Jochen Borchert im Interview: „Politik hat versagt“
Im Interview begründet Jochen Borchert, warum das Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung („Borchert-Kommission“) seine Arbeit einstellt. An den Landwirten, so der einstige Bundesagrarminister, lag es jedenfalls nicht.
Interview: Agra-Europe (AgE), gekürzt
Herr Borchert, wie ist Ihre Gemütslage nach der Entscheidung des von Ihnen geleiteten Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung, seine Arbeit einzustellen?
Ich bin enttäuscht und ein Stück weit ernüchtert, dass es nicht gelungen ist, die Politik davon zu überzeugen, unsere Vorschläge umzusetzen. Ich bin aber auch erleichtert, dass die Hängepartie jetzt vorbei ist. Und schließlich bin ich dankbar für eine anregende und fordernde Zeit mit Menschen, die sich trotz unterschiedlicher Interessen und Sichtweisen auf einen gemeinsamen Nenner verständigt haben. Dass dies möglich war, macht mich auch im Nachhinein noch sehr zufrieden.
Auch wenn die Beteiligten in ihren Kommentaren unterschiedliche Akzente gesetzt haben, in einem Punkt sind sich die meisten einig: Die fehlende Umsetzung der Empfehlungen kommt einem „Politikversagen“ gleich. Stimmen Sie zu?
Ja! Die Politik hatte die Chance, in die Umsetzung der Transformation einzusteigen. Die hat sie nicht genutzt, daran ist sie gescheitert. Das ist nichts anderes als Politikversagen der letzten und dieser Koalition.
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Jochen Borchert im Interview
Weder die aktuelle noch die Vorgängerregierung haben es hinbekommen. Haben Sie der Politik zu viel zugetraut?
Nein. Wir haben die Vorschläge intensiv diskutiert und sorgfältig ausgearbeitet. Wir haben sie auf ihre Umsetzbarkeit und ihre Machbarkeit prüfen lassen. Wir haben auch Vorschläge gemacht, wie die Finanzierung erfolgen könnte. Auch wenn das in diesen Zeiten nicht einfach ist: Mit dem notwendigen politischen Willen hätte man den unerlässlichen Umbau der Tierhaltung schaffen können. An diesem politischen Willen hat es jedoch gefehlt. Wir haben das der Politik zugetraut. Leider sind wir enttäuscht worden. Politik muss manchmal auch schwierige Entscheidungen treffen, um Entwicklungen in der Gesellschaft, in der Wirtschaft und in der Landwirtschaft voranzubringen.
In der Großen Koalition waren Teile der Union skeptisch gegenüber Ihrem Konzept. In der Ampel ist es die FDP, teilweise sind es aber auch die Grünen. Sind das für Sie die Hauptverantwortlichen?
Ich kann nicht beurteilen, wer aktuell Hauptverantwortlicher ist. Ich kann nur feststellen, dass sich die drei Koalitionspartner in der Ampel nicht einigen und dass der Streit über die Finanzierung innerhalb der Ampelkoalition weitergeht. Wer da wen am stärksten ausbremst oder blockiert, kann ich nicht sagen. Es liegt in der Verantwortung aller drei Partner, dass sie es nicht schaffen, sich zu einigen.
Unterstützung der Borchert Pläne durch Landwirtschaft
Hätten Sie sich noch mehr Rückenwind aus der Landwirtschaft gewünscht?
In der Landwirtschaft haben wir eine große Zustimmung erlebt. Wir haben intensiv mit den Betroffenen und den Verbänden über unsere Empfehlungen diskutiert und sind auf eine große Unterstützung gestoßen. Wir sind von allen Verbänden und den Landwirten unterstützt worden. Deswegen stehen sie in den drängenden Fragen startbereit. Aber es fehlt die Voraussetzung einer gesicherten langfristigen Finanzierung. Wir sind nicht an den Landwirten gescheitert. Die waren und sind bereit, die Transformation einzuleiten. Sie brauchen aber die notwendige Sicherheit, um nicht in die roten Zahlen oder möglicherweise in den Konkurs zu geraten.
Finanzierung für Umbau der Tierhaltung nicht geklärt
Die Haushaltsberatungen laufen derzeit erst an. Warum haben Sie nicht abgewartet?
Der Haushaltsausschuss kann den Schritt zu einer langfristigen, sicheren Finanzierung nur gehen, wenn die Bundesregierung mit entsprechenden Vorschlägen einsteigt. Dann können die Haushälter die Vorschläge verbessern und etwas anderes gestalten. Angesichts der Sparvorgaben des Bundesfinanzministers ist es nicht möglich, dass der Haushaltsausschuss eine völlig neue Finanzierung in den Einzelplan 10 einführt. Deshalb haben wir jetzt die Entscheidung getroffen.
Das Bundesagrarministerium verweist auf die Zusage des Finanzministeriums, für die Tierwohlprämien Verpflichtungsermächtigungen bis 2033 in den Haushalt aufzunehmen. Wäre das nicht ein Einstieg?
Die Verpflichtungsermächtigungen starten in den ersten Jahren mit jährlichen Summen von 50 Millionen Euro. Wir gehen davon aus, dass Betriebe, die heute bereits nach den höheren Standards Frischluft, Außenklima oder Auslauf produzieren, umgehend einen Antrag zur Finanzierung der höheren laufenden Kosten stellen werden. Allein dafür liegt der Bedarf bei mehr als 30 Millionen Euro. Da ist für Neueinsteiger dann nicht mehr viel übrig. Am Ende sinken die Verpflichtungsermächtigungen auf 25 Millionen Euro und dann auf zwölf Millionen Euro im Jahr. Im Ergebnis ist das keine sichere Finanzierung. Landwirte, die jetzt einsteigen, müssen sich unter diesen Bedingungen darauf einstellen, dass ihnen nach wenigen Jahren die laufenden Kosten nicht mehr erstattet werden können, weil das Volumen der Verpflichtungsermächtigungen dafür nicht reicht.
Politik bremst vernünftige Entwicklung der Tierhaltung
Ist der Ansatz der Kommission ein für alle Mal gescheitert?
Nein, das glaube ich nicht. Der gesellschaftliche Druck bleibt weiter bestehen, allein weil Tierschutz ins Grundgesetz aufgenommen worden ist. Es besteht die Gefahr, dass es zu Klagen gegen bestimmte Formen der Tierhaltung kommt und damit der Druck auf die Tierhaltung noch steigt. Ich gehe davon aus, dass die Debatte um mehr Tierwohl weiter intensiv geführt werden wird. Dafür werden allein die vielen Organisationen und Verbände in diesem Bereich sorgen. Umso bedauerlicher ist es, dass die Politik es jetzt nicht geschafft hat, die Forderungen des Kompetenznetzwerks umzusetzen und damit eine vernünftige Entwicklung der Tierhaltung in Deutschland zu ermöglichen.
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