Streit um Frosthilfen der EU: Warum Obstbauern aus Deutschland leer ausgehen
Spätfröste und ihre verheerenden Folgen: Obstbauern in Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg kämpfen gegen Ernteverluste. Jetzt gibt es Streit in der Politik. Warum bekommt Deutschland kein Geld aus der Agrarreserve der EU? Das kommentiert Claudia Duda.
Von Claudia Duda
Mit minus 8,8 Grad war es in Deutschneudorf-Brüderwiese im Erzgebirge in der Nacht zum 23. April deutschlandweit am kältesten. Der Kälteeinbruch war bundesweit zu beobachten, aber in Ostdeutschland lagen die Temperaturen fast überall bei minus 5,5 Grad. Jetzt zeigt sich, dass die schlimmsten Befürchtungen auch eintreten. Die Ernteausfälle vieler Betriebe liegen zwischen 80 und 100 %. Äpfel, Pflaumen, Kirschen, Sauerkirschen, Himbeeren, Erdbeeren, Heidelbeeren, Johannisbeeren und Weinreben sind betroffen. Wer sich als Konsument mit regionalem Obst versorgen will, muss suchen oder tief in die Tasche greifen. Während die betroffenen Betriebe versuchen zu retten, was zu retten ist, ist auf politischer Ebene ein Streit darüber entbrannt, ob und wie den Landwirten geholfen werden kann.
Fachgruppe Obstbau sieht den Bund in der Pflicht
Joerg Hilbers, Geschäftsführer der Fachgruppe Obstbau, beziffert die Schäden in den deutschen Baumostkulturen auf 250 bis 300 Mio. €. Und nicht nur bei dem Interessenverband, der die deutschen Obstbauern vertritt, ist der Ärger darüber groß, dass insbesondere der Bund den Betrieben nicht helfen will. „Wir sehen den Bund in der Pflicht, aber der hat auf die Bundesländer verwiesen“, so Hilbers.
Frosthilfen: Bund verweist auf die Länder
Die Spätfröste im April, die zu den Schäden geführt haben, erfüllen nicht das Kriterium als „Ereignis mit nationalem Ausmaß“, heißt es. Nur in einem solchen Fall könne es vom Bund Ad-hoc-Hilfen geben. Allerdings hatte das Ministerium von Cem Özdemir (Grüne) in einer Pressemitteilung aufgezählt, dass Sachsen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz, Hessen, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland betroffen seien. Es fehlten nur die Stadtstaaten sowie Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Unklar also, was der Bund unter einem „Ereignis mit nationalem Ausmaß“ versteht
EU-Agrarreserve: Österreich, Tschechien und Polen bekommen Geld
Immerhin ist das Bundesministerium aktiv geworden. Bei der EU. Bereits Ende Mai habe man sich beim Rat für Landwirtschaft und Fischerei in Brüssel für EU-Hilfen für die betroffenen deutschen Betriebe starkgemacht, teilte ein Sprecher mit. Und auch beim Agrarrat am 24. Juni hätte das BMEL auf die Schäden in Millionenhöhe hingewiesen und die Kommission abermals zu adäquaten Hilfen aufgefordert. Dann die Überraschung: Die EU hat Krisenhilfen aus der Agrarreserve in Höhe von 62 Mio. € für Österreich, Tschechien und Polen nach Frost- und Hagelschäden für Obst-, Gemüse- und Weinbaubetriebe in Aussicht gestellt, ohne Deutschland in die Hilfsmaßnahme einzubeziehen. Warum? Weil kein schriftlicher Antrag vorlag.
„Von der Maßnahme wurde das BMEL offenbar überrascht”, interpretiert es Joerg Hilbers von der Fachgruppe Obstbau. „Es ist mir suspekt, dass der größte Beitragszahler der EU nichts von dem Antrag weiß“, sagt er.
Agrarreserve: 450 Millionen Euro pro Jahr
Auch wenn der Ministeriumssprecher betont, dass die entsprechende Regelung der Verordnung über die Gemeinsame Marktorganisation „keine Antragserfordernis kennt“, ist es doch verwunderlich, dass Polen, Österreich und Tschechien ihre Ansprüche anscheinend formgerecht eingereicht haben. Die Agrarreserve der EU – 450 Mio. € jährlich – ist ein Sicherheitsnetz für landwirtschaftliche Betriebe, um wirtschaftliche Schocks und deren Auswirkungen zu dämpfen. Sie wurde erstmals 2022 eingesetzt, um nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine Agrarbetriebe zu unterstützen, die von Marktstörungen betroffen waren und die wegen der Energiekrise höhere Produktionskosten hatten.
Deutschland reicht Antrag nach
Deutschland hat den Antrag an die EU jetzt nachgereicht. Als größter Beitragszahler muss es ebenfalls berücksichtigt werden – alles andere wäre ungerecht und schwer zu vermitteln. Doch die deutsche Regierung muss noch ganz andere Hausaufgaben machen und ein echtes Risikomanagement vorantreiben. Die im Agrarpaket angekündigte steuerliche Gewinnglättung zum Ausgleich von Gewinnschwankungen aufgrund wechselnder Witterungsbedingungen kann nur ein Anfang sein.
Kommentar aus der Ausgabe 30/2024
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