Kastenstand: Glaubenskrieg um die Beine der Sau

(c) Sabine Rübensaat
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Nach dem Beschluss der Düngeverordnung steht mit der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung die nächste Agrar-Entscheidung ins Haus. Können wir aus der letzten Debatte lernen?

Es kommentiert Ralf Stephan

Eine ungewöhnliche Veranstaltung fand vorige Woche im brandenburgischen Landtag statt. Der Agrarausschuss hatte Landwirte und Wissenschaftler eingeladen, um zu erfahren, welche Folgen die neue Düngeverordnung für die Brandenburger Landwirtschaft haben wird. Die Antworten fielen sehr klar und einhellig aus. Nach drei faktenreichen Stunden waren einige der Abgeordneten sichtlich überrascht vom Fazit der Fachleute. Denn es lautete: Brandenburg hat im Bundesrat einer Verordnung zugestimmt, die an der Realität im Land völlig vorbeigeht. Mehr noch: Wie alle Betriebe in Trockengebieten östlich der Linie Hamburg–Hannover–Göttingen werden Brandenburgs Bauern durch sie massiv benachteiligt. Nein, ein Wissenschaftler sagte wörtlich: bestraft.

Entscheidung über Tierschutz-Nutztierhaltungs-VO steht am

Ralf Stephan, Chefredakteur der Bauernzeitung.

Um zu klären, wie es dazu kommen konnte, bleibt nicht viel Zeit.
Denn die Bundesländer sind bereits dabei, bei der nächsten Entscheidung wieder dieselben Fehler zu begehen. Dieses Mal steht
die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung an. Doch es läuft genau wie beim Düngedesaster. Wieder wird auf Zeit gespielt, denn der Auslöser – das Magdeburger Urteil zum Kastenstand in der Sauenhaltung – liegt inzwischen fast viereinhalb Jahre zurück.

Wieder sind parteipolitische Ziele offenbar wichtiger als pragmatisches Herangehen, denn Dutzende Änderungsanträge mit teils unerfüllbaren Wünschen verstricken den Verordnungsentwurf des Bundes in einen unauflösbaren Knäuel. Und wieder wird auf alle möglichen Stimmen gehört, nicht aber auf die Praktiker und vor allem nicht auf die Wissenschaft.

Sachsen-Anhalt ist für Ende des Kastenstands

So möchte Sachsen-Anhalt den Kastenstand am liebsten ganz abschaffen, weil man die Zukunft in der Gruppenhaltung sieht. Dabei ficht die schwarz-rot-grüne Landesregierung nicht an, dass die Praxisforschung dem sehr kritisch gegenübersteht. Im Bundesvergleich am intensivsten untersucht seit Längerem das Lehr- und Versuchsgut Köllitsch, welche Haltungsformen am ehesten dem Tierschutz gerecht werden.

„Eine zeitliche Begrenzung der Kastenstandhaltung ist tiergerechter als ein völliger Verzicht auf den Kastenstand“, lautet die klare Aussage. Ausgiebig untersucht wurde in Ställen Mitteldeutschlands auch, wie wichtig es den Sauen ist, mit ungehindert ausgestreckten Beinen liegen zu können. Dafür wird politisch ja derzeit bis aufs Messer gestritten. Die Wissenschaft hat festgestellt: „Rückzugsmöglichkeiten bewerten die Sauen höher als die Möglichkeiten zum Körperkontakt in der Gruppe und diesen wiederum höher als die Beinfreiheit.“

Glaubensfrage: Wie soll die Sau liegen – und wie will sie?

Die Forschungsresultate liegen vor, sie wurden auf Fachtagungen diskutiert und in Fachzeitschriften wie der Bauernzeitung veröffentlicht. Doch aus der Frage, wie die Sau liegen soll, wurde längst ein parteipolitischer Glaubenskrieg. Wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, wie sie liegen will, spielen keine Rolle mehr. Kompromisslos verhindert Sachsen-Anhalt pragmatische Lösungen, die den verbliebenen ostdeutschen Sauenhaltern Zeit für Umbauten verschaffen würden. Thüringen könnte durch das erwartete Veto seiner Grünen im Bundesrat nicht mit Ja stimmen, selbst wenn sein Agrarminister es wollte. Auf Sachsen und Brandenburg mit ihren grünen Ministern können die Sauenhalter auch nicht zählen. Der Zug rollt also ungebremst auf die Wand zu, bis es knallt.

Denn scheitert die neue Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung, muss das Magdeburger Urteil zeitnah und eins zu eins umgesetzt werden. Mindestens ein Drittel der Sauenhalter wird das nicht schaffen. Gut möglich, dass hinterher wieder viele verdutzt fragen: Wie nur konnte etwas politisch zugelassen werden, das so an der Realität im Land vorbeigeht?