaufbau eingesetzt werden kann. Nach ersten Inaugenscheinnahmen könnte ein Teil der Hölzer der Fachwerkkonstruktion verwendbar sein. Man soll aber auch bewusst sehen, was neu ergänzt wurde.“ Fleege weiter: „Die Kapelle erhält zugleich einen anderen Inhalt. Um ihre Bestimmung fortzuschreiben, schlagen wir einen kleinen Funktionsbau mit Teeküche und Sanitärtrakt vor, der rückseitig ausgerichtet ist. Er setzt sich optisch bewusst von der Kapelle ab, die ihrerseits ein paar neue Akzente erhält, etwa ein vertikales Lichtband bis in die Giebelspitze, ein Fenster am Ost- giebel.“

Zwischen den sakralen Raum mit beweglichem Altartisch, moderner Beleuchtung, ohne starre Bestuhlung, alles der jeweiligen Nutzung anpassbar, und den Anbau ist eine Stahl-Glas- Konstruktion konzipiert, möglichst transparent, kaum wahrnehmbar, als Bindeglied zwischen beiden Bauteilen. Sinnbildlich fast. Und noch: „Die Dachkonstruktion soll sichtbar sein, dadurch bekommt der Innenraum mehr Höhe.“ Auf dass die Gedanken in neue Dimensionen fliegen.

„Kirche in heutiger Zeit versteht sich als ein gesellschaftlicher Player. Sie muss, auch der Realität geschuldet, ihre Räume öffnen, sich neue Formen überlegen, präsent sein, um wahrgenommen zu werden“, sagt Magdalena Wohlfarth. „Wir halten dennoch mit unserer christlichen Botschaft nicht hinterm Berg.“