Dann reden wir doch über Geld!
Landwirte füllen sich die Taschen mit EU-Geld – diesem Vorwurf hat BZ-Landesredakteur Frank Hartmann etwas zu entgegnen – und rechnet mal nach.
Obwohl die Bauernproteste vielfach auf Verständnis stießen, klang in Kommentaren ein alter Vorwurf durch: Die Landwirte erhalten doch den größten Batzen der EU-Budgets. Vor zweieinhalb Jahren erinnerten wir hier an die Römischen Verträge, zu deren Kernpunkten die Vergemeinschaftung der Agrarpolitik zählte. Als einzige Politik in Europa wird die Landwirtschaft seither nahezu ausschließlich aus dem EU-Haushalt finanziert.
Anfang der 1970er-Jahre betrug der Anteil der Landwirtschaft am EU-Haushalt fast noch 90 % – bei sechs Mitgliedsstaaten. Bis 1985 (zehn EU-Mitglieder) sank er auf 70 %. Den exorbitanten Anstieg der Ausgaben für Preisstützungen beendete die MacSharry-Reform 1992 radikal (zwölf Mitgliedsstaaten, inklusive Ostdeutschland). Mit der Agenda 2000 für die EU-15 einigte man sich auf eine Ausgabengrenze im Agrarsektor.
Agrar-Anteil im EU-Haushalt nur noch bei 35 %
2003, ein Jahr vor dem Beitritt von zehn agrarisch geprägten osteuropäischen Ländern, stand ein Agrarbudget von 47,3 Mrd. €, davon 4,7 Mrd. € für die Zweite Säule. Für das Jahr 2020 nun sind Agrarausgaben von 58 Mrd. € vereinbart, davon 14 Mrd. € für die Zweite Säule. Völlig zu Recht fällt ein wachsender Teil davon den ländlichen Regionen der mittel- und osteuropäischen Mitglieder zu. Der Anteil der Landwirtschaft am EU-Haushalt beträgt noch 35 %.
Trotz inzwischen weiterer 13 Staaten, eines mittlerweile vollumfänglichen globalen Handels, des Endes von Marktordnungen (Milch, Zucker), wachsendem Ökolandbau, Greening-Regeln, der Zunahme (nationaler) restriktiver Auflagen und ungebremster Konzentration von Nahrungsmittelindustrie und Handelskonzernen stagniert die Gesamtsumme der EU-Direktzahlungen seit 15 Jahren sehr konsequent.
Für die Zeit ab 2021 soll das Agrarbudget unter die 30 %-Marke gedrückt werden, was nur mit Kürzungen möglich sein dürfte. Denn mehr Geld wollen die EU-Länder nicht nach Brüssel überweisen. An die Landwirtschaft fließt heute bereits insgesamt nicht mehr als ein Prozent aller Staatsausgaben (EU-Beihilfen plus nationale Ausgaben)!
Rationalisierung, Selbstausbeutung, Betriebsaufgaben
Reagiert hat die Landwirtschaft auf zwei Jahrzehnte sinkender Beihilfen und Marktliberalisierung mit Selbstausbeutung, Rationalisierung, Betriebsaufgaben bzw. -wachstum samt Verschuldung. Die Beihilfen bleiben existenziell. In Sachsen konnten Betriebe in den letzten zehn Jahren nur dank der Direktzahlungen das Minus von fünf miesen Ernten ausgleichen. 2018 und 2019 retteten Beihilfen Betriebe im Osten vor dem Ruin. Und es geht weiter: In Thüringen (0,4 GV/ha) errechnete man für eine Tierwohlstrategie nötige Investitionskosten von 173 Mio. €. Um die Ställe dann zu bewirtschaften, fielen zusätzliche Betriebskosten von 63 Mio. € an – pro Jahr.
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Für den Umweltschutz wenden die EU-28 von ihren Staatsausgaben 1,7 % auf. Dass das nicht reicht, ist gut möglich. Dem Naturschutzbund Deutschland (Nabu) fällt dazu aktuell nichts Besseres als eine „114-Euro-Kampagne“ ein. So viel „bezahlt“ angeblich jeder EU-Bürger im Jahr für die Landwirtschaft, die laut Nabu die „Hauptschuld am europaweiten Vogel- und Insektensterben“ trägt. Und so sagen Prominente auf, wofür sie „ihre“ 114 € in der nächsten GAP-Periode gern ausgeben würden. Da könnte man genauso gut Autofahrer fragen, wie sie „ihre“ 380 € im nächsten Verkehrsetat des Bundes verwenden möchten.
Bauern treibt es nicht nach Berlin, weil sie Düngeverordnung/Agrarpaket/Tierwohl öde finden. Sondern weil viele von ihnen keinen betriebswirtschaftlichen Spielraum mehr sehen. Und weil sie Kampagnen wie die des Nabu einfach satt haben.