Kommentar

Gesellschaftlich akzeptierte Landnahme

Symbolfoto © Sabine Rübensaat
Kommentar
Artikel teilen

Die landwirtschaftliche Nutzfläche in Deutschland ist stark zurückgegangen. Das Ziel der Politik, den Flächenverlust einzudämmen ist gescheitert. Wie kann man dieses hochkomplexe Problem noch angehen?

Es kommentiert Frank Hartmann

Der Flächenhunger in Deutschland ist nach wie vor unanständig groß. Landwirte sprechen zu Recht von Flächenfraß. Angesichts des gewaltigen Flächenverlustes muss die aktuelle Debatte um den Insektenschutz Landwirten wie Hohn in den Ohren klingen. 2019 stand bundesweit eine „landwirtschaftlich genutzte Vegetationsfläche“ von 18,128 Mio. ha in der Bilanz. Das Minus zum Jahr davor beläuft sich laut den Bundesstatistikern auf 34.500 ha. „Die Flächenneuinanspruchnahme findet überwiegend auf vormals landwirtschaftlich genutzten Flächen statt (77 %)“, heißt es im Statusbericht 2020 der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Bodenschutz.

Flächenverlust eindämmen

Neuer Landesredakteur für Thüringen Frank Hartmann
Frank Hartmann ist Landesredakteur für Thüringen bei der Bauernzeitung

Seit 1992 verringerte sich die agrare Nutzfläche der Republik um gut 1,4 Mio. ha. In Bildern gesprochen: Mecklenburg-Vorpommerns Agrarfläche fiel komplett neuen Straßen, Industrie- und Gewerbeparks, Wohnhäusern sowie Freizeit- und Erholungsarealen zum Opfer. Hinzu kommen Ausgleichsflächen für den Eingriff in den Naturhaushalt, die aus der Nutzung gefallen sind. Genaue Daten darüber gibt es keine.

Seit 20 Jahren formuliert die Politik das Ziel, den Flächenverlust einzudämmen. Der Tagesverbrauchswert lag tatsächlich mal über 100 ha. 2016 waren es 64 ha. Nun dümpelt man bei 56 ha herum. Eigentlich sollte schon 2020 die 30-Hektar-Marke stehen, was man dann auf 2030 verschob. Festzuhalten bleibt: Die Politik ist bisher nahezu gescheitert. Die eingangs zitierte Arbeitsgruppe kommt zu dem Schluss, dass ohne Gegenwehr alles weiter läuft wie bisher. Und das bedeutet zum Beispiel: Etwa 40 % des gesamten Siedlungs- und Verkehrsflächenzuwachses werden bis 2030 auf hochwertigen Böden mit über 60 Bodenpunkten stattfinden.

Schutz von boden

Dass Agrarflächen für die Umgehungsstraße einer vom Durchgangsverkehr geplagten Gemeinde herhalten müssen, darüber gibt es wohl keinen Dissens. Flurneuordnungsverfahren mildern den Verlust und suchen den Interessenausgleich. Der Straßenbau treibt freilich auch Blüten, wie unser Beispiel aus Brandenburg zeigt. Das wirkliche Problem liegt aber hier: Gut zwei Drittel dieser Landnutzungsänderung entfallen auf Wohngebäude, Industrie- und Gewerbeflächen. Realisiert, versprechen sie Kommunal- und Landespolitikern Applaus. Das Erschließen der Flächen soll preiswert sein, wofür sich „grüne Wiesen“ am besten eignen. Teuer ist es hingegen, innerstädtische Siedlungskonzepte zu verfolgen oder brachliegende Areale für Ansiedlungen nutzbar zu machen. Während widerständigen Landwirten Kostenbeteiligung bei der Erschließung oder gar Enteignung droht, lehnen sich Eigentümer von Brachen zurück. Denn sie kann man nicht dazu zwingen, ihre Flächen herauszugeben. Das ließe sich freilich gesetzlich ändern.

Zweifellos sind regionale Siedlungs- und Infrastrukturplanungen höchst komplexe Angelegenheiten, die etwa Wohnkosten, Arbeitsplätze oder den Pendlerverkehr mit einbeziehen. Dies darf Verantwortliche aber nicht davon abhalten, den Schutz landwirtschaftlicher Böden zu forcieren. Ein Anfang wäre, den Bestand an Brachflächen zu erfassen. Für sie muss ein Vorrang beim Erschließen neuer Wohn- und Gewerbeflächen gesetzlich fixiert werden. Wenn sich Brachen für diese Nutzung nicht eignen, gehört ihre Entsieglung – als anerkannte Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme – zur Pflicht gemacht. Boden ist, wie Klima und Artenvielfalt, ein schützenswertes und zugleich bedrohtes Gut. Es wird Zeit, dies zu akzeptieren und danach zu handeln.