Direktzahlungen aus Brüssel: Überladen, überzogen, überfordert
Lange galt die sächsische Agrarverwaltung als besonders zuverlässig. Doch bei der pünktlichen Auszahlung der Agrarförderung versagt sie in diesem Jahr. Das hat schwerwiegende Folgen für die Betriebsabläufe und für das Vertrauen in die Politik. Das Debakel um die verspäteten Direktzahlungen hat indes tiefere Gründe, kommentiert Ralf Stephan.
So unerfreulich ein Jahr auch verlaufen sein mochte, mit dem Eintreffen der Direktzahlungen in der Weihnachtszeit fand es für die Landwirte noch immer ein versöhnliches Ende. Und sei es wegen der äußerst beruhigenden Gewissheit, die zum Jahreswechsel fälligen Verpflichtungen gegenüber Verpächtern und Geschäftspartnern verlässlich bedienen zu können. In so manchem Betrieb soll der vermeintliche Geldsegen aus Brüssel somit ein reiner Durchlaufposten sein.
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Direktzahlungen aus Brüssel: Erbrachte Leistungen ohne Vergütung
Wenn die Zahlung ausbleibt, ist das also alles andere als eine Lappalie. Zum einen kommen betriebliche Abläufe ins Stocken, von unerfreulichen Gesprächen mit den Vertragspartnern und zwangsläufig den Bankern ganz abgesehen. Zum anderen stellt sich das Gefühl ein, für erbrachte Leistungen nicht wie abgemacht vergütet zu werden. Denn die Zahlungen stehen den Landwirten zu, die Grundanforderungen an die Betriebsführung (GAB) erfüllen und Anforderungen zum Erhalt der landwirtschaftlichen Flächen in einem „guten landwirtschaftlichen und ökologischen Zustand“ (GLÖZ) umgesetzt haben.
Freiwillige Maßnahmen für die Erfüllung der Ökoregelungen sowie der Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen stehen ebenso auf ihrem Lieferschein. Wenn die zugesagte Summe nicht eintrifft, dann kostet das wieder ein Stück Vertrauen in die Verlässlichkeit von Politik. Da hilft es wenig, auf das theoretisch mögliche Zahlungsziel im nächsten Sommer zu verweisen.
Ein Blick auf die Ursachen
Verwunderlich ist es schon, dass nun ausgerechnet die seit jeher für ihr unerschütterliches Funktionieren bekannte sächsische Verwaltung den Offenbarungseid leisten musste. Indes sollte dies nicht den Blick auf die tieferen Ursachen verstellen. Die liegen viel weiter vorn.
Da ist zunächst das politische Drängen, von GAP-Reform zu GAP-Reform immer weiter vom ursprünglichen Zweck der Direktzahlungen – dem Wettbewerbsausgleich für höhere EU-Standards – abzurücken. „Öffentliches Geld für öffentliche Leistungen“ lautet der Slogan, der so eingängig ist wie irrig. Denn er suggeriert, dass die Verfügbarkeit sicherer und nachhaltig erzeugter Nahrungsmittel keine öffentlich gewünschte Leistung sei.
Statt dies zu akzeptieren, wurden immer neue Bedingungen an die Zahlungen geknüpft, bis inzwischen erst die Betriebe bei der Antragstellung und dann die Behörden bei Kontrolle und Abrechnung überfordert sind. Der Ehrlichkeit halber sei daran erinnert, dass es die Chance für eine unbürokratische Agrarpolitik durchaus gegeben hat: Als 2014 der rumänische Kommissar Dacian Ciolos alles mit sieben Prozent Stilllegung erledigen wollte, hatte er alle gegen sich, vornweg die Bauernvertreter.
Die aktuelle Misere heraufbeschworen hat jedoch das Bundeslandwirtschaftsministerium, als es nach seiner Neubesetzung den bereits beschlossenen Strategieplan noch einmal aufdröselte, umstrickte und entsprechend verspätet bei der EU-Kommission vorlegte. Der Eindruck, es würde daraus lernen, stellt sich indes nicht ein. Gerade werkelt die Oberbehörde daran, den Betrieben eine noch ausgetüfteltere Stoffstrombilanz zu verpassen. Praxisnahe Verwaltungen halten sie für überflüssig. Und das Thünen-Institut mahnt, um die nötigen Datenmengen sinnvoll nutzen zu können, müsse die ganze Kette durchgehend digitalisiert sein. Vermutlich müssten die Apps dafür auch wirklich funktionieren. Da in der IT Fachkräftemangel herrscht, besteht wenig Hoffnung auf ein versöhnliches Ende.
Kommentar aus der Ausgabe 45/2023
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