System oder Zufall?
Die Europäische Chemikalienagentur ECHA hat 2019 empfohlen, Kalkstickstoff nach einer Übergangsfrist von 3 Jahren nicht mehr als Düngemittel zuzulassen. Der Vorwurf: Landwirte würden sich nicht an die Auflagen zur Ausbringung halten, und die Umwelt würde dadurch geschädigt. Handelt die ECHA hier noch fachlich fundiert?
Es kommentiert Erik Pilgermann
Landwirte sind erfahren im Umgang mit Düngern und Pflanzenschutzmitteln. Diese Sachkenntnis müssen sie nachweisen. Dazu sind sie sogar gesetzlich verpflichtet. Landwirte wissen nicht alles, aber ich unterstelle ihnen, dass sie bestrebt sind, hinzuzulernen. Oft wird ihnen jedoch vorgeworfen, diese Stoffe willkürlich und ohne Sachverstand einzusetzen. Dieser Vorwurf vonseiten einiger Umweltverbände ist nicht neu – schließlich benötigen sie diesen für ihre Daseinsberechtigung und Finanzierung. Neu für die Landwirte ist aber, diesen Vorwurf aus einer europäischen Fachagentur zu hören zu bekommen. Offensichtlich soll jetzt am Kalkstickstoff ein Exempel statuiert werden, das einem systematischen Verbot mineralischer Dünger Tür und Tor öffnen könnte. Ist das gewollt? Und wenn ja, von wem?
Kalkstickstoff als Düngemittel
Die EU-Kommission hat der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) im vergangenen Jahr den Auftrag erteilt, die Verwendung von Kalkstickstoff als Düngemittel zu überprüfen. Mitte August letzten Jahres stellte die ECHA dann ein Beschränkungsdossier online, in dem sie empfahl, Kalkstickstoff nach einer Übergangsphase von 36 Monaten nicht mehr als Düngemittel zuzulassen. Kalkstickstoff gefährde Boden- und Wasserorganismen, die durch Abschwemmung mit ihm in Kontakt kommen könnten. Diese Empfehlung basiert jedoch auf einem Bewertungsverfahren für Chemikalien, die während ihrer Herstellung, ihres Transportes oder der Anwendung unbeabsichtigt in die Umwelt gelangen.
Vollständig außer Acht lässt die in Finnland ansässige Fachbehörde zudem, dass Düngemittel niemals unbeabsichtigt vom sachkundigen Anwender auf den Acker verbracht werden. Ignoriert wird bis jetzt auch, dass die Anwendung von Düngemitteln in der EU bereits umfangreich reglementiert ist (EU-Nitratrichtlinie,
nationale DüV …). Die ECHA berücksichtigt in ihrer Einschätzung auch nicht, dass Bodenorganismen auf Ackerland ständig massiv beeinflusst werden, so zum Beispiel auch durch Bodenbearbeitung. Und die Behörde erkennt nicht an, dass selbst nach mehr als 100 Jahren der Anwendung keine negativen, kalkstickstoffspezifischen Auswirkungen auf die Umwelt festgestellt wurden.
Annahme: Landwirte halten sich nicht an Auflagen
Die ECHA ist sich auch nicht klar, ob sich ein Verbot von Kalkstickstoff positiv, neutral oder sogar negativ auf die Umwelt auswirke. Trotzdem hält sie bis jetzt an dem Vorschlag, den Dünger komplett zu verbieten, fest. Denn ein Totalverbot sei die zielführendste Maßnahme, da sie am einfachsten durchzuführen und zu kontrollieren sei. Differenzierte Auflagen zur Anwendung seien hingegen zu kompliziert, von den ECHA-Inspektoren auf den landwirtschaftlichen Betrieben nicht ausreichend zu kontrollieren. Und zu guter Letzt würden die Landwirte sich ohnehin nicht an Auflagen halten – so der Wortlaut der ECHA.
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Darf eine Fachbehörde aber fundiertes Wissen einfach außer Kraft setzen? Es wird immer schwerer, zu erkennen, welche der Institutionen, die für die Landwirtschaft verantwortlich sind, noch fachlich gute Arbeit leisten. Ist das ein Zufall oder bereits System? Wer agiert dabei mit welcher Motivation? Ich kann Ihnen diese Fragen leider nicht beantworten. Helfen Sie mir, es zu erklären und schreiben Sie mir Ihre Einschätzung.