Bürokratie-Abbau: Versteht die Politik die Anliegen der Bauern?
Ungewohnt schnell hat der Bund auf die Vorschläge der Länder für eine einfachere Agrarpolitik reagiert. Doch beim genauen Hinschauen stellt sich die Frage, ob der als Tiger gestartete Bürokratieabbau nicht doch noch als Bettvorleger endet. Hat die Politik wirklich verstanden? – fragt sich Kommentator Ralf Stephan.
Als Gerhard Schröder mit der Ansage „Wir haben verstanden“ die Niederlage seiner SPD bei der Europawahl 1999 einräumen musste, war ein politischer Slogan geboren. Seine Verwendung war seitdem immer wieder mal nötig. Und auch jetzt, wenn es um politische Reaktionen auf die Bauernproteste zur Jahreswende geht, möchte die Politik gern den Eindruck vermitteln, die mit großem Nachdruck auf die Straßen gebrachten Anliegen tatsächlich verstanden zu haben. Das könnte auch daran liegen, dass wieder Wahlen anstehen, als erstes eine Europawahl.
Mit ungeahntem Tempo hatten sich die Länder zusammengerauft und dem Bund 194 Vorschläge für den Abbau von Bürokratie unterbreitet. Hier wurde also wirklich etwas verstanden. Denn das Gefühl, zu viel Zeit mit unnötigem Bürokram zu verbringen, statt auf dem Acker oder bei den Tieren zu sein, gehört zu den Tropfen, die das oft zitierte Fass zum Überlaufen gebracht hatten. Nicht nur, weil Ostern in diesem Jahr besonders früh anstand, dürfte aber kaum jemand die Zusage des zuständigen Bundesministers ernst genommen haben, die Ländervorschläge noch vor dem Fest bewerten zu wollen. Wie auch immer – die Reaktion kam pünktlich.
200 Vorschläge – Was ist machbar und wer ist zuständig?
Wundergläubig zu werden, besteht dennoch kein Anlass. Denn die Antworten aus dem Hause Özdemir fallen in weiten Teilen dann doch nicht so überraschend aus. Die fast 200 Vorschläge wurden, was sinnvoll ist, von den fleißigen Täubchen im Ministerium nach Machbarkeit in fünf Töpfe sortiert. Auffällig dabei: Für zwei davon fühlt sich der Bund nicht zuständig, und in Topf Nummer fünf hat er alles gepackt, worüber er gar nicht erst reden will. Dazu zählt an erster Stelle die umstrittene Stoffstrombilanz.
Bundesländer laufen seit Monaten Sturm gegen die neuen Aufzeichnungs- und Kontrollpflichten, die auf Betriebe wie Verwaltungen zurollen, ohne einen zusätzlichen Beitrag zu ordnungsgemäßer Düngung zu leisten. Im Alltag echt entlasten würden zudem Vereinheitlichungen im Wirrwarr der Abstandsregeln. Aber auch die will Berlin nicht antasten.
Nicht zuständig sieht sich der Bund des Weiteren für Bürokratie aus Brüssel. Dabei wurde dort nichts beschlossen, dem Deutschland nicht zugestimmt hat. Also muss es auch möglich sein, auf EU-Ebene Unnötiges zurückzunehmen. Die Kommission hat bei der GAP schon damit begonnen. Es besteht also durchaus die reelle Chance, jetzt jene Ländervorschläge durchzubringen, die man erst einmal im Topf zwei abgelegt hat. Und die Länder selbst haben offenbar mehr in der Hand, als ihnen bislang bewusst war: Im Topf vier lagern ihre Vorschläge, die sie nach Ansicht des Bundes selbst umsetzen müssten. Sie sollten nicht allzu lange damit warten.
Schneller Bürokratieabbau statt Symbolpolitik
Für die Praxis ist es gleich, wer nun für welchen Topf zuständig ist. In den Betrieben gibt es zwei Kriterien, an denen die Versprechen gemessen werden: Erste Erleichterungen müssen möglichst bald spürbar sein, und am Ende hat tatsächlich drastisch weniger Bürokratie zu stehen.
Wenn es darauf hinausliefe, dass der Abschied von der zweiten Ohrmarke als Erfolg gefeiert werden soll, dann wäre auch aus dem als wilder Tiger gestarteten Bürokratieabbau ein weiterer zahmer Bettvorleger geworden. Wer jedoch das zulässt, der hat die Bauernproteste rein gar nicht verstanden.
Kommentar aus der Ausgabe 19/2024
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