Internationaler Frauentag: Powerfrauen in Göricke
Warum eine Finanzwirtschaftlerin nicht nur Zahlen im Blick hat und eine junge Tierärztin ihren Traumberuf gegen eine ebenso erfüllende Aufgabe tauschte. In der Agrargenossenschaft Görike-Schönhagen eG, brandenburgische Ostprignitz, verantworten Mutter und Tochter wichtige Betriebszweige: Controlling und Direktvermarktung. Wir sprachen mit Kerstin Leppin und Dr. Katja Leppin.
Rüdiger Leppin, Vorstandsvorsitzender der Agrargenossenschaft, Ehemann respektive Vater unserer Gesprächspartnerinnen, hält sich im Hintergrund, doch – sicher ist sicher – die Verbindungstür zu seinem Büro bleibt offen. Aber wir wollen unter uns sein, nur heute, männliches Korrektiv – bitte draußen bleiben! Erst als er uns lachen hört, und dann immer wieder, ist er entspannt. Beschützerinstinkt abschalten, Tür schließen!
Bauernzeitung: Klavier, Keyboard, was ich im Vorbeigehen gesehen habe, ist ziemlich ungewöhnlich für die Büroausstattung einer Agrargenossenschaft. Ein Fall von Hausmusik? Fehlt nur noch eine Trompete. Dann könnte man vermuten, hier wird diesem und jenem mal der Marsch geblasen.
Kerstin Leppin: Unsere 16 Mitarbeiter sind auch ohne solche „Ermunterung“ motiviert. Nein, unsere Familie ist sehr musikalisch, nicht nur Katja, sondern auch meine zweite Tochter und ich spielen mindestens ein Instrument, übrigens auch Trompete. Mein Mann imitiert lieber Udo Lindenberg.
Dritter Versuch: Üben Sie etwa ein Ständchen zum Frauentag?
Kerstin Leppin: Wir proben für eine große Familienfeier. Nach Feierabend.
Apropos Frauentag. Kann Ihre Generation, Katja, also die der Um-die-30-Jährigen noch etwas damit anfangen?
Katja Leppin: Im vorigen Jahr hat meine Mutter am 8. März eine Feier für alle Frauen aus unserem Dorf arrangiert. Die Jüngeren waren im Vorfeld nicht begeistert, meinten, och, ist doch Nostalgie! Mehr Wertschätzung und Unterstützung der Frauen im Alltag, das wäre nötig – Punkt. Gerade die haben dann besonders interessiert zugehört, als die Sprache auf die Anfänge der Frauenbewegung kam und was wir den Aktivistinnen zu verdanken haben.
Kerstin Leppin: Eine Kanzlerin, ein bisschen Frauenförderung, das reicht nicht.
Frauen bleiben monatelang im Weltall, retten als Kapitänin Flüchtlinge, stellen sich an die Spitze der Klimabewegung. Brechen wir das mal runter auf die Agrargenossenschaft Görike-Schönhagen. Wie wurden aus Ihnen Frauen in Schlüsselpositionen?
Kerstin Leppin: Wir haben uns als Agrargenossenschaft 1990 aus der ehemaligen LPG heraus gegründet, einer Vorzeige-LPG übrigens. Heute bewirtschaften wir 900 ha Ackerland, betreiben eine Biogasanlage mit 390 KW und konventionelle Schweinehaltung mit 2.800 Tieren, sind QS- und Tierwohl-zertifiziert. Mein Mann Rüdiger leitet die Pflanzenproduktion und die gesamte Agrargenossenschaft. Ich bin für die Buchhaltung zuständig.
Katja und Kerstin Leppin grüßen alle Landfrauen zum Frauentag
Einblick, Durchblick, Zahlen. Ihre Leidenschaft?
Kerstin Leppin: Mein Vater wollte mich von allem fernhalten, was mit Landwirtschaft zu tun hat. Plackerei, meinte er! Er wusste, wovon er sprach. Mit Katja agiert die achte Generation unserer Familie hier in Görike. Irgendwann habe ich nachgegeben, Finanzwirtschaft studiert und in der Buchhaltung der LPG angefangen. Sitzende Tätigkeit – war anfangs nicht leicht auszuhalten bei meinem Bewegungsdrang!
Wie haben Sie den Mangel kompensiert?
Kerstin Leppin: Früher mit Fußballspielen. Aber ich bin ins Metier reingewachsen. Wenn ich mal Zeit habe, werde ich das alles aufschreiben, vielleicht auch unter dem Frauen-Aspekt. Wir haben als Familie schon zu LPG-Zeiten immer geschlachtet und geräuchert. Später haben wir drei, vier Rinder gehalten, die sollten die Wiese um die Ecke pflegen und wurden zu Weihnachten zu Fleisch- und Wurstpaketen für die Belegschaft. Daran anknüpfend entstand die Idee, in die regionale Eigenvermarktung einzusteigen. Mit unserem kleinen Tierbestand war das aber unprofessionell. Dann kam Katja und sagte, das geht besser! Wir stellen auf innovative, ökologische Landwirtschaft mit Tradition um, betreiben Mutterkuhhaltung.
Katja Leppin: Das war vor zwei Jahren. Die Direktvermarktung ist heute das vierte Standbein der Genossenschaft. Wir haben unseren Tierbestand mit alten Landrassen aufgestockt, halten derzeit 40 Angus-Rinder und 20 Duroc-Schweine sowie Kamerunschafe. Den gesamten Bestand betreue ich eigenverantwortlich. Alle Tierarten werden artgemäß, stressfrei, im eigenen Verband gehalten, wachsen ohne präventive Antibiotikagaben und ohne Leistungsförderer auf. Nach dem Schlachten durch einen Fleischer der Region vermarkten wir die Produkte unter unserem Label „Landgeschmack“. Das habe ich schützen lassen. Wir achten, darauf, dass das ganze Tier verarbeitet wird.
From nose to tail, von der Nase bis zum Schwanz also.
Katja Leppin: Es kann nicht angehen, dass Tiere nur eines Filets wegen ihr Leben lassen. Alles hat seinen Wert und kann zu wunderbaren Gerichten zubereitet werden. Man muss nur wissen, wie. Wir haben einen Online-Shop aufgebaut und einen kleinen Hofladen in der ehemaligen Schlachteküche. Wir halten ja drei Tierarten und innerhalb derer jeweils drei Gewichts- und Altersgruppen. Das ermöglicht saisonalen Absatz. Dazu haben wir ein Netzwerk an Kunden geknüpft, vor allem in der Gastronomie der Region und Berlin. Bei jedem Kundenkontakt versuche ich, unsere Art der Tierhaltung zu vermitteln, Details zu Fütterung und Schlachtung, dass das Rindfleisch drei Wochen am Knochen reift, wir kein Pökelsalz verwenden, weil es im Verdacht steht, einige Krebsarten zu begünstigen. Das alles ist noch ausbaufähig.
Zum Beispiel?
Katja Leppin: Die Angus-Herde ist noch im Aufbau, letztens war ein Zuchtbulle da. Ein Antrag auf Weideschlachtung läuft, wir werden hoffentlich bald die ersten in der Prignitz sein, die sie praktizieren. Die Methode erlaubt stressärmeres Töten, das wirkt sich positiv auf die Fleischqualität aus. Der Auslauf für die Schweine soll weiter vergrößert und das Umfeld um den Hofladen attraktiver gestaltet werden. Die nächste Etappe feiern wir im Herbst mit einem Bau-Hof-Fest.
Um all das auf die Beine zu stellen, gaben Sie die Tiermedizin auf. Doch kein Traumberuf?
Katja Leppin: Im Moment fühlt sich, was ich mache, hundertprozentig richtig an. Ob das in fünf, sechs Jahren noch so ist, wird sich zeigen. Ich hatte den Antrieb, fast alle Facetten der Tiermedizin kennenzulernen, habe zusätzliche Praktika gemacht, in einer Kleintierpraxis, mit Großtieren, in der Rostocker Tierklinik gearbeitet, promoviert.
Mit welcher Erkenntnis?
Katja Leppin: Dass der alleinige Praxisalltag und wissenschaftliche Forschung nicht auf mich passen. Ich bin eine Natur-Tante!
Großtiere wären eine Option. Sie sind ja nahe dran.
Katja Leppin: Für mich persönlich und in meinen Augen ist das eine sehr schwere Arbeit für Frauen. Nicht für alle. Vor diesen Kolleginnen habe ich großen Respekt.
Wir meinen immer, wir müssten alles können. Das wird uns von der Männergesellschaft eingeredet.
Katja Leppin: Die Männer haben damit nichts zu tun. Zumindest in unserem Betrieb arbeiten Männer und Frauen Hand in Hand. Es ist einfach wichtig, über eine gesunde Selbsteinschätzung zu verfügen. Wer sich überhebt, scheitert oft. Als ich anfing, die Direktvermarktung aufzubauen, habe ich parallel in einer Kleintierpraxis gearbeitet, das ging nicht lange gut. Jeder sollte das Instrument spielen, das er am besten beherrscht.
Was reizt Sie an Ihrer Aufgabe?
Katja Leppin: Ich kann mich frei entfalten, Ideen einfließen lassen aus allem, was ich mal gelernt, studiert und ausprobiert habe. Vom Kastrieren der Bullenkälber bis hin zur Produktgestaltung, mein Wirkungsfeld ist sehr breit.
Zu Ihren Kunden gehören derzeit unter anderem angesagte Restaurants der Berliner Spitzen-Gastronomie. Wie kriegt man da einen Fuß in die Tür?
Katja Leppin: Ich versuche, viel Aufklärung zu schaffen und die Eckpfeiler unseres Konzeptes hervorzuheben, eben das, was unsere Produkte ausmacht, wofür wir voller Überzeugung stehen. Dann zählen sehr schnell Qualität, Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Termintreue.
Nur noch dies. Zwei Frauen in Schlüsselpositionen eines Betriebes, dazu Mutter und Tochter, geht das gut?
Katja Leppin: Wir haben ein geordnetes Regime, jeder hat seinen Part, wir stimmen uns ab, quatschen offen über alles, aber reden uns nicht rein. Manchmal sehen wir uns den ganzen Tag über nicht. Gleichzeitig ist unser Familiensinn stark ausgeprägt. Meine Mutter ist für mich ein wichtiger Impulsgeber, mein Vater steigt sofort ein, wenn ich eine Idee äußere: Um sie dann gemeinsam auf ihre Realitätstauglichkeit zu checken. Wenn ich morgens aufwache, denke ich immer: Womit kann ich heute die Welt ein bisschen besser machen, sei es im Kleinen? Die Zufahrtsstraße zum Dorf müsste dringend erneuert werden. Da bleibe ich dran. Lasse mich sowieso nie abwimmeln oder mit fadenscheinigen Argumenten abspeisen. Ein Leben reicht nicht, um alles zu realisieren, was mir vorschwebt.
Klingt groß …
Kerstin Leppin: Wir wollen den Standort Görike und das Dorf erhalten, mit unseren Mitteln. Vor 13 Jahren habe ich einen Chor gegründet. Okay, auch weil mir etwas langweilig war, als die Kinder aus dem Haus waren. Der hat jetzt 35 Mitglieder. Über 15 Prozent der Einwohner Görikes! Es gibt Tanzabende, Vereine, die keinen Winterschlaf kennen … Schaun Sie mal, da drüben steht ein Gehöft leer, man könnte ein Mehrgenerationenhaus draus machen oder etwas anderes in der Art, das Alt und Jung zusammenführt. Ringsherum sterben Dörfer. Seinerzeit hat die LPG den jungen Leuten finanzielle Unterstützung beim Hausbau gewährt, Straßen gebaut, sogar ein kleines Schwimmbad. Das ist jetzt völlig marode. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich will die DDR nicht zurückhaben, aber politisch passiert mir zu wenig, damit die Leute nicht abwandern. Entschuldigung, aber jetzt müssen wir doch noch eine Runde proben für unsere Feier! Sonst gehts schief!
Stimmt, harmonisches Zusammenspiel klappt nicht ohne Übung. Nirgends übrigens.
Das Gespräch führte Jutta Heise