Warum Ökolandbau das falsche Leitbild ist
Die Ziele des neuen Landwirtschaftsministers sind polarisierend. Mit dem Erreichen von 30 Prozent ökologischen Landbaus reißt er die fast verheilten Wunden zwischen den „Konvis“ und „Ökos“ wieder auf. Ein Kommentar unseres Chefredakteurs Ralf Stephan.
Obwohl es unnötig wäre, dies einfach zur Sicherheit vorweg: Die Bauernzeitung steht, seit sie ihre Themen selbst bestimmen kann – also seit mehr als 30 Jahren – dem Ökolandbau vorurteilsfrei gegenüber. Als „Ökos“ in anderen Teilen unseres großen schönen Landes noch als verschrobene Außenseiter galten, schauten wir neugierig Bäuerinnen und Bauern über die Schulter, die hier im Osten mit dieser Wirtschaftsweise ihre Zukunft gestalten wollten. Schon lange liegt unsere Zeitschrift auch in ostdeutschen Ökobetrieben auf dem Tisch. Und das Beste daran: Alle finden es völlig normal.
Ziel: 30% Ökolandbau
Mit einiger Sorge sehen wir deshalb, welche Zeichen die immer noch ziemlich neue Bundesregierung gerade setzt. Während die in Betriebsgrößen, Eigentumsformen und Ausrichtung sehr vielfältige ostdeutsche Landwirtschaft gespannt darauf wartete, welche passenden politischen Antworten es auf die ebenso vielfältigen Herausforderungen geben könnte, präsentiert der Bundeslandwirtschaftsminister eine schlichte Formel: Das agrarpolitische Leitbild dieser Bundesregierung heißt Ökolandbau. Angesichts der großen Hoffnungen, die Teile der Landwirtschaft in einen Politiker mit dem Überblick und dem Format Özdemirs gesetzt haben, ist dies eine glatte Enttäuschung. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Wichtigste ist: Statt die nötigen neuen Brücken zu bauen, reißt ein solches Leitbild die endlich zuwachsenden Gräben zwischen „guter“ und „böser“ Landwirtschaft wieder auf.
Welche pädagogische Absicht steckt wohl dahinter, acht von zehn Landwirten mitzuteilen, dass das, was sie tun, eigentlich nicht erwünscht ist? Cem Özdemir beteuert zwar, er sei der „Minister aller Bauern“, wolle sich trotz des Zieles 30 % Ökolandbau zu erreichen, um konventionelle und ökologisch wirtschaftende Bauern ebenso kümmern wie um große und kleine Höfe. Das darf man ihm auch glauben. Doch dazu passt es nicht, ein Leitbild zu proklamieren, das maximal polarisiert – noch dazu völlig unnötig. Denn darüber, dass die gesamte Landwirtschaft ihre ökologische Wirkung stärker im Blick haben muss, besteht weitreichende Einigkeit.
Konventionelle Betriebe reduzieren Emissionen auf dem Acker und in den Ställen, experimentieren mit wassersparenden Verfahren, erproben Agroforst und Permakultur in größeren Maßstäben, reanimieren Ackerbausysteme, in denen Schafe eine Schlüsselrolle spielen – das alles und damit ein unerschöpfliches Innovationspotenzial grenzt die Bundesregierung von vornherein aus, weil ihr Leitbild nicht etwa eine durchweg ökologischere Landwirtschaft, sondern der selbst nach dem Erreichen des politischen Ziels immer noch kleinere Teil davon ist.
Für beide seiten nicht profitabel
Falsch ist dieses Leitbild nicht zuletzt, weil es die Sorgen der Ökobetriebe um ihren Markt verstärkt. Zwar will Özdemir Geld in die Entwicklung von Wertschöpfungsketten stecken. Bis die stehen, könnte der Handel aber Fakten geschaffen haben – wie damals beim sechseckigen Biosiegel, das EU-Importen Tür und Tor öffnete. Die Zusage, Geld in die Züchtungsforschung zu stecken, um Erträge zu erhöhen, ist ebenfalls ein Wechsel auf die Zukunft. Was also, außer politischer Aufmerksamkeit, bringt dieses Leitbild dem Ökolandbau selbst? Wenn weder Ökobauern noch die „Konvis“ noch die Landwirtschaft insgesamt davon profitieren – wer braucht es dann?